Titel:
Schriftlicher Schulverweis
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 1 Alt. 1
BayEUG Art. 86 Abs. 2 Nr. 1, Art. 88 Abs. 8
Leitsätze:
1. Bei der Ordnungsmaßnahme des schriftlichen Verweises gem. Art. 86 Abs. 2 Nr. 1 BayEUG handelt es sich um eine schlicht-hoheitliche Maßnahme der Schule, nicht jedoch um einen Verwaltungsakt iSv Art. 35 S. 1 BayVwVfG. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch nach der Neufassung des BayEUG gilt Art. 88 Abs. 8 BayEUG weiterhin nur für solche Maßnahmen, gegen die Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich statthaft sind. Von seiner bisherigen Vorstellung, dass es sich beim schriftlichen und beim verschärften Verweis nicht um Verwaltungsakte, sondern um schlicht-hoheitliche Maßnahmen handelt, ist der Gesetzgeber durch die Neuformulierung nicht abgerückt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Statthaftigkeit der Anfechtungsklage, Schriftlicher Verweis, Anfechtungsklage, Schulrecht, Verwaltungsakt, Ordnungsmaßnahme, schriftlicher Verweis, verschärfter Verweis, Regelungswirkung, aufschiebende Wirkung, Realakt
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 20.02.2025 – AN 2 K 22.563
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5910
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen nicht vor.
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Der Kläger wendet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. Februar 2024, mit dem dieses seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Aufhebung des von der Friedrich-Wilhelm-Herschel-Mittelschule am 27. Oktober 2021 erteilten Verweises (Art. 86 Abs. 2 Nr. 1 BayEUG) abgelehnt hat. Das Verwaltungsgericht führt aus, die Klage habe nach dem im Prozesskostenhilfeverfahren maßgeblichen Prognosemaßstab keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Diese Einschätzung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
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1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfG, B.v. 28.7.2022 – 2 BvR 1814/21 – juris Rn. 18; BVerfG, B.v. 8.12.2020 – 1 BvR 149/16 – juris Rn. 13).
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2. Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine Aussicht auf Erfolg.
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a) Die am 24. Februar 2022 ausdrücklich mit dem Antrag auf Aufhebung des Verweises vom 27. Oktober 2021 erhobene Klage ist unzulässig. Eine Anfechtungsklage ist für das Begehren des Klägers nicht statthaft, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. Mit der Anfechtungsklage kann nur die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Bei der Ordnungsmaßnahme des schriftlichen Verweises gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 1 BayEUG handelt es sich um eine schlicht-hoheitliche Maßnahme der Schule, nicht jedoch um einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG. Einem schriftlichen Verweis kommt keine – für die Annahme eines Verwaltungsakts zwingend vorauszusetzende – Regelungswirkung zu. Er ist Ausdruck einer pädagogischen Missbilligung, enthält jedoch keine Einzelfallregelung. Er erschöpft sich in seiner pädagogischen Bedeutung und soll den Schüler dazu anhalten, sein Verhalten zu überdenken und es (künftig) der Ordnung in der Schule anzupassen (vgl. zum verschärften Verweis gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 2 BayEUG: BayVGH, U.v. 10.3.2010 – 7 B 09.1906 – juris Rn. 19; Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Stand Februar 2025, Art. 86 BayEUG Anm. 6.4; Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 460).
