Titel:
Corona-Pandemie, Untersagung der Öffnung von Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben sowie, Ladengeschäften, Darlegung eines gewichtigen Grundrechtseingriffs als Prozessvoraussetzung
Normenketten:
VwGO § 47
IfSG § 32 S. 1, 28 Abs. 1
§ 2 Abs. 2 bis 5 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020
GG Art. 12 Abs. 1
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Untersagung der Öffnung von Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben sowie, Ladengeschäften, Darlegung eines gewichtigen Grundrechtseingriffs als Prozessvoraussetzung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5887
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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1. Mit seinem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehrt der Antragsteller, die Feststellung, dass § 2 Abs. 2 bis 5 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV; 2126-1-4-G, 2126-1-5-G, BayMBl. 2020 Nr. 158; im Folgenden: 1. BayIfSMV) vom 27. März 2020 unwirksam war. Die Norm ist mit Ablauf des 19. April 2020 außer Kraft getreten (§ 7 Abs. 1 1. BayIfSMV i.d.F. der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162)).
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2. Der Antragsgegner hat am 27. März 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege folgende Norm erlassen:
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§ 2 Betriebsuntersagungen
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(2) 1Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. 2Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z. B. Biergärten, Terrassen). 3Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen. 4Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden können auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für Betriebskantinen erteilen, soweit dies
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1. im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar und zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zwingend erforderlich ist, und
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2. sichergestellt ist, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 m beträgt und sich in den Räumen zu keinem Zeitpunkt mehr als 30 Personen gleichzeitig aufhalten.
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(3) 1Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. 2Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.
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(4) 1Untersagt ist die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art. 2Hiervon ausgenommen sind der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Filialen der Deutschen Post AG, Tierbedarf, Tankstellen, Reinigungen und der Online-Handel. 3Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden können auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere, für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. 4Die Öffnung von Einkaufszentren und Kaufhäusern ist nur erlaubt, soweit die in Satz 2 genannten Ausnahmen betroffen sind.
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(5) 1In Dienstleistungsbetrieben muss unbeschadet sonstiger Vorschriften ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden eingehalten werden.
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2Auch bei Einhaltung dieses Abstands dürfen sich nicht mehr als 10 Personen im Wartebereich aufhalten.“
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3. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 8. April 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 31. Januar 2025 sinngemäß beantragt,
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Es wird festgestellt, dass § 2 Abs. 2 bis 5 der Bayerischen Infektionsmaßnahmeschutzverordnung vom 27. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsmaßnahmeschutzverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war.
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Er trägt zur Begründung seines Antrags im Wesentlichen vor, er sei unter anderem als Leiter von kostenpflichtigen Seminaren und Einzelkursen zu den Themen Krisen-, Konflikt- und Stressmanagement beruflich tätig. Die von ihm geleiteten Seminare und Einzelkurse fänden für gewöhnlich unten anderem in Bayern statt. Die Betriebsschließungen seien der Sache nach offensichtlich gerade gegen die Kundinnen und Kunden gerichtet, da Ziel der Maßnahme schließlich gewesen sei, Ansammlungen von Menschen zu vermeiden. Von einem geöffneten Laden selbst gehe ohne Menschen, die dort zusammenkommen, keine Infektionsgefahr aus – aus diesem Grund sei die Öffnung für „Takeaway“-Angebote ja erlaubt gewesen, die Situation sei insofern vergleichbar mit klassischen „Büro-Unternehmen“ gewesen. Die Verordnung hätte folglich genauso gut so formuliert werden können, dass der Zutritt verboten werde – dann wäre der Normappell offensichtlich an die Gäste gerichtet gewesen und diese hätten dann unstreitig über eine Antragsbefugnis verfügt. Das Bundesverwaltungsgericht habe eine Antragsbefugnis eines Gasts hinsichtlich der Schließung von Sportstätten und Gastronomiebetrieben bejaht: Die Maßnahmen hätten sich nicht allein an die Einrichtungen und Betriebe, sondern auch an die Besucher gerichtet. Sie sollten den Publikumsverkehr und damit Kontakte zwischen Gästen und zwischen Gästen und Beschäftigten verhindern. Soweit der Antragsgegner die Antragsbefugnis hinsichtlich der Regelung für Dienstleistungsbetriebe bezweifle, sei dem entgegenzuhalten, dass es Sache des Antragstellers gewesen sei (und so auch von seiner Berufsausübungsfreiheit gedeckt), wie er seine Kurse gestaltet habe, insbesondere welche Teilnehmerzahl er am geeignetsten gehalten habe, um das Kursziel erreichen zu können. An den Seminaren des Antragsstellers hätten üblicherweise 200 bis 350 Personen teilgenommen. Insgesamt seien dem Antragsteller in dieser Zeit 600.000,00 Euro entgangen.
