Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 19.03.2025 – AN 18 S 25.50106
Titel:

Dublin-Verfahren (Litauen)

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 114 Satz 1
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1, § 75 Abs. 1, § 84 Abs. 1 Nr. 7
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1
AufenthG § 11 Abs. 2 S. 3, § 60a Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Bei der Festsetzung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hat das Bundesamt unter präventiven Gesichtspunkten einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen zu berücksichtigen. Schützenswert sind dabei solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 46/20 – juris Rn. 13 ff.). (Rn. 59)
2. Liegen keine besonderen Umstände vor, die es aus gefahrenabwehrrechtlichen, spezial- oder generalpräventiven Gründen angezeigt ließen, die Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von fünf Jahren auszuschöpfen, kann diese nicht mit dem Argument angesetzt werden, dass der Ausländer über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen verfügt, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Für die Wahl der Höchstfrist reicht es nicht aus, dass es keine besonderen, zu Gunsten der Antragsteller sprechenden Momente gibt, sondern es müssten umgekehrt über das allgemein durch § 11 Abs. 1 AufenthG legitimierte öffentliche Interesse, den Ausländer nach erfolgter Ausreise bzw. Abschiebung eine bestimmte Zeit nicht wieder in das Bundesgebiet einreisen zu lassen, hinaus besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Antragsteller nach einer Ausreise oder Abschiebung so lange wie gesetzlich höchstens erlaubt vom Bundesgebiet fernzuhalten. (Rn. 60 – 61)
Das litauische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die für den Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich brächten. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolgloser Eilantrag eines jungen, im Wesentlichen gesunden Mannes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Litauen (Dublin-Verfahren), Zuständigkeit Litauens nach Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1, Abs. 1 Dublin III-VO, Keine systemischen Mängel des litauischen Asylsystems, Erfolgreicher Eilantrag gegen die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots auf maximal mögliche 60 Monate im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ohne das Vorliegen besonderer Umstände, systemische Mängel, Abschiebungsanordnung, Dublin-Verfahren, Litauen, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Höchstfrist, Kettenabschiebung, Pushback
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5997

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. März 2025 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/4, die Antragsgegnerin zu 1/4. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in die Republik Litauen sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes im Rahmen eines sog. Dublin-Verfahrens.
2
Der Antragsteller wurde am … 2000 in Tadschikistan geboren und ist tadschikischer Staatsangehöriger. Eigenen Angaben nach verließ er Anfang Juli 2024 sein Heimatland Tadschikistan und reiste per Bus und Flugzeug über Usbekistan, Lettland, Litauen und Polen am 24. Juli 2024 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 14. Januar 2025 stellte er einen förmlichen Asylantrag in Deutschland.
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Eine am 27. Dezember 2024 durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer für Litauen, lediglich einen Treffer der Kategorie 1 für Deutschland mit dem Datum der Antragstellung und der Fingerabdrucknahme am selben Tag. Der Antragsteller verfügte jedoch über eine durch die Republik Litauen ausgestellte Aufenthaltserlaubnis, ursprünglich gültig vom 17. Juni 2024 bis zum 17. Juni 2026. Diese ist seit dem 23. Dezember 2024 nach Annullierung durch die litauischen Behörden abgelaufen.
4
Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages am 14. Januar 2025 gab der Antragsteller an, dass er keine in Deutschland lebenden Verwandten habe. Er habe ein litauisches Visum, welches im März 2024 ausgestellt und im August 2024 annulliert worden sei. Fingerabdrücke seien ihm in den anderen Mitgliedstaaten nicht genommen worden.
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Am 5. Februar 2025 richtete die Bundesrepublik Deutschland ein Aufnahmegesuch nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO betreffend den Antragsteller an die Republik Litauen. Die litauischen Behörden haben das Aufnahmegesuch am 5. Februar 2025 auf Basis des Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO akzeptiert. Dem Antragsteller sei eine litauische Aufenthaltserlaubnis, gültig vom 17. Juni 2024 bis zum 17. Juni 2026, ausgestellt worden. Diese sei aber im Dezember 2024 widerrufen worden.
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Eine Abfrage im Schengener Informationssystem am 3. März 2025 ergab einen Treffer (Schengen-ID: …*).
