Titel:
Erfolgloser Eilantrag einer dreiköpfigen Familie (Vater, Mutter, Baby) gegen Abschiebungsanordnung in die Republik Lettland, Zuständigkeit Lettlands nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO, Keine systemischen Mängel des lettischen Asylsystems auch für Familien mit Baby, Erfolgreicher Eilantrag gegen die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots auf maximal mögliche 60 Monate im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ohne das Vorliegen besonderer Umstände
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 34a
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 Buchst. c
AufenthG § 11 Abs. 1 Satz 1
AufenthG § 11 Abs. 2 Satz 3
AufenthG § 11 Abs. 3 Satz 1 und 2
VwGO § 114 Satz 1
Leitsätze:
1. Bei der Festsetzung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hat das Bundesamt unter präventiven Gesichtspunkten einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen zu berücksichtigen. Schützenswert sind dabei solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rück- kehrperspektive vermitteln (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 46/20 – juris Rn. 13 ff.).
2. Liegen keine besonderen Umstände vor, die es aus gefahrenabwehrrechtlichen, spezial- oder generalpräventiven Gründen angezeigt ließen, die Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von fünf Jahren auszuschöpfen, kann diese nicht mit dem Argument angesetzt werden, dass der Ausländer über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen ode sonstigen Bindungen verfügt, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Für die Wahl der Höchstfrist reicht es nicht aus, dass es keine besonderen, zu Gunsten der Antragsteller sprechenden Momente gibt, sondern es müssten umgekehrt übe das allgemein durch § 11 Abs. 1 AufenthG legitimierte öffentliche Interesse hinaus, den Ausländer nach erfolgter Ausreise bzw. Abschiebung eine bestimmte Zeit nicht wieder in das Bundesgebiet einreisen zu lassen, besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Antragsteller nach einer Ausreise oder Abschiebung so lange wie gesetzlich höchstens erlaubt vom Bundesgebiet fernzuhalten.
Schlagworte:
Erfolgloser Eilantrag einer dreiköpfigen Familie (Vater, Mutter, Baby) gegen Abschiebungsanordnung in die Republik Lettland, Zuständigkeit Lettlands nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO, Keine systemischen Mängel des lettischen Asylsystems auch für Familien mit Baby, Erfolgreicher Eilantrag gegen die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots auf maximal mögliche 60 Monate im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ohne das Vorliegen besonderer Umstände
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5999
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Februar 2025 wird angeordnet. Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu 3/4, die Antragsgegnerin zu 1/4. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in die Republik Lettland sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Rahmen eines sog. Dublinverfahrens.
2
Der Antragsteller zu 1) wurde eigenen Angaben nach am …2000, die Antragstellerin zu 2) am … 2001 in T. geboren. Sie sind die Eltern der am … 2025 in Deutschland geborenen Antragstellerin zu 3). Die Antragsteller sind tadschikische Staatsangehörige. Ihren Angaben nach verließen sie am 19. November 2024 ihr Heimatland T. und reisten u.a. über Russland und Lettland am 17. Dezember 2024 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 8. Januar 2025 stellten sie einen förmlichen Asylantrag in Deutschland.
3
Am 13. Juni 2022 hatte der Antragsteller zu 1) einen Antrag auf Visumerteilung bei der Deutschen Botschaft in … gestellt. Der Antrag wurde am 14. Juni 2022 abgelehnt.
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Eine am 18. Dezember 2024 bzw. am 20. Dezember 2024 eingeholte EURODAC-Auskunft ergab einen Treffer der Kategorie 1 für die Antragsteller zu 1) und 2) für Lettland mit dem Datum der Antragstellung und Fingerabdrucknahme am 22. November 2024 (* …*) sowie für Deutschland am 18. Dezember 2024.
5
Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 8. Januar 2025 gaben die Antragsteller zu 1) und 2) an, dass sie bereits in Lettland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hätten und ihnen Fingerabdrücke genommen worden seien.
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Am 13. Januar 2025 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO betreffend die Antragsteller an die Republik Lettland.
7
In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 17. Januar 2025 gab der Antragsteller zu 1) an, dass er am 22. November 2024 einen Asylantrag in Lettland gestellt habe. Sie seien aus Tadschikistan nach St. Petersburg geflogen und nach zwei Tagen dort mit Zug und Taxi nach Lettland gereist, wo sie am 22. November 2024 eingetroffen seien. Dort seien sie bis zum 16. Dezember 2024 geblieben und am 17. Dezember 2024 nach Deutschland eingereist. In Lettland sei er nur zu seinem Reiseweg, nicht zu den Fluchtgründen befragt worden. Schutz habe er dort nicht erhalten. Lettland habe sie nicht nehmen wollen, da seine Frau hochschwanger gewesen sei. Sie hätten aber im Lager bleiben können. Probleme mit der Polizei oder staatlichen Behörden oder mit nichtstaatlichen Akteuren habe er keine gehabt. Auf die Frage des Bundesamtes, was gegen eine Rückführung nach Lettland spreche, gab der Antragsteller zu 1) an, dass dort viele Tadschiken gewesen seien. Lettland habe ihnen kein Asyl geben wollen und sie nur aufgenommen, weil seine Frau hochschwanger gewesen sei. Die anderen hätten ihm erzählt, man müsse dort fünf Monate auf eine Antwort warten und würde dann abgelehnt. Deutschland sei von Anfang sein Ziel gewesen, hier wolle er bleiben. Krankheiten hätten er oder sein Kind nicht. In Deutschland habe er nur seine Frau und sein Kind.