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Das notwendige Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei hierbei aufgrund des Präjudizinteresses, der evidenten Wiederholungsgefahr sowie Grundrechtseingriffen – den massivsten in der Bundesrepublik Deutschland – offensichtlich gegeben. Der Antragsgegner behaupte wiederholt, ein individuelles Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei nicht ausreichend geltend gemacht worden. Diesseits stelle sich die Frage, wie der Antragsgegner erwarten könne, dass der Antragssteller bis ins kleinste Detail erlittene Einschränkungen nachweisen könne, wenn er selbst fast vier Jahre nach Pandemiebeginn immer noch nicht in der Lage sei, dieselben Auswirkungen gesamtgesellschaftlich zu erfassen, geschweige denn nachvollziehbar darzulegen, wie er zu seinen Entscheidungen gekommen sei.
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Der Normenkontrollantrag sei auch begründet. Es habe an einer verfassungsrechtlich tragbaren, hinreichend bestimmten und parlamentarisch gedeckten gesetzlichen Grundlage für die angegriffenen Vorschriften gefehlt. Bei grundrechtsrelevanten und entsprechend intensiven Eingriffsakten wie hier hätte es dabei eines förmlich-parlamentarischen Gesetzes bedurft, das bereits selbst hinreichend bestimmt die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen des Eingriffs regele. Für die angegriffenen Maßnahmen hätte zwar grundsätzlich die Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG angedacht werden können. Allerdings genügten diese Vorschriften zumindest für die hier in Rede stehenden Vorschriften nicht den inhaltlichen Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie an formell-gesetzliche Vorschriften. Die durch die angegriffenen Bestimmungen in Anspruch genommene Allgemeinheit hätte auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 IfSG nicht – auch nicht unter Verweis auf den sog. Nichtstörer – zur Gefahrenabwehr herangezogen werden können. Die Regelungen verstießen auch gegen den strikten Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. Die in Rede stehenden Regelungen hätten zudem gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Die ergriffenen Maßnahmen seien bereits nicht erforderlich, jedenfalls aber nicht verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. So alarmierend die Zustände in Spanien, Italien und in Frankreich gewesen seien, so wenig habe hieraus indes der Schluss gezogen werden können, dass es sich vorliegend um eine Infektion gehandelt habe, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer tödlich verlaufenden Erkrankung geführt hätte. Dass die Todesrate in Deutschland im Vergleich zu Italien und Spanien deutlich niedriger ausgefallen sei, hätte insbesondere daran gelegen, dass in Deutschland sehr viel mehr getestet worden sei. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (im Folgenden RKI) seien indes ca. 80% der Erkrankungen mild bis moderat verlaufen. Bei 3% bzw. 6% (abhängig davon, wie die Fälle identifiziert werden) sei der klinische Verlauf kritisch bis lebensbedrohlich gewesen. Andere Experten seien von einem optimistischeren Szenario ausgegangen. Die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen mögen vielleicht am Anfang wegen der unsicheren Datenlage für einen sehr begrenzten Übergangszeitraum zulässig gewesen sein, um sich Zeit zu verschaffen und eine valide Datengrundlage zu generieren. Die (wissenschaftlichen) Erkenntnisse um die COVID-19-Pandemie seien weltweit aber auch später bruchstückhaft und von diversen Methodenfehlern gekennzeichnet gewesen. Problematisch sei zudem, dass der PCR-Test bereits nicht dazu geeignet gewesen sei, nur infektiöse Patientinnen zuverlässig zu identifizieren. Die seitens des RKI vermittelten Fallzahlen könnten nicht mit „Neuinfektionen“ gleichgesetzt werden. Die Schätzungen zur Sterblichkeit und zum zu erwarteten Bedarf an Intensivbetten hätten nicht auf wissenschaftlich fundierten Prognosen beruht, weshalb die Erwägungen des Verordnungsgebers fehlgegangen seien und daher keine Grundlage mehr für die ergriffenen Maßnahmen hätten darstellen können. Ferner hätte bei der Risikoprognose auch die Dunkelziffer berücksichtigt werden müssen. Bei den positiv gemeldeten Fällen habe es sich schließlich nicht um eine Vollerhebung gehandelt. Unbekannt sei u.a. deshalb auch, ob es eine sog. Übersterblichkeit gegeben habe. Sähe man die Prognosen als ausreichende Grundlage, um eine Erforderlichkeit anzunehmen, hätte das Ziel, Infektionen zu reduzieren, auch durch weniger einschneidende Grundrechtseingriffe wie Maskentragepflicht, Beschränkung der Regelungen auf besonders gefährdete Menschen, Ausweitung der Testkapazitäten, Regeln zur Hygiene und Steuerung des Zutritts erreicht werden können. Die Maßnahmen seien auch nicht angemessen gewesen. Es habe sich vorliegend nicht um bloße Unannehmlichkeiten gehandelt, die den Verordnungsadressaten aufgebürdet worden seien, sondern um tiefgehende Eingriffe in die Kernbereiche gleich mehrerer Grundrechte. So hätten die drohenden wirtschaftlichen, sozialen und medizinischen Folgen der Schutzmaßnahmen bei einer Abwägung deren prognostiziertem Erfolg überwogen. Darüber hinaus seien die Maßnahmen auch gleichheitswidrig gewesen.