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Im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 3. März 2025 gab der Antragsteller an, dass er über einen litauischen Aufenthaltstitel verfügt habe. Nach Litauen sei er so um den 10. Juli 2024 eingereist und habe sich in … für 10 Tage aufgehalten. Sein Ticket sei jedoch für Lettland gewesen und dort sei er auch zuerst eingereist, aber am selben Tag weiter Litauen gereist. Den litauischen Aufenthaltstitel habe er über eine Firma beantragt. Es sei ihm geraten worden, einen Aufenthaltstitel zu Arbeitszwecken zu beantragen. Der Aufenthaltstitel sei, obwohl normalerweise für zwei Jahre ausgestellt, nach Ablauf von zwei bis drei Monaten annulliert worden. Als er nach Litauen gekommen sei, sei es anders gewesen, als ihm vorab mündlich zugesagt worden sei. Beim Vorstellungsgespräch habe er den Vertrag nicht unterschrieben, sondern sei ausgereist. Ihm sei mündlich ein ganz anderes Gehalt versprochen worden, als sie dann beim Vorstellungsgespräch gesagt hätten. Sie hätten nur „1.000“ überweisen und ihm den Rest auf die Hand geben wollen. Auch hätten sie ihm 12 EUR Stundenlohn zugesagt und nach Ankunft nur die Hälfte angeboten. Das sei ihm komisch vorgekommen bzw. habe ihm nicht gefallen und deswegen habe er nicht bleiben wollen. In Litauen habe er keinen Asylantrag gestellt, sondern sei nach Deutschland gereist. Den litauischen Aufenthaltstitel habe er im Hostel gelassen, auch eine Kopie der Vereinbarung. Er habe gedacht, das nicht mehr zu brauchen. Auf die Frage hin, weshalb er bereits am 24. Juli 2024 nach Deutschland eingereist sei, aber erst am 14. Januar 2025 einen Asylantrag gestellt habe, gab der Antragsteller an, dass er sich, nachdem er mit dem Arbeitgeber in Litauen seine Verbindungen aufgelöst habe, mit einem Landsmann aus … in Deutschland in Verbindung gesetzt habe. Dieser habe vorgeschlagen, dass er zu ihm kommen und bei ihm wohnen solle. Der Antragsteller habe keine Mittel mehr gehabt, um in Litauen das Hostel zu zahlen. Nach zwei bis drei Monaten in Deutschland seien dann die Probleme in Tadschikistan entstanden. Seine Ex-Freundin in Tadschikistan habe ihn nach der Trennung bei den Sicherheitsbehörden verraten. Es habe ein Video gegeben, von dem nur sein Vater und sie gewusst hätten. Seine Mutter sei von Behördenmitarbeitern aufgesucht worden. Ihm sei gedroht worden, dass, wenn er nicht nach Tadschikistan zurückreisen und sich stellen würde, seine Mutter inhaftiert würde. Er habe weder in Lettland noch in Polen Fingerabdrücke abgegeben oder einen Asylantrag gestellt. In Lettland und Polen sei er nur zur Durchreise gewesen. Gegen seine Rückkehr nach Litauen spreche, dass sein Aufenthaltstitel dort annulliert worden sei. Wenn er jetzt zurückkehre, werde er nach Tadschikistan abgeschoben, wo er die geschilderten Probleme habe. Gesundheitlich habe er bis auf eine schwache Sehstärke keine Probleme. Medikamente benötige er nicht. In ärztlicher Behandlung sei er deswegen auch nicht.
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Mit Bescheid vom 4. März 2025 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2.), ordnete die Abschiebung nach Litauen an (Ziffer 3.) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, da Litauen auf Grund der dort gewährten Aufenthaltserlaubnis gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei gemäß § 11 Abs. 1
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AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet worden. Die Dauer dieses Einreise- und Aufenthaltsverbots werde gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und dürfe grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten. Sei der Drittstaatsangehörige aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden oder gehe eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihm aus, dürfe die Frist fünf Jahre überschreiten, aber solle zehn Jahre nicht überschreiten. Die Frist sei nach Monaten zu bemessen, individuell festzulegen und beginne am Tag der Abschiebung. Dem Antragsteller sei Gelegenheit gegeben worden, sich zur Länge der Frist zu äußern. Dabei habe er keine weiteren schutzwürdigen Belange als die im Vorfeld bereits erwähnten und behandelten Sachverhalte vorgetragen, die sich auf die Festsetzung der Frist hätten auswirken können. Bei der Festsetzung der Frist sei ein Ausgleich zwischen dem privaten Interesse der Antragsteller, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, und dem öffentlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, unrechtmäßige Aufenthalte zu vermeiden bzw. zu unterbinden, herzustellen. Die Frist dürfe dabei weder unverhältnismäßig hoch sein, um das Interesse der Antragsteller, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, nicht außer Acht zu lassen, noch dürfe die Frist derart niedrig angesetzt werden, dass die Regelung ihren Zweck verfehle, den Antragstellern die Konsequenzen für den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufzuzeigen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Ausweisung bzw. Abschiebung von Ausländern regelmäßig einen deutlich höheren Aufwand bedeute, als wenn jene ihrer Ausreisepflicht nachkämen. Der Antragsteller verfüge nach eigenen Angaben im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Er habe auch sonst keine Belange vorgetragen, die es angezeigt erscheinen ließen, eine kürzere Frist festzusetzen. Es lägen auf der anderen Seite keine Anhaltspunkte vor, die das Festsetzen einer höheren Frist rechtfertigen würden.
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Der Bescheid vom 4. März 2025 wurde dem Antragsteller am 10. März 2025 zugestellt.
11
Gegen den Bescheid vom 4. März 2025 hat der Antragsteller am 12. März 2025 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach Klage erhoben (AN 18 K 25.50107) und gleichzeitig beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
12
Zur Begründung führt der Antragsteller aus, dass seine Aufenthaltserlaubnis in Litauen am 23. Dezember 2024 annulliert worden und daher eine Abschiebung dorthin unmöglich sei. Zur Annullierung seines litauischen Aufenthaltstitels legt der Antragsteller einen Screenshot aus dem Migris-Portal der Republik Litauen vor, aus dem hervorgeht, dass die litauische Aufenthaltserlaubnis seit 23. Dezember 2024 abgelaufen ist. Ihm drohe politische Verfolgung und Inhaftierung in seinem Heimatland im Falle einer Abschiebung. Es drohe eine Kettenabschiebung bis ins Heimatland Tadschikistan, da Litauen in der Vergangenheit Asylbewerber ohne ausreichende Prüfung in ihre Herkunftsländer abgeschoben habe. Dies verstoße gegen das NonRefoulement-Prinzip gemäß Art. 33 Abs. 2 Genfer Flüchtlingskonvention. Litauen verfolge nach internationalen Berichten und Medienquellen eine restriktive Asylpolitik. Asylbewerber erhielten keinen ausreichenden Schutz, es fänden willkürliche Verhaftungen statt und es gebe häufig schnelle Abschiebungen ohne faire Prüfung des Asylantrages. Er sei politischer Aktivist und habe aufgrund seiner aktiven Opposition gegen das derzeitige Regime das Land verlassen müssen. Seit er in Deutschland sei, besuche er Integrationskurse und engagiere sich aktiv in der Gesellschaft. Nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG könne ihm eine Duldung gewährt werden, wenn die Abschiebung aus humanitären Gründen unzumutbar sei. Schließlich bestünden in Litauen erhebliche menschenrechtliche Missstände, unter anderem habe die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am 27. Juni 2022 über Fälle von Misshandlungen, Rassismus und unmenschlichen Bedingungen in litauischen Lagern für Migranten berichtet. Im Übrigen legt der Antragsteller eine Teilnahmebestätigung der … vom 13. März 2025 vor. Darin wird bestätigt, dass der Antragsteller am Projekt … teilnehme. Das vom „…“ geförderte Projekt biete unter anderem ein offenes und kostenloses Deutschlernangebot, an dem der Antragsteller seit einigen Wochen regelmäßig teilnehme. Seine Anwesenheit sei durch Unterschrift dokumentiert und könne auf Nachfrage eingesehen werden. Das Angebot finde an fünf Tagen in der Woche statt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- und Behördenakten des erhobenen Eilverfahrens sowie des Klageverfahrens AN 18 K 25.50107 Bezug genommen.
