Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.03.2025 – 20 ZB 24.1200
Titel:

Entwässerungsgebühren, Starkverschmutzerzuschlag, Bestimmtheit, Berechenbarkeit aus der Satzungsregelung

Normenketten:
VwGO § 124a
KAG Art. 8
Schlagworte:
Entwässerungsgebühren, Starkverschmutzerzuschlag, Bestimmtheit, Berechenbarkeit aus der Satzungsregelung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 12.06.2024 – W 2 K 22.1047
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5888

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 9.028,82 EUR festgesetzt.

Gründe

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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor oder wurden schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nur dann hinreichend dargelegt, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird; dabei ist auszuführen, in welchem konkreten rechtlichen oder tatsächlichen Punkt ergebnisrelevante Zweifel bestehen und worauf sie sich gründen (stRspr, vgl. nur BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 20 ZB 23.1043 – juris Rn. 2; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 m.w.N.).
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„Darlegen“ im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert dabei mehr als einen nicht näher spezifizierten Hinweis auf das behauptete Vorliegen eines Zulassungsgrundes. Es bedeutet vielmehr „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist deshalb unter ausdrücklicher oder jedenfalls konkludenter Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (vgl. Eyermann, VwGO, a.a.O., § 124a Rn. 59 und 63).
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Nach diesen Maßstäben begründen die Ausführungen im Zulassungsantrag keine Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die dem streitgegenständlichen Bescheid zugrundeliegende Satzungsbestimmung des § 11a BGS-EWS 2020 inhaltlich unbestimmt und deshalb nichtig ist.
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Zwar steht dem Satzungsgeber ein weites Ermessen hinsichtlich des Ob und der inhaltlichen Ausgestaltung einer Regelung zur Erhebung eines Starkverschmutzerzuschlages zu. Das rechtsstaatliche Gebot zur inhaltlichen Bestimmtheit untergesetzlicher Normen (Art. 20 Abs. 3 GG) verlangt aber, dass Ermächtigungen zur Vornahme belastender Verwaltungsakte nach Inhalt, Gegenstand und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so dass die Eingriffe messbar und in gewissem Maße für den Bürger voraussehbar und berechenbar sind. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm steht ihrer Bestimmtheit grundsätzlich nicht entgegen; allerdings müssen sich aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive Kriterien gewinnen lassen, die einen verlässlichen, an begrenzende Handlungsmaßstäbe gebundenen Vollzug der Norm gewährleisten (vgl. BVerfG, U.v. 27.7.2005 – 1 BvR 668/04 – juris Rn. 118 ff.; B.v. 6.5.2008 – 2 BvR 336/07 – juris Rn. 14; Sommermann in Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 20 Rn. 289 m.w.N.; BayVGH, U.v. 6.10.2022 – 20 N 20.783 – BeckRS 2022, 34040).
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Für die Bestimmtheit von Regelungen zur Erhebung eines Starkverschmutzerzuschlags ist nach diesen Grundsätzen deshalb zu verlangen, dass sie für alle in Betracht kommenden Anwendungsfälle insbesondere die Bemessung der Abgabe klar und berechenbar regeln und nicht eine wesentliche Maßstabsbestimmung der Entscheidung der Verwaltung oder Dritten im Einzelfall überlassen (vgl. OVG Schleswig, U.v. 21.6.2000 – 2 L 9/99 – BeckRS 2000, 13941, Rn. 49 m.w.N.; Desens in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2. Aufl. 2022, Rn. 543-550). Sollen Starkverschmutzerzuschläge – wie hier – nach trennscharf festgelegten Verschmutzungsstufen erhoben werden, verlangt das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot eine satzungsrechtliche Festlegung des Messverfahrens, der Anzahl der Messungen und des Zeitraums, in dem die Messungen vorzunehmen sind (BayVGH, U.v.18.5.1999 – 23 B 95.1119 – BeckRS 1999, 19403 Rn. 46; VGH Mannheim, U.v. 28.2.2019 – 2 S 929/17 – BeckRS 2019, 3744 Rn. 79; B.v. 5.11.2007 – 2 S 2921/06 – NVwZ-RR 2008, 420; U.v. 31.8.1989 – 2 S 2805/87 – FHÖffR 41 Nr. 9272).
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Daran fehlt es vorliegend, was mit dem Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellt wird. Die Beklagte geht fehl, wenn sie annimmt, die inhaltliche Unbestimmtheit der Satzungsregelung des § 11a BGS-EWS könne durch Einzelfallregelungen kompensiert werden. Vielmehr muss die Satzungsbestimmung selbst dem Gebührenschuldner die Berechnung der Gebührenhöhe unter Zugrundelegung der Messwerte ermöglichen.
