Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 14.03.2025 – W 7 S 25.30659
Titel:

Asyl, Türkische Staatsbürgerin, offensichtlich unbegründet, Abschiebungsandrohung, volljährige Tochter

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1
Schlagworte:
Asyl, Türkische Staatsbürgerin, offensichtlich unbegründet, Abschiebungsandrohung, volljährige Tochter
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6291

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die am … … 2004 in V …Türkei geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige und kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 19. September 2023 gemeinsam mit ihrem am … … 1971 geborenen Vater, der am … … 1977 geborenen Mutter und zwei Brüdern ins Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Die Familie reiste per Flugzeug aus der Türkei aus und sodann auf dem Landweg nach Deutschland. Nach ihren Angaben hat sie in Deutschland außerdem Onkel und Tanten.
2
1. Bei ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 11. Juni 2004 gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, sie habe seit ihrer Geburt gemeinsam mit der Familie am selben Ort gelebt. Geflohen sei sie, weil Kurden in der Türkei keine Rechte hätten und als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt würden. Sie dürften ihre Sprache nicht verwenden. Eigentlich sei die Familie wegen des Vaters hier. Er wäre verhaftet worden, wären sie nicht geflohen, weil er auf Facebook auf Kurdisch etwas gepostet habe. In ihrer Gemeinde sei niemand sicher, da herrsche Blutrache und Anarchie. Seit ein Soldat getötet worden sei, stünden die Kurden dort unter Generalverdacht. Eine Anzeige könne man nicht erstatten. Ohne ihren Vater würde ihr niemand Arbeit geben oder sie für voll nehmen. Sie könne auch persönlich für die Taten ihres Vaters verantwortlich gemacht werden.
3
2. Im Asylverfahren der Eltern und Geschwister der Antragstellerin (Az. …) ist noch keine Entscheidung ergangen. Bei der Anhörung ihrer Eltern am 18. September 2024 haben beide im Wesentlichen vorgetragen, wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit sei der Vater der Antragstellerin unter Druck gesetzt und bedroht worden. Man habe ihn im Jahr 1996 geschlagen und seine Beine gebrochen. Gegen ihn gebe es auch eine Anklage, weil er kritische Beiträge über E … gepostet habe. Es gebe ein strafrechtliches Verfahren, er habe dazu aber nichts Schriftliches. Sein e-Devlet-Kennwort habe er vergessen. Am 10. Dezember 2024 wies der Bevollmächtigte der Eltern der Antragstellerin gegenüber dem Bundesamt auf ein Strafverfahren gegen den Vater hin. Dazu wurden Unterlagen übermittelt, die über einen türkischen Rechtsanwalt beschafft worden seien. In den Unterlagen wird auf ein Ermittlungsverfahren wegen verschiedener Facebook-Posts hingewiesen, von denen der erste am 22. Februar 2024 abgesetzt worden sei.
4
3. Mit Bescheid vom 19. Februar 2025, als Einschreiben zur Post gegeben am 25. Februar 2025, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in die Republik Türkei oder einen anderen Staat, in den die Antragstellerin einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der Klagefrist und im Falle der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
5
Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, aus der vorgebrachten allgemeinen Diskriminierung der Kurden und den Problemen des Vaters folge kein Schutzstatus der Antragstellerin. In der Türkei gebe es keine landesweite Gruppenverfolgung der kurdischen Minderheit. Individuelle Gründe habe die Antragstellerin nicht vorgebracht. Sie sei nicht wegen eigener Verfolgung ausgereist, sondern dem Familienverband gefolgt. Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet stütze sich auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Es seien nur Umstände vorgebracht worden, die für den Asylantrag nicht von Belang seien. Die Antragstellerin sei jung, gebildet und arbeitsfähig. Sie könne in der Türkei für ihren Lebensunterhalt sorgen, sodass ein Abschiebungsverbot nicht ersichtlich sei. Die Antragstellerin habe auch Familienangehörige in der Türkei, an die sie sich wenden könne. Die Abschiebungsandrohung folge aus § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Familiäre Belange stünden der Abschiebung nicht entgegen. Es drohe keine Trennung von Eltern und minderjährigen Kindern, die familiären Belange der Antragstellerin träten hinter das öffentliche Interesse am Vollzug der Rückkehrverpflichtung zurück. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot stütze sich auf § 11 Abs. 1 AufenthG, wobei die Frist von 30 Monaten festgesetzt worden sei, weil die Eltern und die minderjährigen Brüder nicht zur Kernfamilie der Antragstellerin zählten und außerdem nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels seien.