II.
16
Der Antrag mit dem Ziel der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der im Hauptsacheverfahren AN 18 K 25.50107 erhobenen Klage ist dahingehend auszulegen (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass der Antragsteller einerseits die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in dem Hauptsacheverfahren AN 18 K 25.50107 erhobenen Klage gegen die in Ziffer 3. des Bescheides vom 4. März 2025 getroffene Abschiebungsanordnung nach Litauen und andererseits gegen das in Ziffer 4. angeordnete und befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begehrt. Insbesondere bei nicht anwaltlich vertretenen Antragstellern ist davon auszugehen, dass sie mit der Formulierung, sie beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, im Eilverfahren gegen sämtliche sie belastende Verwaltungsakte der Behörde vorgehen wollen, gegen die die Hauptsacheklage keine aufschiebende Wirkung hat. Mit der anscheinend veränderten Verwaltungspraxis des Bundesamtes, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auch ohne Vorliegen besonderer, gegen den Antragsteller sprechender Umstände nunmehr auf den grundsätzlich gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG maximal möglichen Zeitraum von fünf Jahren zu befristen, hat sich auch das typischerweise anzunehmende Rechtsschutzinteresse des Antragstellers im Rahmen des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen einen Unzulässigkeitsbescheid im Rahmen eines Dublin-Verfahrens erweitert.
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Der so verstandene Antrag, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter berufen ist, ist zulässig. Er ist begründet, soweit es die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 4. März 2025 anbelangt. Im Übrigen – hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Litauen – ist er unbegründet.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
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Er ist insbesondere statthaft, weil der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung sowie gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots als unteilbarem Verwaltungsakt (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 43. Ed. 1.10.2024, § 34a AsylG Rn. 37) kraft bundesgesetzlicher Regelung keine aufschiebende Wirkung zukommt, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, § 34a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AsylG, § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.
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Schließlich ist das Verwaltungsgericht Ansbach nach § 83c AsylG, § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO auch für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots örtlich zuständig.
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Der Antrag wurde innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AsylG gestellt.
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2. Der Antrag ist begründet, soweit er sich gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 4. März 2025 richtet. Im Übrigen, hinsichtlich der in Ziffer 3. getroffenen Abschiebungsanordnung nach Litauen, ist er unbegründet.
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a) Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung nach Litauen ist unbegründet.
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Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Es hat dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung zu treffen. Das Gericht hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 34a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 3 AsylG, § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
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Unter Heranziehung dieser Grundsätze fällt die zu treffende Ermessensentscheidung hinsichtlich der Abschiebungsanordnung zugunsten des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin aus, weil die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage gegen Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes vom 4. März 2025 unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 18 K 25.50107 voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Denn die in Ziffer 3. des angefochtenen Bescheides getroffene Abschiebungsanordnung nach Litauen erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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aa) Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung nach Litauen ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, eine entsprechende Abschiebung somit nicht rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
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Die vorliegend ergangene Abschiebungsanordnung wird diesen Anforderungen gerecht.
28
bb) Die Antragsgegnerin ist zutreffend von einer Zuständigkeit Litauens für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers ausgegangen. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des jeweils zuständigen Staates ist die Dublin III-VO. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO finden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in dem Kapitel III der Dublin III-VO genannten Rangfolge Anwendung. Anhaltspunkte für eine vorrangige eigene Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 8 bis 11 Dublin III-VO liegen nicht vor.
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Die Zuständigkeit Litauens ergibt sich aus Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1, Abs. 1 Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift sind, wenn der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel besitzt, die weniger als 2 Jahre zuvor abgelaufen sind und aufgrund derer er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einreisen konnte, die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat. Ein Aufenthaltstitel ist gemäß Art. 2 Buchst. l Dublin III-VO definiert als jede von den Behörden eines Mitgliedstaats erteilte Erlaubnis, mit der der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gestattet wird, einschließlich der Dokumente, mit denen die Genehmigung des Aufenthalts im Hoheitsgebiet im Rahmen einer Regelung des vorübergehenden Schutzes oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die eine Ausweisung verhindernden Umstände nicht mehr gegeben sind, nachgewiesen werden kann; ausgenommen sind Visa und Aufenthaltstitel, die während der zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats entsprechend dieser Verordnung erforderlichen Frist oder während der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz oder eines Antrags auf Gewährung eines Aufenthaltstitels erteilt wurden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob es sich um einen gültigen oder abgelaufenen Aufenthaltstitel handelt, ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III VO der Zeitpunkt der ersten Antragstellung auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat (Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 20. Ed 1.1.2025, Art. 12 Dublin III-VO Rn. 11). Dies ist nach der Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs (U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 75 ff.) die hier am 27. Dezember 2024 erfolgte erstmalige schriftliche Kenntniserlangung der Antragsgegnerin von dem Asylgesuch des Antragstellers (und nicht die förmliche Asylantragstellung nach dem AsylG).
