Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 06.03.2025 – AN 11 S 24.2717
Titel:

Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach Tod des Ehegatten, Sicherung des Lebensunterhalts, Berücksichtigung familiärer Belange i.R.d. Erlasses einer Abschiebungsandrohung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AufenthG § 31 Abs. 1 und 4
§ 59 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG
Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
Schlagworte:
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach Tod des Ehegatten, Sicherung des Lebensunterhalts, Berücksichtigung familiärer Belange i.R.d. Erlasses einer Abschiebungsandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5315

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin ist irakische Staatsangehörige und wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis sowie die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.
2
Die Antragstellerin reiste nach Aktenlage am 21. April 1998 gemeinsam mit ihrem seinerzeit minderjährigen Sohn in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im Folgenden: Bundesamt) vom 13. November 1998 wurden die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt und festgestellt, dass bei der Antragstellerin und ihrem Sohn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Hieraufhin erhielt die Antragstellerin am 13. Januar 1999 erstmals eine befristete Aufenthaltsbefugnis sowie einen Reiseausweis für Flüchtlinge. In der Folgezeit wurde die Aufenthaltsbefugnis jeweils befristet verlängert. Nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes erhielt die Antragstellerin zuletzt am 10. Februar 2005 eine bis 2. Juli 2005 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG.
3
Mit Bescheid vom 23. November 2004 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 13. November 1998 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Das gegen diese Entscheidung erhobene Klageverfahren wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Juni 2005 (AN 9 K 03.32444) eingestellt, nachdem die Klage zurückgenommen worden war.
4
Die Antragstellerin und ihr Ehemann, der nach Aktenlage bereits im Mai 1995 in das Bundesgebiet eingereist und am 16. Februar 2005 durch die Antragsgegnerin eingebürgert worden war, meldeten beim Standesamt der Antragsgegnerin die Wiederholung der am … im Irak geschlossenen Ehe an und schlossen schließlich am … nach deutschem Recht die Ehe. Aus dieser Ehe sind drei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen, die allesamt deutsche Staatsangehörige sind.
5
Zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu ihrem deutschen Ehemann erhielt die Antragstellerin erstmals am 12. Juli 2005 eine befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis wurde der Antragstellerin in der Folgezeit nach derselben Anspruchsgrundlage jeweils befristet – zuletzt von 31. August 2019 bis 30. August 2022 – verlängert. Die Familie erhielt während dieser Zeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
6
Nachdem der Ehemann der Antragstellerin am … 2021 verstorben war, wurde der Antragstellerin am 3. August 2022 auf Antrag hin die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG befristet bis zum 2. August 2023 verlängert.
7
Am 17. Juli 2023 beantragte die Antragstellerin die weitere Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Im Rahmen dieses Antragsverfahrens legte sie einen Änderungsbescheid des Jobcenters … vom 4. Mai 2023 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 538,09 EUR vor (Bl. 513 f. der Behördenakte). Ihr anrechenbares Einkommen belief sich gemäß diesem Bescheid auf insgesamt 324,36 EUR (74,36 EUR Witwenrente + 250,00 EUR Kindergeld).
8
Soweit nach Aktenlage ersichtlich, ging die Antragstellerin im Bundesgebiet zu keiner Zeit einer Beschäftigung nach und bestritt bzw. bestreitet ihren Lebensunterhalt überwiegend aus öffentlichen Mitteln. Nach Aktenlage besuchte sie auch keinen Integrationskurs. Im Rahmen einer Vorsprache der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin am 17. Juli 2023 konnten nach Aktenlage ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nicht festgestellt werden.
9
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 5. September 2023 wurde die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels sowie des Erlasses einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung angehört (Bl. 532 ff. der Behördenakte).
