Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.03.2025 – 19 CE 24.1915
Titel:

Überleitung des Chancenaufenthaltsrechts, Behördliche Hinweispflicht (§ 104c Abs. 4 AufenthG), Bezeichnung konkreter Handlungspflichten, Unzureichende Hinweise auf die Voraussetzungen des Anschlusstitels, Folgenbeseitigungs- bzw. Herstellungsanspruch, Ermessensduldung

Normenketten:
AufenthG § 104c
AufenthG § 25b
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3
Leitsatz:
Kommt die Ausländerbehörde bei der Erteilung des Chancenaufenthaltsrechts ihren Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG nicht oder unvollständig nach und ist dieser Verstoß für die Nichterlangung des Anschlusstitels ursächlich, kommt die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG für die Dauer von bis zu 18 Monaten in Betracht.
Schlagworte:
Überleitung des Chancenaufenthaltsrechts, Behördliche Hinweispflicht (§ 104c Abs. 4 AufenthG), Bezeichnung konkreter Handlungspflichten, Unzureichende Hinweise auf die Voraussetzungen des Anschlusstitels, Folgenbeseitigungs- bzw. Herstellungsanspruch, Ermessensduldung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 11.11.2024 – W 7 E 24.1815
Fundstellen:
BayVBl 2025, 312
BeckRS 2025, 5868

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. November 2024 wird geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Klage in der Hauptsache, längstens aber bis zum 16. Dezember 2025, im Bundesgebiet zu dulden.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 € festgesetzt.

Gründe

I.
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In der Sache geht es um die Frage, ob die Antragsgegnerin ihren behördlichen Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG durch die Verwendung des vom Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration zur Verfügung gestellten Hinweismusters „Wichtige Hinweise gemäß §§ 104c Abs. 4, 82 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)“, welches von den (bayerischen) Ausländerbehörden verpflichtend zu verwenden war und ist (vgl. IMS „Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts und damit verbundene Rechtsänderungen; Hinweise für die Ausländerbehörden“ vom 22.12.2022 <Az. F4-2081-3-88-218>; IMS vom 27.01.2023 <Az. F4-2081-3-88-218>) nachgekommen ist und welche Konsequenzen daraus abzuleiten sind, wenn dem nicht so ist.
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Es geht hier um die Überleitung des Chancenaufenthaltsrechts in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, deren Erteilung die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 7. August 2024 abgelehnt hat, weil die Antragstellerin Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet bzw. hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveau A2 nicht nachgewiesen hatte. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (Verfahren W 7 K 24.1389).
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Das Verwaltungsgericht hat einen Antrag der Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf Erteilung einer (Verfahrens-)Duldung mit Beschluss vom 11. November 2024 abgelehnt. Die Antragstellerin habe weder einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (die Abschiebung sei weder tatsächlich noch rechtlich unmöglich) noch auf Verfahrensduldung, da kein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. auf Zuwarten mit der Entscheidung hierüber bestehe.
4
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, die damit begründet wird, dass die Antragsgegnerin sie pflichtwidrig nicht schon bei Aushändigung des Hinweisblattes zur Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG am Tag der Erteilung des Chancenaufenthaltsrechts (3.2.2023) konkret auf das Erfordernis eines bestandenen Tests „Leben in Deutschland“ und eines Sprachzertifikats A2 hingewiesen habe, sondern erst im Anhörungsschreiben vom 22. Juli 2024 (richtig: bereits mit Hinweisschreiben vom 13.6.2024). Das Versäumnis der Ausländerbehörde sei im Rahmen einer Folgenbeseitigung rechtlich dahingehend zu berücksichtigen, dass die gesetzliche 18-Monatsfrist zur Überleitung des Chancen-Aufenthaltsrechts „entsprechend verlängert“ werde.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. November 2024 abzuändern und der Antragsgegnerin aufzugeben, bis zum rechtskräftigen Abschluss des auf die Aufhebung des Bescheids vom 7. August 2024 und die Verlängerung der Frist zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bis 26. Januar 2026 gerichteten Verfahren W 7 K 24.1389 von Abschiebungsmaßnahmen gegen die Antragstellerin abzusehen.
