Titel:
Anspruch auf Widerruf einer Äußerung des Bürgermeisters
Normenketten:
BGB § 1004 analog
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Aussage, dass eine Person offenbar Kenntnis von Verkaufsverhandlungen besessen und er auf die Verkäufer (mit dem Ziel einer Verhinderung des Verkaufs) massiv eingewirkt habe, ist als Tatsachenbehauptung anzusehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Öffentliche Stellen tragen, wenn sie in einen grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich eingreifen, die Beweislast für die gesetzlichen Voraussetzungen dieses Eingriffs entsprechend den für die Beweislast im Anfechtungsrechtsstreit geltenden Grundsätzen. Dies gilt namentlich dann, wenn sich der Betroffene gegenüber einer von ihm bestrittenen Tatsachenbehauptung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht beruft (vgl. BVerwG BeckRS 2008, 38054 Rn. 41 f.). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf einer Äußerung des ersten Bürgermeisters, Anspruch auf Folgenbeseitigung, Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Beweislast des Hoheitsträgers bei Eingriffen in Freiheitsrechte, Tatsachenbehauptung, Folgenbeseitigungsanspruch, Bürgermeister, Beweislast
Vorinstanz:
VG Ansbach vom 09.08.2023 – AN 4 K 21.00336
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5908
Tenor
I.Der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. August 2023 verurteilt, in seinem Mitteilungsblatt und in der nächsten öffentlichen Sitzung des Gemeinderats zu erklären, dass die Aussage seines ersten Bürgermeisters, der Kläger habe von den Kaufverhandlungen bezüglich der Grundstücke im Bereich des geplanten Industriegebietes „West 2“ offenbar Kenntnis gehabt und massiv auf die Verkäufer eingewirkt, unrichtig gewesen ist.
II.Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstrecken-den Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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1. Der Kläger, der seit dem 1. Mai 2020 dem Gemeinderat des Beklagten angehört, wendet sich gegen eine Äußerung von dessen erstem Bürgermeister.
2
Die Niederschrift zur Gemeinderatssitzung am 16. September 2019, Punkt 8.2, und das an alle Haushalte im Gemeindegebiet kostenlos verteilte Mitteilungsblatt des Beklagten, Ausgabe Mai 2020, Rubrik „Informationen aus dem Gemeinderat – nichtöffentliche Sitzungen, Sitzung des Marktgemeinderates vom 16. September 2019“ enthielten jeweils den folgenden Text:
„Bürgermeister H. gibt bekannt, dass das Kommunalunternehmen Grundstücke im Industriegebiet West II von der Familie … erworben hat, welche für die eventuelle Verlegung der Kreisstraße wichtig sein könnten. Bei dieser Gelegenheit betont der 1. Bürgermeister die Wichtigkeit der Verschwiegenheit der Verwaltungsräte im KU, der Marktgemeinderäte sowie der Verwaltung. Der Verwaltungsrat handelt im Auftrag des Marktgemeinderates und gerade bei Verhandlungen in Millionenhöhe sind diese andernfalls gefährdet. Die Verhandlungen mit … standen kurz vor dem Scheitern, da Herr [namentliche Nennung des Klägers] offenbar Kenntnis davon hatte und massiv auf die Verkäufer einwirkte.“
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 26. Mai 2020 erklärte der Kläger, die Aussage, er habe von den Verkaufsverhandlungen mit der betreffenden Familie Kenntnis gehabt und massiv auf die Verkäuferfamilie eingewirkt, sei unwahr. Der Beklagte werde aufgefordert, im Mitteilungsblatt für Juni 2020 eine Richtigstellung abzudrucken, derzufolge er keinerlei Kenntnis von Grundstücksverhandlungen gehabt und nicht massiv auf die Verkäufer eingewirkt habe; dieser Text solle auch in der nächsten öffentlichen Gemeinderatssitzung vorgetragen bzw. verlesen werden.
