Titel:
Eigentümerversammlung, Wohnungseigentümergemeinschaft, Einzelner Wohnungseigentümer, Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, Kostenobergrenze, Elektronisches Dokument, Ausschließliche Zuständigkeit, Ermessensausübung, Schriftliches Verfahren, Streitwertbestimmung, Elektronischer Rechtsverkehr, Wirtschaftlichkeitsgebot, Wohnungseigentumsgemeinschaft, Binnenstreitigkeiten, Beschlüsse, Bauliche Veränderung, Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung
Normenkette:
WEG § 19
Leitsätze:
1. Die Nennung eines Kostenrahmens oder einer Kostenobergrenze bei Beschlüssen über Erhaltungsmaßnahmen oder bauliche Veränderungen ist wesentliche Tatsachengrundlage für die Ermessensausübung der Wohnungseigentümer. Dies gilt umso mehr als diese auch das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten haben.
2. Wird ein Kostenrahmen oder eine Kostenobergrenze im Beschluss nicht genannt, widerspricht der Beschluss dem Grundsatz ordnungsgemäßer Verwaltung.
3. Das Erfordernis der Nennung eines Kostenrahmens oder einer Kostenobergrenze gilt auch für den Fall der Fassung eines Grundlagenbeschlusses, weil bereits hier feststehen muss, ob die Leistungsfähigkeit der GdWE und der einzelnen Wohnungseigentümer gegeben ist und letztere auch wissen müssen, welche voraussichtlichen Kosten auf sie zukommen.
Schlagworte:
Beschlussanfechtung, Wohnungseigentümergemeinschaft, Verwaltervertretung, Ordnungsgemäße Verwaltung, Kostenrahmen, Kostenobergrenze, Streitwertberechnung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5927
Tenor
1. Der in der ordentlichen Eigentümerversammlung der WEG Wolfratshauser Str. 55, 55 a, 55 b, 8. E. vom 29.07.2024 zu TOP 6 „Wiederherstellung Hof gem. Ursprung“ gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages.
4. Der Streitwert wird auf € 20.000,00 festgesetzt
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Sondereigentümerin in der WEG W… Ebenhausen, die Beklagte ist die Wohnungseigentumsgemeinschaft als Verband.
2
In der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 29.07.2024 wurde unter TOP 6 folgender Beschluss gefasst:
„TOP 6 Wiederherstellung Hof gem. Ursprung
Die Verwaltung verweist hier auf die Ausführungen der Eigentümer W***-L*** mit Schreiben vom 29.07.2024 welches dem Protokoll in Kopie beigefügt ist.
Die Verwaltung kann aus den beigefügten Anmerkungen zu diesem Tagesordnungspunkt keine Fragen an die Hausverwaltung erkennen wodurch auch keine Fragen durch den Verwalter beantwortet werden können.
Weiter weist die Verwaltung darauf hin, dass die Kosten gem. WEG § 21 Ziffer 3 der Maßnahme die Eigentümer zu tragen haben, die sie beschlosssen [sic] haben. Sollte der Beschuss mit einer 3/4 Mehrheit beschossen [sic] werden, haben alle Eigentümer die Kosten der Maßnahme zu tragen. Die Verteilung erfolgt immer nach Miteigentumsanteilen. Die Eigentümergemeinschaft beschließt, im Hof der WEG die im Gemeinschaftseigentum stehende Bepflanzung, wie in Anlage 1 der zu der Einladung mitversandten Pflanzskizze dargestellt, im Rahmen einer baulichen Veränderung umzugestalten.
Die konkrete Umgestaltung ergibt sich aus der als Anlage 1 zu der Einladung mitversandten Pflanzskizze. Die auf den Seiten 1 und 2 der Anlage 1 mit den Nummern 1 bis 10 und 12 bis 24 an den konkreten Stellen eingezeichneten Pflanzen und der mit Nr. 11 bezeichnete Staketenzaun, die sich aktuell dort befinden, werden entfernt. Auf den Seiten 3 bis 5 der Anlage 1 sind Lichtbilder (Stand 30.04.2024) der zu entfernenden Pflanzen dargestellt.
Nach Entfernung der auf den Seiten 1 und 2 der Anlage 1 eingezeichneten Pflanzen und des Staketen – zauns erfolgt eine Neubepflanzung an den Stellen und mit den Pflanzen, wie dies auf den Seiten 6 und 7 der Anlage 1 dargestellt ist.
Die Hausverwaltung wird ermächtigt und beauftragt, 3 Angebote von Fachfirmen einzuholen, um die in Anlage 1 dargestellte Umgestaltung des Hofes durchzuführen. Die Kosten für die Umgestaltung des Hofes haben die Wohnungseigentümer, die sie beschlossen haben, nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2 WEG) zu tragen. Die Entscheidung Ober die Auftragsvergabe der Maßnahmen erfolgt in der nächsten Eigentümerversammlung.
Feststellung und Verkündung
Beschlussregel: einfache Mehrheit
Abstimmungsergebnis: abgegebene MEA = 1.000.000
58,00 % der abgegebenen MEA stimmten ja.
