Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.03.2025 – 1 ZB 24.142
Titel:

Beseitigung von Seecontainern

Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 4, Art. 63 Abs. 1, Art. 76 S. 1
VwGO § 86 Abs. 3, § 108 Abs. 2
Leitsätze:
1. Für eine Abweichung von den Regeln des Abstandsflächenrechts sind Gründe erforderlich, durch die sich ein Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die etwa bewirkten Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann verletzt sein, wenn das Gericht im Lauf des Verfahrens seine (vorläufige) Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs in hinreichend eindeutiger Weise zu erkennen gegeben hat und dann – ohne vorherigen Hinweis – von dieser wieder abrückt, so dass den Beteiligten ein Vortrag zur geänderten Auffassung nicht mehr möglich ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Abstandsflächenrecht, bauplanungsrechtlich zulässiger Grenzanbau, Abweichung, Erforderlichkeit einer atypischen Grundstückssituation, Ermessensfehler (verneint), Anspruch auf rechtliches Gehör, Überraschungsentscheidung, Containeranlage, Abstandsflächen, Grenzanbau, Atypik, Ermessen, Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Hinweispflicht
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.11.2023 – M 11 K 23.2831
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5874

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger wenden sich gegen die Anordnung der Beseitigung zweier sog. Seecontainer, die sie auf dem Grundstück S. Straße …, FlNr. …, Gemarkung U. (im Folgenden: Vorhabengrundstück), aufgestellt haben.
2
Auf diesem Grundstück sowie dem unmittelbar nördlich angrenzenden Grundstück, FlNr. …, Gemarkung U. , befinden sich ein Autohaus, eine Tankstelle, eine Kfz-Werkstatt sowie eine Autowaschanlage. Am 20. Juli 2018 stellte das Landratsamt im Rahmen einer Baukontrolle fest, dass hinter der an der südlichen Grenze des Vorhabengrundstücks errichteten Waschanlage zwei sog. Seecontainer übereinander aufgestellt worden sind. Diese Containeranlage hat eine Länge von ca. 12,20 m, eine Breite von ca. 2,45 m sowie eine Höhe von ca. 5,80 m. Die Containeranlage steht auf einem Betonfundament, das zum Ausgleich des Geländeverlaufs im Osten um 0,65 m aus dem Boden ragt und nach Westen bodengleich ausläuft. Die Container dienen nach Angaben der Kläger als Lagerraum, insbesondere für Reifen, die von Kunden der Kfz-Werkstatt eingelagert werden.
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Mit Bescheid vom 26. April 2019 gab das Landratsamt den Klägern auf, die beiden Container vollständig und dauerhaft zu beseitigen.
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Aufgrund der gegen den Bescheid erhobenen Klage erhob das Verwaltungsgericht am 11. März 2021 Beweis in Form eines Augenscheins über die baulichen und örtlichen Verhältnisse auf dem Vorhabengrundstück sowie in dessen Umgebung. In der sich nach einer Zwischenberatung des Gerichts anschließenden mündlichen Verhandlung wies das Verwaltungsgericht ausweislich der Sitzungsniederschrift darauf hin, dass nach vorläufiger Rechtsauffassung der Kammer Anhaltspunkte dafür bestünden, dass ein Fall vorliegen könnte, dass planungsrechtlich an die Grenze gebaut werden dürfe, weil sich auf mehreren Grundstücken in der unmittelbaren Umgebung, nämlich auf den Grundstücken FlNrn. …, … … und …, jeweils grenzständig Gebäude mit Hauptnutzung zum Nachbarn befänden. Daraufhin beantragten die Beteiligten übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens und verzichteten im Fall der Fortsetzung desselben auf weitere mündliche Verhandlung.
