Titel:
Keine Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses bei Fehlen jedweder Auseinandersetzung mit der Frage der eigenen (Un-)Zuständigkeit
Normenketten:
ZPO § 36 Abs. 1, § 240 S. 1, § 249 Abs. 2, § 281, § 690 Abs. 1 Nr. 5
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Hat das zuerst angerufene Gericht sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das in diesem bezeichnete Gericht verwiesen, kann der Kläger seinen Verweisungsantrag nicht mehr zurücknehmen und dem Verweisungsbeschluss durch die nachträgliche Erklärung der Antragsrücknahme auch nicht im Nachhinein die Grundlage entziehen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist über das Vermögen des Beklagten nach Rechtshängigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet wurden, steht die hierdurch bewirkte Unterbrechung des Verfahrens auch einer Entscheidung des Gerichts entgegen, mit der es sich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist. Ein dennoch ergangener zuständigkeitsverneinender Beschluss ist jedoch - wenn wegen der jeweils beiden Parteien mitgeteilten und ausdrücklich ausgesprochenen Leugnung der eigenen Zuständigkeit die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erfüllt sind - als rechtskräftige Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. (Rn. 12 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Verweisungsbeschluss entfaltet wegen objektiver Willkürlichkeit keine Bindungswirkung, wenn jedwede Auseinandersetzung mit der Frage der eigenen (Un-)Zuständigkeit fehlt und deshalb völlig unklar bleibt, auf welcher Grundlage das Gericht von seiner eigenen Unzuständigkeit ausgegangen ist. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verweisungsbeschluss, Bindungswirkung, keine Bindungswirkung, unzureichende Begründung des Verweisungsbeschlusses, Auseinandersetzung mit eigener Unzuständigkeit, Gründe für Unzuständigkeit, Verweisungsbeschluss nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Rücknahme des Verweisungsantrags nach Erlass des Verweisungsbeschlusses
Vorinstanz:
AG Erding vom -- – 111 C 13669/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6273
Tenor
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Erding.
Gründe
1
Die Klägerin hat gegen die im Bezirk des Amtsgerichts Erding domizilierte ursprüngliche Beklagte, die M GmbH (im Folgenden auch: Schuldnerin), Zahlungsansprüche aus der Vermietung von Baustromanlagen nebst Verzugszinsen und Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung geltend gemacht.
2
Die Klägerin hat zunächst beim Amtsgericht Coburg den Erlass eines Mahnbescheids über eine Hauptforderung gemäß vier benannter Rechnungen in Höhe von insgesamt 3.861,55 € nebst Zinsen sowie Mahn- und Inkassokosten beantragt und als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden solle, das Amtsgericht Erding benannt. Der Mahnbescheid ist antragsgemäß erlassen und am 30. Oktober 2024 der ursprünglichen Beklagten zugestellt worden, deren Gesamtwiderspruch am 4. November 2024 beim Amtsgericht Coburg eingegangen ist. Am 4. Dezember 2024 ist die Anspruchsbegründung des Klägervertreters vom selben Tag beim Amtsgericht Coburg eingegangen, in der zum einen die Abgabe an das im „Mahnbescheid“ angegebene Amtsgericht Erding beantragt wird; zum anderen wird „[v]or dem Abgabegericht […] vorab beantragt, den Rechtsstreit im schriftlichen Verfahren und ohne mündliche Verhandlung an das sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht München […] zu verweisen.“
3
In ihrer Anspruchsbegründung hat die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 3.861,55 nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2024, kapitalisierte Altzinsen für den Zeitraum vom 16.01.2024 bis 04.12.2024 über € 264,88 sowie € 5,00 vorgerichtliche Mahnkosten und € 270,20 vorgerichtliche Inkassokosten zu bezahlen.
