Titel:
Abstimmungsverhalten der Bayerischen Staatsregierung im Bundesrat - Veränderung der "Schuldenbremse"
Normenketten:
GG Art. 31, Art. 51
BV Art. 82, Art. 120
VfGHG Art. 26
Leitsätze:
Unzulässiger isolierter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Vorfeld einer noch einzulegenden Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit dem Abstimmungsverhalten der Bayerischen Staatsregierung im Bundesrat. (Rn. 6 – 11)
1. Art. 82 BV verbürgt kein Grundrecht oder sonstiges subjektives Recht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Abstimmungsverhalten der Staatsregierung im Bundesrat ist Teil der Bundesgesetzgebung, zu deren Überprüfung der Bayerische Verfassungsgerichtshof weder in formeller noch in inhaltlicher Hinsicht berufen ist. Gegenüber bundesrechtlichen Regelungen liefern die Grundrechte der Bayerischen Verfassung keinen verbindlichen Prüfungsmaßstab (Art. 31 GG). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sondervermögen, Schuldenbremse, Abstimmungsverhalten im Bundesrat, Bayerische Staatsregierung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 6065
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe
1
Der im Vorfeld einer noch einzulegenden Verfassungsbeschwerde isoliert erhobene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 19. März 2025 richtet sich gegen die „Zustimmung des Freistaats Bayern zum ‚Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 109, 115 und 143h)‘, zurückgehend auf die Bundestags-Drucksache 20/15096, Empfehlung des Haushaltsausschusses 20/15117, im Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland“.
2
1. Nach seiner aktuellen Tagesordnung wird der Bundesrat am Freitag, den 21. März 2025, in seiner 1052. Sitzung über die Zustimmung zu dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages, der die von den Beschwerdeführern bezeichneten Grundgesetzänderungen zur Schuldenbremse und zum Sondervermögen beinhaltet (BR-Drs. 115/25), beschließen.
3
2. Die Beschwerdeführer machen die Verfassungswidrigkeit einer bevorstehenden Zustimmung der Bayerischen Staatsregierung bzw. ihrer Vertreter im Bundesrat zu der Grundgesetzänderung geltend. Sie beantragen, der Bayerischen Staatsregierung im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, dem „Entwurf eines Gesetzes“ zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 109, 115 und 143 h) im Bundesrat zuzustimmen, und ihr aufzugeben, ihre Vertreter im Bundesrat dahingehend zu instruieren, die genannten Änderungen des Grundgesetzes im Bundesrat „abzulehnen“.
4
Zur Begründung führen sie zusammengefasst aus, der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile geboten. Ein Hauptsacheverfahren gemäß Art. 120 BV sei zumindest nicht offensichtlich unzulässig. Eine Zustimmung im Bundesrat verstieße gegen Art. 82 BV. Dieser beziehe sich nach Wortlaut und Systematik zwar nur auf den Bayerischen Staatshaushalt und nicht auf das Grundgesetz. Indes sei es offensichtliches Ziel der Vorschrift, „eine grenzenlose Verschuldung und ein finanzielles Hasardieren seitens der Regierung zu verhindern“. Da es unerheblich sei, auf welcher staatlichen Ebene diese Schulden anfielen, sei die Vorschrift als allgemeiner Rechtsgrundsatz oder als Staatszielbestimmung anzusehen. Die Bayerische Verfassung kenne auch die Verantwortung der aktuellen Akteure für künftige Generationen, wie sich aus Art. 125 Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Art. 141 Abs. 1 Satz 1 BV ergebe. Es bestehe zudem eine unmittelbare Wechselwirkung mit Art. 109 Abs. 3 GG. Insoweit besitze die Vorschrift auch eine subjektiv-rechtliche Komponente, indem sie die bayerischen Bürger vor Überschuldung durch unverantwortliche Finanzpolitik bewahren solle. Dieser könne sich der Bürger unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr entziehen und sei dann „unmittelbar bereits jetzt“ betroffen. Eine Zustimmung zur Grundgesetzänderung verletze zudem Art. 101 BV. Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit sowohl der derzeitigen bayerischen Bürger als auch derjenigen künftiger Generationen werde durch diese Maßnahme erheblich eingeschränkt, da auf jeden bayerischen Bürger rechnerisch ca. 13.500 € an hierdurch aufgenommenen Schulden entfielen.
5
In dringenden Fällen kann der Präsident des Verfassungsgerichtshofs über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung allein entscheiden (Art. 26 Abs. 3 VfGHG). Ein solcher Fall liegt hier vor, da die Abstimmung im Bundesrat bereits am 21. März 2025 erfolgen soll und eine vorherige Beschlussfassung durch die reguläre Spruchgruppe des Verfassungsgerichtshofs aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist. Wegen der besonderen Dringlichkeit wurde auch davon abgesehen, den in einem Verfahren zur Hauptsache Beteiligten oder Äußerungsberechtigten vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Eilantrag zu geben (Art. 26 Abs. 2 Satz 2 VfGHG).