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Die fehlende aktenmäßige Dokumentation durch den Antragsgegner erweise, dass keine Rechtsgüterabwägung durch den Antragsgegner stattgefunden habe. Hiermit liege ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip vor. Es sei insbesondere nicht zu rechtfertigen, die Inanspruchnahme eines wichtigen und hochrangigen Freiheitsrechts, nämlich das der kollektiven Meinungsäußerung, generell zu verwehren, während bei alltäglichen Verrichtungen, wie Bus und Bahn oder Taxi fahren, der Schutzstandard im Ergebnis zurückbleiben habe dürfen und dort ein erhöhtes Infektionsrisiko in Kauf genommen worden sei. Eine Auswertung der Krisenstabsprotokolle des RKI sei erforderlich – und auch von Amts wegen geboten – da sich der Senat in seiner Rechtsprechung durchgängig auf die öffentlich verlautbarten Äußerungen des RKI angesichts der gesetzlich hervorgehobenen Position (§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 IfSG) gestützt habe. Der Senat habe jene Verlautbarungen auch regelmäßig für die Begründung der vermeintlichen (in der Regel angenommenen) Rechtmäßigkeit der angeordneten Grundrechtseingriffe im Rahmen der Corona-Krise herangezogen. Die RKI-Krisenstabsprotokolle zeigten, dass die Maßnahmen in erster Linie auf politischen Entscheidungen beruhten und nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. In diesem Zusammenhang beantrage der Antragsteller die Protokolle, Tagesordnungen, Teilnehmerlisten und sonstige Notizen des RKI-Corona-Krisenstabs zur Corona-Pandemie vom Januar 2020 bis Juli 2023 beizuziehen, insbesondere sämtliche Dokumente und Notizen, die sich mit der Änderung der Risikobewertung am 17. März 2020 von „mäßig“ auf „hoch“ befassten, darunter auch Schriftwechsel innerhalb des RKI sowie zwischen dem RKI und dem Bundesgesundheitsministerium sowie ggf. weiteren Behörden der Bundesregierung, beizuziehen. Daran, dass es zu der von Gesetzes wegen erforderlichen Rechtsgüterabwägung gekommen sei, bestünden weiterhin erhebliche Zweifel. Bestätigung finde diese etwa in dem Beschluss des Ministerrats vom 5. Mai 2020. Dort sei auf Seite 2 zu lesen, dass das „Primat des Infektionsschutzes“ gelte. An dem Antrag Herrn Ministerpräsidenten ..., acht Ministerinnen und Minister der Bayerischen Staatsregierung sowie den ehemaligen Präsidenten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit als Zeugen heranzuziehen, werde zumindest solange festgehalten, wie keine vollständige Akten vorgelegt würden. Es seien nicht etwaige „Motive“, die den Antragsteller interessierten, sondern die Frage, ob die Regierung innerhalb des ihr rechtlich zugestandenen Ermessensspielraums agiert habe und gewissenhaft die vorgesehene Interessensabwägung durchgeführt habe oder sich von sachfremden Gründen habe leiten lassen. Dies sei insbesondere deshalb relevant, weil es bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen auf die ex-ante-Perspektive ankomme. Welche Erkenntnisse damals wirklich vorgelegen hätten, lasse sich daher nur ermitteln, wenn diejenigen, die die Vorschriften tatsächlich konzipiert hätten, befragt würden.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung trug der Antragsgegner im Wesentlichen vor, der Normenkontrollantrag sei bereits unzulässig, da ein tiefgreifender Grundrechtseingriff nicht vorliege. Zur Beurteilung der damaligen Lage werde auf den Täglichen Lagebericht zur
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Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) des RKI s (RKI) vom 31.03.2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-31-de.pdf? blob=publicationFile) verwiesen. Es habe damals bereits 14.810 bestätigte Fälle in Bayern gegeben. Bayern sei dabei das Land mit der zweithöchsten 100.000-Einwohner-Inzidenz bundesweit gewesen und habe die Regionen mit den bundesweit höchsten Neuinfektionsraten aufgewiesen. Bayern sei somit in besonderer Weise betroffen gewesen. Angesichts eines zu befürchtenden exponentiellen Verlaufs des Infektionsgeschehens, einer Vielzahl klinischer Verläufe mit Todesfolge oder schwerwiegenden Gesundheitsschäden und der Tatsache, dass weder ein Impfstoff noch eine spezifische Therapie zur Verfügung gestanden hätten, könne nicht bestritten werden, dass Kranke und Krankheitsverdächtige sowie auch Ausscheider und Ansteckungsverdächtige festgestellt waren und die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG vorgelegen haben. Die Untersagung von Gastronomiebetrieben