Titel:
Klage einer Standortgemeinde, Errichtung einer Asylunterkunft, Gewerbegebiet, Veränderungssperre, Befristung ab Nutzungsaufnahme, Erforderlichkeit (verneint)
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 246 Abs. 14
Schlagworte:
Klage einer Standortgemeinde, Errichtung einer Asylunterkunft, Gewerbegebiet, Veränderungssperre, Befristung ab Nutzungsaufnahme, Erforderlichkeit (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5481
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Januar 2024 (M 1 K 25.334) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin begehrt als Standortgemeinde Eilrechtsschutz gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom … Januar 2025 erteilten Baugenehmigung für den Neubau einer Containeranlage zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden.
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Mit Antrag vom … März 2024 begehrte die Beigeladene die Erteilung einer auf 11 Jahre befristeten Baugenehmigung für den Neubau auf der FlNr. 2577 Gem. V. (Vorhabengrundstück). Das geplante Vorhaben umfasst laut Bauantrag drei Containergebäude mit einer Gesamtgrundfläche von 1.291,6 qm. Dabei sollen zwei zweistöckige Container mit jeweils neun Zimmern mit Badezimmer und einer Küche, ein Aufenthaltsraum und zwei kleinere Zimmer errichtet werden. In einem weiteren Container sollen sich ein Gemeinschaftsraum/Büro, ein Lagerraum und ein Aufenthaltsraum für Security befinden.
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Das Vorhaben befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 64 „Gewerbegebiet W. III“ in der Fassung der am ... August 2021 in Kraft getretene 4. Änderung, der für das Baugrundstück ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO festsetzt.
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Am … April 2024 beschloss die Antragstellerin die 5. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 64 „Gewerbegebiet W. III“ samt Überplanung der FlNr. 2578 Gem. V. , wonach die Ausnahmen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sowie die nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1, 3 bzw. 4 BauNVO zulässigen Beherbergungsbetriebe, Tankstellen und Anlagen für sportliche Zwecke explizit ausgeschlossen werden sollen. Zur Sicherung dieser Planung beschloss sie zudem eine Veränderungssperre für den bisherigen Geltungsbereich des Bebauungsplans und der Erweiterungsfläche auf der FlNr. 2578, Zudem verweigerte die Antragstellerin mit Beschluss vom … April 2024 ihr Einvernehmen zum Vorhaben.
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Mit Schreiben vom … Mai 2024 hörte das LRA die Antragstellerin zur beabsichtigten Abweichung gemäß § 246 Abs. 14 Satz 3 BauGB mit Monatsfrist an.
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Unter dem … Juni 2024 erteilte der Antragsgegner die Baugenehmigung unter Abweichung von den Vorschriften des Baugesetzbuches und den aufgrund des Baugesetzes erlassenen Vorschriften befristet für 11 Jahre. Mit Bescheid vom … Juli 2024 ergänzte der Antragsgegner die Gründe des Bescheids vom … Juni 2024, indem er den dringenden Bedarf an Unterbringungskapazitäten anhand der Zugangszahlen und der Erfüllungsquote des Landkreises R. herleitete. Diese Bescheide sind in einem anderweitigen Klageverfahren anhängig (M 1 K 24.4132).
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Mit Bescheid vom … Januar 2025 hob das LRA den Bescheid vom … Juni 2024 nebst Ergänzungsbescheid vom … Juli 2024 auf und erließ am selben Tag die streitgegenständliche Baugenehmigung, befristet auf 10 Jahre ab Nutzungsaufnahme unter Abweichung der Vorschriften des Baugesetzbuchs und den aufgrund des Baugesetzbuches erlassenen Vorschriften.
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Das Vorhaben liege im Geltungsbereich der Veränderungssperre, ohne dass eine Ausnahme hiervon erteilt werden könne, weil eine solche nicht mit der Planungskonzeption vereinbar wäre. Dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten könnten im Landkreis nicht bereitgestellt werden. In Bayern habe der Gesetzgeber von einem verbindlichen Gemeindeschlüssel abgesehen und entsprechende Verteilungsquoten nach § 3 Asyldurchführungsverordnung nur landkreisbezogen festgelegt. Daher könne sich das Landratsamt als Aufgabenträger hinsichtlich der Frage, in welchen Standortgemeinden Asylbewerberunterkünfte errichtet oder genutzt werden sollen, genauso von anderen eigenen Zweckmäßigkeitsüberlegungen leiten lassen. Die vorhandenen und geplanten Unterbringungsmöglichkeiten im Landkreis hielten mit dem tatsächlichen und prognostizierten Zustrom nicht Schritt. Ein Engpass zeichne sich ab, Unterbringungsmöglichkeiten würden dringend benötigt. Die Standortentscheidung begründe sich im Wesentlichen mit der objektiven Geeignetheit des Grundstückes und dem Fehlen weiterer Immobilienangebote im Landkreis.