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Entgegen dem klägerischen Vorbringen im Klageverfahren steht dem Art. 88 Abs. 8 BayEUG nicht entgegen. Dass Widerspruch und Anfechtungsklage entgegen § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben, gilt nur für solche Maßnahmen, gegen die Widerspruch und Anfechtungsklage statthafte Rechtsbehelfe sind (§ 42 Abs. 1 Satz 1, § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. BayVGH, U.v. 10.3.2010 a.a.O. Rn. 21 zur damals geltenden Regelung des Art. 86 Abs. 14 BayEUG i.d.F. v. 26.7.2005). Mit dem Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen und des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes vom 23. Juni 2016 nahm der Gesetzgeber im Abschnitt XIV eine Umstrukturierung vor, die zur heutigen Formulierung von Art. 88 Abs. 8 BayEUG führte. Im Vergleich zu Art. 86 Abs. 14 BayEUG a.F. ist Art. 88 Abs. 8 BayEUG n.F. zwar allgemeiner gefasst, weil er sich nach seinem Wortlaut auf sämtliche Ordnungsmaßnahmen sowie auf Sicherungsmaßnahmen nach Art. 87 BayEUG bezieht. Trotz der Neuformulierung von Art. 88 Abs. 8 BayEUG ist der Gesetzesbegründung der Bayerischen Staatsregierung (vgl. LT-Drs. 17/10311 S. 16) jedoch eindeutig zu entnehmen, dass die Vorschrift weiterhin nur für solche Maßnahmen gilt, gegen die überhaupt Widerspruch und Anfechtungsklage statthaft sind. Von seiner bisherigen Vorstellung, dass es sich beim schriftlichen und beim verschärften Verweis nicht um Verwaltungsakte, sondern um schlicht-hoheitliche Maßnahmen handelt, ist der Gesetzgeber durch die Neuformulierung nicht abgerückt.
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b) Ob das Verwaltungsgericht nach § 88 VwGO im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 20. Februar 2025 gehalten gewesen wäre, den von der Prozessbevollmächtigten, die den Kläger bereits erstinstanzlich vertrat, explizit gestellten Anfechtungsantrag als Feststellungsantrag i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO auszulegen, kann vorliegend offenbleiben. Die zwischenzeitlich durch Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 6. März 2025 erfolgte „Klageergänzung“ in Gestalt der Feststellungsklage ist jedenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls unzulässig.
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Für die Zulässigkeit der Feststellungsklage ist als qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis, ein berechtigtes Feststellungsinteresse nötig. Ein solches ist nach allgemeiner Ansicht jedes Interesse rechtlicher oder schutzwürdiger tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher oder ideeller Art. Entscheidend ist, dass die begehrte Feststellung geeignet ist, die Rechtsposition des Klägers zu verbessern (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 43 Rn. 30; Wysk in Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 43 Rn. 51). Bei vergangenen Rechtsverhältnissen setzt das berechtigte Interesse eine Wiederholungsgefahr oder ein berechtigtes Rehabilitationsinteresse voraus.
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Das durch den schriftlichen Verweis begründete Rechtsverhältnis zwischen Schule und Kläger bestand im Bewilligungszeitraum nicht mehr. Mit dem Verlassen der Friedrich-Wilhelm-Herschel-Mittelschule zum Ende des Schuljahres 2021/2022 gehörte es der Vergangenheit an. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger ursprünglich ein berechtigtes Feststellungsinteresse für sich in Anspruch hätte nehmen können – fehlt dem schriftlichen Verweis doch jegliche Auswirkung auf den Ausbildungsgang und das Ansehen des Schülers (vgl. Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Art. 86 BayEUG Anm. 6.4) –, ist mittlerweile jedenfalls weder eine Wiederholungsgefahr noch ein Rehabilitationsinteresse anzunehmen. Eine Wiederholungsgefahr scheidet bereits wegen des erfolgten Schulwechsels aus. Für ein berechtigtes Rehabilitationsinteresse bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Weder erlangte die (Schul)Öffentlichkeit der Friedrich-Wilhelm-Herschel-Mittelschule Kenntnis vom Verweis des Klägers, noch die vom Kläger im Schuljahr 2022/2023 besuchte Mittelschule Hummelsteiner Weg. Bei einem Wechsel zwischen öffentlichen Schulen werden nur die in § 39 Abs. 1 Satz 1 BaySchO aufgeführten Unterlagen, insbesondere der Schullaufbahnbogen weitergegeben. In den Schullaufbahnbogen werden gemäß § 37 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f BaySchO die für den schulischen Bildungsweg wesentlichen Feststellungen, u.a. ausgesprochene Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 bis 12 BayEUG, nicht jedoch ein schriftlicher Verweis nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 1 BayEUG aufgenommen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen für den Fall, dass die Beschwerde zurückgewiesen oder verworfen wird, kostenpflichtig. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO im Beschwerdeverfahren nicht statt.
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Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der streitwertunabhängigen Festgebühr in Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).