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In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 17. Januar 2025 gab die Antragstellerin zu 2) an, dass sie am 22. November 2024 einen Asylantrag in Lettland gestellt habe. Sie sei aus Tadschikistan nach St. Petersburg geflogen und sie seien zwei Tage dortgeblieben und dann mit Zug und Taxi nach Lettland gereist, wo sie am 22. November 2024 eingetroffen seien. Dort seien sie bis zum 16. Dezember 2024 geblieben an am 17. Dezember 2024 nach Deutschland eingereist. In Lettland sei sie nur zu ihrem Reiseweg, nicht zu den Fluchtgründen befragt worden. Lettland habe sie nicht nehmen wollen, obwohl sie hochschwanger gewesen sei. Sie hätten aber im Lager bleiben können. Probleme mit der Polizei oder staatlichen Behörden oder mit nichtstaatlichen Akteuren habe sie keine gehabt. Auf die Frage des Bundesamtes, was gegen eine Rückführung nach Lettland spreche, gab die Antragstellerin zu 2) an, dass dort viele Tadschiken gewesen seien. Lettland habe ihnen kein Asyl geben wollen und sie nur aufgenommen, weil siehochschwanger gewesen sei. Die anderen hätten ihr erzählt, man müsse dort fünf Monate auf eine Antwort warten und würde dann abgelehnt. Deutschland sei von Anfang ihr Ziel gewesen, hier wolle sie bleiben. Krankheiten hätten sie oder ihr Kind nicht. In Deutschland habe sie niemanden.
9
Die lettischen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch vom 13. Januar 2025 mit Schreiben vom 21. Januar 2025 gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO akzeptiert.
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Mit Bescheid vom 12. Februar 2025 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2.), ordnete die Abschiebung nach Lettland an (Ziffer 3.) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.).
11
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Asylanträge gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig seien, da Lettland auf Grund der dort gestellten und während der Antragsprüfung zurückgezogenen Asylanträge gemäß Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet worden. Die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbotes dürfe gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten. Die Frist sei nach Monaten zu bemessen, individuell festzulegen und beginne am Tag der Abschiebung. Den Antragstellern sei Gelegenheit gegeben worden, sich zur Länge der Frist zu äußern. Dabei hätten sie keine schutzwürdigen Belange vorgetragen, die sich auf die Festsetzung der Frist hätten auswirken können. Bei der Festsetzung der Frist sei ein Ausgleich zwischen dem privaten Interesse der Antragsteller, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, und dem öffentlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, unrechtmäßige Aufenthalte zu vermeiden bzw. zu unterbinden, herzustellen. Die Frist dürfe dabei weder unverhältnismäßig hoch sein, um das Interesse der Antragsteller, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, nicht außer Acht zu lassen, noch dürfe die Frist derart niedrig angesetzt werden, dass die Regelung ihren Zweck verfehle, den Antragstellern die Konsequenzen für den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufzuzeigen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Ausweisung bzw. Abschiebung von Ausländern regelmäßig einen deutlich höheren Aufwand bedeute, als wenn jene ihrer Ausreisepflicht nachkommen. Die Antragsteller verfügten nach eigenen Angaben im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Sie hätten auch sonst keine Belange vorgetragen, die es angezeigt erscheinen ließen, eine kürzere Frist festzusetzen. Es lägen auf der anderen Seite keine Anhaltspunkte vor, die das Festsetzen einer höheren Frist rechtfertigen würden. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate sei daher im vorliegenden Fall angemessen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 12. Februar 2025 Bezug genommen.
12
Gegen den Bescheid vom 12. Februar 2025, zugestellt am 17. Februar 2025, erhoben die Antragsteller am 19. Februar 2025 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Ansbach Klage (AN 18 K 25.50062) und beantragten,
die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
13
Zur Begründung führten sie nichts aus.
14
Die Antragsgegnerin beantragt,
15
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- und Behördenakten des erhobenen Eilverfahrens sowie des Klageverfahrens AN 18 K 25.50062 Bezug genommen.
17
Die im Wege der subjektiven Antragshäufung erhobenen Anträge sind in sachgerechter Weise dahingehend auszulegen (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass die Antragsteller einerseits die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in dem Hauptsacheverfahren AN 18 K 25.50062 erhobenen Klagen gegen die in Ziffer 3. des Bescheides vom 12. Februar 2025 getroffene Abschiebungsanordnung nach Lettland begehren und andererseits gegen das in Ziffer 4. angeordnete und befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot. Insbesondere bei nicht anwaltlich vertretenen Antragstellern ist davon auszugehen, dass sie mit der Formulierung, sie beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, im Eilverfahren gegen sämtliche sie belastende Verwaltungsakte der Behörde vorgehen wollen, gegen die die Hauptsacheklage keine aufschiebende Wirkung hat. Mit der anscheinend veränderten Verwaltungspraxis des Bundesamtes, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auch ohne Vorliegen besonderer Umstände nunmehr auf den grundsätzlich gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG maximal möglichen Zeitraum von fünf Jahren zu befristen, hat sich auch das typischerweise anzunehmende Rechtsschutzinteresse der Antragsteller im Rahmen des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen einen Unzulässigkeitsbescheid im Rahmen eines Dublin-Verfahrens erweitert.