10
Hierauf zeigte der vormalig Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 25. September 2023 seine rechtliche Vertretung an und führte aus, die Antragstellerin sei Witwe eines deutschen Staatsangehörigen irakischer Abstammung. Ihre Kinder seien auch allesamt deutsche Staatsangehörige irakischer Abstammung, sodass davon ausgegangen werde, die Antragstellerin sei faktische Inländerin. Schon die Vorschrift des § 31 Abs. 1 Ziffer 2 AufenthG zeige, dass Witwen deutscher Staatsangehöriger in anderer Weise zu behandeln seien als andere Ausländer, die hier durch Eheschließung ein Aufenthaltsrecht erreicht hätten. Die Antragstellerin bemühe sich grundsätzlich um Arbeit oder um Sicherung des Lebensunterhalts durch die Familie. Dies bleibe abzuwarten.
11
Mit E-Mail vom 21. September 2023 wandte sich die Tochter der Antragstellerin an die Bayerische Staatskanzlei und führte an den Bayerischen Ministerpräsidenten, Herrn Dr. Söder, gerichtet auszugsweise aus, die Antragstellerin lebe seit über 30 Jahren in Deutschland, habe hier ihr Leben aufgebaut, sei Mutter von drei Kindern, von denen zwei die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen und bereits selbstständig in diesem Land tätig seien, während sie selbst noch Studentin sei. Die Liebe und Hingabe der Antragstellerin zu ihrer Familie seien unermesslich. Der Ehemann der Antragstellerin sei im Jahr 2021 tragischer Weise an COVID-19 verstorben; dies hätte ihre Familie sehr getroffen. Die Antragstellerin habe ihren Mann jahrelang liebevoll und aufopfernd gepflegt und Pflegegeld erhalten. Sein Tod sei ein einschneidendes Ereignis gewesen und habe emotionale und physische Spuren hinterlassen. Seither habe die Antragstellerin mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, darunter Diabetes und Bluthochdruck. In ihrer Heimat Irak habe die Antragstellerin keine Familienangehörigen mehr, eine Rückkehr dorthin wäre nicht nur gefährlich, sondern bedeute auch eine enorme emotionale Belastung für ihre Kinder. Diese seien darauf angewiesen, sie in der Nähe zu haben, sowohl aus emotionalen als auch aus praktischen Gründen. Die Antragstellerin habe nie die Möglichkeit gehabt, in Deutschland zu arbeiten, da sie sich der Erziehung und Betreuung ihrer drei Kinder gewidmet und später die intensive Pflege ihres Ehemannes übernommen habe. Sie sei nicht nur die Matriarchin der Familie, sondern kümmere sich auch mit Hingabe um ihr erstes, knapp einjähriges Enkelkind. Ihr ältester Sohn sei selbständig und arbeite viel, deswegen passe die Antragstellerin oft auf das Enkelkind auf. Zudem erwarte sie in Kürze ihr zweites Enkelkind. Die Entscheidung, die Antragstellerin abzuschieben, habe nicht nur für ihre Familie, sondern auch für die beiden unschuldigen Enkelkinder tiefgreifende Auswirkungen. Die Bindung zwischen Großmutter und Enkeln sei von unschätzbarem Wert.
12
Mit Schreiben vom 23. April 2024 zeigte sodann ein weiterer Bevollmächtigter seine rechtliche Vertretung an, verwies bezugnehmend auf das Anhörungsschreiben vom 5. September 2023 auf § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und führte aus, die Antragstellerin würde Leistungen nach dem SGB XII beziehen, sichere hierdurch ihren Lebensunterhalt, sodass die Verlängerung des Aufenthalts daher unproblematisch sei. Dem Schreiben beigefügt war ein Bewilligungsbescheid des Sozialamts der Antragsgegnerin vom 19. Februar 2024 über laufende Leistungen nach dem SGB XII (Bl. 547 ff. der Behördenakte), ausweislich dessen der Antragstellerin Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 540,23 EUR monatlich bewilligt wurden; als anrechenbares Gesamteinkommen wurden 250,00 EUR Kindergeld und Witwenrente in Höhe von 77,20 EUR angesetzt.
13
Die Antragstellerin war nach Aktenlage im Besitz eines bis 9. Mai 2024 gültigen irakischen Reisepasses (Nr. …*).