sei insbesondere dazu geeignet gewesen, das Zusammenkommen von Menschen (auch) in einem gastronomischen Betrieb zu verhindern und dadurch drohende Infektionsketten zu unterbrechen. Der enge Kontakt, der längere Aufenthalt, das häufig laute Sprechen während des Aufenthalts und die Schwierigkeit (bis Unmöglichkeit), dabei durchgängig eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, führten zu einem gesteigerten Infektionsrisiko. Weniger belastende Maßnahmen wie die Steuerung des Zutritts, die Installation von Trennvorrichtungen zwischen den Tischen und die vermehrte Desinfektion des Inventars hätten nicht die gleiche Wirkung gehabt. Auch die Schließung der Beherbergungsbetriebe zu touristischen Zwecken sei eine zulässige Infektionsschutzmaßnahme gewesen. Mit dem Vortrag, keine eigenen Tagungsräume zu nutzen, sondern solche in Hotels, mache der Antragsteller ein dem von Betreibern ähnliches Interesse an der Aufrechterhaltung eines regulären Hotelbetriebs geltend. Im Wesentlichen sei der Antragsteller insoweit aber nicht durch § 2 Abs. 3 BayIfSMV, sondern durch § 1 Abs. 1 BayIfSMV in seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit eingeschränkt gewesen. Die grundsätzliche Schließung des Einzelhandels sei ebenso dazu geeignet gewesen, das Zusammenkommen von Menschen (auch) dort zu verhindern und dadurch drohende Infektionsketten zu unterbrechen. Die im Einzelhandel regelmäßig entstehenden Kontakte bestätigten auch die Erforderlichkeit seiner grundsätzlichen Schließung. Von dem Antragsteller vorgeschlagene weniger belastende Maßnahmen wie Hygieneregeln, die Einhaltung von Mindestabständen oder eine Maskentragepflicht hätten nicht die gleiche Wirkung gehabt. Als Inhaber eines Dienstleistungsbetriebs sei der Antragsteller durch § 2 Abs. 5 BayIfSMV betroffen gewesen. Danach habe in Dienstleistungsbetrieben unbeschadet sonstiger Vorschriften ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden eingehalten werden müssen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 BayIfSMV). Auch bei Einhaltung dieses Abstands hätten sich nicht mehr als 10 Personen im Wartebereich eines Dienstleistungsbetriebs aufhalten dürfen (§ 2 Abs. 5 Satz 2 BayIfSMV). Angesichts der Art der von dem Antragsteller angebotenen Dienstleistungen – Seminare und Einzelkurse zur Krisen-, Konflikt- und Stressbewältigung – sei sein Betrieb im Wesentlichen nicht durch § 2 Abs. 5 BayIfSMV, sondern vielmehr durch § 1 Abs. 1 BayIfSMV eingeschränkt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Der Antrag, über den der Senat nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet, ist nur zum Teil zulässig, im Übrigen aber unbegründet, weil § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 (1. BayIfSMV), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsmaßnahmeschutzverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) wirksam war.
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Der Normenkontrollantrag ist nur zum Teil zulässig. Soweit der Antragsteller sich gegen die Untersagung des Betriebs von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken sowie die Regelungen zu den Dienstleistungsbetrieben der BayIfSMV wendet, ist sein Antrag unzulässig, weil er keinen gewichtigen Grundrechtseingriff dargelegt hat.
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Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn der Antragsteller weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift rechtswidrig war (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 9 m. w. N.). Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht trotz Erledigung unter anderem neben einer Wiederholungsgefahr dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr des BVerwG, Urteile v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 13, v. 16.5.2023 – 3 CN 4.22 – juris Rn. 16, – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023, 1846 Rn. 15 und – 3 CN 6.22 – NVwZ 2023, 1830 Rn. 14 sowie v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – NVwZ 2023, 1840 Rn. 13). Nachdem eine konkrete Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht dargetan wurde, kommt hier allein in Betracht, dass der Antragsteller Beeinträchtigungen seiner grundrechtlichen Freiheiten geltend machen, die ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der Verordnungsregelungen rechtfertigt (BVerwG, B. v. 5.1.2024 – 3 BN 2.23 – juris). Dies ist von den Antragstellern aus einer ex-post-Perspektive darzulegen.
