Titel:
Klage einer Standortgemeinde, Errichtung einer Asylunterkunft, Nutzungsänderung, Gewerbegebiet, Veränderungssperre, Abweichung, Unbefristete Baugenehmigung, Erforderlichkeit (verneint)
Normenketten:
VwGO § 80a Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 246 Abs. 14
BauGB § 14 Abs. 2 S. 1
Schlagworte:
Klage einer Standortgemeinde, Errichtung einer Asylunterkunft, Nutzungsänderung, Gewerbegebiet, Veränderungssperre, Abweichung, Unbefristete Baugenehmigung, Erforderlichkeit (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5480
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom … Juli 2024 (M 1 K 24.4560) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf EUR 15.000 festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin sucht als Standortgemeinde Eilrechtsschutz bezüglich einer Baugenehmigung, die der Antragsgegner der Beigeladenen für die Nutzungsänderung eines Gewerbeobjekts in eine Gemeinschaftsunterkunft erteilt hat.
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Unter dem ... April 2024 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Gewerbeobjekts in eine Gemeinschaftsunterkunft auf FlNr. 2944 Gem. S. (Vorhabengrundstück). Im Stellplatznachweis wird die Kapazität mit 101 Betten angegeben. Auf zwei Stockwerken sollen 17 (EG) bzw. 19 (OG) Mehrbettzimmer entstehen, zusätzlich hierzu 6 (EG) bzw.7 (OG) geteilte Aufenthaltsräume, pro Stockwerk je zwei Gemeinschaftswasch- und -toilettenräume sowie je eine Gemeinschaftsküche.
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Am … April 2024 beschloss die Antragstellerin für das Vorhabengrundstück und seinen Umgriff einen Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren aufzustellen. Das derzeit als faktische Gewerbegebiet einzustufende Quartier solle als Gewerbestandort gesichert werden, sodass beabsichtigt sei, die Zulässigkeit von Anlagen für soziale Zwecke auszuschließen. Zugleich beschloss die Antragstellerin den Erlass einer Veränderungssperre für das Plangebiet und beschloss, im Hinblick auf die Veränderungssperre das Einvernehmen zum Vorhaben zu verweigern.
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Mit Schreiben vom … Mai 2024 hörte das Landratsamt die Antragstellerin zur beabsichtigten Abweichung gemäß § 246 Abs. 14 Satz 3 BauGB mit Monatsfrist an. Die Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre könne nicht zugelassen werden, weil sie nicht mir der Planungskonzeption vereinbar wäre. Dabei hielten die vorhandenen und geplanten Unterbringungskapazitäten im Landkreis R. mit dem tatsächlichen und dem prognostizierten Zustrom von Flüchtlingen und Asylbegehrenden nicht Schritt, ein Unterkunftsengpass zeichne sich ab, sodass Unterkunftsmöglichkeiten dringend benötigt würden. Die Standortentscheidung begründe sich im Wesentlichen mit der objektiven Geeignetheit des Grundstückes und dem Fehlen weiterer Immobilienangebote. Es sei daher beabsichtigt, von den Vorschriften des Baugesetzbuches und der Veränderungssperre abzuweichen.
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Mit Beschluss vom ... Juni 2024 beschloss die Antragstellerin, dass es bei der Einvernehmensverweigerung gemäß Beschluss vom … April 2024 verbleibe, was sie dem Landratsamt mit Schreiben vom … Juni 2024 mitteilte.
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Unter dem … Juli 2024 erteilte der Antragsgegner die streitgegenständliche Baugenehmigung unter Abweichung von den Vorschriften des Baugesetzbuches und den aufgrund des Baugesetzes erlassenen Vorschriften. Das Vorhaben liege im Geltungsbereich der Veränderungssperre, von der eine Ausnahme nicht erteilt werden könne, weil eine solche nicht mit der Planungskonzeption vereinbar wäre. Dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten könnten im Landkreis nicht bereitgestellt werden. In Bayern habe der Gesetzgeber von einem verbindlichen Gemeindeschlüssel abgesehen und entsprechende Verteilungsquoten nach § 3 Asyldurchführungsverordnung nur landkreisbezogen festgelegt. Daher könne sich das Landratsamt als Aufgabenträger hinsichtlich der Frage, in welchen Standortgemeinden Asylbewerberunterkünfte errichtet oder genutzt werden sollen, genauso von anderen eigenen Zweckmäßigkeitsüberlegungen wie Wirtschaftlichkeit der Unterbringung (z. B. aufgrund von Synergieeffekten), Integrations- und anderen sozialen Gesichtspunkten, Erreichbarkeit, (Gebiets-)Verträglichkeit oder auch dem Vorhandensein von verbindlichen Anmietangeboten für geeignete Objekte leiten lassen. Unter Abwägung der von der Entscheidung betroffenen öffentlichen und privaten Interessen könne eine Abweichung erteilt werden. Die vorhandenen und geplanten Unterbringungsmöglichkeiten im Landkreis hielten mit dem tatsächlichen und prognostizierten Zustrom nicht Schritt. Ein Engpass zeichne sich ab, Unterbringungsmöglichkeiten würden dringend benötigt. Die Standortentscheidung begründe sich im Wesentlichen mit der objektiven Geeignetheit des Grundstückes und dem Fehlen weiterer Immobilienangebote im Landkreis. Diese Aspekte überwögen vorliegend die kommunale Planungshoheit.