18
Die so verstandenen Anträge, zu deren Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter berufen ist, sind zulässig. Sie sind begründet, soweit es die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Februar 2025 anbelangt. Im Übrigen sind sie unbegründet.
19
1. Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind zulässig.
20
Sie sind insbesondere statthaft, weil den Anfechtungsklagen gegen die Abschiebungsanordnung sowie gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots als unteilbarem Verwaltungsakt (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 43. Ed. 1.10.2024, § 34a AsylG Rn. 37) kraft bundesgesetzlicher Regelung keine aufschiebende Wirkung zukommt, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, § 34a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AsylG, § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.
21
Schließlich ist das Verwaltungsgericht Ansbach nach § 83c AsylG, § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO auch für die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots örtlich zuständig.
22
Die Anträge wurden innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AsylG gestellt.
23
2. Die Anträge sind begründet, soweit sie sich gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Februar 2025 richten. Im Übrigen, hinsichtlich der in Ziffer 3. getroffenen Abschiebungsanordnung nach Lettland, sind sie unbegründet.
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a) Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung nach Lettland sind unbegründet.
25
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Es hat dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung zu treffen. Das Gericht hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse der Antragsteller regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
26
Unter Heranziehung dieser Grundsätze fällt die zu treffende Ermessensentscheidung zugunsten des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin aus, weil die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klagen gegen Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Februar 2025 unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 18 K 25.50062 voraussichtlich erfolglos bleiben werden. Denn die in Ziffer 3. des angefochtenen Bescheides getroffene Abschiebungsanordnung nach Lettland erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27
aa) Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung nach Lettland ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, eine entsprechende Abschiebung somit nicht rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Die vorliegend ergangene Abschiebungsanordnung wird diesen Anforderungen gerecht.
28
bb) Die Antragsgegnerin geht zutreffend von einer Zuständigkeit Lettlands für die Bearbeitung der Asylgesuche der Antragsteller aus.
29
Die Zuständigkeit richtet sich, weil für die Antragsteller Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO und Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO einschlägig sind, nach den Regelungen über das Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 ff. Dublin III-VO. Für die erst nach der Ankunft der Antragsteller zu 1) und 2) in Deutschland am 4. Januar 2025 hier geborene Antragstellerin zu 3) folgt die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO derjenigen für ihre Eltern, also der Antragsteller zu 1) und 2).
30
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 2. April 2019 (C-582/17 und C-583/17 – juris) muss im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO vom ersuchenden Staat nicht geprüft werden, ob der ersuchte Staat selbst zuständig ist. Anders als im Aufnahmeverfahren nach Art. 21, Art. 22 Dublin III-VO ist es nicht erforderlich, dass die Zuständigkeit des ersuchten Staates nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO geklärt ist. Der ersuchende Staat muss gerade nicht selbst in die Prüfung einsteigen, wer für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags nach Art. 8 bis 15 Dublin III-VO zuständig ist. Eine Rücküberstellung im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt vielmehr zur Durchführung des Zuständigkeitsverfahrens im ersuchten Staat, ohne dass dessen eigene Zuständigkeit feststehen muss. Ausreichend ist vielmehr, dass dieser Mitgliedstaat den Erfordernissen nach Art. 20 Abs. 5 oder Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) bis d) Dublin III-VO genügt (vgl. zum Ganzen EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 54 ff.; so auch aus neuerer Zeit: VG Düsseldorf, B.v. 12.4.2024 – 29 L 776/24.A – juris Rn. 7 ff.; VG Greifswald, B.v. 19.7.2023 – 3 B 645/22 HGW – juris; VG Berlin, B.v. 13.6.2023 – 39 L 299/23 A – juris; VG Köln, B.v. 7.6.2023 – 6 L 858/23.A – juris; VG Würzburg, U.v. 6.6.2023 – W 1 K 22.50348 – juris; VG Ansbach, B.v. 16.2.2024 – AN 17 S 24.50087 – juris Rn. 19; B.v. 28.3.2023 – AN 17 S 23.50155 – juris). Der Europäische Gerichtshof macht hiervon zwar eine Ausnahme für Fälle, in denen offensichtlich die Zuständigkeit des ersuchenden Staates gegeben ist. In einem solchen Fall hat die Rückführung des Antragstellers zu unterbleiben und hat der ersuchende Staat seine Zuständigkeit sogleich anzuerkennen (EuGH, U.v. 2.4.2019 – C 582/17, C-583/17 – juris Rn. 83 ff., Ls. 3). Andernfalls entstünde ein vermeidbares und uneffektives Hin- und Herverschieben von Asylantragstellern (VG Ansbach, U.v. 28.6.2021 – AN 17 K 19.50954 – juris).
31
Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf Lettland erfüllt, ein Ausnahmetatbestand im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt nicht vor.