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Nach Fortsetzung des Verfahrens wies das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 29. November 2023 ab. Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig und verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Containeranlage sei formell und materiell illegal. Die unmittelbar grenzständig errichtete Containeranlage halte die erforderlichen Abstandsflächen nicht ein. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO (in der bis 31. Dezember 2024 geltenden Fassung) lägen nicht vor, da durch eine zusätzliche Grenzbebauung auf dem Vorhabengrundstück der Rahmen einer wechselseitigen Verträglichkeit der beiderseitig vorhandenen Grenzbebauungen verlassen würde. Die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO (in der ab 1. August 2023 geltenden Fassung) komme vorliegend ebenfalls nicht in Betracht, weil es an der erforderlichen Tatbestandsvoraussetzung einer atypischen Grundstückssituation fehle. Unabhängig davon wäre eine Abweichung unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange nicht mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Schließlich sei auch die Ermessenausübung des Landratsamts nicht zu beanstanden.
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Mit dem Zulassungsantrag machen die Kläger geltend, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden. Die Wertung des Verwaltungsgerichts, die zu einer Ablehnung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO (in der bis 31. Dezember 2024 geltenden Fassung) geführt habe, sei fehlerhaft. Der südliche Nachbar habe eine Grunddienstbarkeit eingeräumt, um die Abstandsfläche für die Errichtung der grenzständigen Autowaschanlage zu übernehmen. Daher sei die Autowaschanlage keine relevante Grenzbebauung. Außerdem sei die auf dem südlichen Nachbargrundstück vorhandene Grenzbebauung um ein Vielfaches größer als die auf dem Vorhabengrundstück. Unabhängig davon sei von der Möglichkeit einer Abweichung auszugehen. Für das Vorhabengrundstück bestehe eine atypische Situation, da auf nahezu allen umliegenden Grundstücken eine Grenzbebauung vorhanden sei, die die notwendigen Abstandsflächen nicht einhalte. Außerdem seien Abweichungen aufgrund der Änderung von Art. 63 Abs. 1 BayBO mit Wirkung zum 1. August 2023 nach dem Willen des Gesetzgebers deutlich großzügiger handzuhaben. Darüber hinaus hätte bei der Prüfung der Ermessensausübung insbesondere berücksichtigt werden müssen, dass vor allem auf dem südlich angrenzenden Nachbargrundstück ebenfalls Schwarzbauten, insbesondere in Form eines genehmigungspflichtigen und abstandsflächenrelevanten Holzlagers, vorhanden seien, die die Abstandsflächen nicht einhielten. Des Weiteren rügen die Kläger den Verfahrensfehler eines Gehörsverstoßes durch eine Überraschungsentscheidung.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten sowie die übermittelte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. wurden nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechend dargelegt.
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542).
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Das ist nicht der Fall. Nach dem Zulassungsvorbringen erscheint es nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Beseitigungsanordnung für die Containeranlage rechtmäßig ist. Dabei kommt es nicht entscheidungserheblich auf die Frage an, ob Änderungen der Rechtslage nach dem Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2013 – 4 C 15.12 – NVwZ 2014, 454; B.v. 11.8.1992 – 4 B 161.92 – NVwZ 1993, 476), da sich die Rechtslage vorliegend nicht geändert hat.
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1.1 Ohne Erfolg wenden sich die Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO in der bis zum 31. Dezember 2024 geltenden Fassung (= a.F.) bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO in der seit 1. Januar 2025 geltenden Fassung (= n.F.) nicht vorliegen. Das angegriffene Urteil erweist sich hinsichtlich der Annahme, dass die Containeranlage die nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen nicht (vollständig) einhält, im Ergebnis als offensichtlich zutreffend (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542). Der Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Containeranlage nicht insgesamt grenzständig errichtet wurde.