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Mit Bescheid vom … Juli 2024 ergänzte der Antragsgegner die Gründe des Bescheids vom … Juli 2024, indem er den dringenden Bedarf an Unterbringungskapazitäten anhand der Zugangszahlen (50.200 Asylbewerber im Kalenderjahr 2023) und der Erfüllungsquote des Landkreises R. (72,11% zum Stand … Juni 2024, dies entspreche 3283 Personen) herleitet. Die Regierung von O. weise dem Landkreis R. daher derzeit alle zwei Wochen 50 Flüchtlinge zu. Aufgrund des angespannten Lage am Immobilienmarkt und der hohen Zugangszahlen sei das Landratsamt bereits seit März 2022 faktisch gezwungen, die Flüchtlinge in Schulturnhallen unterzubringen, bevor sie dezentral weiterverteilt werden könnten. Auch ohne verbindlichen Gemeindeschlüssel könne berücksichtigt werden, dass die Antragstellerin „Untererfüllerin“ sei. Gehe man von einer Erfüllungsquote von 100% des Landkreises aus, müsste die Gemeinde zusätzlich zu den derzeit untergebrachten 173 Personen rechnerisch noch 80 Personen aufnehmen. Um die Landkreisquote von 100% zu erfüllen, müssten landkreisweit insgesamt weitere 1473 Personen unterkommen.
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Die Antragstellerin hat am 30. Juli 2024 Klage (M 1 K 24.4560) gegen die Baugenehmigung in der Gestalt des Ergänzungsbescheids erhoben und am 21. November 2024 im Eilverfahren beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage zum Verwaltungsgericht München gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts R. vom 17. Juli 2024, Az.: …S* …, in der Gestalt des Ergänzungsbescheids vom … Juli, anzuordnen.
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Die Baugenehmigung sei unter Überdehnung des Anwendungsbereichs von § 246 Abs. 14 BauGB ergangen, was zu ihrer Rechtswidrigkeit führe. Im Hinblick auf den mit einer Anwendung von § 246 Abs. 14 BauGB verbundenen, Eingriff in die kommunale Planungshoheit sei diese Regelung gegenüber § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB subsidiär. Zum anderen sei die Abweichungsbefugnis auch ihrem Umfang nach auf das erforderliche Maß beschränkt. Es werde bezweifelt, dass die Unterkunft im Sinne des Abs. 14 dringend benötigt werde. Die Zahl der Erstanträge in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 sei verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 20% zurückgegangen. Mit veraltetem Zahlenmaterial sei ein gravierender Eingriff in die kommunale Planungshoheit jedoch nicht zu rechtfertigen. Weiter leide der Bescheid an einem Begründungsdefizit. Es fehle an Ausführungen, weshalb auch bei Anwendung der in § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB vorgesehenen Instrumentarien dringend benötigte Unterkunftskapazitäten nicht rechtzeitig bereitgestellt werden könnten, es fehle mithin an der Auseinandersetzung mit Alternativlösungen. Jedenfalls hätte das Landratsamt eine auf drei Jahre befristete Ausnahme von der Veränderungssperre erteilen können, sodass es eines Rückgriffs auf § 246 Abs. 14 BauGB nicht bedurft hätte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe entschieden, dass bei solchen temporären Bauvorhaben nicht davon auszugehen sei, dass ein Widerspruch zur beabsichtigten Planung vorliege. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb eine Befristung auf drei Jahre nicht ausgereicht hätte, um den derzeitigen Unterbringungsbedarf zu rechtfertigen. Ungeachtet dessen hätte das Landratsamt aber unter Angemessenheitsgesichtspunkten mit Blick auf die deutlich geringere Eingriffsintensität eine Befristung auf allenfalls drei Jahre vornehmen müssen. Auch habe das Landratsamt in diesem Kontext berücksichtigten müssen, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit durchaus bereit gewesen sei, den Antragsgegner bei der Unterbringung zu unterstützen. Beispielsweise habe sie in