32
Die Antragsteller zu 1) und 2) haben zur Überzeugung des Gerichts vor ihrer Asylantragstellung in Deutschland einen Asylantrag in Lettland gestellt. Dies folgt maßgeblich aus den EURODAC-Treffern der Kategorie 1 vom 22. November 2024 in „…“ (vgl. Art. 24 Abs. 4, Art. 9 Abs. 1 VO (EU) Nr. 603/2013 (sog. Eurodac-Verordnung)), wobei es sich um Beweismittel im Rahmen der Rückübernahmeverpflichtungen der Art. 18 Abs. 1 Buchst. b), c) und d) Dublin III-VO handelt (vgl. VO (EG) Nr. 1560/2003, Anhang II, Verzeichnis A Beweise, II Nr. 2)) sowie auch aus den eigenen Angaben der Antragsteller zu 1) und 2). Dass für die Antragstellerin zu 3) kein Fingerabdruck aus Lettland vorliegen kann, ist offensichtlich, jedoch folgt die Zuständigkeit Lettlands für diese aus Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO. Schließlich haben die lettischen Behörden die Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 13. Januar 2025 am 21. Januar 2025, allerdings auf Basis des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c statt Buchst. b Dublin III-VO, akzeptiert (auch dies ist ein Beweismittel i.S.d. VO (EG) Nr. 1560/2003, Anhang II, Verzeichnis A Beweise, II Nr. 2). Dass Lettland das Wiederaufnahmegesuch nicht, wie vom Bundesamt ursprünglich angefragt nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO, sondern auf Basis des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO akzeptiert hat, ist unschädlich, da es sich ebenfalls um einen Wiederaufnahmetatbestand im Sinne des Art. 23 Dublin III-VO handelt. Es besteht für das Gericht auch kein Anlass, an den Angaben der lettischen Behörden zu zweifeln.
33
cc) Der Zuständigkeit Lettlands stehen auch nicht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO entgegen.
34
Nach dieser Norm ist ein Mitgliedstaat, in dem ein Drittstaatsangehöriger einen Schutzantrag gestellt hat, dazu verpflichtet, die Zuständigkeitsprüfung fortzusetzen, wenn es sich als unmöglich erweist, den Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zunächst zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen. Kann unter diesen Voraussetzungen an keinen anderen zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
35
Das lettische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die für die Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich brächten.
36
Nach dem System der normativen Vergewisserung (siehe dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (siehe dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine unwiderlegliche Vermutung; vielmehr obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Antragsteller nicht an den zu-ständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn das dortige Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die regelhaft so defizitär sind, dass sie im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK bergen (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10, C-493/10 – NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 37). Ein systemischer Mangel liegt jedoch nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9).
37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, aber nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
38
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. So fallen Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der genannten Konvention verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Dies wird erst dann anzunehmen sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.; s.a. BayVGH, U.v. 11. Juli 2024 – 24 B 24.50010 – Rn. 21).
39
Bei Anlegen dieses Maßstabs ergeben sich mit Blick auf das dem Gericht gegenwärtig vorliegende Erkenntnismaterial keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass den Antragstellern bei einer Überstellung in die Republik Lettland wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigte eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh drohen würde. Es wird insoweit gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die Gründe des Bescheides vom 12. Februar 2025 Bezug genommen, welcher sich mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im lettischen Asylverfahren auseinandersetzt. Ergänzend wird auch im Hinblick auf die sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergebende aktuelle Auskunftslage für Lettland wie folgt ausgeführt:
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(1) In der Republik Lettland ist grundsätzlich ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit sowie, bei Bedürftigkeit, staatlich gewährleisteter Rechtsberatung etabliert. Sogenannte Dublin-Rückkehrer erhalten ein reguläres Asylverfahren. Wenn das Asylverfahren eines Rückkehrers noch nicht eingestellt ist, kann es wiedereröffnet oder fortgesetzt werden. Bei bereits erfolgter Einstellung ist eine neue Asylantragstellung erforderlich. Auch Folgeantragsteller haben grundsätzlich Anspruch auf die materiellen Aufnahmebedingungen. Unter den Voraussetzungen des Art. 16 des lettischen Asylgesetzes ist eine Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern möglich, insbesondere zur Identitätsklärung, notwendigen Tatsachenfeststellung oder bei missbräuchlicher Antragstellung. Die Unterbringung von Asylbewerbern erfolgt in Zentren wie etwa dem in Mucenieki (400 Personen), welches 17 km von Riga entfernt ist, und dem Anfang 2022 neu beschlossenen Zentrum in Liepna, Gemeinde Aluksne (250 Personen). Das Unterbringungszentrum in Mucenieki ist mit Wohnräumen, Gemeinschaftsküchen und Unterrichtsräumen ausgestattet. Zusätzlich wurde im Dorf Mucenieki ein multifunktionales Zentrum für Anwohner und Asylbewerber eröffnet. Dort stehen den Asylbewerbern eine Küche, eine Waschküche, eine Kinderkrippe, ein Fernsehraum, ein Klassenzimmer mit Internetzugang, eine Sporthalle, eine Bibliothek und zusätzliche Wohnräume zur Verfügung. Auch wurden im Rahmen eines vom Europäischen Flüchtlingsfonds finanzierten Alfa-Projekts behindertengerechte Räumlichkeiten eingerichtet. Über das geplante Unterbringungszentrum in Liepna wird berichtet, dass es über die erforderliche Ausstattung und ein entsprechendes Dienstleistungsangebot verfügt. Bedürftige Asylbewerber erhalten zudem ein Taggeld von 3 EUR/Tag. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist nach sechs Monaten eröffnet, wenn das Verfahren ohne eigenes Verschulden des Asylbewerbers nicht binnen dieser sechs Monate abgeschlossen ist. Das Recht auf Arbeit gilt bis zu dem Tag, an dem die endgültige Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des alternativen Status oder die Ablehnung der Zuerkennung in Kraft getreten ist. Die medizinische Versorgung ist durch einen Anspruch auf ein Mindestmaß an staatlich bezahlter Gesundheitsfürsorge gewährleistet. Darüber hinaus besteht Anspruch auf eine medizinische Erstversorgung, zahnärztliche Hilfe in dringenden Fällen, Befreiung von Patientenzuzahlungen, im Falle der Inhaftierung auf eine Überprüfung des Gesundheitszustands und notwendige medizinische Betreuung und psychiatrische Hilfe bei schweren psychischen Störungen. Die zentrale Rolle im Gesundheitssystem spielt der Hausarzt, der wesentliche Leistungen der medizinischen Grundversorgung erbringt und die Gesundheitsversorgung insgesamt koordiniert. Zwar wird bei Inanspruchnahme der vom Staat bezahlten Gesundheitsleistungen ein Patientenbeitrag verlangt, von dem allerdings Kinder unter 18 Jahren, Schwangere, Frauen nach der Geburt, Behinderte und bedürftige Personen befreit sind. Unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern wird ein gesetzlicher Vormund zur Seite gestellt, der den Minderjährigen bei der Wahrung seiner persönlichen, rechtlichen und vermögensrechtlichen Interessen im Hoheitsgebiet der Republik Lettland vertritt. Dieser arbeitet mit dem Staat und den örtlichen Behörden zusammen und ist u.a. verpflichtet, dem unbegleiteten Minderjährigen eine seinem Alter und Gesundheitszustand entsprechende Unterbringung und Versorgung zu gewähren. Soweit der Minderjährige vorher Schüler in einem anderen Land war, ist er berechtigt, in Lettland seine Ausbildung abzuschließen. Kinder mit Gewalterfahrungen bzw. bei Bedarf haben ein Recht auf soziale Rehabilitation. Auch die Bedürfnisse sonstiger vulnerabler Asylantragsteller werden adäquat berücksichtigt, etwa durch besondere Unterstützung im Asylverfahren oder spezielle Unterbringung. Über die staatlichen Leistungen hinaus gibt es eine Reihe von Unterstützungsdiensten durch Nichtregierungsorganisationen, etwa Safe House (Unterstützung von Opfern von Menschenhandel, Immigranten, Asylbewerbern und Schutzberechtigten), die Caritas (Beratung, Information, Kleidung und Unterkünfte) und das Lettische Rote Kreuz (zum Ganzen: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Lettland, 5.4.2024, S. 4 ff. [im Folgenden BFA Österreich]; speziell für Dublin Rückkehrer: European Union Agency for Asylum [EUAA], Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Latvia, 29.5.2024; speziell zum Gesundheitssystem: Europäische Kommission, Ihre Rechte der sozialen Sicherheit in Lettland, Juli 2024, S. 18 ff.).
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Lettland verfügt über zwei spezielle Hafteinrichtungen für ausländische Staatsangehörige: Die Anhaltzentren Daugavpils und Mucenieki. Die meisten der in diesen Zentren befragten ausländischen Staatsangehörigen gaben an, korrekt behandelt worden zu sein. Abgesehen von einigen Berichten über verbale Beschimpfungen in Daugavpils hat die prüfende Delegation des „European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment” (CPT) keine Vorwürfe über Misshandlungen erhalten. Allerdings wurden Vorwürfe erhoben, dass zwischen August 2021 und März 2022 im Zusammenhang mit dem starken Zustrom von Migranten inhaftierte ausländische Staatsangehörige schwer misshandelt worden seien. Die Haftbedingungen in beiden Einrichtungen entsprechen im Allgemeinen einem guten Standard. Es gibt das System der offenen Tür, d.h. die Inhaftierten können sich innerhalb ihrer Wohneinheit frei bewegen und sich den ganzen Tag über in Gemeinschaftseinrichtungen aufhalten. Nach einer Inhaftnahme besteht die Möglichkeit, Rechtsschutz binnen 48 Stunden nach Bekanntgabe des Inhaftierungsprotokolls zu suchen sowie die Rechtmäßigkeit der Fortdauer des Freiheitsentzugs regelmäßig gerichtlich überprüfen zu lassen. Eine Inhaftierung durch gerichtliche Entscheidung darf einen Zeitraum von zwei Monaten bzw. die Dauer des Asylverfahrens nicht überschreiten, wobei diese regelhaft maximal drei Monate nach Durchführung der Anhörung, jedenfalls nicht länger als sechs Monate betragen soll; in Ausnahmefällen ist eine Verlängerung möglich (BFA Österreich, S. 8; EUAA, S. 11; Section 19 des lettischen Asylgesetzes [englische Fassung]: https://likumi.lv/ta/en/en/id/278986, zuletzt abgerufen am 07.03.2025).
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Im Mai 2023 wurde der seit August 2021 bestehende Ausnahmezustand in verschiedenen Regionen nahe der Grenze zu Belarus um weitere drei Monate verlängert. Die Regierung hat mehrfach angekündigt, den Ausnahmezustand durch feste Anlagen zur Verhinderung illegaler Grenzübertritte ersetzen zu wollen und erließ Mitte März 2024 für die Dauer von sechs Monaten weitergehende Befugnisse zum Schutz der Grenze, wobei auch Polizei und Militär die Grenzschutzbehörden in diesem Zeitraum unterstützen sollen. Der staatliche Grenzschutz nahm im Jahr 2022 189 Personen in Gewahrsam, die die Grenze von Belarus aus unrechtmäßig überschritten hatten. Lettland nahm im Laufe des Jahres 2022 200 Personen aus humanitären Gründen auf und meldete mehr als 5.000 vereitelte Grenzübertritte, was in der Praxis bedeutete, dass diese Menschen nach Belarus zurückgeschoben wurden. Die Personen, die von der Grenze abtransportiert wurden, kamen meist willkürlich in Haft. Im Jahr 2023 wurden fast 14.000 Versuche der illegalen Einreise aus Belarus nach Lettland verhindert (BFA Österreich, S. 6 f.).
