Titel:
Rechtsweg bei Erhebung eines Verwaltungsentgelts durch die Europäische Chemikalienagentur
Normenketten:
GVG § 17a Abs. 4 S. 3,
VwGO § 40 Abs. 1
AEUV Art. 288 Abs. 4
Verordnung (EG) Nr. 1907/2006
Verordnung (EG) Nr. 340/2008
REACH-VO Art. 1, Art. 6 Abs. 4, Art. 74 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1
REACH-Gebühren-VO Art. 13 Abs. 4 UAbs. 1
Leitsätze:
1. Bei einer Klage gegen die Erhebung eines Verwaltungsentgelts durch die Europäische Chemikalienagentur ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Europäische Chemikalienagentur ist kein Organ der EU, sondern eine Einrichtung oder sonstige Stelle der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit und gehört als in den Vollzug des Unionsrechts eingebundene rechtlich und organisatorisch selbständige Verwaltungseinheit zur mittelbaren Eigenverwaltung der EU. (Rn. 17 und 19 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Erhebung einer Verwaltungsgebühr durch die Europäische Chemikalienagentur handelt es sich um eine einseitig-hoheitliche Anordnung. (Rn. 19 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Zweck der REACH-VO, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen sowie den freien Verkehr von Stoffen als solchen, in Zubereitungen oder in Erzeugnissen zu gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbessern (Art. 1 REACH-VO), liegt im öffentlichen Interesse. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde gegen Rechtswegverweisung, Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, Europäische Chemikalienagentur, Erhebung von Gebühren und Verwaltungsentgelten, hoheitliches Handeln, Vollstreckbarkeit von Entscheidungen, Leistungsklage zur Beitreibung eines Verwaltungsentgelts, Verwaltungsentgelt, Verwaltungsrechtsweg, öffentlich-rechtliche Streitigkeit, Europäische Agentur, Regulierungsagentur, Erhebung, hoheitliche Anordnung, Eigenverwaltung der EU, öffentliches Interesse, Rechtsweg, REACH-VO
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 07.10.2024 – RN 7 K 24.2226
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6275
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7. Oktober 2024 wird aufgehoben. Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Die Beschwerde der Klägerin richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7. Oktober 2024, mit dem dieses den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Landgericht Regensburg verwiesen hat.
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Die Klägerin ist eine Agentur der Europäischen Union mit Sitz in Helsinki. Sie wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der RL 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/03 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der RL 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl L 396 S. 1, im Folgenden: REACH-VO) errichtet und hat die ihr durch die Verordnung zugewiesenen Befugnisse, insbesondere im Zusammenhang mit der Registrierung von Stoffen. Nach der REACH-VO unterliegen Hersteller und Importeure von chemischen Stoffen einer Registrierungspflicht. Für die Registrierung sind Gebühren zu entrichten, die in der Verordnung (EG) Nr. 340/2008 der Kommission vom 16. April 2008 über die an die Europäische Chemikalienagentur zu entrichtenden Gebühren und Entgelte gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) (ABl L 107 S. 6, im Folgenden: REACH-Gebühren-VO) festgesetzt werden.
3
Am 16. November 2010 reichte die Beklagte bei der Klägerin ein Registrierungsdossier ein und machte einen Anspruch auf ermäßigte Gebühren als Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG, ABl L 124 S. 36, im Folgenden: KMU-Empfehlung) geltend. Im Jahr 2013 überprüfte die Klägerin die Angaben der Beklagten zur Unternehmensgröße und forderte diese mit Schreiben vom 31. Mai 2013 und 4. Oktober 2013 zur Vorlage von Nachweisen dazu auf. Unter dem 18. Oktober 2013 unterzeichnete die Beklagte ein Dokument in englischer Sprache, wonach zum Zeitpunkt der Einreichung des Registrierungsdossiers das Unternehmen der Beklagten nach der KMU-Empfehlung der Kommission als groß („large“) anzusehen war, und übersandte das Dokument der Klägerin. Am 20. November 2013 erließ die Klägerin die Entscheidung SME (2013) 4439 in englischer Sprache („decision“; dabei steht SME für KMU), wonach die Klägerin die Beklagte nach ihrer Selbsterklärung als nicht berechtigt zur Inanspruchnahme von Gebührenermäßigungen betrachte sowie der Beklagten eine Rechnung über die Differenz zwischen der bereits bezahlten Gebühr und der Standardgebührenhöhe und darüber hinaus eine Rechnung über ein Verwaltungsentgelt in Höhe von 9.950 € ausstellen werde. Grundlage für das Verwaltungsentgelt sei Art. 13 Abs. 4 REACH-Gebühren-VO. Die Entscheidung/„decision“ war mit einer Rechtsbehelfsbelehrungversehen, wonach die Klägerin innerhalb von 2 Monaten ab Zugang der Entscheidung Klage vor dem Gericht der Europäischen Union erheben könne.