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Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO n.F. ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Die abstandsflächenrechtliche Privilegierung durch diese dem Bauplanungsrecht den Vorrang einräumende Bestimmung ist nach ihrem klaren Wortlaut allerdings nur anwendbar, wenn und soweit die betrachtete Außenwand unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet wird bzw. wurde. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO n.F. privilegiert nicht die Verwirklichung geringerer oder ungenügender Abstandsflächen, wie z.B. bei Traufgassen oder „engen Reihen“ (vgl. BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – NVwZ-RR 2023, 977; B.v. 11.11.2015 – 2 CS 15.1251 – juris Rn. 9; B.v. 3.4.2014 – 1 ZB 13.2536 – BayVBl 2014, 634; U.v. 22.11.2006 – 25 B 05.1714 – NVwZ-RR 2007, 512).
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Vorliegend hat das Verwaltungsgericht im Rahmen des Augenscheins zur Containeranlage festgestellt, dass sich die Situation so darstelle, wie auf Blatt 5 der Behördenakte dargestellt. Auf Blatt 5 der Behördenakte findet sich u.a. ein Foto der Containeranlage. Unter Berücksichtigung der Grenzständigkeit der nördlichen Außenwand des Gebäudes in der Südostecke des südlich angrenzenden Nachbargrundstücks, des in diesem Bereich nicht geradlinigen, sondern leicht nach Norden abknickenden Verlaufs der südlichen Grenze des Vorhabengrundstücks sowie der Länge der Containeranlage ergibt sich daraus, dass die südliche Außenwand der Containeranlage jedenfalls nicht auf ihrer gesamten Länge grenzständig aufgestellt wurde, sondern zumindest teilweise einen (geringen) Abstand zur Grenze zum südlichen Nachbargrundstück einhält. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
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1.2 Soweit sich die Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wenden, dass die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO vorliegend nicht in Betracht komme, vermögen sie die Ergebnisrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung ebenfalls nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen. Nach dem Zulassungsvorbringen erscheint es nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Erteilung einer Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächen vorliegend schon deshalb ausscheidet, weil es an der erforderlichen Tatbestandsvoraussetzung einer atypischen Grundstückssituation fehlt.
17
Nach Auffassung des Senats erfordert die Zulassung einer Abweichung von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts auch nach der Einfügung von Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO a.F. (= Art. 6 Abs. 1 Satz 5 BayBO n.F.) und Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO noch eine sogenannte Atypik, um dem Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO entsprechen zu können (vgl. BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – NVwZ-RR 2023, 977). Mit der zwischenzeitlich erfolgten Erweiterung des Katalogs der Regelbeispiele in Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO hat der Gesetzgeber lediglich weitere atypische Situationen konkret festgelegt, unter denen eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2024 – 15 CS 24.337 – juris Rn. 15; zur Einfügung des ersten Regelbeispiels BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – NVwZ-RR 2023, 977). Die seit 1. August 2023 geltende Ausgestaltung von Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO als Soll-Vorschrift betrifft – auch nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. LT-Drs. 18/28882, S. 34: „Bei inhaltlich unveränderten tatbestandlichen Voraussetzungen“) – allein die Rechtsfolgenseite der Norm, so dass hierdurch das (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmal der Atypik nicht berührt wurde. Insofern sind für eine Abweichung von den Regeln des Abstandsflächenrechts nach wie vor Gründe erforderlich, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die etwa bewirkten Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2018 – 2 B 18.681 – VGHE BY 71, 38 m.w.N.; U.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – BayVBl 2015, 347). Eine solche Atypik kann sich – außer aus den in Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO beispielhaft genannten Sachverhalten – etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – BauR 2007, 1858).