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Die Antragsgegnerin vermag nicht nachzuvollziehen, weshalb sie ihren Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG durch die Aushändigung des Hinweisblattes nicht nachgekommen sein soll. Das Hinweisblatt enthalte die für die Erteilung der Folgetitel erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen, z.B. Sicherung des Lebensunterhalts, hinreichende Deutschkenntnisse, Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung, und benenne auch konkrete Handlungspflichten, z.B. „Sollten Sie bislang nicht über hinreichende Deutschkenntnisse bzw. über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügen, wird dringend dazu geraten, die entsprechenden Kenntnisse zeitnah zu erwerben und einen geeigneten Nachweis darüber zu erbringen.“ Es sei auch vor dem Hintergrund, dass das Hinweismuster durch das Staatsministerium als oberste Ausländerbehörde zur Verfügung gestellt und explizit dessen Verwendung angewiesen worden sei, nicht verständlich, warum es nicht die gesetzlichen Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG abdecken sollte.
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Der Vertreter des öffentlichen Interesses ist – ohne (wie auch die Antragsgegnerin) einen eigenen Antrag zu stellen – ebenfalls der Auffassung, dass die Antragsgegnerin ihrer Hinweispflicht nach § 104c Abs. 4 AufenthG mit der Aushändigung des Hinweisblattes ausreichend nachgekommen sei. In dem Hinweisblatt sei zwar nicht ausdrücklich ausgeführt, dass für die Erteilung des Anschlusstitels nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG regelmäßig vorausgesetzt werde, dass der Ausländer über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfüge. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass es sich bei den ausdrücklich aufgelisteten Erteilungsvoraussetzungen (bei den genannten handele es sich überwiegend um diejenigen Voraussetzungen, die in den überwiegenden Fällen einer Aufenthaltstitelerteilung entgegengestanden hätten, z.B. der Lebensunterhaltssicherung, Identitätsklärung und Passpflicht) nicht um eine abschließende Aufzählung handele. Der gleichwohl enthaltene Passus „Sollten Sie bislang nicht über hinreichende Deutschkenntnisse …verfügen, wird dringend dazu geraten, die entsprechenden Kenntnisse zeitnah zu erwerben und einen geeigneten Nachweis darüber zu erbringen“ mache im Übrigen aber hinreichend deutlich, dass ein gewisses Sprachniveau nachzuweisen sei. Diesen Hinweis hätte die Antragstellerin zumindest zum Anlass nehmen müssen, sich diesbezüglich genauer zu informieren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten beider Instanzen.
II.
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Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
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Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es, eine vom Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. November 2024 abweichende Entscheidung zu treffen. Der Antragstellerin steht wegen der Verletzung behördlicher Hinweispflichten im Rahmen der Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrecht ein sicherungsfähiger „Nachteilsausgleichsanspruch“ im Form einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu, da nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ein derartiger Anspruch überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. zu diesem Maßstab: Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Auflage 2021, § 123 VwGO Rn. 22).
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1. Die Antragsgegnerin hat ihre behördlichen Hinweispflichten nach § 104c Abs. 4 AufenthG verletzt.
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Nach dieser Bestimmung ist der Ausländer spätestens bei der Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts auf die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG und, falls er das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nach § 25a AufenthG hinzuweisen (Satz 1). Dabei soll die Ausländerbehörde auch konkrete Handlungspflichten, die in zumutbarer Weise zu erfüllen sind, bezeichnen (Satz 2).