6
4. Mit Schriftsatz vom 5. März 2025 ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 19. Februar 2025 erheben (Az. W 7 K … …). Im vorliegenden Verfahren beantragt sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
7
Zu Begründung wird darauf hingewiesen, der Vater der Antragstellerin habe in der Türkei politische Verfolgung erlitten. Hierauf habe die Antragstellerin beim Bundesamt Bezug genommen. Die Antragstellerin habe in der Türkei im Familienverband gelebt. Auch heute lebten sie zusammen. Sie sei weiterhin Teil der Kernfamilie, was nach Maßgabe von Art. 6 GG berücksichtigt werden müsse. Es sei ihr ohne männlichen Schutz nicht zumutbar, in die Türkei zurückzukehren. Dort werde sie eine geschlechtsspezifische Verfolgung erleiden, weshalb ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Die Gewalt gegen Frauen habe in der Türkei in letzter Zeit dramatisch zugenommen, der türkische Staat verweigere wirksamen Schutz. Insbesondere wurde auf den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention und diverse Presseartikel zu Gewalt gegen Frauen in der Türkei hingewiesen.
8
5. Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 6. März 2025, den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
9
Hinsichtlich der Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
10
6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren W 7 K … … sowie auf die beigezogenen Behördenakten, auch bzgl. der weiteren Familienmitglieder der Antragstellerin, Bezug genommen.
II.
11
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
12
1. Der Antrag ist zulässig.
13
Insbesondere ist der Antrag gemäß § 36 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO statthaft, soweit er sich gegen die gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung wendet. Des Weiteren wurde der Antrag innerhalb der Wochenfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
14
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
15
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 und 4 AsylG in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf deren sofortige Vollziehbarkeit. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Nach diesem Maßstab darf die Vollziehung der aufenthaltsbeenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – DVBl. 1996, 729, juris). Dabei darf sich das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht auf eine summarische Prüfung beschränken, wenn dem Antragsteller im Falle der Versagung einstweiligen Rechtsschutzes bereits eine endgültige Verletzung seiner Rechte droht und insoweit auch Grundrechtspositionen von Gewicht in Rede stehen (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris m.w.N.). Insoweit fordert der effektive Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen darf, sondern die Frage der Offensichtlichkeit – wenn es sie bejahen will – erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine summarische Prüfung hinausgehen muss (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris; B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21).
16
Gemessen an diesem Maßstab begegnet die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zugunsten der Antragstellerin nicht festzustellen und die Abschiebung in die Türkei anzudrohen, keinen ernstlichen Zweifeln.
17
Das Gericht folgt hierbei den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amts (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, Stand: Januar 2024; vgl. ebenso Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 18.10.2024).
18
Ergänzend wird ausgeführt:
19
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet i.S.d. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt wurde. Die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrags geradezu aufdrängt (vgl. etwa BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 17). Dies ist hier der Fall. Der Vortrag der Antragstellerin ist asylrechtlich offensichtlich nicht von Relevanz.