4
Trotz Übersendung der Rechnung über die Zahlung des Verwaltungsentgeltes in Höhe von 9.950 € und zweier Zahlungserinnerungen zahlte die Beklagte weder das Verwaltungsentgelt noch erhob sie Klage zum Gericht der Europäischen Union.
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Am 15. Mai 2019 erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.950 € zu zahlen (Az.: RN 7 K 19.925). Es werde ausschließlich das Verwaltungsentgelt geltend gemacht; die Registrierungsgebühr sei nicht Gegenstand des Verfahrens.
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Mit Beschluss vom 11. April 2023 setzte das Verwaltungsgericht das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vor. Der EuGH entschied mit Urteil vom 5. September 2024 über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts und zugleich über ein ähnliches Vorabentscheidungsersuchen des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg (Az.: C-256/23, C-290/23).
7
Nach Fortführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unter dem Az. RN 7 K 24.2226 und nach Anhörung der Beteiligten erklärte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Oktober 2024 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig und verwies das Verfahren an das Landgericht Regensburg. Zur Begründung wurde ausgeführt, die streitentscheidenden Normen (Art. 6 Abs. 4 REACH-VO i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und 4, Art. 13 Abs. 1, 3 und 4 REACH-Gebühren-VO) seien nicht öffentlich-rechtlicher Natur. Zweck der REACH-VO sei es, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen, was zweifelsfrei im öffentlichen Interesse liege. Die Verwaltungsentgelte gemäß Art. 6 Abs. 4 REACH-VO dienten jedoch gemäß Art. 74 Abs. 3 REACH-VO der Agentur als Einnahmequelle, um die Kosten für die erbrachten Dienstleistungen zu decken. Die Vorschriften zur Erhebung von Gebühren und Entgelten dienten somit nur dem Haushalt der Agentur selbst. Dies ergebe sich auch unter Berücksichtigung der Regelungen nach Art. 96 Abs. 1 Buchst. b REACH-VO. Die streitentscheidenden Normen dienten nicht dem öffentlichen Interesse, sondern allein dem Interesse der Agentur. Sie seien auch deshalb nicht dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weil die Klägerin kein Träger öffentlicher Gewalt sei. Europäische Agenturen seien Einrichtungen des europäischen öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie seien unterschiedlicher Art; einige Agenturen unterstützten die Kommission bei Verwaltungsaufgaben (Exekutivagenturen), andere dienten als Regulierungsagenturen der Förderung des europäischen Binnenmarktes. Bei den Regulierungsagenturen sei zwischen solchen mit Unterstützungsfunktion und solchen mit Entscheidungsbefugnissen zu unterscheiden. Nur Regulierungsagenturen mit Entscheidungsbefugnissen hätten die Kompetenz, gegenüber Dritten rechtsverbindliche Einzelakte zu erlassen. Die REACH-VO weise der Klägerin im Wesentlichen Aufgaben der technischen und wissenschaftlichen Beratung in Bezug auf chemische Stoffe zu. Hoheitliche Befugnisse seien in der Verordnung nicht geregelt. Auch könne die Klägerin keine Verwaltungsakte erlassen, die einen vollstreckbaren Titel darstellten (Verweis auf EuGH, U.v. 5.9.2024 – C-256/23 u.a. – juris Rn. 84). Auch der Wortlaut der Verordnung spreche dafür, dass die Agentur privatrechtlich handele, da sie gemäß Art. 74 Abs. 3 REACH-VO Dienstleistungen erbringe. Folglich bestehe zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits kein Über-/Unterordnungsverhältnis im Sinne der Subordinationstheorie. Soweit die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelfs verpflichtet seien, entspreche es den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität, die Streitsache an das Gericht zu verweisen, das durch besondere Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch berufen sei. Dies seien vorliegend die Zivilgerichte, da nicht nur anspruchsbegründende Voraussetzungen, sondern auch Fragen zur Verjährung des Anspruchs zu prüfen seien.