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Die Zugangszahlen nach Bayern seien 2023 etwa 27% über dem Niveau des Vorjahres gelegen, eine Entspannung der Situation sei nicht absehbar. Im Regierungsbezirk O. sei der Landkreis R. mit einer Erfüllungsquote von 75,89% (Stand …12.2024) auf dem letzten Platz. Weiterhin weise die Regierung von O. dem Landkreis R. durchschnittlich alle 14 Tage 50 Personen zur Unterbringung zu. Das Landratsamt müsse für die Erstunterbringung aufgrund der schwierigen Lage am örtlichen Immobilienmarkt bereits seit März 2022 auf landkreiseigene Schulturnhallen zurückgreifen. Auch ohne verbindlichen Gemeindeschlüssel könne berücksichtigt werden, dass die Antragstellerin Untererfüllerin sei. Gehe man von einer Erfüllungsquote von 100% des Landkreises aus, müsste die Gemeinde zusätzlich zu den derzeit untergebrachten 115 Personen rechnerisch weitere 132 Personen aufnehmen. Um die Landkreisquote von 100% zu erfüllen, müssten landkreisweit insgesamt weitere 1236 Personen unterkommen. Deshalb müsse das Vorhaben, das Platz für 160 Flüchtlinge biete, genutzt werden. Die Befristung auf 10 Jahre sei auch unter Berücksichtigung der kommunalen Planungshoheit verhältnismäßig. Der Grundstückseigentümer sei zu einem Pachtvertrag nur bereit gewesen, wenn dieser auf entsprechend lange Zeit abgeschlossen würde. Die Unterkunft stehe gewerblichen Vorhaben im Plangebiet auch nicht entgegen, da Anlagen für soziale Zwecke nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO grundsätzlich zulässig seien und einem gewerblichen Vorhaben gerade nicht entgegenstünden. Bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und der Planungshoheit der Gemeinde müsse auch einfließen, dass das Vorhaben nach den Vorgaben des bisherigen Bebauungsplans nach § 246 Abs. 11 BauGB hätte zugelassen werden sollen. Eine Abweichung von den Baugrenzen sei unter Berücksichtigung aller abzuwägender Belange und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar, denn nur so könnten die Container unter der bestmöglichen Ausnutzung des Grundstücks errichtet werden.
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Die Antragstellerin hat am 20. Januar 2025 Klage (M 1 K 25.334) gegen die Baugenehmigung erhoben und zugleich im Eilverfahren beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage zum Verwaltungsgericht München gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts R. vom … Januar 2025, Az.: … / F. , wird angeordnet.
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Es werde bezweifelt, dass die Unterkunft dringend benötigt werde. Die Zahl der Erst- und Folgeanträge im Jahr 2024 sei im Vergleich zu 2023 um ca. 29% zurückgegangen. Mit veraltetem Zahlenmaterial sei ein derart gravierender Eingriff in die kommunale Planungshoheit jedoch nicht zu rechtfertigen. Die Baugenehmigung sei zudem unter Überdehnung des Anwendungsbereichs von § 246 Abs. 14 BauGB ergangen, was zu ihrer Rechtswidrigkeit führe. Im Hinblick auf den mit einer Anwendung von § 246 Abs. 14 BauGB verbundenen Eingriff in die kommunale Planungshoheit sei diese Regelung gegenüber § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB subsidiär. Das Landratsamt hätte eine auf drei Jahre befristete Ausnahme von der Veränderungssperre erteilen können, sodass es eines Rückgriffs auf § 246 Abs. 14 BauGB nicht bedurft hätte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 24.6.2024 – 9 CS 24.458) habe entschieden, dass bei solchen temporären Bauvorhaben nicht davon auszugehen sei, dass ein Widerspruch zur beabsichtigten Planung vorliege. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb eine Befristung auf drei Jahre nicht ausgereicht hätte, um den derzeitigen Unterbringungsbedarf zu rechtfertigen. Ungeachtet dessen hätte das Landratsamt aber unter Angemessenheitsgesichtspunkten mit Blick auf die deutlich geringere Eingriffsintensität eine Befristung auf allenfalls drei Jahre vornehmen müssen. Auch habe das Landratsamt in diesem Kontext berücksichtigten müssen, dass die Antragstellerin durchaus bereit sei, den Antragsgegner bei der Verteilung von Unterzubringenden auf mehrere kleinere Standorte zu unterstützen. Eine Genehmigung für einen Standort dieser Größenordnung hätte es demnach nicht bedurft.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Zwar treffe es zu, dass die Zahl der Asylerst- und Folgeanträge rückläufig sei. Bei einer derzeitigen Erfüllungsquote von 75,89% (Stand … Dezember 2024) müsse der Landkreis indes rechnerisch noch 1.236 Personen aufnehmen, um auf eine Erfüllungsquote von 100% zu kommen.