18
Die Kläger machen geltend, dass die atypische Situation des Vorhabengrundstücks darin liege, dass auf nahezu allen umliegenden Grundstücken bereits eine Grenzbebauung vorhanden sei. Auf den Grundstücken FlNrn. … … … … … und … befinde sich jeweils eine Bebauung, die die notwendigen Abstandsflächen nicht einhalte. Wenn in der entsprechenden Umgebung keinerlei Abstände eingehalten würden, handle es sich dabei gerade um eine Situation, die nicht dem Normalfall entspreche. Gerade darin zeige sich die Atypik. Dabei verkennen die Kläger, dass sich die Atypik unmittelbar auf das Vorhabengrundstück beziehen muss, da die Abstandsflächenvorschriften den jeweiligen Nachbarn schützen sollen. Ob geringere Abstandsflächentiefen (irgendwo) in der Umgebungsbebauung vorliegen und wie diese – ggf. auch durch Abstandsflächenübernahmen – entstanden sind, ist nicht maßgeblich. Soweit die Kläger anführen, dass sich der (südliche) Nachbar, d.h. der bzw. die Eigentümer des vereinigten Grundstücks FlNrn. … und …, die Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts durch seine eigene Grenzbebauung selbst verbaut habe, sich also auf dem südlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Nachbargrundstück ebenfalls Gebäude befinden, die die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalten, und insofern ein Fall wechselseitiger Grenz- bzw. grenznaher Bebauungen vorliegt, vermag auch dies die Richtigkeit der Annahme der fehlenden Atypik nicht ernstlich in Zweifel ziehen. Zwar ist die an der südlichen Grenze des Vorhabengrundstücks errichtete Waschanlage aufgrund der (zulässigerweise erstmals) im Zulassungsverfahren vorgetragenen und durch die Vorlage der zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vereinbarung untermauerten Abstandsflächenübernahme, die sich im Rahmen der Einsichtnahme des Senats ins Grundbuch bestätigt hat, abstandsflächenrechtlich nicht als Grenzanbau anzusehen. Die die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 und Abs. 5 BayBO nicht einhaltende Grenz- bzw. grenznahe Bebauung auf dem Vorhabengrundstück ist entgegen der Ansicht der Kläger aber auch ohne Berücksichtigung der Autowaschanlage in quantitativer Hinsicht deutlich größer als diejenige auf dem südlich angrenzenden Nachbargrundstück, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Das als Landmaschinenabstellraum genehmigte Gebäude in der Nordostecke des südlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Nachbargrundstücks hat ausweislich der nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen beim gerichtlichen Augenschein eine Wandhöhe von 4,30 m und eine Firsthöhe von 5,30 m. Die klägerische Containeranlage weist zwar mit 5,80 m auf den ersten Blick keine wesentlich größere Höhe auf. Allerdings überragt sie, wie das Foto auf Blatt 5 der Behördenakte zeigt, insbesondere dadurch, dass sie als „Flachdachgebäude“ über ihre gesamte Breite eine Höhe von 5,80 m hat und die Wandhöhe aufgrund des Fundaments im östlichen Teil der Containeranlage bis zu 0,65 m vergrößert wird, den Landmaschinenabstellraum mit Satteldach deutlich. Hinzukommt, dass die südliche Wand der Containeranlage ca. 12,20 m breit ist, während die nördliche Wand des Landmaschinenabstellraums nur ca. 8,0 m breit ist, was den Eindruck der deutlich größeren Massivität der Containeranlage im Vergleich zum Landmaschinenabstellraum verstärkt. Darauf, dass der Landmaschinenabstellraum auch mit seiner östlichen Außenwand teilweise auf einer Grenze zum Vorhabengrundstück steht, kommt es für die Frage einer atypischen Grundstückssituation in Bezug auf die an bzw. nahe an der südlichen Grenze des Vorhabengrundstücks