den Jahren 2015/16 an fünf Standorten im Gemeindegebiet als Bauherrin dezentrale Unterkünfte mit 20 Wohneinheiten errichtet, von denen nach wie vor 14 Wohneinheiten an das Landratsamt vermietet seien. Die restlichen Wohneinheiten seien an anerkannte Flüchtlingsfamilien vermietet. Seit 2022 sei zudem ein im Eigentum der Gemeinde stehendes Anwesen an das Landratsamt zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen vermietet. Die Antragstellerin komme damit ihrer aus § 5 Abs. 3 DVAsyl folgenden Mitwirkungspflicht mehr als ausreichend nach. Schließlich ergebe sich aus der vorgelegten Behördenakte nicht, ob das Landratsamt die Wahrung der Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse bzw. die nachbarlichen Belange ausreichend geprüft habe. In diesem Zusammenhang hätte etwa in den Blick genommen werden müssen, dass sich das Vorhaben in unmittelbarer Nähe zur stark befahrenen St 2095, der zweispurigen Bahnlinie München-Salzburg und mehrerer Gewerbebetriebe befinde. Im Übrigen liege, soweit ersichtlich, die nach § 246 Abs. 14 Satz 5 BauGB erforderliche Verpflichtungserklärung bzgl. des Rückbaus nicht vor.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Es treffe zwar zu, dass die Zahl der Asylerst- und Folgeanträge rückläufig sei. Die Zahl des Zugangs von Flüchtlingen aus der Ukraine sei aber weiterhin steigend, was bei der Unterbringungsverpflichtung zu berücksichtigen sei. Im Regierungsbezirk O. sei der Landkreis R. mit einer Erfüllungsquote von 75,89% (Stand 16.12.2024) auf dem letzten Platz. Weiterhin weise die Regierung von O. dem Landkreis R. durchschnittlich alle 14 Tage 50 Personen zur Unterbringung zu, davon 65% Ukrainer. Unter Berücksichtigung der aktuellsten Zahlen müsse der Landkreis R. noch 1.236 Flüchtlinge aufnehmen. Auch die Antragstellerin sei weiterhin „Untererfüllerin“. § 246 Abs. 14 BauGB ermögliche gerade in Fällen, in denen auch bei Anwendung von § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden können, eine Abweichung von Vorschriften des BauGB. Dies beinhalte auch, eine längere Laufzeit zu wählen als in § 246 Abs. 12 BauGB vorgesehen, wobei dort eine Befristung von drei Jahren mit einer einmaligen Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Jahre vorgesehen sei. Zu beachten sei auch die Pflicht des Landkreises, die Schulturnhallen wieder den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig stünden immer weniger Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung. Eigentümer der Immobilie sei die private Bauherrin. Die zivilrechtliche und wirtschaftliche Grundlage des Mietvertrages sei nachvollziehbar. Aufgrund brandschutzrechtlicher und technisch notwendiger Umbauten sei die Nutzungsänderung für die Eigentümerin mit erheblichen wirtschaftlichen Investitionen verbunden, welche glaubhaft dargelegt worden seien, sodass insbesondere eine kürzere Mietdauer wirtschaftlich für den Eigentümer nicht darstellbar sei. Ausweislich der aktuellen Stellungnahme des Sachgebiets Immissionsschutz vom 5. Dezember 2024 bestünden aus immissionsschutzfachlicher Sicht keine Bedenken gegen die Nutzungsänderung. Die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse seien somit gewahrt. Eine Rückbauverpflichtung sei für die vorliegende Nutzungsänderung nicht erforderlich, § 246 Abs. 14 Satz 5 i.V.m. § 35 Abs. 5 Satz 2 1. Hs. und Satz 3 BauGB erfassten schon denklogisch nur Vorhaben, die neu errichtet würden. Dies ergebe sich auch aus § 246 Abs. 14 Satz 6 BauGB i.V.m. Abs. 13 Satz 5 BauGB, wonach eine zum Zeitpunkt der Nutzungsänderung zulässigerweise ausgeübte Nutzung im Anschluss wieder aufgenommen werden könne. Auch der Gesetzgeber gehe also davon aus, dass bei einer Nutzungsänderung das Gebäude weiter genutzt werden könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten, auch im Hauptsacheverfahren, Bezug genommen.