14
Mit Schreiben an ihren seinerzeit bevollmächtigten Rechtsanwalt vom 25. Juni 2024 wurde die Antragstellerin aufgefordert, sowohl einen gültigen irakischen Reisepass als auch aktuelle Nachweise der Sicherung ihres Lebensunterhalts vorzulegen.
15
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. September 2024, zugestellt gegen Empfangsbekenntnis am 7. Oktober 2024, wurde der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziffer 1). Die Antragstellerin wurde unter Fristsetzung aufgefordert, das Bundesgebiet und das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der anderen Schengen-Staaten zu verlassen, widrigenfalls wurde ihr die Abschiebung insbesondere in den Irak angedroht (Ziffer 2 und 3). Im Falle der Abschiebung wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen und auf die Dauer von zwei Jahren ab der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Der Bescheid wurde im Wesentlichen wie folgt begründet: Nach dem Tod ihres Ehemannes unterliege die Antragstellerin nunmehr den Bestimmungen des § 31 AufenthG. Das Privileg des § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder XII der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegenstehe, gelte nur für den Zeitraum von einem Jahr ab Ablaufdatum der ursprünglichen ehebedingten Aufenthaltserlaubnis. Den hinterbliebenen Ehegatten werde hierdurch die Gelegenheit gegeben, sich ohne Gefährdung des Aufenthaltsrechts eine eigene wirtschaftliche Existenz zu schaffen. Demgemäß habe die Antragstellerin am 3. August 2022 – unbeschadet des Bezugs öffentlicher Mittel nach dem SGB II – eine bis 2. August 2023 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG erhalten. Anders als die erstmalige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis setze die nunmehr begehrte weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG voraus, dass die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt sei, mithin der Lebensunterhalt gesichert sei (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 C 20.139 – juris Rn. 7). Die positive Prognose hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts müsse jedenfalls den Zeitraum jenseits der Gültigkeitsdauer der (nächsten) Aufenthaltserlaubnis abdecken. Die Antragstellerin beziehe gegenwärtig öffentliche Leistungen und habe auch während ihres gesamten Aufenthalts im Bundesgebiet – jedenfalls zumindest ergänzend – öffentliche Leistungen in Anspruch genommen. Sie sei zu keiner Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Darüber hinaus habe sie nunmehr das 66. Lebensjahr vollendet, sodass sie bereits im Rentenalter und aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Somit werde sie auch künftig ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig sichern können und dauerhaft öffentliche Mittel in Anspruch nehmen müssen. Ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liege nicht vor, sodass von der Sicherung des Lebensunterhalts nicht abgesehen werden könne. Die Antragstellerin sei während ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet Hausfrau und Mutter gewesen und zu keiner Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Es stehe ihr lediglich ein Anspruch auf Witwenrente in Höhe von rund 75 EUR monatlich zu. Darüber hinaus verfüge sie nicht über ausreichende Sprachkenntnisse und habe sich nicht nennenswert in die hiesige Gesellschaft integriert. Dieser Sachverhalt begründe keine atypischen, vom Regelfall abweichenden Umstände. Auch sei die Erteilung des Aufenthaltstitels nicht aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK geboten. Dem Schutz des Art. 6 GG unterfalle grundsätzlich nur die Kernfamilie, also die Ehegatten und die minderjährigen ledigen Kinder. Die Antragstellerin sei verwitwet und ihre Kinder allesamt volljährig. Darüber hinaus sei weder sie auf die familiäre Hilfeleistung ihrer erwachsenen Kinder noch seien ihre erwachsenen Kinder und ihre Enkelkinder auf ihre familiäre Hilfeleistung im Bundesgebiet angewiesen. Auch über Art. 8 Abs. 1 EMRK könne sie keinen aufenthaltsrechtlichen Anspruch im Bundesgebiet ableiten. Eine schützenswerte Rechtsposition eines Ausländers komme auf dieser Grundlage in Betracht, wenn von einer abgeschlossenen und