4
Mit Verfügung vom 9. Januar 2025 hat das Amtsgericht Erding die (am 10. Januar 2025 erfolgte) Zustellung der Anspruchsbegründung und die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet. Mit beiden Parteien formlos mitgeteilter Verfügung vom 28. Januar 2025 hat das Amtsgericht Erding Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit mitgeteilt und beiden Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11. Februar 2025 gegeben. Die Bauvorhaben, aus denen die streitigen Forderungen resultierten, befänden sich in München; das Gericht teile die Einschätzung der Klägerseite, wonach der Ort des Bauvorhabens Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO sei, womit das Amtsgericht München zuständig wäre.
5
Während die damalige Beklagte sich nicht äußerte, beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Januar 2025 erneut die Verweisung an das Amtsgericht München. Daraufhin erklärte sich das Amtsgericht Erding mit beiden Parteien formlos mitgeteiltem Beschluss vom 30. Januar 2025 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin mit folgender Begründung an das Amtsgericht München: „Die Entscheidung beruht auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht ist örtlich unzuständig. Auf Antrag der Klägerin hat sich das angegangene Gericht für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen.“
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Ohne die Parteien angehört zu haben, erklärte sich das Amtsgericht München mit beiden Parteien formlos mitgeteiltem Beschluss vom 19. Februar 2025 für örtlich unzuständig und legte den Zuständigkeitsstreit dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung vor. Das Amtsgericht München sei unzuständig, weil die Verweisung durch das Amtsgericht Erding willkürlich und deswegen nicht bindend sei. Stattdessen sei das Amtsgericht Erding als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten von Anfang an zuständig gewesen, was jedem anderen Gericht und damit auch dem Amtsgericht München die Zuständigkeit nehme. Ob der Gerichtsstand des Erfüllungsorts im Bezirk des Amtsgerichts München liege, sei irrelevant, da es sich nur um einen besonderen Gerichtsstand handle, der neben dem allgemeinen gewählt werden könne. Wie der Bundesgerichtshof bereits vor über 30 Jahren entschieden habe (Beschluss vom 19. Januar 1993, X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273), sei das Wahlrecht bereits durch Angabe des Abgabegerichts im Mahnbescheidsantrag ausgeübt und die Wahl mit der Zustellung des entsprechend ausgefertigten Mahnbescheids verbindlich und unwiderruflich geworden.
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Mit Verfügung vom 20. Februar 2025 hat der Senatsvorsitzende der Klägerin und der M GmbH Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 27. Februar 2025 erklärt, sie nehme ihren Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht München zurück und sei mit einem Verfahren vor dem Amtsgericht Erding einverstanden, „zumal es sich hierbei um das im Mahnbescheid angegebene Gericht handelt und die beklagte Partei ihren Sitz im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Erding hat“. Mit Schreiben vom 3. März 2025 hat das Amtsgericht München einen dorthin gerichteten Schriftsatz des Klägervertreters vom 28. Februar 2025 übermittelt, dem zufolge bereits am 23. Januar 2025 vor dem Amtsgericht Landshut unter dem Aktenzeichen IN 890/24 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der damaligen Beklagten eröffnet worden war. Mit Verfügung vom 14. März 2025 hat der Senatsvorsitzende dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der M GmbH als nunmehrigem Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, woraufhin dieser sich mit Schriftsatz vom 20. März 2025 (unter Verweis auf eine gemäß § 240 ZPO eingetretene Verfahrensunterbrechung) für die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Erding ausgesprochen hat.
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Auf die zulässige Vorlage ist auszusprechen, dass das Amtsgericht Erding örtlich zuständig ist. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Erding vom 30. Januar 2025 entfaltet in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit keine Bindungswirkung.
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1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
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a) Das Amtsgericht Erding hat sich nach Rechtshängigkeit der Sache durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 30. Januar 2025 für sachlich unzuständig erklärt, das Amtsgericht München durch den zuständigkeitsverneinenden Beschluss vom 19. Februar 2025. Die jeweils beiden Parteien mitgeteilte und ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2024, 102 AR 120/24 e, juris Rn. 14; Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 82/22, NJW-RR 2022, 1605 Rn. 20). Unschädlich ist, dass das Amtsgericht München den Parteien vorab kein rechtliches Gehör gewährt hat, da es seine Entscheidung den Parteien zumindest nachträglich bekannt gegeben hat (vgl. dazu BayObLG NJW-RR 2022, 1605 Rn. 20 m. w. N.).