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Der Antragsteller verfügte ausweislich der Angaben der litauischen Behörden im Rahmen der Annahmeerklärung vom 5. Februar 2025 und seiner eigenen Angaben vor dem Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren (zur Beweis-/Indizieneigenschaft der genannten Belege s. VO (EG) Nr. 1560/2003, Anhang II, Verzeichnis A Beweise, I. Nr. 4 und Verzeichnis B Indizien, I Nr. 4) zunächst über eine Aufenthaltserlaubnis („residence permit“), die ursprünglich gültig war vom 17. Juni 2024 bis zum 17. Juni 2026, jedoch seit dem 23. Dezember 2024 nach Annullierung abgelaufen ist. Diese abgelaufene Aufenthaltserlaubnis ist ein Aufenthaltstitel im Sinne des Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1, Art. 2 Buchst. l Dublin III-VO, als einer, der weniger als zwei Jahre zuvor – meint vor europarechtlicher Asylantragstellung – abgelaufen ist und aufgrund dessen der Antragsteller in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einreisen konnte Nach Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 kommt somit Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO zur Anwendung, nach dem der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – also die Republik Litauen.
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Schließlich hat die Antragsgegnerin ihr Aufnahmegesuch an die litauischen Behörden vom 5. Februar 2025 innerhalb der dreimonatigen Frist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO an Litauen übermittelt und Litauen dieses am 5. Februar 2025 im Rahmen der Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO angenommen. Ein Übergang der Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin ist damit nicht erfolgt.
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cc) Der Zuständigkeit Litauens stehen auch nicht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO entgegen.
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Nach dieser Norm ist ein Mitgliedstaat, in dem ein Drittstaatsangehöriger einen Schutzantrag gestellt hat, dazu verpflichtet, die Zuständigkeitsprüfung fortzusetzen, wenn es sich als unmöglich erweist, den Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu über-stellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zunächst zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen. Kann unter diesen Voraussetzungen an keinen anderen zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
34
Das litauische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die für den Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich brächten.
35
Nach dem System der normativen Vergewisserung (siehe dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (siehe dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine unwiderlegliche Vermutung; vielmehr obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Antragsteller nicht an den zu-ständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn das dortige Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die regelhaft so defizitär sind, dass sie im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK bergen (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10, C-493/10 – NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 37). Ein systemischer Mangel liegt jedoch nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9).
36
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, aber nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
37
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. So fallen Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der genannten Konvention verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Dies wird erst dann anzunehmen sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.; s.a. BayVGH, U.v. 11. Juli 2024 – 24 B 24.50010 – Rn. 21).
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Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich mit Blick auf das dem Gericht gegenwärtig vorliegende Erkenntnismaterial keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung nach Litauen wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh drohen würde. Es wird insoweit gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die Gründe des Bescheids vom 4. März 2025 Bezug genommen, welcher sich in vertiefter Weise mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im litauischen Asylverfahren auseinandersetzt. Ergänzend wird auch im Hinblick auf die sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergebende aktuelle Auskunftslage für Litauen wie folgt ausgeführt:
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(1) In Litauen existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben die Möglichkeit, einen (neuen) Asylantrag zu stellen oder ein bereits bestehendes Verfahren fortzusetzen. Ein (neuer) Asylantrag ist zu stellen, wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Litauen gestellt hat, das Verfahren zu einem früheren Antrag eingestellt wurde oder zu einem früheren Antrag bereits eine endgültige Entscheidung ergangen ist. Hingegen kann das Verfahren eines Dublin-Rückkehrers fortgesetzt werden, wenn die Prüfung des Antrags für weniger als neun Monate ausgesetzt und somit noch nicht eingestellt wurde oder die Entscheidung über den früheren Antrag noch nicht rechtskräftig ist. Bei Rückführung aus einem anderen Mitgliedstaat und Asylantragstellung am Flughafen erheben die Grenzschutzbeamten, welche die Erstbefragung durchführen, auch Daten über eine etwaige Vulnerabilität der Person. Vulnerable Antragsteller sind ihren Bedürfnissen entsprechend unterzubringen. Asylbewerber haben in Litauen unter anderem Anspruch auf materielle Aufnahmebedingungen (Unterkunft, Verpflegung und Kleidung), wenn sie sich in den zugewiesenen Unterkünften, Gewahrsamseinrichtungen usw. aufhalten, die Inanspruchnahme von staatlich garantierter Prozesskostenhilfe, kostenlose Inanspruchnahme der Dienste eines Dolmetschers und das Recht auf Arbeit, wenn die Migrationsbehörde ohne Verschulden des Asylbewerbers nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einreichung des Asylantrags eine Entscheidung im Asylverfahren getroffen hat. In Litauen gibt es verschiedene Arten von Unterbringungseinrichtungen. Es bestehen drei Registrierungszentren für Ausländer (Pabrade, Medininkai und Kybartai), ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge (Rukla), wobei es sich grundsätzlich um eine Einrichtung für Schutzberechtigte handelt, ein weiteres Zentrum für Asylbewerber in Vilnius, das formell Teil des Zentrums in Rukla ist, sowie alternative und vorübergehende Unterkünfte, welche bereitgestellt werden, wenn in den Ausländerregistrierungszentren keine Plätze verfügbar sind. Die drei Registrierungszentren in Pabrade, Medininkai und Kybartai sind nach älterer Quellenlage geschlossene Zentren gewesen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Litauen, Gesamtaktualisierung am 9.9.2022, S. 10 [im Folgenden: BFA Österreich]). Nach neueren Erkenntnissen wird zumindest die Bewegungsfreiheit von Dublin-Rückkehrern grundsätzlich nicht eingeschränkt, wobei es in Litauen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Ingewahrsamnahme gibt, nämlich zur Feststellung/Überprüfung der Identität, bei Gefahr der Flucht zur Verhinderung der Rückführung, gemäß Art. 28 Dublin III-VO und bei Gefahr für die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 18.9.2024 zu A 19 K 470/23, S. 3 f.). Seit Oktober 2021 sind in Litauen alle Zeltlager abgebaut, in denen ca. 4.000 illegal aus Belarus angekommene Migranten unter anderem untergebracht wurden und die Betreffenden auf die genannten Zentren aufgeteilt. Asylbewerber haben das Recht auf kostenlose notwendige Gesundheits- und psychologische Versorgung sowie soziale Dienste in einem Registrierungs- oder Unterbringungszentrum. Während eines Aufenthalts in einer Unterkunft, die von den litauischen Behörden zur Verfügung gestellt wird, hat ein Asylbewerber das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung im Zentrum. NGOs berichten, dass Flüchtende aufgrund der Sprachbarriere Probleme beim Zugang zu medizinischen und psychologischen Beratungsdiensten haben. Asylsuchende sind in das nationale Impfprogramm einbezogen und haben bzw. hatten auf Anfrage Anspruch auf die kostenlose COVID-19-Impfung inklusive Auffrischung (zum Ganzen BFA Österreich, S. 5 ff.; European Union Agency of Asylum (EUAA), Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Lithuania, 12.4.2023, S. 2 ff.).