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(2) Anerkannte Flüchtlinge erhalten in Lettland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die alle fünf Jahre erneuert werden muss. Subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine auf ein Jahr befristete – dann aber verlängerbare – Aufenthaltserlaubnis. Anerkannte Flüchtlinge haben nach dem Erhalt des Schutzstatus ein Recht auf Familienzusammenführung. Im Falle einer befristeten Schutzform ist dies erst nach einem zweijährigen Aufenthalt in Lettland möglich. Personen mit dem Status eines Flüchtlings oder mit subsidiärem Schutzstatus, die nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, haben Anspruch auf Sozialhilfe. Anerkannte Flüchtlinge und andere Schutzberechtigte haben Anspruch auf eine einmalige finanzielle Unterstützung in Höhe von 278 EUR (für Minderjährige 194 EUR). Bei verheirateten Paaren erhält der eine Ehepartner 278 EUR und der andere 194 EUR. Schutzberechtigte haben zudem Anspruch auf eine monatliche Zahlung in Höhe von 139 EUR (für Minderjährige 97 EUR). Bei Verheirateten erhält ein Ehepartner 139 EUR und der andere 97 EUR. Die monatliche Zahlung ist für Schutzberechtigte mit Flüchtlingsstatus auf zehn Monate, für subsidiär Schutzberechtigte auf sieben Monate befristet. Asylbewerber, Flüchtlinge und Personen mit subsidiären Schutzstatus haben Anspruch auf die Dienste von Sozialarbeitern und Sozialbetreuern, die ihnen beratend und helfend zur Seite stehen, ihnen bei der Integration in die lettische Gesellschaft und beim Einleben in Lettland helfen, sie bei Anmeldungen zum Beispiel bei der staatlichen Arbeitsagentur und einem Allgemeinmediziner unterstützen und ihnen bei der Eröffnung eines Bankkontos, bei der Wohnungssuche und bei der Anmeldung des Wohnsitzes helfend zur Seite stehen. Die Dienste eines Sozialarbeiters stehen Asylbewerbern drei Monate lang ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Lettland oder bis zur Zuerkennung des Status eines Flüchtlings oder einer Person mit subsidiärem Schutz zur Verfügung. Nach Erlangung eines Schutzstatus steht der Dienst für weitere zwölf Monate zur Verfügung. Der Dienst des Sozialarbeiters endet, wenn die betreute Person während der Dauer des Dienstes Lettland verlässt. Schutzberechtigte oder Personen mit subsidiärem Schutzstatus haben Anspruch auf ein Mindestmaß an staatlich bezahlter Gesundheitsfürsorge. Subsidiärer Schutz, genauso wie der Flüchtlingsstatus, ermöglichen den Schutzberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeitsmarkt (BFA Österreich, S. 10 f.).
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(3) Nach alledem bestehen keine Anhaltspunkte, dass den Antragstellern bei einer Überstellung in die Republik Lettland wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren, in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigte eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde.
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Diese Annahme steht mit der weit überwiegenden neueren Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte in Einklang (etwa VG Ansbach, B.v. 14.1.2025 – AN 18 S 23.50566 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 22.3.2024 – 14 L 485/24.A – juris Rn. 31 ff.; VG Köln, B.v. 15.1.2024 – 22 L 1811/23.A – juris Rn. 18 ff.; VG Chemnitz, B.v. 2.11.2023 – 7 L 421/23.A – juris Rn. 34 ff.; VG Magdeburg, B.v. 20.10.2023 – 3 B 281/23 – juris Rn. 7 ff.; VG Münster, B.v. 10.5.2022 – 2 L 353/22.A, 8714360 – juris; a.A. VG Braunschweig, B.v. 6.10.2023 – 2 B 217/23 – juris, allerdings mit einer von der hiesigen abweichenden Konstellation).
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Bei den Antragstellern ist zwar zu berücksichtigen, dass sie als Familienverband mit einem Säugling (geb. …2025) nach Lettland überstellt würden. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass die lettischen Aufnahmebedingungen im Asylverfahren und nach etwaiger Anerkennung im Falle von Familien mit minderjährigen Kindern die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh unterschreiten würden. Vielmehr ist es so, dass ausweislich der Erkenntnismittel auf die Bedürfnisse vulnerabler Asylbewerber eingegangen wird, etwa durch eine besondere Unterbringung. Auch die Tatsache, dass die lettischen Behörden das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin auf Basis des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO akzeptiert haben, sprich davon auszugehen ist, dass die Antragsteller ihren dortigen Asylantrag entweder ausdrücklich oder konkludent, etwa durch die Ausreise nach Deutschland, zurückgezogen haben, ändert hieran nichts. Selbst wenn die Antragsteller entgegen Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO in Lettland einen Folgeantrag stellen müssten, wäre ihnen das eröffnet und würde nicht zum Entzug materieller Aufnahmebedingungen führen (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Latvia, 29.5.2024, S.4). Davon abgesehen wäre es den Antragstellern in einem funktionierenden Rechtsstaat wie Lettland gegebenenfalls zumutbar, die für sie streitende Vorschrift des Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO gerichtlich durchzusetzen. Schließlich vermag die nur kurze Zeit zurückliegende Geburt der Antragstellerin zu 3) kein anderes Ergebnis herbeizuführen. Lettland verfügt über ein funktionierendes Gesundheitssystem. Es ist davon auszugehen, dass etwa medizinisch notwendige Nachsorgeuntersuchungen oder Untersuchungen des Säuglings gewährleistet sind. Frauen nach der Geburt und Kinder unter 18 Jahren sind zudem von der Entrichtung des Patientenbeitrags befreit.
