Titel:
Verletzung des Rechts auf Gewährung von rechtlichem Gehör, Ablehnung eines Antrags des durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägers auf Terminverlegung, gemeinsame Verhandlung zweier Streitsachen
Normenketten:
VwGO § 93 S. 1, § 101 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 5
ZPO § 227
Schlagworte:
Verletzung des Rechts auf Gewährung von rechtlichem Gehör, Ablehnung eines Antrags des durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägers auf Terminverlegung, gemeinsame Verhandlung zweier Streitsachen
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 11.04.2024 – Au 5 K 23.1815
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5899
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. April 2024 – Au 5 K 23.1815 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung richtet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. April 2024, mit dem seine Klage auf Aufhebung des Widerrufsbescheids vom 12. Oktober 2023 betreffend seine Gaststättenerlaubnis vom 17. Juli 2018 abgewiesen wurde.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte am 10. April 2024 unter Berufung auf eine Erkrankung des Klägers die Verlegung des Termins zu mündlichen Verhandlung am 11. April 2024 um 9:00 Uhr im vorliegenden Verfahren Au 5 K 23.1815 beantragt. Zum selben Termin war auch das Verfahren Au 5 K 23.1814 (22 ZB 24.727), das eine gegenüber dem Kläger verfügte erweiterte Gewerbeuntersagung betrifft, geladen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Terminverlegungsantrag mit unanfechtbarem Beschluss vom 10. April 2024 ab, der dem Klägerbevollmächtigten noch am selben Tag zuging. Zur mündlichen Verhandlung am 11. April 2024 erschienen weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter. Das Verwaltungsgericht verhandelte mit Zustimmung der anwesenden Prozessbeteiligten beide Verfahren gemeinsam.
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Die Klage gegen den Widerruf der Gaststättenerlaubnis wurde mit Urteil vom 11. April 2024, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 16. April 2024, abgewiesen. Am 26. April 2024 beantragte der Klägerbevollmächtigte die Zulassung der Berufung. Die Begründung erfolgte mit Schriftsätzen vom 17. Juni 2024 (Montag) und 18. Juli 2024.
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Der Kläger macht die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 VwGO geltend.
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Die Beklagte ist dem Zulassungsantrag entgegengetreten.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO hat der Kläger keine Gründe dargelegt, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden.
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1. Bezüglich des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) fehlt es an jeglichen Ausführungen zum Vorliegen dieses Zulassungsgrundes. Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung im Urteil mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9).
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Daran fehlt es hier, da sich das Vorbringen des Klägers auf die Ablehnung des Terminverlegungsantrags und die gemeinsame Verhandlung des Widerrufsbescheids und der gegenüber ihm zudem verfügten Gewerbeuntersagung beschränkt. Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 18. Juli 2024 am Rande auf die materielle Rechtslage eingeht, erfolgt dieses Vorbringen außerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO und kann daher bezüglich der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung keine Vertiefung des fristgerechten Zulassungsvorbringens darstellen.
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2. Der Kläger hat auch keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Darlegung des Zulassungsgrunds des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO erfordert zunächst die konkrete Bezeichnung der angeblich verletzten Verfahrensvorschrift.
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2.1 Der Kläger sieht sich durch die Ablehnung seines Terminverlegungsantrags in seinem Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör verletzt. In der Anlehnung des Terminverlegungsantrags liegt jedoch kein Gehörsverstoß.
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§ 102 Abs. 2 VwGO gestattet die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts trotz Abwesenheit eines Beteiligten, wenn in der Ladung – wie im vorliegenden Fall geschehen – auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Gleichwohl kann die Ablehnung eines Vertagungsantrages den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die Terminverlegung aus erheblichen Gründen i.S.v. § 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO geboten ist. Wird eine Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten, ist ihre Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht erforderlich, weil ihre Rechte in dem erforderlichen Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können (BVerwG, B.v. 8.8.2007 – 10 B 74.07 – juris Rn. 8; B.v. 4.2.2002 – 1 B 313.01 u. a. – juris Rn. 5; SächsOVG, B.v. 2.2.2022 – 6 A 399/21 – juris Rn. 8; B.v. 1.3.2021 – 6 A 9/18 – juris Rn. 6 ff.; OVG NW, B.v. 2.2.2021 – 18 A 3338/20 – juris Rn. 5 – 12 m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.4.2020 – 4 ZB 20.30838 – juris Rn. 4 f.). Die Erkrankung des Klägers stellt daher – selbst wenn zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass das vorgelegte ärztliche Attest seine Verhandlungsunfähigkeit hinreichend bescheinigt – grundsätzlich keinen erheblichen Grund i.S.v. § 227 Abs. 1 ZPO dar.