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§ 246 Abs. 14 BauGB ermögliche gerade in Fällen, in denen auch bei Anwendung von § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden können, eine Abweichung von Vorschriften des BauGB. Dies beinhalte auch, eine längere Laufzeit zu wählen als in § 246 Abs. 12 BauGB, wobei dort eine Befristung von drei Jahren mit einer einmaligen Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Jahre vorgesehen sei. Zu beachten sei auch die Pflicht des Landkreises, die Schulturnhallen wieder den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig stünden immer weniger Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung. Eigentümer der Immobilie sei die private Bauherrin. Diese habe mitgeteilt, dass eine Mietvertragslaufzeit von 10 Jahren ohne Sonderkündigungsrecht benötigt werde, um sich wirtschaftlich abzusichern. Die zivilrechtliche und wirtschaftliche Grundlage des Mietvertrages sei nachvollziehbar. Eine Befristung auf 3 Jahre stünde somit als Option nicht zur Verfügung. Auch sei die Antragstellerin mehrfach gebeten worden, geeignete Standorte für die Flüchtlingsunterbringung zu benennen. Nachdem dieser Aufforderung nicht nachgekommen worden sei, habe man das Angebot der Bauherrin angenommen.
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Die Beigeladene beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Notunterkünfte in den Schulturnhallen würden die Annahme stützen, dass Unterbringungsmöglichkeiten dringend benötigt werden. Zwischenzeitlich sinkende Flüchtlingszahlen würden nichts daran ändern, dass eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen auch für einen längeren Zeitraum sichergestellt werden müsse, da der allgemeine Wohnungsmarkt gerade für diesen Personenkreis kaum aufnahmefähig sei. Zudem seien bei den sinkenden Asylantragszahlen nicht die Geflüchteten aus der Ukraine berücksichtigt. Die Antragstellerin habe lediglich angekündigt, bei der Standortsuche tätig zu werden, konkrete geeignete Alternativstandorte seien jedoch nicht vorgeschlagen worden. Das Landratsamt hätte auch nicht vorrangig auf § 14 Abs. 2 BauGB zurückgreifen müssen. Nach dem Wortlaut sei § 246 Abs. 14 BauGB lediglich gegenüber den Absätzen 8 bis 13 subsidiär. Die Genehmigung hätte zudem auch nicht auf nur 3 Jahre befristet werden müssen. Während der Gesetzgeber in den Absätzen 12 und 13 des § 246 BauGB eine maximale Befristungsdauer von 3 Jahren festgelegt habe, sei in Absatz 14 gerade auf eine Befristung verzichtet worden. Es liege daher im Ermessen der zuständigen Behörde, über die Dauer einer Befristung zu entscheiden. Die Ermessenserwägungen im streitgegenständlichen Bescheid seien schlüssig dargelegt, ein Ermessenfehler sei nicht ersichtlich.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die beigezogene Behördenakte sowie die Gerichtsakten des Eil- und des Hauptsacheverfahrens (M 1 K 25.334).
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid hat Erfolg, da das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse überwiegt.
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Das Gericht der Hauptsache kann gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn die vorzunehmende, eigene Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Maßgeblich dafür sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt nach gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, so ist die Vollziehung regelmäßig auszusetzen, weil an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erscheint der Verwaltungsakt nach vorläufiger Betrachtung hingegen als voraussichtlich rechtmäßig, so ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, sofern ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017- 15 CS 17.1675 – juris Rn. 11; B.v. 7.11.2022 – 15 CS 22.1998 – juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 11.11.2020, 7 VR 5.20 – juris Rn. 8).
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Nach diesem Maßstab wird die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom … Januar 2025 voraussichtlich Erfolg haben, weil der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und die Antragstellerin in der ihr nach Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV zustehenden Planungshoheit verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Gemäß § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB kann das gemäß §§ 246 Abs. 14 Satz 2, 203 Abs. 3 BauGB, § 2 Abs. 5 Satz 1 ZustVBau zuständige Landratsamt bei Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbegehrende bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 von den Vorschriften des Baugesetzbuches oder den aufgrund des Baugesetzbuches erlassenen Vorschriften im erforderlichen Umfang abweichen, soweit auch bei Anwendung von § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können.