gelungenen Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland bei gleichzeitiger Unmöglichkeit einer (Re-)Integration im Staate der Staatsangehörigkeit ausgegangen werden könne. Die Antragstellerin sei weder nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert noch unumkehrbar von den Lebensverhältnissen ihres Herkunftsstaates entwurzelt. Sie habe bei ihrer Einreise in das Bundesgebiet bereits das 40. Lebensjahr vollendet gehabt, habe demnach den überwiegenden Teil ihres Lebens in ihrem Herkunftsland verbracht, sei mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut und beherrsche die Landessprache. Eine abgeschlossene und nachhaltige Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sei im Gegensatz dazu nicht gelungen. Somit sei sie weder zu einer faktischen Inländerin im Bundesgebiet verwurzelt noch von den Lebensverhältnissen im Irak entwurzelt. Eine Rückkehr in ihr Heimatland sei ihr somit sowohl möglich als auch zumutbar. Bei der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz könne sie von ihren im Bundesgebiet lebenden Kindern finanziell unterstützt werden. Eine Ausnahme von der Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung sei demnach nicht begründet. Darüber hinaus setze die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG die Erfüllung der Passpflicht nach § 3 AufenthG voraus. Die Gültigkeit des irakischen Reisepasses sei am 9. Mai 2024 abgelaufen. Der Aufforderung, einen neuen gültigen Reisepass vorzulegen, sei die Antragstellerin nicht nachgekommen. Von der Passpflicht sei die Antragstellerin auch nicht durch Rechtsverordnung befreit. Auch hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzung der Passpflicht liege weder ein atypischer, vom Regelfall abweichender Sachverhalt vor noch sei die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts, wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK, geboten. Diesbezüglich werde auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Beschaffung eines gültigen irakischen Reisepasses sei der Antragstellerin sowohl möglich als auch zumutbar. Sonstige aufenthaltsrechtliche Ansprüche seien weder ersichtlich noch geltend gemacht worden. Die Ausreiseaufforderung beruhe auf § 50 Abs. 1 und 2 AufenthG. Ihre Ausreisepflicht sei gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar. Sollte die Antragstellerin innerhalb der gesetzten Ausreisefrist die Bundesrepublik Deutschland nicht freiwillig verlassen, werde ihr gemäß §§ 59 Abs. 1, 58 Abs. 1 AufenthG die zwangsweise Abschiebung insbesondere in die Republik Irak angedroht. Dem Erlass dieser Abschiebungsandrohung stünden weder Abschiebungsverbote, das Kindeswohl, familiäre Bindungen noch ihr Gesundheitszustand entgegen. Gegen die Antragstellerin werde im Falle der Abschiebung auf Grundlage des § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen. In Ausübung des eingeräumten Ermessens und unter Abwägung aller bekannten für und gegen die Antragstellerin sprechenden Umstände befriste die Antragsgegnerin das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Falle der Abschiebung auf zwei Jahre. Hierbei sei zu Lasten der Antragstellerin gewertet worden, dass sie im Falle ihrer Abschiebung ihrer vollziehbaren Ausreiseverpflichtung keine Folge geleistet habe, sich nach Ablauf der Ausreisefrist weiterhin unrechtmäßig und nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbewehrt im Bundesgebiet aufgehalten habe. Demgegenüber lägen keine persönlichen Belange vor, die ihr eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln. Die Antragstellerin sei nicht zu einer faktischen Inländerin verwurzelt. Die Rückkehr in ihr Heimatland sei ihr sowohl möglich als auch zumutbar. Durchgreifende familiäre Bindungen lägen nicht vor, da ihre Kinder volljährig seien und sie nicht auf gegenseitige Hilfeleistungen im Bundesgebiet angewiesen seien. Zu ihren Gunsten habe daher lediglich ihr wohl genereller Rückkehrwille berücksichtigt werden können. Die festgesetzte Frist werde als angemessen und verhältnismäßig, aber auch als ausreichend gesehen, um den mit dem abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbot verfolgten general- und spezialpräventiven Zweck zu erreichen. Auf die Begründung des Bescheids im Einzelnen wird Bezug genommen.