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Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/3717 Begr. S. 46) soll die Ausländerbehörde „den Ausländer, etwa durch ein verständliches Merkblatt, darauf hinweisen, dass ein weiterer erlaubter Aufenthalt von der Erfüllung bestimmter weiterer Voraussetzungen abhängen wird. Damit soll er motiviert werden, die Chance, die ihm durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG eingeräumt wird, auch zu nutzen. Es seien somit die Voraussetzungen des § 25b AufenthG oder, sofern wegen des Alters des Ausländers § 25a AufenthG einschlägig sein kann, des § 25a AufenthG zu erläutern. Hierzu gehören insbesondere die Anforderungen an die Klärung der Identität nach § 25a Abs. 6 AufenthG beziehungsweise § 25b Abs. 8 AufenthG.“
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In dem von der Antragsgegnerin verwendeten Hinweisblatt werden die Voraussetzungen für die Erteilung des Anschlusstitels in der Aufzählungspunktliste bereits (nach eigenem Verständnis) nicht vollständig aufgezählt. Im Hinweisblatt heißt es:
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„Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a oder § 25b AufenthG setzt insbesondere (keine abschließende Aufzählung) regelmäßig voraus, dass
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- Sie sich vorbehaltslos zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen,
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- kein Ausweisungsinteresse besteht,
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- Ihr Lebensunterhalt gesichert ist bzw. Sie Ihren Lebensunterhalt jedenfalls überwiegend durch Erwerbstätigkeit oder bei der Betrachtung des bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommenssowie der familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass Sie Ihren Lebensunterhalt sichern werden,
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- Ihre Identität und Staatsangehörigkeit geklärt ist, sowie dass
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- die Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllt wird.“
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Damit fehlen hinsichtlich des von der Antragstellerin begehrten Aufenthaltstitels nach § 25b AufenthG die Ziff. 1 (Mindestaufenthaltszeit), die Ziff. 2 (hier die zweite Voraussetzung „und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt“), die Ziff. 4 (Hinreichende Deutschkenntnisse) sowie die Ziff. 5 (Nachweis des Schulbesuchs) des Absatzes 1.
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Unschädlich sind hierbei die fehlenden Erläuterungen zur Ziff.1, da die Aufenthaltszeit von mindestens sechs bzw. vier Jahren in der Situation der Überleitung aus dem Chancen-Aufenthaltsrechts stets erfüllt ist. Die Ziff. 5 ist vorliegend nicht relevant.
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Hinsichtlich der hier kritischen Erteilungsvoraussetzungen (Ziff. 2 und 4) fehlen die vom Bundesgesetzgeber eingeforderten Hinweise zu den Voraussetzungen des (hier) § 25b AufenthG. Dieses Versäumnis wird nicht dadurch relativiert oder gar „geheilt“, dass sich die sowohl von der Antragsgegnerin als auch vom Vertreter des öffentlichen Interesses (hier nur hinsichtlich des Sprachniveaus) genannte Passage
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„Sollten Sie bislang nicht über hinreichende Deutschkenntnisse bzw. über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügen, wird dringend dazu geraten, die entsprechenden Kenntnisse zeitnah zu erwerben und einen geeigneten Nachweis darüber zu erbringen.“
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in dem Hinweisblatt mitten im Fließtext nach Ausführungen zu den ausdrücklich genannten Erteilungsvoraussetzungen findet.
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Die Hinweispflicht erstreckt sich auf sämtliche Titelerteilungsvoraussetzungen. Jedenfalls die positiven Tatbestandsmerkmale (vgl. Wittmann in Berlit, Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Nov. 2024, § 104c Rn. 386 zur „geläuterten Betrachtung“ mit einer Information auch hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen; siehe auch Röder in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2024. § 104c AufenthG Rn. 143), unter denen eine Überleitung in ein Aufenthaltsrecht nach § 25a AufenthG oder § 25b AufenthG gelingen kann, sind für einen Laien verständlich, juristisch nicht notwendigerweise erschöpfend (aber dennoch richtig) zusammenzufassen (Wittmann a.a.O. Rn. 387). Daran mangelt es hier. Der Hinweis auf „hinreichende Deutschkenntnisse“ gibt die Erteilungsvoraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG nicht erschöpfend wieder, da der Hinweis auf das A2-Niveau fehlt. Auch ist die Erwähnung der „Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ mitten im Fließtext, nicht mit Aufzählungspunkt ausdrücklich betont wie zuvor genannten Erteilungsvoraussetzungen, aus Sicht des Senats nicht hinreichend verständlich. Letzteres kann aber auf sich beruhen, da insoweit die konkrete Handlungspflicht, nämlich das Absolvieren des Tests „Leben in Deutschland“ nicht bezeichnet worden ist (siehe nachfolgend).