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Der zulässige, insbesondere – im Hinblick auf die gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB entfallene aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage – statthafte Antrag hat in der Sache Erfolg. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt das Vollzugsinteresse, weil sich die angefochtene, zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nach summarischer Prüfung zulasten der der Antragstellerin gemäß Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV zustehenden Planungshoheit als rechtswidrig darstellt.
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Das Gericht hat im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden eigenen Ermessensentscheidung abzuwägen, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017- 15 CS 17.1675 – juris Rn. 11; B.v. 7.11.2022 – 15 CS 22.1998 – juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 11.11.2020, 7 VR 5.20 – juris Rn. 8).
Nach diesem Maßstab wird die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben.
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1. Aufgrund der subjektiven Ausrichtung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes hat eine gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung gerichtete Klage nicht schon dann Erfolg, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, weil sie gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im einschlägigen Genehmigungsverfahren zu prüfen waren. Vielmehr ist erforderlich, dass die Baugenehmigung den Dritten in Rechten verletzt, die gerade auch seinen Schutz bezwecken, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Vorliegend wendet sich die Antragstellerin als Standortgemeinde gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung und kann sich in diesem Rahmen auf ihre Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 1 BV) berufen.
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2. Maßgeblich für die Beurteilung, ob die Erteilung der Baugenehmigung unter Abweichung von der Veränderungssperre gemäß § 246 Abs. 14 BauGB ohne das Einvernehmen der Antragstellerin zu Recht erfolgt ist, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Bei der Klage einer Gemeinde gegen eine Genehmigung, die unter Ersetzung des erforderlichen Einvernehmens erteilt wurde, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheids abzustellen; nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen müssen unberücksichtigt bleiben (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – juris Rn. 14 zu § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB; BayVGH, B.v. 4.10.2024 – 9 CS 24.545 – juris Rn. 19 zu § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Diese zu § 36 Abs. 2 und § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB ergangene Rechtsprechung kann auch auf Fälle übertragen werden, in denen die Anhörung der Gemeinde nach § 246 Abs. 14 Satz 3 BauGB an die Stelle des gemeindlichen Einvernehmens tritt, weil auch diese Regelung dem Schutz der gemeindlichen Planungshoheit dient (VG München, B.v. 3.3.2025 – 11 SN 24.7851 – Beschlussabdruck Rn. 41).
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3. Nach diesen Maßstäben wird die Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein, weil nicht ersichtlich ist, weshalb die Erteilung einer unbefristeten Baugenehmigung in Sinne von § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB in zeitlicher Hinsicht erforderlich ist.
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Gemäß § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB kann das gemäß §§ 246 Abs. 14 Satz 2, 203 Abs. 3 BauGB, § 2 Abs. 5 Satz 1 ZustVBau zuständige Landratsamt bei Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbegehrende bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 von den Vorschriften des Baugesetzbuches oder den aufgrund des Baugesetzbuches erlassenen Vorschriften im erforderlichen Umfang abweichen, soweit auch bei Anwendung von § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtszeitig bereitgestellt werden können.
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Die in § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB vorgesehene, sehr weitgehende Abweichungsbefugnis muss also in zweierlei Hinsicht erforderlich sein: zunächst wird vorausgesetzt, dass auch bei Anwendung der in § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB vorgesehenen Instrumentarien dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. Ist dies zu bejahen, kann inhaltlich sodann jedoch nicht unbegrenzt, sondern nur im erforderlichen Umfang abgewichen werden. Zur Prüfung der Erforderlichkeit sind die widerstreitenden öffentlichen Belange, auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen, für jeden Einzelfall zu gewichten, schließlich sind auch die jeweils konkreten Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu beachten (s. zum Ganzen: Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Kratzberger, BauGB, 156. EL September 2024, § 246 Rn. 97 ff. wie auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/6185, dort S. 55).
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a) Vorliegend ist jedenfalls nicht ersichtlich, weshalb zur Deckung des – nach Auffassung der Kammer durchaus im u.g. Sinne plausibel dargelegten – dringenden Unterbringungsbedarfs im Gebiet der Gemeinde als milderes, weniger in die Planungshoheit der Antragsgegnerin eingreifendes Mittel nicht die Erteilung einer befristeten Baugenehmigung (ggf. unter befristeter Abweichung von der Veränderungssperre gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB; zu den Voraussetzungen an die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im Rahmen der Erteilung einer solchen Abweichung siehe VG München, B.v. 3.3.2025 – 11 SN 24.7851 – Beschlussabdruck Rn. 49) in Betracht gekommen wäre.