16
Am 30. September 2024 ging bei der Antragsgegnerin ein Schreiben der Antragstellerin ein, mit dem sie eine Kopie eines gültigen irakischen Reisepasses (Nr. …, gültig von 22.11.2023 bis 21.11.2031) sowie einen Weiterbewilligungsbescheid über laufende Leistungen nach dem SGB XII – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – des Sozialamts der Antragsgegnerin vom 16. Juli 2024 (Bl. 635 ff. der Behördenakte) übersandte.
17
Mit Schreiben vom 30. September 2024 teilte die Antragsgegnerin dem anderweitig Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, dass die ergänzenden Unterlagen der Antragstellerin erst nach Erlass des Ablehnungsbescheids eingegangen seien. Es werde um Übersendung des irakischen Reisepasses sowie der der Passausstellung zugrunde liegenden Dokumente im Original, ggf. mitsamt deutscher Übersetzung, zwecks Dokumentenprüfung gebeten.
18
Mit Schreiben ihres im hiesigen Verfahren Bevollmächtigten vom 28. Oktober 2024, bei Gericht eingegangen am 29. Oktober 2024, ließ die Antragstellerin Klage erheben gerichtet auf Aufhebung des Bescheids vom 30. September 2024 und Verpflichtung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
19
Außerdem wurde beantragt,
die wideraufschiebende Wirkung der Klage herzustellen.
20
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2024, bei Gericht eingegangen am selben Tag, wurde durch einen weiteren Bevollmächtigten der Antragstellerin Klage erhoben gerichtet auf Aufhebung des Bescheids vom 30. September 2024 und Verpflichtung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Ferner wurde beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Diese Klage nebst Eilantrag wurden unter den Aktenzeichen AN 11 K 24.2719 und AN 11 S 24.2718 erfasst.
21
Mit Schreiben vom 4. November 2024 teilte die Antragsgegnerin dem anderweitig Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, dass der Ablehnungsbescheid vom 30. September 2024 nicht aufgehoben werde. Die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis stütze sich in erster Linie auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin. Diese Voraussetzung sei weiterhin nicht erfüllt.
22
Mit Schreiben vom 18. November 2024 beantragte die Antragsgegnerin
Antragsablehnung.
23
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die streitgegenständliche Entscheidung sei rechtmäßig und greife nicht in die Rechte der Antragstellerin ein. Vorbehaltlich der Vorlage des gültigen irakischen Reisepasses im Original und des Ergebnisses der Dokumentenprüfung dürfte die Passpflicht nunmehr erfüllt sein. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis stütze sich jedoch weiterhin auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin. Eine ergänzende Stellungnahme behalte sich die Antragsgegnerin nach Eingang der Klage- und Antragsbegründung vor.
24
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte.
II.
25
1. Der Antrag – bei sachgerechter Auslegung gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO – ist bei summarischer Prüfung zulässig, jedoch in der Sache unbegründet.
26
a. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, insbesondere ist er statthaft.
27
Zunächst ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage statthaft, soweit sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wendet.
28
In Abgrenzung zu einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO ist ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO dann statthaft, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis eine der nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG gesetzlich vorgesehenen Fiktionswirkungen ausgelöst hat, die durch die Ablehnung beendet wurde (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2006 – 24 C 06.954 – juris Rn. 11). Nur in diesem Falle hat die Antragstellerin eine Rechtsposition inne, die ihr für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gesichert werden kann. Dies ist vorliegend der Fall. Der am 17. Juli 2023 gestellte Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis führte zu dem Eintritt von Fortgeltungswirkungen nach § 81 AufenthG. Denn wenn ein Ausländer – wie hier die Antragstellerin – vor Ablauf des Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt, gilt der bisherige Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend.
29
Ebenso statthaft ist der Antrag, soweit sich die Antragstellerin gegen die nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung wendet.