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Wenn ein Kläger dennoch sein persönliches Erscheinen vor Gericht trotz anwaltlicher Vertretung für unerlässlich hält, muss er unter substantiierter Darlegung der für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit sprechenden Gründe bei Verhinderung aus einem erheblichen Grund die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragen. Insbesondere bedarf es der substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen die entsprechenden tatsächlichen Aspekte bzw. Umstände nicht vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragen werden können (BVerwG, B.v. 4.2.2002 a.a.O. Rn. 7; SächsOVG, B.v. 20.5.2021 – 6 A 496/18 – juris Rn. 4). Das Verwaltungsgericht ist im Beschluss vom 10. April 2024 zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keine hinreichenden Gründe für die Erforderlichkeit seiner Anwesenheit bei einer mündlichen Verhandlung und damit für die beantragte Terminverlegung dargelegt hat. Er ließ lediglich durch seinen Prozessbevollmächtigten vortragen, dass er seine Klage gerne in der mündlichen Verhandlung begründen wolle. Der Prozessbevollmächtigte berief sich darauf, dass er keinen Auftrag habe, den Termin ohne den Kläger alleine wahrzunehmen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte eine umfassende Prozessführungsbefugnis besitzt (vgl. zur Bedingungsfeindlichkeit einer Prozessvollmacht BVerwG, B.v. 22.5.2006 – 10 B 9.06 – juris Rn. 11) und kein Grund ersichtlich sei, weshalb dieser die Klagebegründung des Klägers nicht in die mündliche Verhandlung einführen könne. Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass er seinen Prozessbevollmächtigten nicht hätte entsprechend instruieren oder ihm den entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte mitteilen können. Weder die Natur des Rechtsstreits und der Prozessstoff (Widerruf einer Gaststättenerlaubnis wegen Steuerschulden in Höhe von 324.019 € und acht Einträgen in das Schuldnerverzeichnis) mussten dem Verwaltungsgericht Anlass geben anzunehmen, dass sich die persönliche Anwesenheit des Klägers für die Entscheidung als förderlich oder gar erforderlich erweisen würde. Soweit sich der Kläger in der Ergänzung seiner Zulassungsbegründung darauf beruft, dass jeder Kläger, auch wenn er durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten sei, das Recht habe in der mündlichen Verhandlung anwesend zu sein und sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Sache zu äußern, verkennt er die Reichweite des Anspruchs auf Gewährung von rechtlichem Gehör, dessen Verletzung er rügt, und die hierzu ergangene Rechtsprechung (s.o.). Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt (BVerwG, B.v. 31.5.1990 – 7 CB 31.89 – juris Rn. 9).
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2.2 Die unterlassene Ladung des Klägers persönlich stellt ebenfalls keinen Gehörsverstoß dar. Es bedurfte keiner Ladung (§ 102 Abs. 1 VwGO) des Klägers zum Termin zur mündlichen Verhandlung, weil das Verwaltungsgericht eine persönliche Anwesenheit des Klägers nicht für erforderlich hielt und sein persönliches Erscheinen (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht angeordnet hat. Ist bei dieser Sachlage die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, reicht es aus, wenn dieser zur mündlichen Verhandlung geladen wird (Brüning in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2025 § 102 Rn. 11). Offensichtlich hat der Prozessbevollmächtigte den Kläger auch vom Termin verständigt.
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2.3 Dem klägerischen Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, welche Verfahrensvorschrift durch die gemeinsame Verhandlung der beiden Streitsachen Au 5 K 23.1814 und Au 5 K 23.1815 verletzt sein sollte. Er bringt vor, dass er von der Verbindung beider Verfahren erst durch das Protokoll erfahren habe und deshalb keine Einwände gegen die Verbindung habe erheben können.
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Die Entscheidung, ob Verfahren gemäß § 93 VwGO förmlich durch Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden, liegt im Ermessen des Gerichts. Maßgeblich ist, ob die Verbindung der Verfahrensökonomie dient, weil hierdurch der Prozess übersichtlicher oder effektiver gestaltet wird (BVerwG, B.v. 29.1.1998 – 8 B 2.98 – juris Rn. 3). Beschließt das Gericht nach Aufruf der Sache die Verbindung zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung, so muss zudem durch Auslegung ermittelt werden, ob eine echte Verfahrensverbindung zu einem Verfahren i.S.v. § 93 VwGO gemeint ist (zur Streitfrage, ob eine förmliche Verbindung nur zur mündlichen Verhandlung entgegen dem Wortlaut des § 93 Satz 1 VwGO möglich ist: HessVGH, B.v. 4.11.2015 – 5 E 604/15 – juris Rn. 6; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 93 Rn. 1) oder ob es sich nur um eine gleichzeitige Verhandlung und damit um eine der Vereinfachung dienende, vorübergehende Maßnahme handeln soll (BayVGH, B.v. 17.4.2007 – 4 C 07.659 – juris Rn. 8). In der Praxis wird häufig keine förmliche Verbindung gewollt sein, sondern es wird durch die gleichzeitige mündliche Verhandlung von im Übrigen selbständig bleibenden Verfahren allein praktischen Bedürfnissen entsprochen. Letzteres dürfte vorliegend mangels förmlichen Beschlusses und der fehlenden Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung der Fall sein. In keinem Fall ist jedoch eine vorherige Anhörung der Beteiligten vorgeschrieben (Stuhlfauth in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 93 Rn. 7). Zudem hätte dem Kläger durch die Ladung der Verfahren auf denselben Termin bewusst sein müssen, dass das Verwaltungsgericht beabsichtigte, sie auch gemeinsam zu verhandeln. Die Argumentation des Klägers, dass eine Verbindung der Verfahren, welcher Art auch immer, zu einer Verringerung der rechtlichen Prüfungsdichte seitens des Gerichts oder zur einer Verkürzung seines Rechtsschutzes führen sollte, ist nicht nachvollziehbar.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VWGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, 3 VwGO, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).