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Der Beklagte ließ dazu mitteilen, da der Grundstücksverkauf abgeschlossen sei, beabsichtige er weder gegenwärtig noch zukünftig, sich erneut hierzu zu erklären. Allein die Behauptung, der Kläger habe von den Grundstücksverhandlungen keinerlei Kenntnis gehabt und nicht versucht, in irgendeiner Weise Einfluss zu nehmen, rechtfertige den Widerrufsanspruch nicht und erscheine angesichts der Informationslage des Beklagten wenig glaubwürdig. Der Kläger und seine Gattin seien bekanntermaßen engagierte Gegner des Gewerbegebiets. Der Beklagte gehe demnach davon aus, dass der Kläger Kenntnis von den Grundstücksverhandlungen gehabt habe.
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Aufgrund einer Beschwerde des Klägers teilte der Bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz mit Schreiben vom 16. März 2021 mit, die Offenbarung des Nachnamens des Klägers und seines Verhaltens stelle eine Datenverarbeitung dar, für die der Beklagte keine Befugnis nachgewiesen habe. Der Beklagte entfernte daraufhin das Mitteilungsblatt aus dem Internet.
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Mit rechtskräftigen Urteil vom 16. August 2022 verpflichtete das Landgericht Nürnberg-Fürth den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro an den Kläger und wies die mit einem Mindestbetrag von 5.000 Euro bezifferte Klage im Übrigen ab. Der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz ergebe sich aus Art. 37 BayDSG und Art. 34 GG, da der Beklagte mit der Offenbarung des Nachnamens des Klägers und der weiteren Umstände seines vermeintlichen Tätigwerdens schuldhaft gegen Art. 5 BayDSG verstoßen habe. Ein Anspruch auf ein über 500 Euro hinausgehendes Schmerzensgeld bestehe dagegen nicht, da das dem Kläger in der Veröffentlichung zugeschriebene Verhalten nicht geeignet sei, ihn öffentlich herabzuwürdigen, verächtlich zu machen oder in seiner Ehre zu verletzen. Zwischen einer negativ formulierten (unwahren) Tatsachenäußerung und einer herabwürdigenden (unwahren) Tatsachenäußerung bestehe ein entscheidungserheblicher Unterschied. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gebe keinen Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldanspruch für jegliche unwahre Tatsachenbehauptung.
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2. Zur Durchsetzung des geltend gemachten Anspruchs auf Widerruf und Richtigstellung erhob der Kläger eine Klage beim Amtsgericht Schwabach, die mit Beschluss vom 17. Februar 2021 an das Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen wurde.
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Der Kläger beantragte, den Beklagten zum Widerruf und zur Richtigstellung der ihn betreffenden Aussage im gemeindlichen Mitteilungsblatt und in der nächsten öffentlichen Gemeinderatssitzung zu verurteilen, hilfsweise die Rechtswidrigkeit der Aussage festzustellen. Die in dem Mitteilungsblatt getroffene Aussage, er habe von den Verhandlungen mit der betreffenden Familie Kenntnis gehabt und massiv auf die Verkäuferfamilie eingewirkt, sei unwahr. Für die Wahrheit der behaupteten Tatsachen treffe im Rahmen des Unterlassungsanspruchs den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast. Grundsätzlich sei die Unwahrheit der Behauptung zwar von demjenigen zu beweisen, der sich gegen die Äußerung wende, jedoch trete bei einer üblen Nachrede eine Beweislastumkehr ein. Das einzige Gespräch zwischen dem Kläger und der Verkäuferfamilie habe am 6. Oktober 2018 im Zuge der Unterschriftensammlung für ein vom Kläger mitinitiiertes Bürgerbegehren stattgefunden; dabei sei zu keiner Zeit über Grundstücksverkäufe gesprochen worden.