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(2) Bei Schutzgewährung beginnt die Integration im Unterbringungszentrum mit der Unterzeichnung des Vertrags zwischen dem Zentrum und dem Asylberechtigten über die Integrationsunterstützung und wird im Anschluss auf dem Gebiet der Wohnsitzgemeinde fortgesetzt. Diese kann nur einmal beantragt und muss vollständig in Anspruch genommen werden. Die Integrationsunterstützung im Zentrum läuft für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten – einmal werden auch bis zu 8 Monate erwähnt – ab Unterzeichnung des Integrationsvertrages (sogenannte erste Integrationsphase). Vulnerable und unbegleitete Minderjährige können auch länger im Zentrum bleiben. Die Asylberechtigten erhalten im Zentrum Unterstützungsleistungen für die Integration durch kostenlosen Aufenthalt, psychologische Betreuung, die notwendigsten Sozial-, Gesundheits- und Rechtsdienstleistungen, Intensivkurse für Erwachsene in litauischer Sprache und litauischer Kultur, Bewertung der beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Qualitäten, Bereitstellung von Arbeitsmarktdienstleistungen und Durchführung aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Es gibt monatliche Zuschüsse für Verpflegung und Taschengeld. In der sogenannten Zweiten Integrationsphase tritt an die Stelle der Integrationsförderung im Zentrum die Integrationsförderung auf dem Gebiet einer Gemeinde. Sie dauert bis zu zwölf Monate ab dem Zeitpunkt des Auszugs des Asylberechtigten aus dem Zentrum. Für Vulnerable kann dieser Zeitraum verlängert werden. In der Gemeinde umfasst die Unterstützung unter anderem Sprachtraining, die Anmietung einer Unterkunft, Betriebskosten, Krankenversicherung und Schulbeihilfe für Kinder. Derzeit bieten zwei NGOs (Caritas und Litauisches Rotes Kreuz) Unterstützung bei der Integration von Asylbewerbern in den Gemeinden an und leisten Hilfe bei der Anmietung von Wohnungen, Auszahlung von Geldleistungen, Litauisch-Sprachkursen, Organisation von Kinderbetreuung bzw. Schulbesuch, allgemeiner Beratung und Arbeitssuche. Während der Zweiten Integrationsphase erhalten die Asylberechtigten eine monatliche Geldleistung zur Deckung der Grundbedürfnisse (Wohnungsmiete, Nebenkosten, Lebensmittel, Transport). Medizinische Versorgung wird von der medizinischen Station des Zentrums gewährleistet. Psychologische Versorgung bietet der psychologische Dienst im Zentrum. Wenn nötig werden Patienten an Spezialisten überwiesen. Die Kosten für medizinische Leistungen im Zentrum bzw. außerhalb (wenn eine Überweisung vorliegt) übernimmt das Zentrum. Schutzberechtigte sind eine der Personengruppen, für die der litauische Staat die obligatorische Krankenversicherung übernimmt (zum Ganzen BFA Österreich, S. 12 ff.). Die Sozialhilfe für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte ist eigens geregelt und wird auf der Grundlage der allgemeinen Sozialhilfe berechnet (vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages – Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstatten, 8.7.2016).
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(3) Nach alledem bestehen keine Anhaltspunkte, dass dem Antragsteller als 24-jährigem, bis auf eine schwache Sehstärke gesunden Mann bei einer Überstellung nach Litauen wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren, in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde.
42
Diese Annahme steht mit der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. aus neuerer Zeit etwa: VG Gelsenkirchen, B.v. 7.12.2023 – 2a L 1936/23.A – juris; VG Bremen, B.v. 28.11.2023 – 1 V 2468/23 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris; VG Berlin, B.v. 19.4.2023 – 22 L 80/23 A – juris; VG Aachen, U.v. 30.3.2023 – 1 K 2645/19.A – juris; VG Freiburg, U.v. 17.1.2023 – A 13 K 1760/22 – juris; VG Trier, B.v. 30.12.2022 – 7 L 3452/22.TR – juris; VG Augsburg, B.v. 12.12.2022 – Au 9 S 22.50372 – juris; VG Greifswald, B.v. 27.10.2022 – 6 B 1625/22 HGW – juris; VG Regensburg, U.v. 26.10.2022 – RN 15 K 22.50329 – juris; VG Würzburg, U.v. 12.10.2022 – W 1 K 22.50269 – juris; VG Münster, B.v. 12.9.2022 – 2 L 694/22.A – juris) sowie der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Ansbach (VG Ansbach, B.v. 5.11.2024 – AN 18 S 23.50588 – n.v.; U.v. 19.12.2019 – AN 18 K 18.50471 – juris Rn. 27 f.; B.v. 7.5.2019 – AN 18 S 18.50925 – juris Rn. 27 f.; B.v. 11.4.2018 – AN 14 S 18.50048 – juris Rn. 20 ff.; B.v. 30.10.2017 – AN 14 S 17.51092 – juris Rn. 20 f.) in Einklang.