aufgestellte Containeranlage nicht an. Soweit gerügt wird, dass im Vergleich der wechselseitigen Grenzbebauungen ein ungenehmigter, großer Holzunterstand, der auf dem südlichen Nachbargrundstück westlich angrenzend an den Landmaschinenabstellraum errichtet worden sei, sowie ein Gartenhaus, das auf dem Nachbargrundstück etwa in Höhe der Autowaschanlage aufgestellt worden sei, nicht berücksichtigt worden seien, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung des Vergleichs der die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 und Abs. 5 BayBO nicht einhaltenden Grenz- bzw. grenznahen Bebauungen auf dem Vorhabengrundstück und dem südlich angrenzenden Nachbargrundstück. Denn in diesen ist auch die grenzständige Lärmschutzwand einzubeziehen, die sich nach den bei Google Earth abrufbaren Bildern von der Autowaschanlage jedenfalls bis zu dem Grenzpunkt, an dem die Grenze nach Süden abknickt, nach Westen erstreckt. Vor diesem Hintergrund haben die für den Vergleich der wechselseitigen, die Vorgaben des Abstandsflächenrechts gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 und Abs. 5 BayBO nicht einhaltenden Bebauungen relevanten Anlagen auf dem Vorhabengrundstück (Grenzmauer (lt. Lageplan mind. 13 m) + Containeranlage 12,2 m) auch unter Berücksichtigung des Gartenhauses (lt. Kläger 6,5 m) und des Holzunterstands (inkl. Landmaschinenabstellraum: lt. Kläger 12,9 m) längenmäßig eine größere Ausdehnung als diejenigen auf dem südlich angrenzenden Nachbargrundstück. Hinzukommt, dass das Gartenhaus abstandsflächenrechtlich privilegiert sein könnte (Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO); konkrete Angaben für einen vorliegenden Abstandsflächenverstoß haben die Kläger nicht gemacht.
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1.3 Schließlich vermag das Zulassungsvorbringen auch die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Ausübung des dem Landratsamt durch Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens nicht zu bestanden sei, nicht in Zweifel zu ziehen. Die Kläger machen insoweit geltend, dass in der Ermessensentscheidung des Landratsamts die bestehenden Schwarzbauten auf dem südlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstück, die ebenfalls die Abstandsflächen nicht einhielten, insbesondere das Holzlager, das aufgrund seiner Dimension genehmigungspflichtig und abstandsflächenrelevant sei, nicht berücksichtigt worden seien. Dies macht die Ermessensausübung des Landratsamts allerdings nicht fehlerhaft. Das Landratsamt hat bei seiner Ermessensentscheidung neben dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO und der Bedeutung des Abstandsflächenrechts insbesondere auf die negative Bezugsfallwirkung des Belassens der die Vorgaben des Abstandsflächenrechts nicht einhaltenden Seecontainer abgestellt. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Unter dieser Maßgabe sind jedoch Nebengebäude auf Nachbargrundstücken, die ggf. ebenfalls abstandsflächenrechtlich unzulässig sind, für die Frage des Erlasses einer Beseitigungsanordnung betreffend die Containeranlage – abgesehen vom Fall einer vorliegend nicht vorgetragenen Ermessensbindung durch Art. 3 Abs. 1 GG – nicht relevant. (Möglicherweise abstandsflächen-)rechtswidrige Nebengebäude auf Nachbargrundstücken können insofern allenfalls Anlass für eine konkrete Überprüfung derselben und für ein bauaufsichtliches Einschreiten auch gegen diese sein.
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2. Ohne Erfolg macht das Zulassungsvorbringen weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen und eine Überraschungsentscheidung getroffen.