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Zwar mag es sein, dass der Antragsteller Hotels und Beherbergungsbetriebe, insbesondere deren Tagungsräume und Übernachtungsangebote, für die von ihm veranstalteten Seminare und Einzelkurse zur Krisen-, Konflikt- und Stressbewältigung genutzt hatte. Der Antragsgegner weist jedoch zu Recht darauf hin, dass die Tätigkeit des Antragstellers bereits durch das speziellere Veranstaltungsverbot des § 1 Abs. 1 BayIfSMV, welches der Antragsteller in einem gesonderten Normenkontrollverfahren (20 N 20.2745) angegriffen hat, untersagt war. Inwieweit der Antragsteller über das Veranstaltungsverbot hinaus durch das Verbot des § 2 Abs. 3 BayIfSMV beschwert worden ist, hat er jedoch nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die Beschränkung der Dienstleistungsbetriebe nach § 2 Abs. 5 BayIfSMV. Auch hier ist nicht dargelegt und nicht ersichtlich, wie die dort geregelten Beschränkungen der Dienstleistungsbetriebe den Antragsteller über das Veranstaltungsverbot hinaus beschränkt hätten. Hinsichtlich dieser Bestimmungen kann der Antragsteller deswegen auch kein Präjudizinteresse geltend machen.
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Betreffend der Untersagung von Gastronomiebetrieben (§ 2 Abs. 2 BayIfSMV) und der Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels (§ 2 Abs. 4 BayIfSMV) weist dagegen der Antragsteller zu Recht darauf hin, dass das Bundesverwaltungsgericht auch für Besucher von geschlossenen Einrichtungen und Betrieben im Rahmen der Zulässigkeit es ausreichen lässt, dass der Antragsteller in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG betroffen war und nach seinem Vorbringen die Maßnahmen erheblich in die Gestaltung seines Alltags- und Privatlebens eingegriffen haben. Dies hat der Antragsteller im ausreichendem Maß vorgetragen. Der Besuch von Einzelhandels- und auch Gastronomiebetrieben erfolgt regelmäßig und auch spontan, so dass keine besonderen Anforderungen an die Darlegung des Feststellungsinteresses gestellt werden können.
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Der Normenkontrollantrag ist unbegründet, weil die Untersagung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben nach § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV formell rechtmäßig war (1.) und auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden ist (2.).
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1. § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV wurde als unbewehrte Verordnung durch Veröffentlichung im Bayerischen Ministerialblatt am 27. März 2020 veröffentlicht (BayMBl. 2020 Nr. 158). Der Umstand, dass diese Regelung im Nachhinein durch Änderungsverordnung vom 31. März 2021 bußgeldbewehrt wurde (BayMBl. 2020 Nr. 162), führte nicht zur formellen Rechtswidrigkeit der materiellen Verbotsnorm, sondern – was hier aber nicht entscheidungserheblich ist – allenfalls dazu, dass die entsprechende Bußgeldregelung (§ 5 Nr. 1 1. BayIfSMV) nach Art. 51 Abs. 2 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes i.d.F. vom 18. Mai 2018 (LStVG a.F.) im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht werden musste (vgl. dazu BayVGH, B.v. 4.10.2021 – 20 N 20.767 – juris Rn. 32 ff.), da nur diese und nicht der zu diesem Zeitpunkt bereits unbewehrt in Kraft getretener Grundtatbestand in der die Bewehrung begründender Änderungsverordnung enthalten war.
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2. § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV war auch materiell rechtmäßig (vgl. bereits BayVGH, B. v. 7.3.2022 – 20 N 21.1926 – juris).
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a) § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. 2000 I 1045) i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona- Krise (Corona -Steuerhilfsgesetz) vom 19. Juni 2020 (BGBl. 2020 I 1385) ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u.a.) nach § 28 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass und während der Geltung der Verordnung zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I 587) geänderten Fassung dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1GG) werden insoweit eingeschränkt (§§ 28 Abs. 1 Satz 4, 32 Satz 3 IfSG).
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Die Untersagung der Öffnung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben, die dazu dienen sollte, die Verbreitung der COVID-19-Krankheit und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, konnte unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht eine notwendige Schutzmaßnahme i.S.v. § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60).
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2. Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG war beim Erlass von § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV und während der Geltungsdauer der Regelungen eine verfassungsgemäße Grundlage für die Untersagung von Veranstaltungen und Versammlungen. Die Generalklausel genügte in der maßgeblichen Zeit sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023,1846; U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – juris). § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG i. d. F. vom 27. März 2020 war eine verfassungsgemäße Grundlage für das Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen (BVerwG, U. v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – BVerwGE 179, 168-186).
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Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden können, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren unstreitig – auch in Bayern – Kranke festgestellt worden. Regelungen zur Beschränkung von Kontakten und zur Beschränkung von Einrichtungen und Betrieben, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht in der betroffenen Einrichtung oder in dem jeweiligen Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.). Notwendige Schutzmaßnahmen in diesem Sinne müssen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 12).
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3. Die Untersagung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben war verhältnismäßig und damit eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG.
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a) Der Verordnungsgeber verfolgte mit der der Untersagung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben durch § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV ein Ziel, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung im Einklang stand.
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aa) Der BayIfSMV vom 27. März 2020 lag die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer angesichts der Corona-Epidemie in Deutschland vom 16. März 2020 (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/vereinbarung-zwischen-der-bundesregierung-und-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-bundeslaender-angesichts-der-corona-epidemie-in-deutschland-1730934.pdf) und die Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zum Coronavirus vom 22. März 2020 (https://www.bundesregierung.de/resource/blob/992798/1733226/d1abd72b7073991584d48db842f4b0f3/2020-03-22-streaming-merkel-bundeslaender-gebaerdensprache-ausschriftung-data.pdf?download=1) zugrunde. Dort wurde u.a. festgestellt, dass die Lage sehr ernst sei und sich das Coronavirus weiter mit besorgniserregender Geschwindigkeit in Deutschland ausbreite. Weil kein Impfstoff und keine Medikamente vorhanden gewesen seien, sei das öffentliche Leben so weit herunterzufahren, wie es vertretbar sei, die Begegnungen der Menschen, bei denen das Virus weitergegeben werden könnte, so weit zu reduzieren wie möglich. Dieses Ziel entsprach dem Zweck der Verordnungsermächtigung, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen (§ 32 Satz 1 IfSG) und ihre Verbreitung zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG).
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b) Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Verbote und Einschränkungen gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, hatte eine tragfähige tatsächliche Grundlage (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 177; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 52).
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Im Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 30. März 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-30-de.pdf? blob=publicationFile) heißt es:
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„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region. Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein.“
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Weiter verdeutlicht die folgende Schlussfolgerung des RKI vom 20. März 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Modellierung_Deutschland.pdf? blob=publicationFile) die Bedrohlichkeit der Lage: „Von jetzt an und in den nächsten Wochen sind maximale Anstrengungen erforderlich, um die COVID-19-Epidemie in Deutschland zu verlangsamen, abzuflachen und letztlich die Zahl der Hospitalisierungen, intensivpflichtigen Patienten und Todesfälle zu minimieren.“
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Soweit der Antragsteller einwendet, dass die Fallzahlen des RKI zum Nachweis der vom Gesetz erforderlichen Neufinfektionen nicht geeignet gewesen seien, so greift dieser Einwand nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehen keine Zweifel, dass die in Deutschland durchgeführten PCR-Tests, deren Ergebnisse in die Einschätzungen des RKI s zur Gefahrenlage und zur Wirksamkeit der Impfstoffe einfließen, geeignet sind, verlässliche Indikatoren für Infektionen mit SARS-CoV-2 zu liefern. Es leuchtet nämlich ein, dass der Nachweis einer erheblichen Konzentration an für SARS-CoV-2 typischen Nukleotidsequenzen ein Indikator für die Wirksamkeit des Virus in einem Organismus ist. Sie bilden – wie vom RKI angenommen – den „Goldstandard für den Nachweis von SARS-CoV-2“ (BVerwG, B. v. 7.7.2022 – 1 WB 2.22 – BVerwGE 176, 138 Rn 153). Der Umstand, dass ein positiver PCR-Test nicht notwendigerweise bedeutete, dass ein Patient im Zeitpunkt der Testung (noch) infektiös, also ansteckend, war, ändert nichts daran, dass die seinerzeit täglich in sehr großer Zahl durchgeführten PCR-Tests Rückschlüsse darauf zuließen, wie weit sich das Virus ausgebreitet hatte und in welchem Umfang weitere Infektionen drohten (OVG NRW, U. v. 24.9.2024 – 13 D 236/20.NE – BeckRS 2024, 29552).
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Dass das RKI eine selbstständige Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ist und damit gegenüber der Bundesregierung bzw. dem Gesundheitsminister weisungsgebunden, ändert an dieser Beurteilung nichts. Zunächst einmal durfte sich der Antragsgegner auf die damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI stützen, da dieses durch die Entscheidung des Gesetzgebers dazu berufen war, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, und Anhaltspunkte dafür, dass es diese Aufgabe nicht erfüllte, fehlten (VGH BW, U. v. 11.4.2024 – 1 S 278/23 – BeckRS 2024, 12539 Rn 125). Das RKI ist gemäß § 4 IfSG die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (Absatz 1 Satz 1). Es arbeitet u. a. mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften, mit ausländischen Stellen und internationalen Organisationen sowie mit der Weltgesundheitsorganisation zusammen (Absatz 1 Satz 3, Absatz 3 Satz 1). Zu seinen Aufgaben gehört die Erstellung von Empfehlungen und sonstigen Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (Absatz 2 Nr. 1). Es wertet die Daten zu meldepflichtigen Krankheiten und Nachweisen von Krankheitserregern infektionsepidemiologisch aus (Absatz 2 Nr. 2) und stellt die Ergebnisse der Auswertungen u. a. den obersten Landesgesundheitsbehörden und den Gesundheitsämtern zur Verfügung (Absatz 2 Nr. 3 Buchst. c und d). Das RKI ist eine infektionsepidemiologische Leit- und Koordinierungsstelle (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften <Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG>, BT-Drs. 14/2530 S. 45). Durch seine Aufgabe, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, verfügt es über eine besondere fachliche Expertise bei der Risikoeinschätzung und -bewertung einer übertragbaren Krankheit (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn 56).