43
Auch im konkreten Fall des Antragstellers ergibt sich auf Basis einer Gesamtwürdigung aller Erkenntnismittel sowie der individuellen Umstände des Antragstellers und seines Vortrags nichts Anderes. Der Antragsteller hat keine Belange substantiiert vorgetragen, die systemische Mängel in Litauen aufzeigen. Es bestehen gerade keine erheblichen menschenrechtlichen Missstände, die ihm in Litauen drohen würden. Auch dass dem Antragsteller eine Kettenabschiebung nach Tadschikistan drohen soll, ist abwegig. Ihm ist der Zugang zu einem regulären, rechtsstaatlichen Asylverfahren in Litauen eröffnet (s.o.). So ist den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen insbesondere nicht zu entnehmen, dass der Zugang zum Asylverfahren für Schutzsuchende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Litauen überstellt werden, eingeschränkt wäre. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der litauische Gesetzgeber wegen des Massenzustroms von Flüchtlingen über die belarussisch-litauische Grenze im Juli bzw. August 2021 ein Gesetzespaket zur Änderung des Asylverfahrens verabschiedet hat, das die Rechte von Asylsuchenden erheblich beschnitt (BFA Österreich, S. 5 ff.). So sah Art. 140 Abs. 1, Abs. 2 LitAuslG im Falle der Ausrufung einer Notlage wegen eines massiven Zustroms von Ausländern vor, dass der Asylantrag eines illegal nach Litauen eingereisten Ausländers unzulässig ist und deswegen von den litauischen Behörden gar nicht erst entgegengenommen wird. Ausnahmen sah das Gesetz nur für vulnerable Personen oder bei individuellen Besonderheiten vor. Diese Vorschriften sind – ungeachtet der Tatsache, dass diese auf den Antragsteller ohnehin keine Anwendung finden würden, da eine nach Maßgabe der Art. 29 ff. Dublin III-VO erfolgte Überstellung als legale Einreise zu werten wäre, so dass der Antragsteller schon nicht als illegal eingereister Ausländer gelten würde (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 18.9.2024 zu A 19 K 470/23, S. 2; VG Berlin, B.v. 19.4.2023 – 22 L 80/23 A – juris Rn. 14) – mittlerweile außer Kraft getreten. Nachdem der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Verwaltungsgerichts von Litauen die Unvereinbarkeit der Notstandsregelungen des litauischen Ausländergesetzes mit europäischem Recht festgestellt hatte (vgl. EuGH, U.v. 30.6.2022 – C-72/22 – juris Rn. 46 ff.), regelt mittlerweile das Änderungsgesetz Nr. XIV-1889 vom 20. April 2023, in Kraft getreten am 3. Mai 2023, die Asylantragstellung unabhängig davon, ob ein Ausländer legal oder illegal nach Litauen eingereist ist (VG Berlin, B.v. 19.4.2023 – 22 L 80/23 A – juris Rn. 13; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 84). Auch ist die letzte Verlängerung der Notstandslage am 3. Mai 2023 ausgelaufen und seitdem nicht weiter verlängert worden (vgl. VG Bremen, B.v. 28.11.2023 – 1 V 2468/23 – juris Rn. 27; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 91). Nicht zuletzt aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens kann somit davon ausgegangen werden, dass die Notstandsregelungen von den Behörden nicht weiter angewandt werden bzw., falls dies doch geschehen sollte, ein Antragsteller als Dublin-Rückkehrer jedenfalls erfolgreich um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen kann. Dass das System des gerichtlichen Rechtsschutzes in Litauen insoweit einwandfrei funktioniert, zeigt alleine die Vorlage der Notstandsregelungen durch das Oberste Verwaltungsgericht von Litauen an den EuGH mit dem Antrag, im Eilverfahren hierüber zu entscheiden (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 26.8.2022 – 29 L 1620/22.A – juris Rn. 43 ff.; so auch VG Bremen, B.v. 28.11.2023 – 1 V 2468/23 – juris Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 113). Es ist dem Antragsteller auch zumutbar, ggf. die nach dem litauischen Rechtssystem vorgesehenen Rechtsbehelfe zu ergreifen, um seine Ansprüche durchzusetzen.
44
Auch ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller im Fall einer Überstellung nach Litauen von sogenannten „Pushbacks“, pauschalen Zurückschiebungen an den Außengrenzen, betroffen sein könnte. Zwar verabschiedete das Parlament im Mai 2023 Gesetzesänderungen, die die Befugnis von Grenzschützern enthielten, „Pushbacks“ durchzuführen (Amnesty Report, Litauen 2023, 24.4.2024, S. 2; United States Department of State, 2024 Trafficking in persons report Lithuania, 25.6.2024, S. 5). Allerdings ist bei der Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller Gefahr läuft, einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein, die Situation zu berücksichtigen, in der sich der betreffende Antragsteller bei der Überstellung oder nach der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu befinden droht (so hinsichtlich drohender „Pushbacks“ an der Grenze zwischen Polen und Belarus EuGH, U.v. 29.2.2024 – C-392/22 – juris Rn. 62 ff.). Da eine nach Maßgabe der Art. 29 ff. Dublin III-VO erfolgende Überstellung als legale Einreise zu werten sein dürfte, gilt der Antragsteller demnach schon nicht als illegal eingereister Ausländer (s.o.). Bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderungen im Mai 2023 waren den Erkenntnismitteln keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass auch Asylantragsteller, die sich bereits im Landesinneren befinden oder Dublin-Rückkehrer unter Verweis auf eine ursprünglich illegale Einreise über die belarussisch-litauische Grenze nach Belarus zurückgedrängt werden könnten oder ohne inhaltliche Prüfung ihrer Asyl(-folge) anträge in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Es bestehen insoweit auch keine Anhaltspunkte, dass sich dies geändert hat (vgl. zum Ganzen VG Cottbus, B.v. 15.6.2023 – 5 L 109/23.A – juris Rn. 21; VG Freiburg, U.v. 17.1.2023 – A 13 K 1760/22 – juris Rn. 29; VG Düsseldorf, U.v. 14.8.2023 – 22 K 6910/22.A – juris Rn. 94 ff.). Noch dazu ist der Antragsteller nie illegal über die belarussisch-litauische Grenze eingereist, sondern legal mittels eines litauischen Aufenthaltstitels zu Arbeitszwecken.