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Daneben mangelt es hinsichtlich der hier kritischen Erteilungsvoraussetzungen an der Bezeichnung konkreter Handlungspflichten, die in zumutbarerer Weise zu erfüllen sind (§ 104c Abs. 4 Satz 2 VwGO). In dem der Bundesgesetzgeber die Bezeichnung „konkreter“ Handlungspflichten ausdrücklich verlangt, wird ein bloß allgemeiner Verweis auf bestehende Mitwirkungspflichten oder die Wiedergabe des Gesetzestextes den Anforderungen regelmäßig – und so auch hier – nicht gerecht (vgl. Wittmann a.a.O. Rn. 395; Weiser in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 4. Aufl. 2025, § 104c AufenthG Rn. 38; vgl. auch BayVGH, U.v. 23.3.2006 – 24 B 95.2889 – juris Rn. 55). In dem Merkblatt ist an keiner Stelle davon die Rede, dass – wie von der Antragsgegnerin verlangt – ein anerkanntes A2-Sprachzertifikat und der Nachweis über den erfolgreich abgeschlossenen Test „Leben in Deutschland“ als Unterlagen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG als notwendig erachtet werden. Diese konkreten Handlungspflichten – also der Erwerb der genannten Nachweise – werden in dem Hinweisblatt auch nicht an anderer Stelle substituiert, insbesondere nicht durch die ab Seite 3 des Hinweisschreibens nach der Einleitung „Wir weisen Sie auf folgende Integrationsangebote des Bundes bzw. des Freistaats hin, die Ihnen die Erfüllung der o.g. Voraussetzungen erleichtern kann:“ genannten Internetlinks z.B. zum Gesamtprogramm Sprache des Bundes oder dem Projekt „Sprache schafft Chancen“, da die Relevanz dieser Links bereits mangels vollständigen Hinweises nach § 104c Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht zu erkennen ist.
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2. Eine ausdrückliche Rechtsfolge bei Verletzung der Hinweispflicht des § 104c Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG hat der Gesetzgeber nicht geregelt.
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2.1 Ein entsprechender Mangel kann keinen Anspruch auf Verlängerung des maximal 18-monatigen Aufenthaltsrechts – wie hier u.a. in der Hauptsache beantragt – begründen, da der Gesetzgeber eine solche Verlängerungsmöglichkeit ausdrücklich ausgeschlossen hat (§ 104c Abs. 3 Satz 3 AufenthG).
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2.2 Auch ein Herstellungs- bzw. Folgenbeseitigungsanspruch scheidet aus.