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Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts unter 2.6 der Entscheidungsgründe, das Messergebnis für die von der Klägerin selbst untersuchte Probe für Dezember 2018 habe zu einer Unterschreitung der den Starkverschmutzerzuschlag auslösenden Schwellenwerte geführt, kommt es deshalb – nach der vom Verwaltungsgericht selbst vertretenen Rechtsauffassung – nicht an.
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2. Aus denselben Gründen zeigt der Zulassungsantrag auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Denn die Rechtssache verursacht weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird (zu diesem Kriterium BayVGH, B.v. 4.2.2025 – 2 ZB 23.624 – IBRRS 2025, 0492). Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt, wie unter 1. bereits dargelegt.
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3. Die im Zulassungsantrag behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) haben die Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Hierzu ist erforderlich, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist, und darlegt, warum ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr; vgl. etwa BayVGH, B.v. 13.5.2014 – 10 ZB 12.1095 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.2.2025 – 2 ZB 24.2050 – BeckRS 2025, 1872). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen der Kläger im Zulassungsverfahren nicht, da sie schon keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren.
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Sofern die unter dem Zulassungsgrund der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeit der Rechtssache formulierte Frage,
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wie das Spannungsverhältnis in der Praxis aufzulösen ist, dass ein Satzungswerk einerseits dem Rechtsstaatsprinzip entspringendem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragen muss, ohne dass sie ihre Funktion verliert, für alle im Geltungsbereich der Satzung denkbaren Einzelfälle Anwendung finden zu können,
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zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache herangezogen werden könnte, wird damit schon deshalb kein grundsätzlicher Klärungsbedarf ausgelöst, weil auch diese Frage bereits in der Rechtsprechung geklärt ist (siehe 1.).
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4. Die Anforderungen an die Darlegung einer Divergenzrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sind schon deshalb nicht erfüllt, weil es sich weder beim OVG Münster noch beim OVG des Saarlandes um Divergenzgerichte im Sinn § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO handelt. Abweichungen von Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten, die dem entscheidenden erstinstanzlichen Gericht nicht übergeordnet sind, rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht (Happ in Eyermann, a.a.O., § 124 Rn. 45), weshalb es nicht darauf ankommt, ob eine derartige Abweichung dargelegt wurde bzw. ob sie hier vorliegt.
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5. Schließlich wird auch ein Verfahrensfehler nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO mit dem Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen; die Vorschrift verpflichtet die Gerichte insbesondere nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 9.5.2011 – 4 B 47.10 – juris Rn. 5). Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht ihm gegenüber geäußertes Parteivorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, obwohl dieser übergangene Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich gewesen wäre (vgl. dazu etwa BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – juris Rn. 9). Dies ist hier bezogen auf die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe die abweichenden Messergebnisse bislang nicht vorgelegt, nicht der Fall. Denn wie unter 1. bereits ausgeführt, kam es für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach dessen Rechtsauffassung nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Messergebnisse der Klägerin von den Messergebnissen der Beklagten abwichen oder nicht. Vielmehr war die Tatsache des (behaupteten) abweichenden Messergebnisses der Klägerin (nur) ein weiteres Argument des Verwaltungsgerichts dafür, dass die Satzungsregelung zu unbestimmt war, weil sie kein Verfahren für den Fall des Vorliegens unterschiedlicher Messergebnisse festlegte.
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6. Auf die Frage der Wirksamkeit der BGS/EWS im Übrigen wegen der in § 16 BGS-EWS angeordneten Rückwirkung der Satzungsregelungen des Gebührenteils kommt es aufgrund der Nichtigkeit des § 11a BGS-EWS nicht mehr an.
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7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert richtet sich nach §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO.