Inhalt

VGH München, Beschluss v. 17.03.2025 – 1 ZB 24.2
Titel:

Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, Großflächiger Einzelhandel, Erweiterung der Verkaufsfläche, Gemengelage, Schädliche Auswirkungen

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 3
BauNVO § 11 Abs. 3
Schlagworte:
Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, Großflächiger Einzelhandel, Erweiterung der Verkaufsfläche, Gemengelage, Schädliche Auswirkungen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 08.08.2023 – M 1 K 19.1593
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5876

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 16.400 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zur Erweiterung der Verkaufsfläche eines bestehenden Einzelhandelsgeschäfts für Lebensmittel.
2
Sie betreibt einen im Geltungsbereich des Bebauungsplans mit Grünordnung Nr. 86 „Gewerbegebiet E.str./A92“ vom 12. Juni 1998 liegenden Verbrauchermarkt, der am 23. Oktober 2000 mit einer Verkaufsfläche von 886 m² und einer Geschossfläche von 1.394 m² genehmigt wurde. In der Folge wurden am 1. Juni 2006 eine Erweiterung der Verkaufsfläche auf 981,79 m² sowie der Geschossfläche auf 1.573 m² genehmigt, am 3. April 2008 der Anbau eines Lagerraums und die Erhöhung der Geschossfläche auf 1.653 m² sowie am 2. Juli 2018 eine Erweiterung der Geschossfläche auf 2.015,75 m². Den zuletzt gestellten Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Vorbescheids, mit dem die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Erweiterung der Verkaufsfläche auf 1.200 m² durch Umnutzung eines Teils des Lagergebäudes hinsichtlich der Nutzungsart abgefragt wurde und die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen betreffend den Ausschluss großer Verbrauchermärkte, lehnte die Beklagte ab.
3
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richte sich aufgrund der Unwirksamkeit des Bebauungsplans nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO. Das Vorhaben füge sich nach der Art der Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, die sich hier auf das Baugrundstück und die beiden westlich angrenzenden Grundstücke beschränke. Bei dem genehmigten Verbrauchermarkt der Klägerin handle es sich aufgrund der Überschreitung einer Verkaufsfläche von 800 m² zwar um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, die Beteiligten seien jedoch im Jahr 2006 auf der Grundlage eines von der Klägerin vorgelegten Verträglichkeitsgutachtens davon ausgegangen, dass es sich um einen gewerbegebietsverträglichen Einzelhandelsbetrieb handle und Auswirkungen im Sinn von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nicht zu erwarten seien. Dies ändere sich mit der begehrten Erhöhung der Verkaufsfläche, weil die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO genannten Auswirkungen angesichts einer Geschossfläche von nunmehr 2.015,74 m² vermutet würden. Eine atypische Situation habe die Klägerin nicht aufgezeigt.
4
Mit ihrem Zulassungsantrag macht die Klägerin insbesondere geltend, dass der vorliegende großflächige Einzelhandelsbetrieb in einem Gewerbegebiet nicht zulässig sei. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ergebe sich aus § 34 Abs. 1 BauGB, die nähere Umgebung sei als Gemengelage zu qualifizieren. Der bestehende Lebensmitteldiscountermarkt sei kein Fremdkörper.
5
Die Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen. Unabhängig von der Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 BauGB oder als Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO widerspreche das geplante Vorhaben in seinem Bestand und auch mit der beantragten nochmaligen Ausweitung der Verkaufsfläche dem Kriterium des „Einfügens“ nach § 34 BauGB.
6
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Bauakten Bezug genommen.
II.
7
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht entsprechend den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
8
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich ungeachtet des Umstands, dass es für die nähere Umgebung im Hinblick auf die Art der Nutzung auf ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO abgestellt hat, aus anderen Gründen als offensichtlich zutreffend. Damit kommt in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542; BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 15 ZB 17.1003 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 12 f.). Eines gesonderten Hinweises des Senats bedurfte es hier nicht, weil die Bedeutung der weiteren Zulassungsvoraussetzung nach § 34 Abs. 3 BauGB ohne weiteres ersichtlich war und auch der Vortrag der Beklagten im Schreiben 8. März 2024 das Fehlen dieser Zulassungsvoraussetzung erkennen lässt.
9
Zwar sind in einem Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO Gewerbebetriebe aller Art allgemein zulässig. Allerdings regelt § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, nur in Kerngebieten oder in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig sind. Bei dem ursprünglich mit einer Verkaufsfläche von 886 m² genehmigten und auf eine Verkaufsfläche von 981,79 m² erweiterten Verkaufsmarkt handelt es sich um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb, der den maßgeblichen Schwellenwert von 800 m² um ca. 181 m² überschreitet (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 14.04 – BVerwGE 124, 376). Die Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe ist auch in den Fällen des § 34 Abs. 2 BauGB nach § 11 Abs. 3 BauNVO zu beurteilen (vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2009 – 4 B 4.09 – juris Rn. 9). Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sind (schädliche) Auswirkungen im Sinn von § 11 Abs. 3 Satz 2 und Satz 1 Nr. 2 BauNVO in der Regel zu vermuten, wenn die Geschossfläche des großflächigen Einzelhandelsbetriebs 1.200 m² überschreitet. Dieses Maß wird von dem Betrieb der Klägerin um ein mehrfaches überschritten. Das Verwaltungsgericht hat sich bei der Prüfung einer atypischen Fallgestaltung (vgl. BVerwG, B.v. 3.5.2021 – 4 B 44.20 – ZfBR 2021, 762; B.v. 13.12.2007 – 4 C 9.07 – BVerwGE 130, 113; B.v. 9.7.2002 – 4 B 14.02 – ZfBR 2002, 805), bei der insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen sind (§ 11 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2 BauNVO), allein auf die nach Vorlage einer Verträglichkeitsprüfung aus dem Jahr 2006 übereinstimmende Auffassung der Beteiligten beschränkt, dass es sich um ein gebietsverträgliches Vorhaben handle. Die Frage, ob ein Vorhaben ausnahmsweise zugelassen werden kann, ist jedoch nach objektiven Kriterien zu beantworten (vgl. BVerwG, B.v. 21.12.2011 – 4 B 14.11 – BauR 2012, 600). Anhaltspunkte für eine städtebauliche oder betriebliche Atypik wurden nicht festgestellt und sind auch nicht erkennbar. Auch kommt der nachträglichen Erweiterung eines Betriebs weder für die Vermutungsregelung noch ihrer Widerlegung Bedeutung zu (vgl. BVerwG, B.v. 29.11.2005 – 4 B 72.05 – NVwZ 2006, 340). Ein Einzelhandelsgroßprojekt im Sinn von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO ist in einem faktischen Baugebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO nicht zulässig.
10
Es spricht daher Einiges dafür, dass sich die nähere Umgebung im Hinblick auf den großflächigen Einzelhandelsbetrieb der Klägerin als größten Betrieb als Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BauGB erweist. Ob dieser Betrieb die Umgebung prägt oder einen Fremdkörper darstellt, kann vorliegend offen bleiben. Denn jedenfalls fehlt es dem Zulassungsvorbringen an jeglichem Vortrag, dass das geplante Vorhaben als weitere planungsrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzung für ein nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilendes Vorhaben auch mit der erneuten Erweiterung der Verkaufsfläche auf ca. 1.200 m² keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden im Sinn von § 34 Abs. 3 BauGB haben wird (vgl. OVG NW, U.v. 17.3.2021 – 7 A 4950/18 – juris Rn. 86 zur Prüfung der Zulässigkeit des Gesamtvorhabens im Fall einer Erweiterung eines vorhandenen Einzelhandelsbetriebs). Für die Frage, ob sich ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, kommt es nicht allein auf die in § 11 Abs. 3 BauNVO umschriebenen etwaigen negativen städtebaulichen Auswirkungen des Vorhabens an. Den räumlich eingeschränkten Blick weitet § 34 Abs. 3 BauGB besonders für Einzelhandelsbetriebe aus (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2017 – 4 B 43.16 – BayVBl 2017, 1067). Der Schutz und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche entspricht einem wesentlichen Anliegen der städtebaulichen Entwicklung (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2009 – 4 C 2.08 – BVerwGE 136, 10).
11
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Zulassungsantrag sieht die besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache im Wesentlichen in den Fragen, die auch zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel behandelt wurden. Die Streitsache wirft jedoch – wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt – keine über das normale Maß hinausgehenden Schwierigkeiten auf.
12
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.2.1 und 9.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der Festsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
13
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).