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Der Beklagte beantragte Klageabweisung und trug vor, an den ersten Bürgermeister sei von Seiten der Verkäuferfamilie herangetragen worden, dass die Familie des Klägers diese wegen des Grundstücksverkaufs direkt und konkret konfrontiert habe; daher hätten die Verhandlungen kurz vor dem Scheitern gestanden. In der nichtöffentlichen Ratssitzung am 16. September 2019 habe der erste Bürgermeister nicht erklärt, dass der Kläger von den Verkaufsverhandlungen Kenntnis gehabt und massiv auf die Käufer eingewirkt habe, sondern nur, dass dies „offenbar“ der Fall gewesen sei. Auch in der Klageschrift werde nicht in Abrede gestellt, dass der Kläger auf die Verkaufsverhandlungen Einfluss zu nehmen versucht habe. Der Beklagte beabsichtige nicht, diesen nach dem Kauf des Grundstücks 2019 längst abgeschlossenen Sachverhalt in irgendeiner Weise erneut zu thematisieren.
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3. Mit Urteil vom 9. August 2023 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Ein Widerruf sei ausgeschlossen, weil es sich hier um ein Werturteil handle. Mit Widerrufsklagen könnten allein Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch subjektive Wertungen bekämpft werden. Eine Tatsache sei einer Überprüfung auf ihren Wahrheits- und Richtigkeitsgehalt, mithin dem Beweis zugänglich. Bei Tatsachenbehauptungen stehe die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund. Wenn Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen miteinander verbunden seien und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachten, sei eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht werde. Wo dies nicht möglich sei, müsse die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohe. Hiernach erweise sich die angegriffene Äußerung als ein Werturteil. Sie weise zwar einen gewichtigen Tatsachenkern auf. Beim Leser bleibe aber die Aussage haften, der Bürgermeister habe die starke Vermutung aufgrund eigener Kenntnisse, dass der Kläger Kenntnis von den Verhandlungen der betreffenden Familie mit der Gemeinde habe und versuche, diese mit unlauteren Mitteln zu beeinflussen. Die Behauptung der Kenntnis und der Einflussnahme betreffe nicht den klägerischen Ehrschutz, sondern vermittle den Eindruck, dass der Kläger dies mit unlauteren Mitteln versucht habe. Dieser Eindruck finde seinen Anknüpfungspunkt nicht in den behaupteten Tatsachen, sondern im Begriff des „massiven Einwirkens“, dem ein weiter Interpretationsspielraum zukomme. Erst in Verbindung mit dem Adjektiv „massiv“ werde aus dem nicht verwerflichen Einwirken auf die Verkäuferfamilie ein mögliches vorwerfbares Verhalten. Da die Frage, ob das Einwirken auch „massiv“ gewesen sei, nicht dem Beweis zugänglich sei, handle es sich um eine Wertung des ersten Bürgermeisters.
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4. Mit der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Er trägt vor, der Beklagte habe in rechtswidriger Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen. Der rechtswidrig geschaffene Zustand dauere nach wie vor an; der Kläger sei weiterhin Mitglied des Gemeinderats des Beklagten. Die streitgegenständliche Veröffentlichung habe nicht nur seinen Ruf als Ratsmitglied beschädigt, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und den anderen Ratsmitgliedern sowie der Gemeindeverwaltung erheblich gestört. Dieser Zustand könne nur beseitigt werden, indem öffentlich klargestellt werde, dass die im Mitteilungsblatt veröffentlichte Behauptung falsch gewesen sei. In der im Mitteilungsblatt veröffentlichten Aussage gehe es um eine Tatsache, nämlich ob der Kläger in Kenntnis von laufenden Grundstücksverhandlungen auf die Verkäuferfamilie eingewirkt habe mit dem Ziel, den Verkauf von Grundstücken an den Beklagten zu verhindern. Sprachlich mache es keinen Unterschied, ob man das Verb „einwirken“ verwende oder etwa die Wendung „mit Nachdruck darum bitten“. Ob dieses Einwirken „massiv“ gewesen sei oder nicht, berühre ebenfalls nicht den Kern der Aussage. Der erste Bürgermeister des Beklagten habe kein berechtigtes Interesse gehabt, den Verdacht einer Tatsache publik zu machen, ohne den Wahrheitsgehalt dieser Tatsachenbehauptung vorher zu prüfen. Vor jeder Verdachtsberichterstattung müsse regelmäßig versucht werden, eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen; eine vorherige Befragung des Klägers sei aber unterlassen worden. Im Vordergrund der streitgegenständlichen Äußerung habe nicht die subjektive Meinung des ersten Bürgermeisters gestanden, sondern der Verdacht einer Tatsache.