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Nach Zustellung des Beschlusses am 11. Oktober 2024 legte die Klägerin mit am 25. Oktober 2024 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag Beschwerde gegen den Beschluss ein und beantragte,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben.
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Sie trug im gleichen Schriftsatz zur Begründung vor, die der Klägerin durch die REACH-VO zugewiesenen Aufgaben lägen im öffentlichen Interesse. Bei der Erhebung der Gebühren verschaffe sich die Klägerin weder einen wirtschaftlichen Vorteil noch verfolge sie ein privatwirtschaftliches Interesse. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Klägerin ein Hoheitsträger, was sich auch aus dem vom Verwaltungsgericht zitierten Aufsatz von Wittinger, EuR 2008, 609 ergebe. Ihr oblägen vor allem Aufgaben im Zusammenhang mit der Registrierung von Stoffen, was nicht mit einer Datenbank-Pflege vergleichbar sei. Die Klägerin handele klassisch hoheitlich; sie könne die Gebühren oder Entgelte einseitig verbindlich durch Entscheidung erheben, der eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen sei. Die Erhebung von Gebühren und Entgelten sei gerade Trägern öffentlich-rechtlicher Befugnisse zugeschrieben. Die Konstellation sei nicht von Aspekten der Gleichordnung, sondern der Über-/Unterordnung geprägt. Ein privatrechtliches Handeln der Klägerin ergebe sich auch nicht daraus, dass sie Dienstleistungen erbringe, weil das fragliche Verwaltungsentgelt anders als die sonstigen Entgelte nach Art. 11 Abs. 1 REACH-Gebühren-VO nicht im direkten Austauschverhältnis mit einer administrativen oder fachlichen Leistung stehe. Auch das Oberverwaltungsgericht Magdeburg sei – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – in seinem Beschluss vom 6. April 2023 – 2 L 86.21 – davon ausgegangen, dass der Verwaltungsrechtsweg in der vorliegenden Konstellation eröffnet sei. Im Übrigen bestehe keine besondere Sachnähe der ordentlichen Gerichte, weil es vorliegend um Fragen der Bestandskraft und eine klassisch umweltrechtliche Materie gehe. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts beachte den europarechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz nicht, wonach bei Verstößen gegen das Unionsrecht effektiver Rechtsschutz zu gewähren sei und entsprechende Rechtsbehelfe nicht weniger günstig ausgestaltet werden dürften als Rechtsbehelfe in Bezug auf mitgliedstaatliche Sachverhalte.
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Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, auch im Verfahren RN 7 K 19.925, verwiesen.
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Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 146 ff. VwGO) und begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit zu Unrecht an das Landgericht Regensburg verwiesen. Der von der Klägerin beschrittene Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO zulässig, weil es sich bei der von der Klägerin erhobenen Leistungsklage um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt.
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1. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch ein Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist, beurteilt sich nach der Rechtsnatur der Rechtsnormen, die das Rechtsverhältnis prägen, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Bürgerliches Recht ist Jedermannsrecht. Öffentlichrechtlicher Natur sind demgegenüber diejenigen Rechtsnormen, welche einen Träger öffentlicher Gewalt gerade als solchen berechtigen oder verpflichten, die also einen öffentlichen Verwaltungsträger zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit besonderen Befugnissen ausstatten oder besonderen Regeln unterwerfen (vgl. BVerwG, B.v. 21.11.2016 – 10 AV 1.16 – juris Rn. 5; B.v. 12.4.2013 – 9 B 37.12 – juris Rn. 6; GmS-OGB, B.v. 10.7.1989 – 1.88 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 15.12.2021 – 22 C 21.951 – juris Rn. 17; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 32).
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2. Der vorliegende Rechtsstreit bezieht sich auf die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin 9.950 € zu zahlen; die Klägerin stützt den von ihr geltend gemachten Anspruch auf die von ihr erlassene Entscheidung SME (2013) 4439 und die der Erhebung des geforderten Verwaltungsentgelts zugrunde liegenden Rechtsvorschriften (Art. 6 Abs. 4, Art. 74 Abs. 1 REACH-VO i.V.m. Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 REACH-Gebühren-VO). Für die Frage, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, kommt es mithin darauf an, ob die genannten Rechtsvorschriften dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Dies ist vorliegend zu bejahen, weil die Klägerin aufgrund dieser Vorschriften im vorliegenden Fall gegenüber der Beklagten hoheitlich, mithin in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gehandelt hat.
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2.1 Die Klägerin ist eine durch die REACH-VO errichtete europäische Agentur, die kein Organ der EU darstellt, sondern eine Einrichtung oder sonstige Stelle der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit (vgl. Art. 100 Abs. 1 REACH-VO; EuGH, U.v. 5.9.2024 – C-256.23 – juris Rn. 70). Als in den Vollzug des Unionsrechts eingebundene rechtlich und organisatorisch selbständige Verwaltungseinheit gehört sie zur mittelbaren Eigenverwaltung der EU (vgl. Krajewski/Rösslein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand Juli 2024, Art. 298 AEUV Rn. 12). Sie ist selbstständig mit der permanenten Wahrnehmung bestimmter Sachaufgaben betraut und wird daher als sog. Regulierungsagentur eingestuft (in Abgrenzung zu den zur punktuellen Unterstützung eingerichteten Exekutivagenturen, vgl. Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 298 AEUV Rn. 5, 9, 11). Die REACH-VO weist der Klägerin jedenfalls in bestimmten Bereichen ihres Aufgabenspektrums (dazu Art. 77 REACH-VO) die Befugnis zu, Entscheidungen zu treffen, die nur mit Widerspruch oder Klage angefochten werden können (vgl. Art. 91 Abs. 1 i.V.m. Art. 9, 20, 27 Abs. 6, Art. 30 Abs. 2 und 3, Art. 51 REACH-VO zu widerspruchsfähigen Entscheidungen; vgl. Art. 94 Abs. 1 REACH-VO zu Entscheidungen, die unmittelbar mit einer Klage zum Gericht der Europäischen Union oder zum Europäischen Gerichtshof angefochten werden können). Dies spricht dafür, dass die Klägerin im Rahmen der ihr durch die Verordnung zugewiesenen Befugnisse in den Mitgliedstaaten der Union hoheitlich tätig werden darf (vgl. in diesem Sinne auch OVG LSA, B.v. 6.4.2023 – 2 L 86.21 – juris Rn. 32; Wittinger, EuR 2008, 609/617 f.). Die Aufgaben der Klägerin bestehen insofern nicht allein in der technischen und wissenschaftlichen Beratung in Bezug auf chemische Stoffe sowie im Aufbau und der Unterhaltung von Datenbanken.
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2.2 Nach Art. 6 Abs. 1 REACH-VO reicht ein Hersteller oder Importeur, der einen Stoff als solchen oder in einem oder mehreren Gemischen in einer Menge von mindestens 1 t pro Jahr herstellt oder einführt, bei der Agentur ein Registrierungsdossier ein, soweit in der Verordnung nicht anderweitig bestimmt. Gemäß Art. 6 Abs. 4 REACH-VO ist bei Einreichung des Registrierungsdossiers nach Art. 6 Abs. 1 REACH-VO die Gebühr nach Titel IX zu entrichten. In Art. 74 Abs. 1 REACH-VO, der zu Titel IX der Verordnung zählt, ist bestimmt, dass die nach Art. 6 Abs. 4 REACH-VO erforderlichen Gebühren in einer Verordnung der Kommission festgesetzt werden, nämlich der REACH-Gebühren-VO. Nach Art. 74 Abs. 3 Unterabs. 3 REACH-VO wird für KMU eine ermäßigte Gebühr festgesetzt. Nach Art. 3 Abs. 1 REACH-Gebühren-VO erhebt die Agentur für die Registrierung eines Stoffes nach Art. 6 REACH-VO eine Gebühr, die nach Art. 3 Abs. 4 REACH-Gebühren-VO bei KMU gemäß Anhang I Tabelle 2 ermäßigt wird. Nach Art. 13 Abs. 1 REACH-Gebühren-VO teilt eine natürliche oder juristische Person, die nach Art. 3 REACH-Gebühren-VO ermäßigte Gebühren beanspruchen kann, dies der Agentur bei der Einreichung von gebührenpflichtigen Registrierungen mit. Nach Art. 13 Abs. 3 REACH-Gebühren-VO kann die Agentur jederzeit einen Nachweis darüber verlangen, dass die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Gebühren vorliegen. Wird der Anspruch auf eine Ermäßigung der Gebühr nicht belegt, erhebt die Agentur die Gebühr in voller Höhe sowie ein Verwaltungsentgelt (Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 1 REACH-Gebühren-VO). Sofern die natürliche oder juristische Person, die einen Anspruch auf Ermäßigung geltend macht, bereits eine ermäßigte Gebühr entrichtet hat, den Anspruch jedoch nicht belegen kann, stellt die Agentur die Differenz zur vollen Gebühr sowie ein Verwaltungsentgelt in Rechnung (Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 REACH-Gebühren-VO).
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Vorliegend hat die Klägerin nach Vorlage eines Registrierungsdossiers durch die Beklagte und nach Mitteilung durch die Beklagte, ihr Unternehmen sei entgegen der ursprünglichen Angaben im Zeitpunkt der Vorlage des Dossiers als groß („large“) einzustufen gewesen, unter dem 20. November 2013 u.a. die Entscheidung/„decision“ getroffen, wonach die Klägerin der Beklagten mangels Nachweises der Eigenschaft als KMU eine Rechnung über ein Verwaltungsentgelt in Höhe von 9.950 € ausstellen wird („issue an invoice for an administrative charge for the amount of 9.950 €“). Nach Auffassung des Senates handelt es sich dabei um eine einseitig-hoheitliche Anordnung der Klägerin gegenüber der Beklagten.
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2.2.1 Dabei sind zunächst die hier angewandten Vorschriften, insbesondere Art. 13 Abs. 4 REACH-Gebühren-VO, in den Blick zu nehmen. Nach Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 1 REACH-Gebühren-VO erhebt die Klägerin ein Verwaltungsentgelt, nach Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 REACH-Gebühren-VO – der nach der Entscheidung der Klägerin vom 20. November 2013 hier konkret zur Anwendung kam – stellt sie ein solches Verwaltungsentgelt in Rechnung. Die „Erhebung“ von Gebühren und Verwaltungsentgelten ist typischerweise eine hoheitliche Maßnahme. Der Senat geht davon aus, dass trotz des unterschiedlichen Wortlautes der Unterabs. 1 und 2 des Art. 13 Abs. 4 REACH-Gebühren-VO in der deutschen Fassung in der Sache in beiden Fällen eine hoheitliche Auferlegung eines Verwaltungsentgeltes gemeint ist. Die Konstellationen der beiden Unterabsätze unterscheiden sich lediglich dadurch, dass im Fall des Unterabsatzes 2 bereits eine ermäßigte Gebühr oder ein ermäßigtes Entgelt entrichtet worden ist, im Fall des Unterabsatzes 1 jedoch nicht. Zudem verwendet die französische Fassung der Verordnung in Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 1 und 2 bezüglich der Erhebung des Verwaltungsentgelts jeweils den gleichen Begriff, nämlich „perçoit … un droit administratif“ (erhebt … ein Verwaltungsentgelt); auch die englische Fassung unterscheidet nicht zwischen Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 1 und 2 REACH-Gebühren-VO („charge … an administrative charge“). Für hoheitliches Handeln der Klägerin auf dieser Rechtsgrundlage spricht zum einen die Einseitigkeit der Anordnung, zum anderen, dass die Klägerin hier von besonderen, ihr durch die REACH-Gebühren-VO eingeräumten Befugnissen Gebrauch macht, die dem Adressaten der Maßnahme, hier der Beklagten, ihrer Art nach nicht zustehen (vgl. hierzu U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 104; Knauff in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2024, § 35 VwVfG Rn. 55): Die Beklagte als privates Unternehmen wäre nicht befugt, eine entsprechende Willenserklärung mit gleichen Wirkungen abzugeben (für eine Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs unter Verweis auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der REACH-Gebühren-VO als solcher wohl auch OVG LSA, B.v. 6.4.2023 – 2 L 86.21 – juris Rn. 35).
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2.2.2 Für die Annahme einer hoheitlichen Maßnahme spricht darüber hinaus die Ausgestaltung der von der Klägerin getroffenen Entscheidung selbst. Das an die Beklagte gerichtete Schreiben vom 20. November 2013 trägt die Überschrift „decision“/Entscheidung. Nach Art. 249 Abs. 1 und 4 EGV konnten bzw. nach Art. 288 Abs. 1 und 4 AEUV können die Organe der EG/EU Entscheidungen bzw. nach dem AEUV Beschlüsse erlassen, die gegenüber Einzelnen verbindlich sind, mithin den verbindlichen Rechtsakt des Unionsrechts für Einzelfälle darstellen (vgl. Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 88 m.w.N.). Die englische Fassung der beiden Vorschriften verwendet jeweils das Wort „decision“ und verzichtet auf eine Differenzierung zwischen Entscheidung und Beschluss. Auch wenn die Vorschriften nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar auf Einrichtungen und sonstige Stellen der Union anwendbar sind, spricht auch dieser Zusammenhang dafür, dass es sich bei der von der Klägerin erlassenen „decision“ ungeachtet der Übersetzung als Entscheidung (so auch der EuGH, U.v. 5.9.2024 – C-256/23 – juris Rn. 67) oder Beschluss um eine gegenüber der Beklagten verbindliche einseitig-hoheitliche Maßnahme handelt.
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Weiterhin wird in der Entscheidung der Klägerin nach einem einführenden und begründenden Text auf S. 2 in Fettdruck und eingerückt mit entsprechender Einleitung („Consequently, ECHA decided: …“/Entsprechend hat die ECHA wie folgt entschieden:) die Entscheidung selbst ausgesprochen, was der Sache nach dem Tenor eines Verwaltungsakts nach deutschem Recht entspricht. Die Entscheidung enthält ferner eine Rechtsmittelbelehrung. Die für die Entscheidung selbst verwendete Formulierung, dass die Klägerin eine Rechnung über ein Verwaltungsentgelt in Höhe von 9.950 € ausstellen wird („will issue an invoice for an administrative charge for the amount of 9.950 €“), ist unter Berücksichtigung der Rechtsgrundlage in Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 REACH-Gebühren-VO und der Ausgestaltung der Entscheidung einschließlich der Rechtsmittelbelehrungals hoheitliche Anordnung einer Zahlungsverpflichtung zu verstehen. Davon geht auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. September 2024 – C-256/23 u.a. – aus. Danach stellt die streitgegenständliche Entscheidung der Klägerin einen Rechtsakt einer Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union dar, der eine Zahlung auferlegt (EuGH, U.v. 5.9.2024 – C-256/23 u.a. – juris Rn. 66, 70, 84); anderenfalls käme die vom EuGH geprüfte Anwendung des Art. 299 Abs. 1 AEUV als eventuelle Grundlage für die Vollstreckung der Entscheidung von vornherein nicht in Betracht. Die Bezeichnung als Rechtsakt streitet im Übrigen auch für eine entsprechende Anwendung von Art. 288 Abs. 4 AEUV (vgl. die Überschrift des Sechsten Teils, Titel I, Kapitel 2, Abschnitt 1 des AEUV – Die Rechtsakte der Union [Art. 288 – 292]). Darüber hinaus liegt der Beantwortung der zweiten Frage in der Rechtssache C-256/23 und der ersten Frage in der Rechtssache C-290/23 (EuGH, a.a.O., juris Rn. 67 ff.) offensichtlich die Annahme zugrunde, dass die Entscheidung der Klägerin, um deren Vollstreckung es geht, nicht eine privatrechtliche im Gleichordnungsverhältnis, sondern eine einseitige Anordnung im Über-/Unterordnungsverhältnis darstellt.