45
Soweit der Antragsteller vorgebracht hat, ihm drohe schon wegen seines annullierten Aufenthaltstitels in Litauen von dort aus die Abschiebung in das Heimatland, so lässt dies außer Acht, dass der Antragsteller zunächst in Litauen das Asylverfahren durchlaufen kann. Sollte ihm Schutz gewährt werden, kann er in Litauen verbleiben, sollte sein Asylantrag dort letzten Endes rechtskräftig abgelehnt werden, droht ihm zwar die Abschiebung nach Tadschikistan, was jedoch gleichermaßen für ein Asylverfahren in Deutschland gölte.
46
Schließlich ist, insbesondere nach Beendigung des ausgerufenen Notstandes, nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Antragsteller als Dublin-Rückkehrer inhaftiert oder in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht würde (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Karlsruhe vom 18.9.2024 zu A 19 K 470/23, S. 1 ff.; VG Freiburg, U.v. 17.1.2023 – A 13 K 1760/22 – juris Rn. 30).
47
dd) Individuelle, außergewöhnliche Gründe im Sinne des Art. 16 Dublin III-VO oder Umstände, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
48
ee) Schließlich stehen einer Abschiebung weder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“ – zu prüfen hat, noch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
49
(1) Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind bei summarischer Prüfung nicht zu ersehen. Es sind nicht in substantiierter Weise Umstände vorgetragen oder ersichtlich, aus denen eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung nach Litauen i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG resultieren könnte. Wenn der Antragsteller vorbringt, es sei wegen des annullierten litauischen Aufenthaltstitels rechtlich unmöglich, dass er nach Litauen abgeschoben wird, trifft dies nicht zu, wie die Regelungen des Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1, Abs. 1 Dublin III-VO zeigen.
50
Soweit der Antragsteller vorbringt, ihm könne eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG aus humanitären Gründen gewährt werden, ist festzuhalten, dass dies entsprechend der genannten Norm nur bei „dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen“ möglich ist, die seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Weiter handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Nach Aktenlage und Vortrag des Antragstellers kommt ein Anspruch auf eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3  AufenthG nicht in Betracht, da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Zudem wäre das Ermessen (§ 40 VwVfG) nicht auf Null reduziert.
51
Schließlich begründet die vorgebrachte schwache Sehfähigkeit kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis und ist überdies nicht entsprechend den Vorgaben des § 60a Abs. 2c Satz 2 bis 4 AufenthG geltend gemacht.
52
(2) Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt ebenfalls nicht in Betracht. Wie bereits unter II. 2. a) cc) erörtert, besteht für die Antragsteller bei einer Abschiebung nach Litauen insbesondere mit Blick auf die dortigen Lebensumstände für Asylsuchende bzw. anerkannte Schutzberechtigte nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.
53
(3) Schließlich ist auch für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nichts ersichtlich. Die vorgebrachte schwache Sehstärke genügt nicht und ist zudem nicht entsprechend § 60a Abs. 2c AufenthG dargelegt.
54
b) Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 AufenthG sind begründet.
55
Hierbei handelt es sich um eine rechtlich selbständige Regelung, was durch die Systematik in § 34a Abs. 2 AsylG deutlich wird. Will der Betroffene die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung hindern, muss er innerhalb der Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung stellen. Daneben besteht die Möglichkeit nach § 34a Abs. 2 Satz 3 AsylG um vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Abs. 2 AufenthG zu ersuchen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt, § 34a Abs. 2 Satz 4 AsylG.
56
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung fällt zugunsten des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (AN 18 K 25.50107) gegen Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 4. März 2025 aus, weil die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage insoweit voraussichtlich Erfolg haben wird. Denn das in Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids angeordnete und auf 60 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO.
57
Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AufenthG in Folge einer Abschiebungsanordnung (§ 34a AsylG), für die gemäß § 75 Nr. 12, § 11 Abs. 5c AufenthG das Bundesamt zuständig ist, ist als unteilbarer Verwaltungsakt anzusehen, insbesondere ist keine Aufspaltung in Anordnung und Befristung möglich. Daher sind Anordnung und Befristung insgesamt rechtswidrig und aufzuheben bzw. hier die aufschiebende Wirkung insgesamt anzuordnen, auch wenn sich lediglich die Ermessensentscheidung hinsichtlich der Befristung als rechtswidrig erweist (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 43. Ed. 1.10.2024, § 34a AsylG Rn. 37; BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47/20 – NVwZ 2021, 1842, 1842 f.; OVG M-V, U.v. 19.2.2024 – 4 LB 179/23 OVG – juris Rn. 17; VG Düsseldorf, B.v. 15.1.2025 – 24 L 3552/24 – juris Rn. 174 ff.; VG Würzburg, GB v. 14.1.2025 – W 6 K 24.50466 – juris Rn. 26).