6
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
7
1. Der Verfassungsgerichtshof kann in Verfassungsbeschwerdeverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (Art. 26 Abs. 1 VfGHG). Wegen der weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in der Regel auslöst, ist an die Voraussetzungen, unter denen sie erlassen werden kann, ein strenger Maßstab anzulegen. Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme vorgetragen werden, haben im Regelfall außer Betracht zu bleiben. Wenn allerdings offensichtlich ist, dass der Antrag in der Hauptsache aus prozessualen oder sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, kommt eine einstweilige Anordnung von vornherein nicht in Betracht. Einstweilige Anordnungen können zudem nur dazu dienen, eine vorläufige Regelung zu treffen; die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung darf die Hauptsacheentscheidung grundsätzlich nicht vorwegnehmen (VerfGH vom 14.9.2020 – Vf. 70-IVa-20 – juris Rn. 8; vom 28.9.2021 – Vf. 74-IVa-21 – juris Rn. 16, jeweils m. w. N.). Ein zulässiger Antrag nach Art. 26 Abs. 1 VfGHG erfordert zu allen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinreichend substanziierte Darlegungen. Dazu gehört auch die Darlegung, dass eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre (vgl. VerfGH vom 30.10.2023 NVwZ 2023, 1909 Rn. 15; vom 15.11.2023 – Vf. 28-VI-23 – juris Rn. 29; vgl. zu § 32 BVerfGG BVerfG vom 28.9.2020 – 1 BvQ 106/20 – juris Rn. 3; vom 24.2.2022 – 1 BvQ 12/22 – juris Rn. 3; vom 12.9.2023 – 1 BvQ 97/23 – juris Rn. 3).
8
2. Diesen Anforderungen wird der Antrag offensichtlich nicht gerecht. Er ist unzulässig.
9
Verfassungsbeschwerde kann nach Art. 120 BV erheben, wer sich durch eine Behörde (oder ein Gericht) in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt fühlt. Beschwerdebefugt ist demnach, wer substanziiert geltend macht, durch den angegriffenen Hoheitsakt selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem verfassungsmäßigen Recht verletzt zu sein (vgl. VerfGH vom 16.11.2021 – Vf. 51-VI-20 – juris Rn. 20; vom 19.9.2024 BayVBl 2025, 86 Rn. 38; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 120 Rn. 35 ff.; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 120 Rn. 47).
10
Vorliegend fehlt es bereits an jeder Darlegung, dass durch die beanstandete Zustimmung zur Grundgesetzänderung im Bundesrat die Beschwerdeführer – ein eingetragener Verein und zwei natürliche Personen – in ihren Grundrechten oder sonstigen subjektiven Rechten, die mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können, betroffen wären. Art. 82 BV, auf den sich die Beschwerdeführer einerseits berufen, verbürgt schon kein Grundrecht und auch kein sonstiges subjektives Recht (vgl. nur Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 82 Rn. 4). Die gegenteilige Ansicht der Beschwerdeführer erschöpft sich in abstrakten Ausführungen zu einer angeblichen subjektiv-rechtlichen Komponente. Im Hinblick auf die daneben geltend gemachte Verletzung von Art. 101 BV – allgemeine Handlungsfreiheit – behaupten die Beschwerdeführer lediglich pauschal, dass durch die beanstandete Maßnahme „die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der bayerischen Bürger, sowohl der derzeitigen Bürger als auch derjenigen zukünftiger Generationen,“ erheblich eingeschränkt werde, weil auf jeden bayerischen Bürger rechnerisch ca. 13.500 € an hierdurch aufgenommenen Schulden entfielen. Eine konkret auf die Beschwerdeführer bezogene Darlegung fehlt ebenso wie Ausführungen dazu, inwiefern sie bereits durch das Handeln der Bayerischen Staatsregierung im Bundesrat selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein sollten. Ferner lässt der Antrag jegliche Ausführungen dazu vermissen, ob und inwiefern aus Art. 101 BV für sich oder in Verbindung mit Art. 82 BV ein mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbarer Anspruch auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten der Staatsregierung in einem bundesrechtlichen Gesetzgebungsverfahren abzuleiten wäre (vgl. zur Rechtsstellung der in den Bundesrat entsandten Mitglieder einer Landesregierung BVerfG vom 30.7.1958 BVerfGE 8, 104/120 f.; Müller-Terpitz in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 51 Rn. 37 ff.). Die Antragsbegründung enthält im Übrigen keine nachvollziehbaren Darlegungen dazu, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinn des Art. 26 Abs. 1 VfGHG zur Abwehr schwerer Nachteile für die Beschwerdeführer dringend geboten wäre.
11
Die Beschwerdeführer haben zudem nicht ansatzweise dargelegt, inwieweit das erwartete Abstimmungsverhalten von Mitgliedern der Bayerischen Staatsregierung im Bundesrat einer Überprüfung durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde (Art. 120 BV) überhaupt zugänglich sein sollte. Dies folgt schon daraus, dass das Stimmverhalten der Staatsregierung im Bundesrat Teil der Bundesgesetzgebung ist, zu deren Überprüfung der Bayerische Verfassungsgerichtshof weder in formeller noch in inhaltlicher Hinsicht berufen ist (vgl. VerfGH vom 5.4.2006 BayVBl 2006, 498; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaats Bayern, Art. 120 Rn. 30). Die Antragsteller wollen ihre angebliche Betroffenheit in subjektiven Rechten aus dem Inhalt des etwaigen künftigen, die Zustimmung des Bundesrats erfordernden Bundesgesetzes herleiten. Die betroffenen Grundgesetzänderungen betreffen Bereichsausnahmen von der Schuldenregel des Grundgesetzes für Verteidigungsausgaben, einen zusätzlichen Verschuldungsspielraum für die Länder im Rahmen der Vorgaben des Grundgesetzes sowie die Ermächtigung des Bundes, ein Sondervermögen für die Infrastruktur zu errichten. Gegenüber bundesrechtlichen Regelungen – wie den hier beabsichtigten – liefern die Grundrechte der Bayerischen Verfassung keinen verbindlichen Prüfungsmaßstab (Art. 31 GG). Bereits deswegen ist nicht ersichtlich, wie das im Vorfeld der beabsichtigten Regelungen liegende Zustimmungsverhalten der Staatsregierung eine Grundrechtsverletzung im Sinn des Art. 120 BV begründen sollte.
12
Auf weitere Gründe, aus denen der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig ist, kommt es daneben nicht an.
13
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).