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Zwar sind vor dem Hintergrund der Dringlichkeit der Unterbringung keine übersteigerten Anforderungen an die Erforderlichkeitsprüfung zu stellen – eine sich aus der örtlichen Situation ergebende Plausibilität der Erforderlichkeit ist zur Vermeidung eines ausufernden Gebrauchs der Ausnahmevorschrift ausreichend, im Hinblick auf die gemeindliche Planungshoheit aber auch erforderlich (VG Würzburg, B.v. 12.06.2024 – W 5 S 24.502 – juris Rn. 49). Dabei kommt der Bedarfsdeckung ein höheres Gewicht zu als einer erschöpfenden Subsidiaritätsprüfung, die den durch die angestrebte Bedarfsdeckung gezogenen Zeithorizont und die Möglichkeiten der Verwaltung zu ihrer Durchführung zu berücksichtigen hat (VG Würzburg, a.a.O.; OVG Hamburg, B.v. 9.5.2016 – 2 Bs 38/16 – juris Rn. 7).
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Im vorliegenden Fall ergibt sich aber weder aus dem Bescheid (samt seiner Ergänzung), den Akten oder dem Vortrag des Antragsgegners, weshalb die Erteilung einer unbefristeten Baugenehmigung zugunsten der Beigeladenen erforderlich ist. Einzig in der Antragserwiderung vom 23. Dezember 2024 nimmt der Antragsgegner in diesem Zusammenhang Stellung, indem er ausführt:
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„Eigentümer der Immobile ist die B& F KG. Die zivilrechtliche und wirtschaftliche Grundlage des Mietvertrages ist nachvollziehbar. Aufgrund brandschutzrechtlich und technisch notwendiger Umbauten ist die Nutzungsänderung des Objektes für den Eigentümer mit erheblichen wirtschaftlichen Investitionen verbunden, welche glaubhaft dargelegt wurden, sodass insbesondere eine kürzere Mietdauer wirtschaftlich für den Eigentümer nicht darstellbar ist.“ (Hervorhebung durch die Verf.)
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Es mag zwar zutreffen, dass zwischen der Mietdauer des zwischen dem Landkreis R. und der Eigentümerin geschlossenen Mietvertrags für die Immobilie auf dem Vorhabengrundstück und der Geltungsdauer der streitgegenständlichen Baugenehmigung eine – zunächst zivilrechtliche – Korrelation dergestalt besteht, dass während der gesamten Mietdauer eine entsprechende Baugenehmigung vorliegen muss. Es mag überdies auch zutreffen, dass auch zwischen der Mietdauer und der dringenden Erforderlichkeit der Unterkunft eine Korrelation besteht. Schließlich ist der Landkreis gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 1 LKrO zu einer sparsamen Haushaltsführung verpflichtet. Dies beinhaltet unter anderem das Gebot, Mietverträge nur für den Zeitraum eines tatsächlichen Bedarfs abzuschließen. Vorliegend ist allerdings nicht einmal vorgetragen, dass der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen (und überdies nicht kündbar) sei (im Hinblick auf das o.g. Gebot der sparsamen Haushaltsführung erscheint dies der Kammer im Übrigen auch unwahrscheinlich).
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Es ist daher schon nicht ersichtlich, weshalb im vorliegenden Fall die Erteilung einer unbefristeten Baugenehmigung erforderlich war.
28
b) Es kann für das vorliegende Eilverfahren daher offenbleiben, ob der Antragsgegner überhaupt von der Abweichungsbefugnis nach § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB Gebrauch machen durfte, weil das Vorhaben möglicherweise auf drei Jahre befristet mittels einer Ausnahme von der Veränderungssperre hätte genehmigt werden können. Auch insofern ist aus den vorgelegten Akten sowie dem Vortrag des Antragsgegners, nicht ersichtlich, weshalb eine befristete Baugenehmigung nicht ausreichend gewesen wäre, s.o.
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c) Weil sich die Klage daher im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zulasten der Antragstellerin als rechtswidrig darstellt, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, wobei es der Billigkeit entsprach, die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen zu lassen, hat sie sich doch mangels Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
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5. Die Streitwertfestsetzung folgt §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.