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Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des rechtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können (§ 108 Abs. 2 VwGO). Die Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2010 – 5 B 21.09 – juris Rn. 18). Allerdings bedeutet dies nicht, dass mit dem Äußerungsrecht des Verfahrensbeteiligten eine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts korrespondiert. Vielmehr kann erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Das Gericht ist auch grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Entscheidungsfindung ergibt (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133; BVerwG, B.v. 14.8.2018 – 7 B 8.18 – juris Rn. 8; B.v. 7.10.2010 – 5 B 67.09 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – juris Rn. 4; B.v. 29.1.2010 – 5 B 21.09 – juris Rn. 18; B.v. 21.1.2000 – 9 B 614.99 – juris Rn. 5). Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es aber, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr., vgl. etwa BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133; BVerwG, B.v. 14.8.2018 – 7 B 8.18 – juris Rn. 8; B.v. 29.9.2015 – 7 B 22.15 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – NVwZ 2011, 372). Insofern kann der Anspruch auf rechtliches Gehör auch verletzt sein, wenn das Gericht im Lauf des Verfahrens seine (vorläufige) Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs in hinreichend eindeutiger Weise zu erkennen gegeben hat und dann – ohne vorherigen Hinweis – von dieser wieder abrückt, so dass den Beteiligten ein Vortrag zur geänderten Auffassung nicht mehr möglich ist (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.2024 – 2 BvR 808/24 – NJW 2024, 2978; BVerwG, B.v. 24.11.2021 – 9 B 5.21 – NVwZ 2022, 493; B.v. 16.1.2018 – 7 B 3.17 – juris Rn. 6; B.v. 26.7.2016 – 7 B 26.15 – juris Rn. 11; B.v. 29.1.2010 – 5 B 37.09 – juris Rn. 2).
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Gemessen hieran wurde der Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör vorliegend nicht verletzt. Im Zuge der Erörterung des Sach- und Streitstandes in einer mündlichen Verhandlung geäußerte Rechtsansichten des Gerichts sind grundsätzlich unverbindlich (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2010 – 5 B 37.09 – juris Rn. 3). Dies hat das Verwaltungsgericht durch die ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwendete Formulierung seines Hinweises, dass es sich um eine (lediglich) „vorläufige Rechtsauffassung“ handle und dass (lediglich) „Anhaltspunkte“ dafür bestünden, dass hier ein Fall vorliegen „könnte“, dass planungsrechtlich an die Grenze gebaut werden darf, auch explizit betont. Dass und inwiefern das Verwaltungsgericht durch seinen sich auf die mögliche Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO n.F. beziehenden Hinweis ausnahmsweise – aufgrund der sonstigen Umstände des konkreten Falls und des konkreten Verfahrensablaufs – dennoch den Eindruck erweckt hat (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 29.1.2010 – 5 B 37.09 – juris Rn. 3), dass es zumindest insoweit schon zu einer abschließenden Beurteilung gekommen war, als vorliegend jedenfalls das Ausmaß der wechselseitigen Grenzbebauungen auf dem Vorhabengrundstück und dem südlich angrenzenden Nachbargrundstück – und daher auch die damit zusammenhängende Frage ihrer wechselseitigen (Un-)Verträglichkeit – der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO n.F. nicht entgegensteht, ist nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht dargelegt. Dem gerichtlichen Hinweis war lediglich eindeutig zu entnehmen, dass es aus Sicht des Verwaltungsgerichts – für die im Raum stehende Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO n.F. – entscheidend auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Grenzanbaus ankam und diese (nach Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts) davon abhing, ob in der unmittelbaren Umgebung grenzständige Gebäude mit Hauptnutzung vorhanden sind. Dieser Aspekt wurde in der Entscheidung auch berücksichtigt. Außerdem waren das Ausmaß der vorhandenen Grenzbebauungen und folglich – entgegen der Ansicht der Kläger – auch die damit zusammenhängende Frage ihrer wechselseitigen Verträglichkeit bzw. Unverträglichkeit Gegenstand der vorangegangenen Beweiserhebung. Denn die Höhe der südlichen Außenwand der auf dem Vorhabengrundstück befindlichen, an der Grenze zum südlich angrenzenden Nachbargrundstück errichteten Autowaschanlage sowie die Höhe der nördlichen Außenwand des grenzständigen Landmaschinenabstellraums in der Nordostecke des südlich angrenzenden Nachbargrundstücks wurden im Rahmen des Augenscheins ebenso thematisiert wie festgestellt wurde, dass sich die Situation der Seecontainer so darstelle, wie auf dem Foto auf Blatt 5 der Behördenakte, auf dem u.a. die Wandhöhe der Containeranlage angegeben ist.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3‚ § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.7.1 und 1.7.2 des Streitwertkatalogs. Der Betrag entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).