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Soweit über die Verlängerung des Ausnahmezustandes, sog. Pushbacks und willkürliche Inhaftierungen von (potentiellen) Asylbewerbern insbesondere an der Grenze zu Belarus berichtet wird, wären diese zwar grundsätzlich geeignet, den Befund einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung zu tragen. Jedoch sind die Antragsteller als sogenannte Dublin-Rückkehrer nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer willkürlichen Inhaftierung oder eines Pushbacks ausgesetzt. Die Antragsteller würden offensichtlich nicht über die Grenze Belarus-Lettland einreisen, sondern aller Voraussicht nach per Flugzeug, Zug oder Kfz von Deutschland überführt werden. Die neueren Erkenntnismittel liefern keine Belege dafür, dass Dublin-Rückkehrer wie (potentielle) Asylbewerber an der Landgrenze zwischen Belarus und Lettland behandelt werden (so auch VG Hamburg, B.v. 8.3.2023 – 9 AE 235/23 – S.8, abrufbar unter https://justiz.hamburg.de/resource/blob/640076/e4e50b33bf6521e…76/9-ae-235-23-beschluss-vom-08-03-2023-data.pdf). Die auf dem System der normativen Vergewisserung (siehe dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (siehe dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) basierende Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht, ist mit Blick auf Dublin-Rückkehrer nicht erschüttert.
48
Schließlich ist auch keine Überlastung des lettischen Asylsystems durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ersichtlich. Ende 2023 hatte Lettland 46.000 Anträge auf vorübergehenden Schutz von ukrainischen Bürgern erhalten. Deren Unterstützung wird durch das Gesetz über die Hilfe für ukrainische Zivilsten gewährleistet, das erstmals im März 2022 verabschiedet und seitdem mehrmals verlängert wurde. Für 2024 wurde eine Unterstützung in gleicher Höhe wie im Jahr 2023 erwartet. Eine diesbezügliche Überforderung der Kapazitäten Lettlands wird nicht beschrieben (BFA Österreich, S. 4).
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dd) Individuelle, außergewöhnliche Gründe im Sinne des Art. 16 Dublin III-VO oder Umstände, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
50
ee) Schließlich stehen einer Abschiebung weder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“ – zu prüfen hat, noch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
51
(1) Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis liegt nicht vor. Insbesondere begründet die Geburt (Entbindung) der Antragstellerin zu 3) durch die Antragstellerin zu 2) am … 2025 keines. Eine Abschiebung von Müttern nach der Entbindung scheidet in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 2 Satz 1 MuSchG i.V.m. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG acht Wochen nach der Entbindung aus (etwa VG Magdeburg, B.v. 3.9.2024 – 3 B 144/24 MD – juris Rn. 8). Die achtwöchige Frist hätte demnach am … 2025 um 00:00 Uhr begonnen und an sich am … 2025 um 24:00 Uhr geendet. Da dies ein Samstag ist, wird – obwohl es vom Sinn und Zweck des § 3 MuSchG nicht unbedingt angezeigt ist – vorsichtshalber gemäß § 193 BGB der Montag, …2025, im 24:00 Uhr als Datum des Fristablaufs angesetzt. Anzeichen für eine verlängerte Schutzfrist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 MuSchG sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
52
Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis aus Gründen des Schutzes des Ehe- und Familienlebens, § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK, kommt ebenso wenig in Betracht, da bei den Antragstellern, wofür derzeit nichts Anderes spricht, die Durchführung der Abschiebung im Familienverband erfolgen würde und somit die Familieneinheit gewahrt bliebe und in Lettland weitergelebt werden könnte.
53
(2) Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt ebenfalls nicht in Betracht. Wie bereits unter II. 2. a) cc) erörtert, besteht für die Antragsteller bei einer Abschiebung nach Lettland insbesondere mit Blick auf die dortigen Lebensumstände für Asylsuchende bzw. anerkannte Schutzberechtigte nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.
54
(3) Schließlich ist auch für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nichts ersichtlich.
55
b) Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 AufenthG sind begründet.
56
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung fällt zugunsten des Interesses der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen (AN 18 K 25.50062) gegen Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Februar 2025 aus, weil die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klagen voraussichtlich Erfolg haben werden. Denn das in Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids angeordnete und auf 60 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO.