58
Der Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 4. März 2025 findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dieses ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wobei die Frist außer in den hier nicht einschlägigen Fällen des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG maximal fünf Jahre betragen darf. Dies entspricht der europarechtlichen Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 der RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL), die ebenfalls fordert, dass die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und befristet wird sowie grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten darf. Mit der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate hat die Antragsgegnerin das ihr zukommende Ermessen fehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO ausgeübt.
59
Bei der Festsetzung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hat das Bundesamt unter präventiven Gesichtspunkten einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Schützenswert sind dabei solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln, etwa das durch Art. 6 GG, Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK geschützte Familien- und Privatleben (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 46/20 – juris Rn. 13 ff.; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 AufenthG Rn. 54). In der Rechtsprechung zu den durch das Bundesamt festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverboten hat sich die Linie herausgebildet, dass, wenn im konkreten Fall weder Umstände, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten des Ausländers vom Bundesgebiet erhöhen, noch gegenteilige, zu Gunsten des Ausländers sprechende Umstände und auch sonst keine Besonderheiten gegenüber gleichgelagerten Fällen erkennbar sind, es keinen Bedenken begegnet, wenn das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet, also die Hälfte des durch § 11 Abs. 3 Satz 2  AufenthG bzw. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL) eröffneten Rahmens ausschöpft (VG Würzburg, GB v. 14.1.2025 – W 6 K 24.50466 – juris Rn. 27 m.w.N.; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 AufenthG Rn. 57; s.a. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 46/20 – juris Rn. 27 f.; BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 64 [die letzteren beiden Entscheidungen betrafen jedoch keine Dublin-Verfahren]).
60
Gemessen an diesem Maßstab ist die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 4. März 2025 ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig (§ 114 Satz 1 VwGO). Es sind weder den Gerichts- und Behördenakten noch dem streitgegenständlichen Bescheid Umstände zu entnehmen, die es aus gefahrenabwehrrechtlichen, spezial- oder generalpräventiven Gründen angezeigt ließen, die Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von fünf Jahren auszuschöpfen, um den Antragsteller für diesen Zeitraum nach unterstellter Abschiebung dem Bundesgebiet fernzuhalten. Dies räumt die Antragsgegnerin selbst ein, wenn sie schreibt, dass „auf der anderen Seite keine Anhaltspunkte vor[liegen], die das Festsetzen einer höheren Frist rechtfertigen würden“, auch wenn dies wohl darauf gemünzt ist, dass sie nicht die Ausnahmetatbestände des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5a AufenthG in Anspruch nehmen will. Bei der Ermessensausübung hat sich die Antragsgegnerin jedoch innerhalb der einschlägigen Norm zu bewegen und das ist § 11 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG mit der vorgesehenen Maximalfrist von fünf Jahren; § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG sind offensichtlich nicht eröffnet.
61
Soweit die Antragsgegnerin ausführt, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen verfüge, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären und er auch sonst keine Belange vorgetragen habe, die es angezeigt erscheinen ließen, eine kürzere Frist festzusetzen, trifft dies in tatsächlicher Hinsicht zu. Dies alleine ist jedoch nicht hinreichend, um das Ermessen in Richtung einer nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG maximal möglichen Befristung von 60 Monaten zu lenken. Für die Wahl der Höchstfrist reicht es nicht aus, dass es keine besonderen, zu Gunsten des Antragstellers sprechenden Momente gibt, sondern es müssten umgekehrt über das allgemein durch § 11 Abs. 1 AufenthG legitimierte öffentliche Interesse, den Ausländer nach erfolgter Ausreise bzw. Abschiebung eine bestimmte Zeit nicht wieder in das Bundesgebiet einreisen zu lassen – denn diesem Interesse dient auch ein Ausreise- und Aufenthaltsverbot befristet auf weniger als 60 Monate –, besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, den Antragsteller nach einer Ausreise oder Abschiebung so lange wie gesetzlich höchstens erlaubt vom Bundesgebiet fernzuhalten. Solche Anhaltspunkte könnten etwa sein, dass es sich um eine wiederholte Einreise nach bereits erfolgter Abschiebung handelt, erhebliche Straftaten vorliegen, gefälschte Dokumente genutzt oder Mitwirkungspflichten verletzt wurden. Aber auch generalpräventive Erwägungen dürfen grundsätzlich eine Rolle spielen (zum Ganzen Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 AufenthG Rn. 54 ff.). Die Antragsgegnerin hat hierzu zwar vorgebracht, dass die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht so niedrig angesetzt werden darf, dass die Regelung ihren Zweck verfehle, dem Antragsteller die Konsequenzen für den unrechtmäßigen Aufenthalt aufzuzeigen und dass zu berücksichtigen sei, dass die Ausweisung bzw. Abschiebung von Ausländern regelmäßig einen deutlich höheren Aufwand bedeute, als wenn jene ihrer Ausreisepflicht nachkämen. Dies sind grundsätzlich zulässige (generalpräventive) Erwägungen, die aber auf jede Abschiebungsordnung zutreffen dürften und einen Teil des Sinns und Zwecks der Regelung des § 11 Abs. 1
62
AufenthG bilden und somit ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht das Festsetzen der gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG grundsätzlich möglichen Höchstfrist von fünf Jahren rechtfertigen.
63
Daher war die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes vom 4. März 2025 insgesamt anzuordnen.
64
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO.
65
Nachdem der Antragsteller hinsichtlich der Ziffern 1. bis 3. des streitgegenständlichen Bescheides (Unzulässigkeitsentscheidung, Verneinung Abschiebungsverbote, Abschiebungsanordnung) unterliegt und hinsichtlich Ziffer 4. (Anordnung und Befristung Einreise- und Aufenthaltsverbot) obsiegt, erscheint eine Quotelung im Verhältnis ¾ zu ¼ angemessen. Zwar sind Antragsgegenstand nur die Ziffern 3. und 4., jedoch werden die Ziffern 1. und 2. im Rahmen der Ziffer 3. geprüft.
66
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
67
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.