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b) Die Klägerin konnte ihren an das Amtsgericht Erding gerichteten Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht München auch nicht durch entsprechende Erklärung im an das Bayerische Oberste Landesgericht gerichteten Schriftsatz vom 27. Februar 2025 wirksam zurücknehmen. Nachdem das Amtsgericht dem Verweisungsantrag vom 30. Januar 2025 entsprochen hatte, war der Antrag erschöpft, sodass die nachträgliche Erklärung seiner Rücknahme ins Leere geht. Dem Beschluss konnte durch eine solche Erklärung auch nicht im Nachhinein die erforderliche Grundlage entzogen werden.
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c) Der Behandlung dieser Beschlüsse als „rechtskräftige“ Zuständigkeitsverneinungen steht nicht entgegen, dass bereits am 23. Januar 2025 und damit noch vor dem Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 30. Januar 2025 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der ursprünglichen Beklagten eröffnet worden ist.
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aa) Die dadurch bewirkte Unterbrechung des beim Amtsgericht Erding rechtshängig gewordenen Verfahrens (§ 240 Satz 1 ZPO) hat gemäß § 249 Abs. 2 ZPO zur Folge, dass während der Unterbrechung die von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung sind. Dieser Regelung ist zu entnehmen, dass auch Handlungen des Gerichts, die während der Unterbrechung nach außen vorgenommen werden, grundsätzlich unwirksam sind (BGH, Beschluss vom 19. März 2024, X ARZ 119/23, NJW-RR 2024, 737 Rn. 24; Beschluss vom 11. Januar 2023, XII ZB 538/21, NJW-RR 2023, 630 Rn. 11). Erlaubt sind dem Gericht während der Unterbrechung nur Nebenentscheidungen wie etwa die Kostenentscheidung oder die Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag sowie vorbereitende Entscheidungen in einem gesonderten Verfahren nach § 36 Abs. 1 ZPO; zu diesen Ausnahmen gehört die zur Beendigung der Anhängigkeit der Sache bei dem entscheidenden Gericht insgesamt führende Zuständigkeitsverneinung jedoch nicht (BGH NJW-RR 2024, 737 Rn. 25 f. m. w. N.). Bereits dem Amtsgericht Erding war es daher versagt, sich durch den Beschluss vom 30. Januar 2025 für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München zu verweisen (vgl. BGH NJW-RR 2024 Rn. 23).
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bb) Ein dennoch (hier: in Unkenntnis der Insolvenzeröffnung) ergangener zuständigkeitsverneinender Beschluss ist jedoch ‒ wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wie hier (s. oben zu Buchst. a]) erfüllt sind ‒ als rechtskräftige Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen (BGH NJW-RR 2024, 737 Rn. 27 und 30). Gerichtliche Entscheidungen, die trotz Unterbrechung oder Aussetzung ergehen, sind nämlich nicht nichtig, sondern lediglich mit den gegebenen Rechtsbehelfen anfechtbar (BGH NJW-RR 2024, 737 Rn. 28 m. w. N.). Für einen Verweisungsbeschluss, der grundsätzlich nicht der Anfechtung unterliegt, ergibt sich daraus, dass er zu einer Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO führen kann, weil dies die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit ist, einander widersprechende Entscheidungen über die Zuständigkeit zu überprüfen, was auch der Zwecksetzung dieses Verfahrens, Zuständigkeitskonflikte auf möglichst schnelle und zweckmäßige Weise zu lösen, entspricht (BGH NJW-RR 2024, 737 Rn. 29). Soweit der (damals einzige) Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit Beschluss vom 15. September 2020 (1 AR 86/20, ZRI 2020, 621 [juris Rn. 10 und 12]) infolge der Verfahrensunterbrechung die Wirkungslosigkeit des zuständigkeitsverneinenden Beschlusses angenommen hat, wird daran nicht festgehalten.