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Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften kommt es allein darauf an, ob der Verordnungsgeber im fraglichen Zeitraum ihrer Geltung die von ihm bejahte Gefahrenlage aufgrund der damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG annehmen konnte. Eine nachträgliche abweichende Einschätzung anderer Sachverständiger oder die Berufung auf spätere Studien kann hieran nichts ändern. Denn – wie stets im Recht der Gefahrenabwehr (vgl. nur Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl., E Rn. 126 ff.; BVerwG, Beschluss vom 06.03.2008 – 7 B 13/08 – juris Rn. 9) – die ex ante rechtmäßig prognostizierte Gefahr entfällt selbst dann nicht, wenn ex post festgestellt wird, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Gefahrenlage bestand. Für die Beurteilung der Gefahrenlage stellt folglich das materielle Recht, hier das Infektionsschutzrecht, auf die zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen und dem Verordnungsgeber verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten ab (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn. 57; BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – juris Rn. 171, 185, 204). Dabei durfte sich der Antragsgegner – wie dargelegt – auf die damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI stützen, da dieses durch die Entscheidung des Gesetzgebers dazu berufen war, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, und Anhaltspunkte dafür, dass es diese Aufgabe nicht erfüllte, fehlten (VGH Mannheim, U. v. 11.04.2024 – 1 S 278/23 – BeckRS 2024, 12539). Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang bemängelt, dass der Antragsgegner es unterlassen habe, seine Entscheidungsfindung hinreichend aktenmäßig zu dokumentieren, muss darauf hingewiesen werden, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Begründungspflicht für Verordnungen nach § 32 IfSG existierte und nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht auch der prozessuale Vortrag des Verordnungsgebers einzubeziehen ist, der seine Beweggründe und Einschätzungen wiedergibt (vgl. nur BVerwG, U. v. 18.4.2024 – 3 CN 8.22 – juris). Deshalb musste auch der Beweisanregung des Antragstellers, die damaligen Kabinettsmitglieder der Bayerischen Staatsregierung hierzu zu befragen, nicht nachgegangen werden.
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Im Übrigen weist das RKI zu Recht darauf hin, dass während der COVID-19-Pandemie im Zuge des RKIinternen Lage- bzw. Krisenmanagements Besprechungen durchgeführt worden seien, in denen die Lage bewertet und RKI-Aktivitäten koordiniert wurden. Zu diesen Treffen seien Protokolle angefertigt worden. Als interne Arbeitsdokumente hätten sie dazu gedient, den Informationsfluss und die Abstimmung innerhalb des RKI sicherzustellen. Die Protokolle spiegelten den offenen wissenschaftlichen Diskurs wider, in dem verschiedene Perspektiven angesprochen und abgewogen würden. Die Bewertungen reflektierten den Stand des Wissens und auch der öffentlichen Debatte im Krisenstab zum jeweiligen Zeitpunkt. Einzelne Äußerungen im Rahmen solcher Diskussionen stellten nicht zwangsläufig eine abschließende wissenschaftliche Bewertung oder die abgestimmte Position des RKI dar. Die Krisenstabs-Protokolle seien daher nicht zu verwechseln mit offiziellen Veröffentlichungen oder Empfehlungen (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19-Pandemie/Protokolle/FAQ-Liste-Krisenstab.html#entry_16925118; https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19-Pandemie/Protokolle/FAQ-Liste-Krisenstab.html#entry_16925130). Die beantragte Beiziehung der Protokolle zu den Gerichtsakten war nicht notwendig, weil diese mittlerweile öffentlich zugänglich sind.
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c) Der Antragsgegner hat die in § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV festgelegte Untersagung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben als geeignet ansehen dürfen, um das mit der Verordnung verfolgte Ziel zu erreichen.
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aa) Für die Eignung reicht es aus, wenn die Verordnungsregelung den verfolgten Zweck fördern kann. Bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 185; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 59, jeweils m. w. N.).
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bb) Ausgehend von der Beurteilung des RKI zur Übertragbarkeit des Virus war die Untersagung der Öffnung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben geeignet, physische Kontakte zwischen Menschen zu reduzieren, um weitere Infektionen mit dem hochansteckenden Virus SARS-CoV-2 einzudämmen und damit den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen sicherzustellen. Dies gilt im Übrigen allgemein für Maßnahmen, um Ansammlungen zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) und damit auch allgemein die Mobilität innerhalb der Bevölkerung zu reduzieren. Durch die Untersagung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben kommt es zur Kontaktreduzierung im öffentlichen und privaten Raum.
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d) Die durch § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV festgelegte Untersagung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben waren zur Zweckerreichung erforderliche Maßnahmen.
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aa) An der Erforderlichkeit einer Maßnahme fehlt es, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 203 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 63).