20
Die Antragstellerin konnte mit ihrem individuellen Vortrag – diesen als wahr unterstellt – nicht glaubhaft machen, dass ihr in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Sie ist auf Grundlage dieses Vortrags bisher offensichtlich keiner Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG durch staatliche türkische Stellen ausgesetzt gewesen. Die Angaben sind daher „nicht von Belang“ i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Sie enthalten offensichtlich keine Anhaltspunkte für eine begründete Furcht vor einer drohenden (politischen) Verfolgung durch türkische Sicherheitsorgane oder durch nichtstaatliche Akteure. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hat sie vor ihrer Ausreise nicht erlitten; eine solche droht ihr auch bei einer Rückkehr nicht. Auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes erweist sich der Asylantrag daher als offensichtlich unbegründet.
21
Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt hat die Antragstellerin im Wesentlichen vorgetragen, sie sei geflohen, weil die kurdische Minderheit in der Türkei als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt werde. Zudem sei sie wegen ihres Vaters hier, der auf Facebook etwas auf Kurdisch gepostet habe. In dessen Asylverfahren wurden hierzu Unterlagen vorgelegt, die ein Ermittlungsverfahren in der Türkei belegen sollen. In der Antragsschrift hat sie ergänzen lassen, ohne männlichen Schutz durch ihre Familie sei ihr nicht zumutbar, in die Türkei zurückzukehren. Sie gehöre weiterhin zur Kernfamilie i.S.d. Art. 6 GG. In der Türkei drohe ihr geschlechtsspezifische Verfolgung, sodass ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. In der Türkei gebe es massive Gewalt gegen Frauen, der türkische Staat verweigere wirksamen Schutz.
22
Eine landesweite Gruppenverfolgung der kurdischen Minderheit ist für die Türkei allerdings nicht anzunehmen (aa). Das bzgl. des Vaters behauptete Ermittlungsverfahren betrifft nicht die Antragstellerin selbst, negative Konsequenzen hat sie diesbezüglich nicht zu befürchten (bb). Auf welche Weise der Antragstellerin in der Türkei geschlechtsspezifische Gewalt konkret droht, wurde nicht vorgebracht. Auf die angeführte Rechtsprechung des EuGH (C-621/21) kommt es vor diesem Hintergrund nicht an (cc). Die mögliche Trennung der volljährigen Antragstellerin von ihrer restlichen Familie führt auch nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Abschiebungsandrohung (b).
23
aa) Diskriminierungen im Alltag, denen kurdische Volkszugehörige in der Türkei ausweislich der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel ausgesetzt sein können, erreichen nicht das Maß einer Gruppenverfolgung i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG (SächsOVG, U.v. 6.3.2024 – 5 A 3/20.A – juris Ls. 1 und Rn. 41 ff. m.w.N.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, S. 10). Kurdische Volkszugehörige in der Türkei sind zwar mitunter diskriminierendem Verhalten im Alltag ausgesetzt. Daraus folgt derzeit und in überschaubarer Zukunft jedoch keine an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfende gruppengerichtete Verfolgung. Es fehlt insoweit – auch wenn vereinzelt durchaus von schweren Gewalttaten i.S.v. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG berichtet wird – unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris). Selbst wenn man in der Türkei beobachtete diskriminierende Verhaltensweisen gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG kumuliert betrachtet, ergibt sich daraus nicht, dass jedem kurdischen Volkszugehörigen in der Türkei einzig aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Angaben der Antragstellerin, die sich allgemein auf die Lage der kurdischen Minderheit bezogen und zu persönlichen Problemen nichts ausgeführt hat. Der Vortrag der Antragstellerin kann vollständig als wahr behandelt werden, ohne dass daraus eine Zuerkennung von Asyl oder internationalem Schutz resultierte, sodass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorliegen.
24
bb) Bzgl. des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, das der Vater der Antragstellerin in seinem Asylverfahren behauptet, ist unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG nach Aktenlage – bezogen auf ihren Vater – jedenfalls nicht auszuschließen. Über eine weite Auslegung des Terrorismusbegriffs führen kritische Äußerungen in den sozialen Medien in der Türkei mitunter zu unverhältnismäßiger Strafverfolgung (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, S. 8 f.). Auf Basis der Herkunftslandinformationen ist aber nicht zu erwarten, dass wegen des Verhaltens ihres Vaters auch die Antragstellerin in der Türkei bestraft werden würde, sodass auch diesbezüglich – bei Wahrunterstellung – eine stattgebende Entscheidung offenkundig nicht in Betracht kommt (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG).
25
cc) Inwieweit der Antragstellerin in der Türkei geschlechtsspezifische Gewalt droht, wurde nicht vorgebracht. Vielmehr zielt der Vortrag offenbar darauf ab, allen alleinstehenden Frauen in der Türkei drohe geschlechtsspezifische Gewalt. Dass es in der Türkei zu zahlreichen Gewaltdelikten gegen Frauen kommt, denen defizitärer staatlicher Schutz gegenübersteht, stimmt mit den Herkunftslandinformationen überein (etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, S. 14 ff.). Prinzipieller staatlicher Schutz über das Strafrecht i.S.d. § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG besteht aber auch insofern. Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang (auch in den vom Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgelegten Berichten) von Gefahren wie Beziehungsmorden oder Zwangsverheiratungen berichtet, die aus dem Familienkreis heraus begangen und sodann nur unzureichend staatlich geahndet werden. Eine konkrete Gefahrenkonstellation hat die Antragstellerin diesbezüglich nicht vorgebracht. Auf die aufgeworfenen Fragen zur rechtlichen Einordnung einer solchen Bedrohungslage, der sich die vom Bevollmächtigten angeführte Entscheidung des EuGH in der Rs. C-621/21 widmet, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
26
b) Auch im Übrigen ist von der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids – soweit sie im Rahmen des Eilverfahrens bezogen auf die Abschiebungsandrohung zu prüfen ist – auszugehen. Zunächst ist ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot zugunsten der Antragstellerin gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht ersichtlich. Entsprechende Anhaltspunkte wurden weder substantiiert vorgetragen noch erschließen sie sich anderweitig. Auch rechtliche Bedenken gegen die auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung als solche bestehen nicht. Insbesondere droht keine Trennung der volljährigen Antragstellerin von minderjährigen Kindern. Die Eltern und Geschwister befinden sich zwar weiterhin im laufenden Asylverfahren, dessen Erfolgsaussichten momentan offen sind. Eine deshalb nicht auszuschließende, auch längerfristige, Trennung von der restlichen Familie macht die Abschiebung aber nicht unverhältnismäßig.
27
Zwar trifft es zu – wie der Bevollmächtigte der Antragstellerin vorbringt – dass der Begriff der Kernfamilie, deren Trennung die Abschiebung mitunter unverhältnismäßig macht – nach der Rechtsprechung des EGMR im Einzelfall auch die Beziehung zwischen Eltern und volljährigen Kindern umfassen kann.
28
Art. 6 GG gewährt allerdings keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, bindet zwar auch bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, sind pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Dies gilt auch für den Fall einer Beistandsgemeinschaft unter volljährigen Familienmitgliedern. (BVerfG, B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 44; OVG NW, B.v. 6.10.2020 – 18 B 1398/20 – juris Rn. 2, 8 m.w.N.). Insbesondere bei Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern entstehen aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen – dies gilt auch mit Blick auf Art. 8 EMRK – jedoch nur unter der Voraussetzung, dass ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds auch angewiesen ist, bzw. wenn über die sonst üblichen Bindungen hinaus zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit vorhanden sind OVG NW, B.v. 6.10.2020 – 18 B 1398/20 – juris Rn. 12).
29
Eine über das übliche Maß hinausgehende Angewiesenheit untereinander ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere gesundheitliche Einschränkungen der Antragstellerin oder ihrer Eltern lassen sich der Aktenlage nicht entnehmen.
30
3. Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.