57
Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG in Folge einer Abschiebungsanordnung (§ 34a AsylG), für die gemäß § 75 Nr. 12, § 11 Abs. 5c AufenthG das Bundesamt zuständig ist, ist als unteilbarer Verwaltungsakt anzusehen, insbesondere ist keine Aufspaltung in Anordnung und Befristung möglich. Daher sind Anordnung und Befristung insgesamt rechtswidrig und aufzuheben bzw. hier die aufschiebende Wirkung insgesamt anzuordnen, auch wenn sich lediglich die Ermessensentscheidung hinsichtlich der Befristung als rechtswidrig erweist (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 43. Ed. 1.10.2024, § 34a AsylG Rn. 37; BVerwG, U.v. 7.9.201 – 1 C 47/20 – NVwZ 2021, 1842, 1842 f.; OVG M-V, U.v. 19.2.2024 – 4 LB 179/23 OVG – juris Rn. 17; VG Düsseldorf, B.v. 15.1.2025 – 24 L 3552/24 – juris Rn. 174 ff.; VG Würzburg, GB v. 14.1.2025 – W 6 K 24.50466 – juris Rn. 26).
58
Der Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Februar 2025 findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dieses ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wobei die Frist außer in den hier nicht einschlägigen Fällen des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG maximal fünf Jahre betragen darf. Mit der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate hat die Antragsgegnerin das ihr zukommende Ermessen fehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO ausgeübt.
59
Bei der Festsetzung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hat das Bundesamt unter präventiven Gesichtspunkten einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Schützenswert sind dabei solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln, etwa das durch Art. 6 GG, Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK geschützte Familien- und Privatleben (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 46/20 – juris Rn. 13 ff.; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 AufenthG Rn. 54). In der Rechtsprechung zu den durch das Bundesamt festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbote hat sich die Linie herausgebildet, dass, wenn im konkreten Fall weder Umstände, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten des Ausländers vom Bundesgebiet erhöhen, noch gegenteilige, zu Gunsten des Ausländers sprechende Umstände und auch sonst keine Besonderheiten gegenüber gleichgelagerten Fällen erkennbar sind, es keinen Bedenken begegnet, wenn das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet, also die Hälfte des durch § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bzw. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL) eröffneten Rahmens ausschöpft (VG Würzburg, GB v. 14.1.2025 – W 6 K 24.50466 – juris Rn. 27 m.w.N.; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 AufenthG Rn. 57; s.a. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 46/20 – juris Rn. 27 f.; BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 64 [die letzteren beiden Entscheidungen betrafen jedoch keine Dublin-Verfahren]).
60
Gemessen an diesem Maßstab ist die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Februar 2025 ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig (§ 114 Satz 1 VwGO). Es sind weder den Gerichts- und Behördenakten noch dem streitgegenständlichen Bescheid Umstände zu entnehmen, die es aus gefahrenabwehrrechtlichen, spezial- oder generalpräventiven Gründen angezeigt ließen, die Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von fünf Jahren auszuschöpfen, um die Antragsteller für diesen Zeitraum nach unterstellter Abschiebung dem Bundesgebiet fernzuhalten. Die Antragsgegnerin führt zur Begründung lediglich aus, dass die Antragsteller im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen verfügten, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Das trifft zwar zu, ist aber alleine nicht hinreichend, das Ermessen in Richtung einer nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG maximal möglichen Befristung von 60 Monaten zu lenken. Für die Wahl der Höchstfrist reicht es nicht aus, dass es keine besonderen, zu Gunsten der Antragsteller sprechenden Momente gibt, sondern es müssten umgekehrt über das allgemein durch § 11 Abs. 1 AufenthG legitimierte öffentliche Interesse, den Ausländer nach erfolgter Ausreise bzw. Abschiebung eine bestimmte Zeit nicht wieder in das Bundesgebiet einreisen zu lassen – denn diesem Interesse dient auch ein Ausreise- und Aufenthaltsverbot befristet auf weniger als 60 Monate –, besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Antragsteller nach einer Ausreise oder Abschiebung so lange wie gesetzlich höchstens erlaubt vom Bundesgebiet fernzuhalten. Solche Anhaltspunkte könnten etwa sein, dass es sich um eine wiederholte Einreise nach bereits erfolgter Abschiebung handelt, erhebliche Straftaten vorliegen, gefälschte Dokumente genutzt oder Mitwirkungspflichten verletzt wurden. Aber auch generalpräventive Erwägungen dürfen grundsätzlich eine Rolle spielen (zum Ganzen Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 AufenthG Rn. 54 ff.). Dies hat die Antragsgegnerin im Rahmen der Ermessensausübung nicht ausreichend dargelegt. Insoweit trägt auch ihr Verweis darauf nicht, dass keine Anhaltspunkte für das Festsetzen einer (noch) höheren Frist, wohl gestützt auf § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG, vorliegen, weil sie sich bei der Ermessensausübung im Rahmen der einschlägigen Norm, nämlich § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu bewegen hat.
61
Daher war die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Februar 2025 insgesamt anzuordnen.
62
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, § 159 Satz 1 VwGO und § 83b AsylG.
63
Nachdem die Antragsteller hinsichtlich der Ziffern 1. bis 3. des streitgegenständlichen Bescheides (Unzulässigkeitsentscheidung, Verneinung Abschiebungsverbote, Abschiebungsanordnung) unterliegen und hinsichtlich Ziffer 4. (Anordnung und Befristung Einreise- und Aufenthaltsverbot) obsiegen, erscheint eine Quotelung im Verhältnis ¾ zu ¼ angemessen. Zwar sind Antragsgegenstand nur die Ziffern 3. und 4., jedoch werden die Ziffern 1. und 2. im Rahmen der Ziffer 3. geprüft.
64
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
65
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.