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Die in § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB vorgesehene, sehr weitgehende Abweichungsbefugnis muss also in zweierlei Hinsicht erforderlich sein: zunächst wird vorausgesetzt, dass auch bei Anwendung der in § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB vorgesehenen Instrumentarien dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. Ist dies zu bejahen, kann inhaltlich jedoch nicht unbegrenzt, sondern nur im erforderlichen Umfang abgewichen werden. Zur Prüfung der Erforderlichkeit sind – vergleichbar zu § 37 BauGB – die widerstreitenden öffentlichen Belange, auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen, für jeden Einzelfall zu gewichten, schließlich sind auch die jeweils konkreten Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu beachten (s. zum Ganzen: Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Kratzberger, BauGB, 156. EL September 2024, § 246 Rn. 97 ff. wie auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/6185, dort S. 55). Dabei können insbesondere die konkrete Lage und Größe des Vorhabens, das Bestehen von Alternativstandorten sowie die Befristung der Baugenehmigung bzw. die Nutzungsdauer berücksichtigt werden (Battis/Mitschang/Reidt, NVwZ 2015, 1633).
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Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit der Unterbringung sind keine übersteigerten Anforderungen an die Erforderlichkeitsprüfung zu stellen – eine sich aus der örtlichen Situation ergebende Plausibilität der Erforderlichkeit ist zur Vermeidung eines ausufernden Gebrauchs der Ausnahmevorschrift ausreichend, im Hinblick auf die gemeindliche Planungshoheit aber auch erforderlich (VG Würzburg, B.v. 12.06.2024 – W 5 S 24.502 – juris Rn. 49). Dabei kommt der Bedarfsdeckung ein höheres Gewicht zu als einer erschöpfenden Subsidiaritätsprüfung, die den durch die angestrebte Bedarfsdeckung gezogenen Zeithorizont und die Möglichkeiten der Verwaltung zu ihrer Durchführung zu berücksichtigen hat (VG Würzburg, a.a.O.; OVG Hamburg, B.v. 9.5.2016 – 2 Bs 38/16 – juris Rn. 7).
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2. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung ist damit unter anderem relevant, wie lange die betroffene Standortgemeinde durch die erteilte Genehmigung in ihrer Planungshoheit – konkret beabsichtigt ist gemäß Gemeinderatsbeschluss vom … April 2024, dass künftig Anlagen für soziale Zwecke nicht nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden können – beeinträchtigt ist. Die Dauer der Beeinträchtigung ist jedoch in der vorliegenden Konstellation nicht konkret absehbar. Der Antragsgegner hat die Baugenehmigung „auf 10 Jahre ab Nutzungsaufnahme befristet“ (Tenorbuchst. B). Der Zeitpunkt der Nutzungsaufnahme ist zwar aufgrund der Anzeigepflicht nach Art. 78 Abs. 2 BayBO hinreichend bestimmbar. Allerdings ist die Antragstellerin nicht erst mit der Nutzungsaufnahme in ihrer Planungshoheit eingeschränkt, sondern bereits mit Erlass der Baugenehmigung, die ab diesem Zeitpunkt Gestattungswirkung entfaltet, vgl. Art. 68 Abs. 6 BayBO, und eine der planerischen Konzeption entsprechende Nutzung verhindert. Die Nutzungsaufnahme erfolgt sodann erst mit Fertigstellung des Vorhabens. Die dafür erforderliche Bauzeit ist weder speziell im Bescheid, noch allgemein in der Bayerischen Bauordnung befristet. Der Bau könnte sich über einen längeren Zeitraum hinweg ziehen, ohne dass die Nutzungsfrist je zu laufen begänne (auch wenn dies im Hinblick auf die vorgetragene Dringlichkeit des Vorhabens hier vermutlich nicht im Interesse der Beteiligten liegt). Die Dauer der Beeinträchtigung der gemeindlichen Planungshoheit ist wegen des fehlenden Enddatums der Genehmigung nicht konkret absehbar. Dies macht eine die Beeinträchtigung der Antragstellerin gewichtende Erforderlichkeitsprüfung unmöglich, weil unklar ist, wie lange das Grundstück der Verwirklichung der gemeindlichen Planung tatsächlich entzogen bleibt.
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3. Es kann für das vorliegende Eilverfahren daher offenbleiben, ob der Antragsgegner überhaupt von der Abweichungsbefugnis nach § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB Gebrauch machen durfte – jedenfalls ist der dringende Unterbringungsbedarf im Gebiet der Gemeinde nach Auffassung der Kammer durchaus plausibel dargelegt – und wenn ja, ob es für den streitgegenständlichen, von der vorherigen Baugenehmigung abweichende Bescheid nicht einer erneuten Anhörung der Gemeinde nach § 246 Abs. 14 Satz 3 Halbs. 1 BauGB bedurft hätte.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 9.10 des Streitwertkatalogs.