- 1.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. August 2023 – AN 4 K 21.00336 – wird abgeändert.
- 2.
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Der Beklagte wird verurteilt, zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Behauptung „Die Verhandlungen mit der Familie, in deren Eigentum sich die Grundstücke im Bereich des geplanten Industriegebietes ‚West 2‘ befinden, standen kurz vor dem Scheitern, da Hr. D. offenbar davon Kenntnis hatte und massiv auf die Verkäufer einwirkte“ im Mitteilungsblatt des Beklagten und in der nächsten öffentlichen Sitzung des Gemeinderats zu widerrufen bzw. richtigzustellen.
- 3.
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Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass der Abdruck der Aussage „Die Verhandlungen mit der Familie standen kurz vor dem Scheitern, da Herr D. offenbar Kenntnis davon hatte und massiv auf die Käufer einwirkte“ im Mitteilungsblatt des Beklagten rechtswidrig war und den Kläger in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt hat.
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Der Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Berufungsbegründung des Klägers geäußert.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der Senat kann aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten über die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. August 2023 hat Erfolg. Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Folgenbeseitigung. Die streitgegenständliche, dem Beklagten zuzurechnende Äußerung stellte eine Tatsachenbehauptung dar (1.), die unrichtig war bzw. von deren Unrichtigkeit jedenfalls auszugehen ist und die den Kläger daher in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzte (2.). Da die Rechtsverletzung weiterhin andauert, hat der Kläger einen Anspruch auf Folgenbeseitigung in Form einer inhaltlichen Richtigstellung (3.).
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1. Die in der Niederschrift zur Gemeinderatssitzung am 16. September 2019 unter Punkt 8.2 protokollierte und im Mitteilungsblatt des Beklagten, Ausgabe Mai 2020, Seite 4, nochmals wiedergegebene Äußerung seines ersten Bürgermeisters, der namentlich genannte Kläger habe von den Verkaufsverhandlungen des Kommunalunternehmens mit einer bestimmten Familie offenbar Kenntnis gehabt und massiv auf die Verkäufer eingewirkt, ist entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht als eine bloße Meinungsäußerung im Sinne eines Werturteils anzusehen. Vielmehr lag darin, wie auch das Landgericht Nürnberg-Fürth in seinem Urteil vom 16. August 2022 angenommen hat, eine die Person und das Verhalten des Klägers betreffende und aus zwei Teilelementen bestehende Tatsachenbehauptung.
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a) Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend; insofern lassen sie sich nicht als wahr oder unwahr erweisen (BVerfG, B.v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94 – BVerfGE 90, 241/247 m.w.N.). Dagegen steht bei Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund; sie sind einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich (BVerfG, a.a.O.; B.v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91 – BVerfGE 94, 1/8). Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/92 u.a. – BVerfGE 93, 266/295 m.w.N.). Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird; wo das nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden (BVerfG, B.v. 13.4.1994, a.a.O., 248 m.w.N.).