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Anders als im Sozialrecht, das bei der Verletzung behördlicher Auskunfts- und Hinweispflichten einen Anspruch auf Herstellung desjenigen Zustands kennt, der entstanden wäre, wenn sich der Sozialleistungsträger von vornherein rechtmäßig verhalten hätte, kann auf dem Gebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts unrechtmäßiges Verwaltungshandeln oder Unterlassen nur im Rahmen zulässigen Verwaltungshandelns ausgeglichen werden. Gegenstand eines Folgenbeseitigungsanspruchs ist daher nicht die Einräumung derjenigen Rechtsposition, die der Betroffene bei rechtsfehlerfreiem Verwaltungshandeln erlangt haben würde (BVerwG, B.v. 14.7.2010 – 1 B 13.10 – juris Rn. 3; U.v. 24.3.1988 – 3 C 48.86 – juris Rn. 21; HessVGH, B.v. 14.10.2019 – 3 B 2012/18 – juris Rn. 28; vgl. aber auch BVerwG, U.v. 30.6.2011 – 3 C 36.10 – juris Rn. 16: Anwendbar, wo Pflichtverletzungen in einem sozialrechtlich geprägten Verwaltungsverfahren durch Naturrestitution auszugleichen sind und keine Spezialregelungen bestehen). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG scheidet damit aus (in diesem Sinne aber Röder a.a.O. Rn. 146, wonach ggf. ein <teilweiser> Verzicht auf die Regelvoraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 gerechtfertigt ist), da die gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen auch für die Ausländerbehörde nicht disponibel sind.
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2.3 Probates Mittel, um die Pflichtverletzung der Behörde nicht zum Nachteil des Ausländers folgenlos zu lassen (so aber das Verwaltungsgericht), ist aus Sicht des Senats jedoch die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (in diesem Sinne auch Wittmann a.a.O. Rn. 391). Die Erteilung der Ermessensduldung ist ein zulässiges Verwaltungshandeln im oben beschriebenen Sinne und von der Antragstellung im Beschwerdeverfahren jedenfalls als Minus erfasst.
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Nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. So liegt der Fall hier: Es bestehen hier dringende persönliche Gründe, weil der Antragstellerin durch den unvollständigen Hinweis nicht vor Augen geführt wurde, welche Voraussetzungen zur Erlangung der Anschlusstitel noch erfüllt werden müssen und was ggf. zu tun ist (Röder a.a.O. Rn. 139) und ihr so die Möglichkeit der Überleitung des Chancen-Aufenthaltsrechts in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG genommen worden ist. Das Ermessen ist aufgrund des unrechtmäßigen Verwaltungshandelns der Antragstellerin auf Null reduziert.
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Mit der Ermessensduldung kann die Antragstellerin ebenso wie als Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erhalten. Insoweit ist damit die Rechtsposition der Antragstellerin wiederhergestellt, als habe die Antragsgegnerin ihren behördlichen Hinweispflichten genügt. Es ist nun an ihr, die Voraussetzungen für die Erteilung dieses Aufenthaltsrechts zu erfüllen.
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Die Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist für die Dauer von bis zu 18 Monaten zu erteilen. Das ist dem Umstand geschuldet, dass der Bundesgesetzgeber den Inhabern des Chancenaufenthaltsrechts generell 18 Monate für die zu leistende Integration einräumt. Es besteht keinerlei Veranlassung bei der Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG von der 18-Monatsfrist des Bundesgesetzgebers abzuweichen und individuelle Umstände des betroffenen Ausländers in den Blick zu nehmen und diesen Zeitraum ggf. so zu verkürzen.
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Der Beginn der 18-Monatsfrist ist an das Schreiben vom 13. Juni 2024 gekoppelt; die Postlaufzeit ist mit drei Werktagen berücksichtigt worden. Das genannte Schreiben ist mithin nach dem Rechtsgedanken des Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG in der Fassung bis zum 31. Dezember 2024 am 16. Juni 2024 der Antragstellerin zu Kenntnis gelangt. In diesem wurde sie darauf hingewiesen, dass ihre Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG nur noch bis zum 2. August 2024 gültig ist und für die Prüfung, ob die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG erfüllt sind, u.a. ein anerkanntes A2-Sprachzertifikat und der Nachweis über den erfolgreich abgeschlossenen Test „Leben in Deutschland“ vorzulegen sind. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt hat die Antragsgegnerin ihrer Hinweispflicht zu den hier noch konkret zu erfüllenden Erteilungsvoraussetzungen genügt, sodass es angemessen ist, hieran anzuknüpfen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.3 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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5. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.