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Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hatte der Verordnungsgeber angesichts der auch im hier maßgeblichen Zeitraum noch fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren (vgl. BVerfG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – Rn. 65; B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781.21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 204). Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen. Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 64). Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 17 ff.).
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Im vorliegenden Fall kamen als mildere Maßnahmen Betriebsauflagen und -einschränkungen in Betracht, wie z.B. Abstandsgebote, Hygieneregeln sowie personelle, zeitliche und örtliche Beschränkungen (so etwa Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 2. Auflage 2021, V.3. unter Hinweis auf VG Hamburg, B. v. 16.4.2020 – 17 E 1648/20 – BeckRS 2020, 9930, Rn. 13 ff). Dabei ist jedoch zu beachten, dass gerade in dieser Phase der Pandemie laut Schlussfolgerung des RKI vom 20. März 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Modellierung_Deutschland.pdf? blob=publicationFile) von jetzt an und in den nächsten Wochen „maximale Anstrengungen“ erforderlich waren, um die COVID-19-Epidemie in Deutschland zu verlangsamen, abzuflachen und letztlich die Zahl der Hospitalisierungen, intensivpflichtigen Patienten und Todesfälle zu minimieren. Stehen dem Verordnungsgeber bei der Bekämpfung einer pandemischen Infektionslage abgestufte, unmittelbar wirkende Bekämpfungsmaßnahmen zur Verfügung, so ist er nicht verpflichtet, bei der Bekämpfung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit und den Unsicherheiten über den Erfolgseintritt der möglichen Bekämpfungsmaßnahmen, im Zweifel die den Einzelnen weniger belastende Maßnahme auszuwählen. Dies liegt innerhalb des Spielraumes des Verordnungsgebers. Letztlich ist entscheidend, dass das Ziel, durch eine erhebliche Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, ohne breit angelegte Infektionsschutzmaßnahmen jedenfalls aus damaliger Sicht nicht zu erreichen gewesen war (vgl. zur Erforderlichkeit von Versammlungsverboten: BVerwG, U. v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – juris Rn 38ff).
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d) Die in § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV angeordnete Untersagung von Gastronomiebetrieben und Einzelhandelsbetrieben war angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne.
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aa) Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gewicht des Eingriffs und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 75 m. w. N.).
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bb) Die durch § 2 Abs. 2 und 4 BayIfSMV angeordneten weitgehenden Schließungen von Betrieben waren aufgrund ihrer Dauer und Intensität schwere Eingriffe in die Berufsausübungsübungsfreiheit der Betreiber (Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG). Gemildert wurde der Eingriff bei Gastronomiebetrieben durch die erlaubte Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken und bei Ladengeschäften durch die Möglichkeit des Onlinehandels. Das Eingriffsgewicht wurde ferner durch die für die von den Schließungen betroffenen Betriebe vorgesehenen staatlichen Hilfsprogramme gemindert (BVerwG, U. v. 25.7.2024 – 3 CN 3.22 – juris Rn 42).
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cc) Diesen durch die Schließung bewirkten, gewichtigen Grundrechtseingriffen standen Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID-19-Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 231 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 80 und – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 32). Der Verordnungsgeber durfte bei Erlass der Regelungen davon ausgehen, dass dringlicher Handlungsbedarf bestand. Das RKI schätzte die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland, wie bereits ausgeführt, weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein. Wegen der stark ansteigenden Zahl der Neuinfektionen und der COVID-19-Patienten in Krankenhäusern und Intensivstationen hatte die Verlangsamung der Ausbreitung ein hohes Gewicht. Nach dem – plausiblen – Schutzkonzept des Verordnungsgebers war die Schließung von Gastronomie- und Einzelhandelsbetrieben – neben der Schließung von Einrichtungen auch in den Bereichen Kultur und Freizeit, der Kontaktbeschränkung im öffentlichen und im privaten Raum, der Pflicht, in bestimmten Situationen eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, der Anordnung von Hygieneregeln – ein zentrales Mittel zur Zielerreichung (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – juris Rn. 69).
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ee) Der Verordnungsgeber hat für den zu beurteilenden Zeitraum mit den angegriffenen Regelungen einen angemessenen Ausgleich zwischen den mit ihnen verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden (BVerwG, U. v. 25.7.2024 – 3 CN 3.22 – juris Rn 42). Soweit die Betreiber von Gastronomiebetrieben und Beherbergungsbetrieben verfassungsrechtlich gesehen auch in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentum betroffen wurden, folgt hieraus keine andere Bewertung; in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs jedenfalls nicht weitergeht als der Schutz, den seine wirtschaftliche Grundlage genießt (vgl. BVerfG, U. v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u. a. – BVerfGE 143, 246 Rn. 240 und B. v. 30.6.2020 – 1 BvR 1679/17 u. a. – BVerfGE 155, 238 Rn. 86, jeweils m. w. N.; BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – juris Rn. 64).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
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4. Die Revision wird nicht zugelassen.