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b) Ausgehend von diesen für Art. 5 Abs. 1 GG geltenden Maßstäben, die auch auf hoheitliche Äußerungen von Amtsträgern anwendbar sind, kann die den Kläger betreffende Aussage des ersten Bürgermeisters nur als Tatsachenbehauptung angesehen werden. Sowohl zu der Aussage, dass der Kläger offenbar Kenntnis von den damaligen Verkaufsverhandlungen besessen habe, als auch dazu, dass er auf die Verkäufer (mit dem Ziel einer Verhinderung des Verkaufs) massiv eingewirkt habe, hätte ein Wahrheitsbeweis angetreten werden können.
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Der relativierende Zusatz, dass „offenbar“ Kenntnis von den Verhandlungen bestanden habe, hatte nicht zur Folge, dass die vom ersten Bürgermeister getroffenen Feststellungen in ihrem Schwerpunkt als eine subjektive Bewertung und damit insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen wären. Das Wort „offenbar“ kann aufgrund seiner Mehrdeutigkeit zwar auch dahingehend verstanden werden, dass die Richtigkeit der Aussage nicht zweifelsfrei feststehe, sondern nur klare Anhaltspunkte dafür vorlägen. Auch dies ist aber eine den Kläger betreffende Tatsachenbehauptung, die auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfbar ist. Gleiches gilt für das ihm unterstellte Einwirken auf die Verkäuferfamilie. Dass dieses behauptete Verhalten als „massiv“ bezeichnet wurde, lässt zwar ein wertendes Element in die Sachverhaltsdarstellung einfließen. Dies ändert aber nichts an der aus dem Gesamtkontext abzuleitenden Aussage, wonach sich der Kläger (auf eine nicht näher bestimmte Weise) an die Verkäuferfamilie gewandt habe, um sie von der Veräußerung der Grundstücke an das Kommunalunternehmen des Beklagten abzuhalten.
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2. Die das angebliche Verhalten des Klägers betreffenden öffentlichen Aussagen, die nach Feststellung des Landgerichts Nürnberg-Fürth in seiner Entscheidung vom 16. August 2022 wegen der Nennung seines Namens einen unzulässigen Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung darstellten, haben darüber hinaus, da sie als unwahr anzusehen sind, auch sein gleichfalls von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Dieses Grundrecht schützt den Einzelnen vor verfälschenden Darstellungen seiner Person in der Öffentlichkeit (BVerfG, B.v. 14.1.2020 – 2 BvR 1333/17 – BVerfGE 153, 1 Rn. 111), also auch davor, dass ihm Handlungen unterstellt oder Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat (vgl. BVerfG, B.v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77 – BVerfGE 54, 148/155 f.). Niemand muss danach hinnehmen, dass ein Amtsträger unzutreffende Behauptungen über ihn aufstellt.
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Der Kläger hat sowohl eine zum damaligen Zeitpunkt bestehende Kenntnis von den Verkaufsverhandlungen als auch ein mit der Verkäuferfamilie geführtes Gespräch über Grundstücksverkäufe stets entschieden in Abrede gestellt. Demgegenüber hat sich der Beklagte nur allgemein darauf berufen, dass es Hinweise auf einen von der „Familie des Klägers“ ausgehenden Gesprächskontakt gebe; er hat aber insoweit keinen Beweisantrag gestellt und auch keinen auf die Person des Klägers bezogenen Geschehensablauf geschildert, der dessen Darstellung substantiiert in Frage stellen und dem Senat Anlass zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung geben könnte. Unter diesen Umständen muss zulasten des Beklagten von der Unwahrheit der streitgegenständlichen Aussagen ausgegangen werden.