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2.2.3 Dieser Einordnung steht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entgegen, dass die Entscheidung der Klägerin nach dem genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs keinen vollstreckbaren Titel i.S.d. Art. 299 Abs. 1 AEUV darstellt (EuGH, a.a.O. juris Rn. 84) und die REACH-VO auch keine Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung von Entscheidungen der Klägerin enthält (EuGH, a.a.O. juris Rn. 72), so dass eine Beitreibung des festgesetzten Verwaltungsentgelts der Klägerin nur im Wege einer Leistungsklage vor den nationalen Gerichten möglich ist (vgl. hierzu Art. 19 Abs. 1 EUV i.V.m. Art. 274 AEUV; EuGH, a.a.O. juris Rn. 81 ff.). Die Frage, ob eine behördliche Maßnahme als hoheitlich zu qualifizieren ist, hängt nicht davon ab, ob der handelnden Behörde eine eigene Rechtsgrundlage zur Vollstreckung zur Verfügung steht, die ihr ein klageweises Vorgehen ersparen würde.
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2.2.4 Schließlich kann der Qualifikation der streitgegenständlichen Entscheidung der Klägerin als hoheitliche Maßnahme – anders, als das Verwaltungsgerichts meint – auch nicht entgegengehalten werden, dass die von der Klägerin erhobenen Gebühren ihr gemäß Art. 74 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 1 Halbs. 2 REACH-VO als Einnahmequelle für die von ihr erbrachten „Dienstleistungen“ dienen (s. auch Art. 96 Abs. 1 Buchst. b REACH-VO). Zum einen geht es vorliegend gar nicht um eine Gebühr nach Art. 74 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 1, Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 4 REACH-VO, sondern um ein Verwaltungsentgelt nach Art. 13 Abs. 4 REACH-Gebühren-VO. Zum anderen lässt sich aus der Zuordnung von Gebühren als Einnahmequelle der Klägerin nicht herleiten, die Vorschriften zur Erhebung der Gebühren dienten nicht dem öffentlichen Interesse, denn der Zweck der Verordnung und damit die Aufgabe der Klägerin, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen sowie den freien Verkehr von Stoffen als solchen, in Zubereitungen oder in Erzeugnissen zu gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbessern (Art. 1 REACH-VO), liegen gerade im öffentlichen Interesse. Der Begriff der erbrachten Dienstleistungen in Art. 74 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 1 Halbs. 2 REACH-VO bezieht sich im Übrigen nicht speziell auf die von der Klägerin bei der Registrierung durchgeführten Tätigkeiten (s. hierzu Art. 74 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 REACH-VO), sondern offenbar allgemein auf die von der Klägerin übernommenen Aufgaben, so dass daraus keine Schlüsse hinsichtlich der Rechtsnatur ihres Handelns bei der Registrierung und der damit im Zusammenhang stehenden Erhebung von Gebühren und Verwaltungsentgelten gezogen werden können.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor. Die Entscheidung ist daher unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).