Der Beschluss wurde angenommen."
3
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll der ETV vom 29.07.2024 – Anlage K1 –, verwiesen.
4
Die Klägerin macht u.a, geltend, dass Im streitgegenständlichen Beschluss weder ein Kostenrahmen noch eine Kostenobergrenze beschlossen worden ist und daher der Beschluss nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht.
7
Die Beklagte macht u.a. geltend, dass der fehlende Kostenrahmen oder eine Kostenobergrenze nicht zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen. Dies ist insbesondere deshalb unschädlich, weil über das konkrete Angebot mit den damit verbundenen Kosten, welches letztendlich in Auftrag gegeben wird, erst noch einmal gesondert beschlossen werden muss.
8
Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteienvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
9
Beide Parteien haben sich mit dem schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt, so dass das Gericht gem. § 128 II ZPO das schriftliche Verfahren angeordnet hat.
Entscheidungsgründe
10
Die zulässige Klage ist begründet
11
1. Für eine Binnenstreitigkeit, also einen Rechtsstreit, der § 43 Abs. 1 WEG unterfällt, ist das Gericht örtlich ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück, hier Amtsgericht München, liegt.
12
2. Das WEG-Gericht ist sachlich ausschließlich zuständig gem. § 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG i.V.m. § 23 Nr. 2 Buchstabe c) GVG für Beschlussklagen.
13
3. Gemäß § 9 b Abs. 1, S. 1 WEG wird die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durch den Verwalter gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Der Verwalter ist unbeschränkt und unbeschränkbar vertretungsberechtigtes Organ der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Auf die Existenz eines legitimierenden Beschlusses kommt es bis auf die Ausnahmen von Grundstückskauf und Darlehensverträgen nicht mehr an (vgl. Lehmann Richter Wobst, WEG-Reform 2020, 1. Aufl., Rd.Nr. 229).
14
II. Die Klage ist begründet,
1. Der Beschluss der ETV vom 29.07.2024 zu TOP 6 ist aus den von der Klägerin – innerhalb der Beschlussanfechtungsbegründungsfrist gem. § 45 WEG vorgebrachten Beschlussanfechtungsgründenfür ungültig zu erklären und entspricht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
15
Im streitgegenständlichen Beschluss wurde weder ein Kostenrahmen genannt noch eine Kostenobergrenze beschlossen.
16
Der Kostenaufwand für die Erhaltung/bauliche Maßnahme ist ein zentraler Faktor für die Ermessensausübung der Wohnungseigentümer beim Beschluss über Erhaltungsmaßnahmen und baulichen Veränderungen. Die WEer haben das Gebot der Wirtschaftlichkeit ebenso zu beachten wie die Leistungsfähigkeit der GdWEer und der einzelnen – nicht zu überfordernden – WEer (Siehe etwa BGH ZWE 2015, 88 Rn. 10; OLG Frankfurt a. M. ZWE 2011, 86 (87); BayObLG NZM 2002, 531 (532); LG Hamburg ZWE 2013, 460 (461); LG Köln ZWE 2011, 50 (51); AG Konstanz ZMR 2013, 754 f.)
17
Im streitgegenständlichen Beschluss wurde jedoch weder ein Kostenrahmen genannt noch eine Kostenobergrenze beschlossen. Dies führt dazu, dass die Eigentümer keinerlei Kenntnis darüber haben, welche Kosten auf sie zukommen und das, obwohl hier ein Durchführungsbeschluss bereits gefasst wurde. Ein Beschluss entspricht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn für die Eigentümer nicht absehbar ist welche Kosten auf Sie zukommen, (vgl. auch AG München, Urteil vom 31.08.2016 – 481 C 6343/16 WEG).
18
Dies gilt auch – entgegen der Auffassung der Beklagten – bei einem Grundlagenbeschluss, der hier gefasst wurde –, denn es muss u.a. feststehen, ob die Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft und auch der einzelnen Wohnungseigentümer gegeben ist vor der Beschlussfassung und dazu müssen die Wohnungseigentümer wissen, welche voraussichtlichen Kosten auf sie zukommen werden. Diese Angaben fehlen aber hier, denn es wurde weder ein Kostenrahmen festgesetzt, noch eine Kostenobergrenze bestimmt.
19
Der Klage war daher bereits aus diesem Grunde stattzugeben, so dass es auf die weiteren Beschlussanfechtungsgründe nicht mehr ankommt.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 I ZPO.
21
Der Streitwert errechnet sich gem. § 49 S. 2 GKG anhand des 7,5 × Einzelinteresses der Klägerin wie folgt:
„Die geschätzten Gesamtkosten der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands des Hofs, belaufen sich geschätzt auf € 20.000,00. Der MEA der Kläger beträgt 210.000/1.000.000. Das Einzelinteresse beläuft sich daher auf € 4.200 × 7,5 = € 31.500,00. Da hier das 7,5fache Interesse der Klagepartei höher wäre als der Gesamtstreitwert von € 20.000,00, ist der Gesamtstreitwert von € 20.000,00 streitwertbestimmend.“