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Selbst wenn man davon ausginge, die Richtigkeit der Tatsachenbehauptung wäre strittig, ergäbe sich nichts anderes. Öffentliche Stellen tragen, wenn sie in einen grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich eingreifen, die Beweislast für die gesetzlichen Voraussetzungen dieses Eingriffs entsprechend den für die Beweislast im Anfechtungsrechtsstreit geltenden Grundsätzen; dies gilt namentlich dann, wenn sich der Betroffene gegenüber einer von ihm bestrittenen Tatsachenbehauptung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht beruft (BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – BVerwGE 131, 171 Rn. 41 f. m.w.N.). Erweist sich die Richtigkeit der strittigen Tatsachenbehauptungen im Verwaltungsstreitverfahren als offen, hat das Gericht daher eine Beweislastentscheidung zu Lasten des Hoheitsträgers zu treffen (BVerwG, a.a.O.; vgl. Kalscheuer u.a., Öffentlichrechtliches Äußerungsrecht, 1. Aufl. 2022, § 10 Rn. 38 m.w.N.). Hiernach ist im vorliegenden Fall von der Unrichtigkeit der den Kläger betreffenden Aussagen auszugehen, so dass darin eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu sehen ist.
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3. Diese Rechtsverletzung, die sich aus den Aussagen des ersten Bürgermeisters gegenüber den übrigen Gemeinderatsmitgliedern in der Sitzung am 16. September 2019 sowie gegenüber der lokalen Bevölkerung in dem an alle Haushalte im Gemeindegebiet verteilten Mitteilungsblatt vom Mai 2020 ergab, dauert auch weiterhin an. Der Beklagte hat sich geweigert, den durch die streitigen Äußerungen in der Öffentlichkeit hervorgerufenen unrichtigen Eindruck vom Verhalten des Klägers durch eine ausdrückliche Richtigstellung zu korrigieren. Dass die betreffende Ausgabe des Mitteilungsblatts im Nachgang zu der Beanstandung des Bayerischen Landesbeauftragten für Datenschutz aus dem Internetauftritt des Beklagten entfernt wurde, stellte noch keine nach außen erkennbare eindeutige Distanzierung vom Inhalt der betreffenden Meldung dar.
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Dem Kläger steht demnach ein auf die Wiederherstellung des ursprünglichen rechtmäßigen Zustandes gerichteter Folgenbeseitigungsanspruch zu. Nach diesem in den Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wurzelnden Anspruch kann jede durch öffentlich-rechtliches Handeln der Verwaltung in ihren Rechten verletzte Person die Rückgängigmachung der unmittelbaren Folgen dieses rechtswidrigen Vorgehens verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2015 – 6 C 35.14 – BVerwGE 152, 330 Rn. 8). Voraussetzung ist, dass durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2015 – 1 C 13.14 – BVerwGE 151, 228 Rn. 24). Dies ist hier der Fall. Die auf der Äußerung des ersten Bürgermeisters beruhende unzutreffende Vorstellung der Öffentlichkeit über das Verhalten des Klägers kann nur dadurch rückgängig gemacht werden, dass der Beklagte an gleicher Stelle unmissverständlich erklärt, die damalige Äußerung sei unrichtig gewesen.
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Dass damit einem schon länger zurückliegenden Vorgang, der nur noch einer kleinen Minderheit der Gemeindeangehörigen präsent sein dürfte, ein vergleichsweise hohes Gewicht beigemessen wird, steht diesem Entscheidungsausspruch nicht entgegen. Der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch unterliegt keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie dies bei zivilrechtlichen Widerrufsansprüchen in Anerkennung der berechtigten Interessen des Äußernden der Fall ist. Eine in den subjektiven Abwehrrechten begründete Abwägung im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgebots kann der Staat als Grundrechtsverpflichteter nicht beanspruchen (BVerwG, U.v. 27.2.2019 – 6 C 1.18 – BVerwGE 164, 368 Rn. 20; ebenso Faber, NVwZ 2003, 159/163).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 709 ff. ZPO. Der Sinn und Zweck des § 167 Abs. 2 VwGO, in die Amtsführung der Behörde nur mit rechtskräftigen Entscheidungen einzugreifen, rechtfertigt eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf Leistungsklagen, die wie hier auf Vornahme einer schlichten Amtshandlung gerichtet sind (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 167 VwGO Rn. 135 m.w.N.).
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.