Titel:
Unzulässige Berufung, Ladungsfähige Anschrift, Maßgeblicher Zeitpunkt, Ausschlussfrist
Normenketten:
VwGO § 82 Abs. 1 S. 1
VwGO § 82 Abs. 2 S. 1, 2
VwGO § 125 Abs. 2
Schlagworte:
Unzulässige Berufung, Ladungsfähige Anschrift, Maßgeblicher Zeitpunkt, Ausschlussfrist
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 13.11.2023 – RN 9 K 23.1748
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5866
Tenor
I. Die Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweiligen Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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Der Kläger, ein 1995 geborener Staatsangehöriger von Sierra Leone und unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber, begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG.
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Mit Bescheid vom 24. August 2023 lehnte das Landratsamt den Antrag des Klägers auf Aufenthaltserlaubniserteilung nach § 104c Abs. 1 AufenthG ab.
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Das Verwaltungsgericht wies die Verpflichtungsklage mit Urteil vom 13. November 2023 ab.
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Hiergegen richtet sich die vom Senat wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassene Berufung.
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das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. November 2023 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 24. August 2023 zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. November 2024 mitgeteilt hatte, dass der Kläger zum 31. Oktober 2024 wegen Untertauchens von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet worden sei, forderte der Senat den Kläger mit Schreiben an dessen Prozessbevollmächtigte vom 25. November 2024 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO auf, bis 9. Dezember 2024 eine ladungsfähige Anschrift mitzuteilen. Hierzu hat die Bevollmächtigte des Klägers unter dem 9. Dezember 2024 Stellung genommen und als ladungsfähige Anschrift die Asylbewerberunterkunft in der S.-Straße in Pf. mitgeteilt.
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Mit Schreiben vom 18. Februar 2025 hat der Senat die Beteiligten gemäß § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO zur beabsichtigten Verwerfung der Berufung durch Beschluss als unzulässig angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Die Berufung ist unzulässig. Sie ist deshalb gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen.
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1. Der Kläger hat trotz Aufforderung durch den Senat innerhalb der gesetzten Frist keine ladungsfähige Anschrift mitgeteilt. Damit fehlt es an einer Zulässigkeitsvoraussetzung der Berufung. Die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift stellt eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung dar (BVerwG, U.v. 24.3.2021 – 6 C 4.20 – juris Rn. 11). Entspricht das Rechtsmittel nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, hat das Gericht die Partei zu der erforderlichen Ergänzung aufzufordern (§ 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO). Wird auf diese Aufforderung hin eine ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt, ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – juris Rn. 42). Die Vorschrift ist im Berufungsverfahren entsprechend anzuwenden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO, vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2024, § 82 Rn. 16; Aulehner in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 82 Rn. 13 m.w.N.).
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Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO auch die Angabe seines Wohnortes. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der der Kläger tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um ihn zu individualisieren und seine Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Dadurch soll darüber hinaus auch gewährleistet werden, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Falle seines Unterliegens seiner Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Das gilt auch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten oder wenn sich während des Verfahrens die ladungsfähige Anschrift ändert. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn deren Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Solches wird nur dann angenommen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse entgegenstehen (BayVGH, B.v. 1.8.2024 – 10 CE 24.1299 – juris Rn. 15 f.; B.v. 4.8.2021 – 10 CE 21.1469 – juris Rn. 6; B.v. 7.12.2017 – 10 CE 17.2321 – juris Rn. 7), was der Kläger jedoch nicht geltend macht und wofür auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
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1.1 Zwar hat der Kläger auf Aufforderung des Senats vom 25. November 2024 – aufgrund der Mitteilung des Beklagten, dass der Kläger zum 31. Oktober 2024 von Amts wegen (wegen Untertauchens) nach unbekannt abgemeldet worden sei – innerhalb der gesetzten Frist als ladungsfähige Anschrift die Asylbewerberunterkunft in der S.-Straße in Pf. mitgeteilt. Dabei handelt es sich jedoch – jedenfalls im Zeitpunkt des Ablaufs der für die Ergänzung gemäß § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO gesetzten Frist am 9. Dezember 2024 – nicht um eine ladungsfähige Anschrift im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hiermit ist die Angabe des tatsächlichen Wohnorts im beschriebenen Sinne gemeint, also die Anschrift, unter der die Partei tatsächlich zu erreichen ist (BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – juris Rn. 30 m.w.N.). Die Angabe einer Adresse, an der sich der Kläger in Wahrheit gar nicht aufhält (Deckadresse), entspricht nicht den Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift (BayVGH, B.v. 1.8.2024 – 10 CE 24.1299 – juris Rn. 18; B.v. 7.12.2017 – 10 CE 17.2321 – juris Rn. 9). Vorliegend sprechen die überwiegenden Gesichtspunkte dafür, dass es sich bei dem zugewiesenen Zimmer in der genannten Unterkunft lediglich um eine Deckadresse handelte, unter der der Kläger nicht tatsächlich erreichbar war:
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Zum 31. Oktober 2024 wurde der Kläger – nachdem seine Duldungsbescheinigung am 30. September 2024 abgelaufen war und er nach den Angaben des Beklagten (vgl. Schriftsätze der Landesanwaltschaft vom 4. und 25. November 2024) in seiner Unterkunft nicht erreicht werden konnte – von Amts wegen abgemeldet. Zwei Termine zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde am 25. November und 12. Dezember 2024 hat der Kläger nicht wahrgenommen. Zum 18. Dezember wurde der Kläger nach Vorsprache bei der Ausländerbehörde in der o.g. Asylbewerberunterkunft angemeldet und ihm eine neue Duldungsbescheinigung ausgestellt (vgl. Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 20.12.2024). Am 9. Dezember 2024 war der Kläger somit in der genannten Unterkunft noch nicht angemeldet, weshalb es sich auch nicht um eine ladungsfähige Anschrift handeln konnte. Aber auch im unmittelbar nach diesem Datum liegenden Zeitraum hat sich der Kläger nach den vorliegenden Indizien tatsächlich nicht dort aufgehalten. Denn der Beklagte teilte unter dem 8. Januar 2025 mit, dass der Kläger zum 19. Dezember 2024 wieder abgemeldet worden sei, nachdem er in seinem Zimmer in der Asylbewerberunterkunft bei sechs Anwesenheitskontrollen nicht angetroffen worden sei und sein Zimmer nach Auskunft des Hausmeisters einen „gänzlich unbewohnten“ Eindruck mache. Daraufhin ließ der Kläger zwar unter dem 15. Januar 2025 mitteilen, dass er sich nach wie vor in der ihm zugewiesenen Unterkunft befinde und sich von dort (auf Anraten der Klägerbevollmächtigten hin) auch nicht wegbewegt habe. Eventuell habe er sich zum Zeitpunkt der Überprüfungen nicht in seinem Zimmer befunden, er habe sich jedoch in der Unterkunft befunden. Unter dem 28. Januar 2025 teilte der Beklagte jedoch mit, dass der Kläger – nachdem sein Aufenthalt zwischenzeitlich kurz wieder bekannt gewesen und er zum 20. Januar 2025 von Amts wegen wieder angemeldet worden sei – am 28. Januar 2025 erneut rückwirkend zum 21. Januar 2025 von Amts wegen abgemeldet worden sei. Das Zimmer des Klägers in der Asylbewerberunterkunft – welches er gemeinsam mit Herrn B.C. bewohne – sei von Mitarbeitern des Landratsamts am 23. und 28. Januar 2025 aufgesucht worden. Aus den (dem Schriftsatz der LAB beigelegten) Aktenvermerken (mit Lichtbildern des Zimmers sowie der geöffneten Kühl- bzw. Gefrierschränke) ergebe sich, dass der Kläger in der ihm zugewiesenen Unterkunft keinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, da er sich dort nicht – auch nicht vorübergehend – aufhalte. Es sei nicht erkennbar, dass er dort seinen Lebensmittelpunkt habe und ein auf Dauer angelegter Aufenthalt dort nicht erfolge. Auch der angebliche Mitbewohner – Herr B.C. – hat auf Nachfrage angegeben, dass er das Zimmer allein bewohne und er den Kläger „seit mindestens einer Woche“ nicht mehr gesehen habe. Auch bei zwei weiteren Kontrollen am 17. und 19. Februar 2025 konnte der Kläger dort nicht angetroffen werden (vgl. die mit Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 24.2.2025 übermittelten Altenvermerke des Landratsamtes). Somit sprechen die überwiegenden Indizien dafür, dass der Kläger sich in dem angegebenen Zimmer in der Asylbewerberunterkunft Pf. tatsächlich nicht aufhielt, weshalb es sich nicht um eine ladungsfähige Anschrift handelte. Vielmehr sah er sich offensichtlich erst durch das Anhörungsschreiben des Senats vom 18. Februar 2025 nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO und die darauf nach Angabe der Bevollmächtigten erfolgten Hinweise dazu veranlasst, das ihm zugewiesene Zimmer zu beziehen.
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1.2 An diesem Befund vermag die mit Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 7. März 2025 übermittelte eidesstattliche Erklärung des Klägers, er halte sich seit dem 25. Februar 2025 täglich in dem genannten Zimmer in der Unterkunft auf, nichts zu ändern. Zwar kann die Ergänzung von Mängeln der Klage- bzw. Rechtsmittelschrift (hier die ladungsfähige Anschrift des Klägers) grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erfolgen, etwas Anderes gilt aber, wenn der zuständige Richter – wie hier – eine Ausschlussfrist nach § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO setzt. Sie verlegt den Zeitpunkt der Nachbesserungsmöglichkeit für den Mindestinhalt der Klageschrift (§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nach vorne und macht eine erst nach Fristablauf vorgelegte Ergänzung unbeachtlich mit der Folge, dass die Klage bzw. das Rechtsmittel unzulässig ist (Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: August 2024, § 82 VwGO Rn. 33 f.). Das gerichtliche Hinweisschreiben gemäß § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO dient dem gegenüber nur der Einräumung rechtlichen Gehörs, eröffnet aber keine neue Frist zur Ergänzung der Rechtsmittelschrift.
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1.3 Dem Einwand des Klägers, die Rechtsfolge der Unzulässigkeit sei unverhältnismäßig, da das Gesetz „über § 40 Abs. 4 (richtig: § 50 Abs. 4), § 46 und § 61 AufenthG“ mildere Mittel vorsehe, ist nicht zu folgen. Bei der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt es sich, wie ausgeführt, um eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsmittels. Die genannten Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes verfolgen dem gegenüber ersichtlich andere Zwecke, insbesondere die Sicherstellung der Aufenthaltsbeendigung.
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1.4 Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht ersichtlich.
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Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Gemäß § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO gilt dies ebenso für eine vom Gericht zur Ergänzung der Klage- bzw. Beschwerdeschrift gesetzte Frist mit ausschließender Wirkung. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwGO).
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„Verschulden“ i.S.v. § 60 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrzunehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. Zwar trägt der Kläger (unter Vorlage eines fachärztlichen Attestes) vor, er habe sich bis Februar 2025 bei seiner erkrankten Partnerin in Thüringen aufgehalten. Damit ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, dem Gericht bis zum 9. Dezember 2024 eine ladungsfähige Anschrift mitzuteilen. Vielmehr bestätigt der Vortrag, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich nicht in der genannten Unterkunft gewohnt hat.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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4. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.