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d) Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht. Im Streitfall ist das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht über dem Amtsgericht Erding und dem Amtsgericht München in der hier vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der Bundesgerichtshof, denn vom Amtsgericht als Eingangsgericht gemäß § 23 Nr. 1 GVG geht der Rechtszug zum Landgericht gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 GVG und weiter zum Bundesgerichtshof als Revisionsgericht gemäß § 133 GVG; die Amtsgerichte Erding und München gehören jedoch zu den Bezirken verschiedener Landgerichte (vgl. Art. 4 Nrn. 12 und 14 GerOrgG), so dass es kein gemeinschaftliches Landgericht über den Amtsgerichten Erding und München gibt. Dass beide am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts München liegen, führt nach dem dargelegten Instanzenzug im konkreten Verfahren nicht zur Zuständigkeit dieses Oberlandesgerichts für das Bestimmungsverfahren (BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2024, 101 AR 68/24 e, juris Rn. 20; Toussaint in BeckOK ZPO, 55. Ed. Stand: 1. Dezember 2024, § 36 Rn. 45.2).
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2. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Erding vom 30. Januar 2025 an das Amtsgericht München ist objektiv willkürlich und entfaltet bereits deshalb in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit ausnahmsweise keine Bindungswirkung.
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a) Zwar hat der Gesetzgeber in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO (gegebenenfalls in Verbindung mit § 506 Abs. 2 ZPO) die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Fall eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss ‒ hier bezüglich der örtlichen Zuständigkeit das Amtsgericht München aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Erding vom 30. Januar 2025 ‒ verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2024, 102 AR 120/24 e, juris Rn. 18 m. w. N.).
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Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keine Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2024, 102 AR 120/24 e, juris Rn. 19 m. w. N.).
19
Objektiv willkürlich ist ein Verweisungsbeschluss, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2024, 102 AR 120/24 e, juris Rn. 21). Als willkürlich zu werten ist es insbesondere, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, etwa weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder nicht zur Kenntnis nimmt (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2024, 102 AR 120/24 e, juris Rn. 21). Eine Verweisung ist aber nicht stets als willkürlich anzusehen, wenn das verweisende Gericht sich mit einer seine Zuständigkeit begründenden Norm nicht befasst hat, etwa weil es die Vorschrift übersehen oder deren Anwendungsbereich unzutreffend beurteilt hat. Denn für die Bewertung als willkürlich genügt es nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 25. Oktober 2024, 102 AR 120/24 e, juris Rn. 21; jeweils m. w. N.). Solche liegen etwa vor, wenn sich eine Befassung mit dem Gerichtsstand nach den Umständen, insbesondere dem Parteivortrag dazu, derart aufgedrängt hat, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann (vgl. BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11 und 15; BayObLG, Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 17 m. w. N.). Ein Verweisungsbeschluss kann u. a. als willkürlich anzusehen sein, wenn weder aus seiner Begründung noch sonst aus dem Akteninhalt nachvollziehbar ist, auf welcher Grundlage die Verweisung erfolgt ist (BayObLG, a. a. O., m. w. N.).
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b) Nach diesem Maßstab ist der Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 30. Januar 2025 betreffend die örtliche Zuständigkeit objektiv willkürlich und damit nicht bindend.
21
Die Begründung des Beschlusses selbst lässt weder erkennen, warum sich das Amtsgericht Erding für unzuständig, noch, warum es das Amtsgericht München für zuständig gehalten hat. Nimmt man die dem Beschluss vom 30. Januar 2025 vorausgegangene Verfügung vom 28. Januar 2025 in den Blick, wird deutlich, dass es das Amtsgericht München für zuständig erachtet hat, weil es den Erfüllungsort der streitgegenständlichen vertraglichen Leistung im Sinne des § 29 ZPO in dessen Sprengel angenommen hat. Auch unter Einbeziehung der Verfügung fehlt jedoch jedwede ‒ für einen Verweisungsbeschluss nach § 281 Abs. 1 ZPO notwendige (vgl. BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 28; Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 28) ‒ Auseinandersetzung mit der Frage der eigenen (Un-)Zuständigkeit. Ohne derartige Ausführungen ist nicht zu erkennen, ob das Amtsgericht §§ 12, 17 ZPO übersehen hat, ob es ‒ unzutreffend ‒ den Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 Abs. 1 ZPO) für einen ausschließlichen gehalten hat oder ob es die örtliche Unzuständigkeit daraus abgeleitet hat, dass die Klägerin ein vermeintlich noch bestehendes oder wieder aufgelebtes Wahlrecht nach § 35 ZPO bindend zugunsten des Amtsgerichts München ausgeübt hätte. Letztlich bleibt völlig unklar, auf welcher Grundlage das Amtsgericht Erding von seiner örtlichen Unzuständigkeit ausgegangen ist.
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3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Erding.
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a) Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Erding ergibt sich aus §§ 12, 17 ZPO (allgemeiner Gerichtsstand am Sitz der Beklagten), woran auch die zwischenzeitliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ursprünglichen Beklagten nichts geändert hat (Sinz in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 180 Rn. 23).
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b) Dafür, dass es andernorts einen den allgemeinen Gerichtsstand gemäß § 12 ZPO verdrängenden ausschließlichen Gerichtsstand geben könnte, ist aus dem gesamten Akteninhalt nichts ersichtlich. Insbesondere handelt es sich bei dem in der Verfügung des Amtsgerichts Erding vom 28. Januar 2025 erwähnten Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 Abs. 1 ZPO) nicht um einen ausschließlichen, sondern um einen besonderen, der einer Klage am allgemeinen Gerichtsstand nicht entgegensteht (§ 12 ZPO).
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c) Wie das Amtsgericht München in seinem Beschluss vom 19. Februar 2025 zutreffend ausgeführt hat, bestand für die Klägerin auch nicht mehr die Möglichkeit, gemäß § 35 ZPO zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO) und dem besonderen Gerichtsstand des § 29 Abs. 1 ZPO zu wählen, so dass dahingestellt bleiben kann, ob sich aus § 29 Abs. 1 ZPO überhaupt die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München ergäbe. Das Wahlrecht des § 35 ZPO übt die klagende Partei im Fall eines dem streitigen Verfahren vorangehenden Mahnverfahrens nämlich bereits dadurch aus, dass sie im Mahnbescheidsantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO das Wohnsitzgericht als das für das Streitverfahren zuständige Gericht bezeichnet; mit Zustellung des entsprechend ausgefertigten Mahnbescheids ist die getroffene Wahl für die Klägerin verbindlich und ‒ vorbehaltlich eines hier nicht gegebenen übereinstimmenden abweichenden Verlangens beider Parteien nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO ‒ unwiderruflich (BGH NJW 1993, 1273 [juris Rn. 2]; BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 34 m. w. N.). Eine Ausnahme kommt zwar in Betracht, wenn erst nach dem gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5, § 692 Abs. 1 Nr. 1 ZPO maßgeblichen Zeitpunkt ein Wahlrecht entstanden ist (BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 35; Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 46; Beschluss vom 9. Januar 2023, 102 AR 150/22, juris Rn. 23 m. w. N.; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. August 2018, 8 SA 27/18, juris Rn. 17) oder wenn zwar bereits ein Wahlrecht bestand, die Klagepartei von den das Wahlrecht begründenden Tatsachen zum maßgeblichen Zeitpunkt aber nicht vorwerfbar, d. h. nicht auf mangelhafter Prozessvorbereitung beruhend, keine Kenntnis hatte (BayObLG, Beschluss vom 30. August 2023, 102 AR 33/23, juris Rn. 35; Beschl. v. 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 46; Beschluss vom 9. Januar 2023, 102 AR 150/22, juris Rn. 23 m. w. N.; OLG Bamberg, Beschluss vom 8. August 2018, 8 SA 27/18, juris Rn. 17). Das Vorliegen solcher Ausnahmen ist hier aber nicht ersichtlich.