30
Die Statthaftigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergibt sich hinsichtlich des in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Einreise- und Aufenthaltsverbots aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG. Hiernach hat eine Klage gegen die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung.
31
b. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist jedoch in der Sache unbegründet.
32
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
33
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorliegend keinen Erfolg. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage, da auch die Klage in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte der Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. September 2024 rechtmäßig ergangen und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt sein (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
34
aa. Die Antragstellerin hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis.
35
Die Antragstellerin hat bei summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 AufenthG. Gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat oder der Ausländer gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand. Die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II und XII steht der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unbeschadet des Absatzes 2 Satz 4 nicht entgegen (§ 34 Abs. 4 Satz 1 AufenthG).
36
Ein Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht besteht jedoch nur für die erstmalige befristete Verlängerung nach § 31 Abs. 1 AufenthG. Da der Antragstellerin bereits am 3. August 2022 eine bis 2. August 2023 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG erteilt wurde, richtet sich die nach Ablauf dieser Aufenthaltserlaubnis erforderliche weitere Verlängerung grundsätzlich nach den allgemeinen Voraussetzungen. Daher sind insoweit im Regelfall auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der §§ 8 Abs. 1 i.V.m. 5 AufenthG zu beachten (vgl. Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.10.2024, § 31 AufenthG Rn. 29; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 31 AufenthG Rn. 82); dies gilt auch für das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 83; Zimmerer in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, Stand: 1.7.2024, § 31 AufenthG Rn. 39). Hintergrund dieser Privilegierung ist, dass die Ehegatten zunächst die Gelegenheit haben sollen, sich ohne Gefährdung ihres Aufenthaltsrechts eine eigene wirtschaftliche Existenz zu schaffen, da die Notwendigkeit einer eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig erst nach dem Scheitern einer Ehe entsteht (vgl. Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, a.a.O., § 31 AufenthG Rn. 29; Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, § 31 AufenthG Rn. 25).
37
Bei summarischer Prüfung liegt im Falle der Antragstellerin auch kein Ausnahmefall vor, aufgrund dessen von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen wäre. Dabei gilt, dass in tatsächlicher Hinsicht ein Ausnahmefall vorliegt, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleichgelagerter Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1993 – 1 C 25/93 – juris Rn. 35 – BVerwGE 94, 35). Die Tatsache, dass ein Ausländer wegen seines Alters prognostisch keine den Lebensunterhalt sichernde Beschäftigung mehr finden wird, rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme eines Ausnahmefalls von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. Müller in Hofmann, Ausländerrecht, § 31 AufenthG Rn. 26). Auch ein langjähriger Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet reicht noch nicht für die Annahme eines atypischen Ausnahmefalls aus (vgl. VG Schleswig-Holstein, B.v. 22.6.2022 – 11 B 13/22 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 4.12.2013 – 10 CS 13.1449 – juris Rn. 19 f.). Hierfür wäre vielmehr weiter erforderlich, dass sich der Ausländer die ihm durch einen langen Aufenthalt gegebene Gelegenheit auch genutzt hat, sich wirtschaftlich und sozial so zu integrieren, dass eine Verfestigung seiner Lebensverhältnisse im Bundesgebiet eingetreten ist und ihn eine Beendigung des Aufenthalts besonders hart treffen würde; zu der langjährigen Dauer des Aufenthalts müssen also noch besondere, vom Gesetzgeber nicht berücksichtigte Umstände hinzutreten (vgl. Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 1.3.2024, § 31 AufenthG Rn. 55; SächsOVG, B.v. 5.12.2012 – 3 B 258/12 – juris Rn. 9). Zwar ist die Antragstellerin bereits im April 1998 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, sie ging jedoch – obgleich ihre Kinder inzwischen allesamt volljährig sind – zu keiner Zeit einer Beschäftigung nach und hat nach Aktenlage weder einen Integrationskurs besucht noch verfügt sie über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache. Auch die von der Antragstellerseite behauptete jahrelange Pflege ihres Ehegatten führt zu keiner anderen Beurteilung.
38
Die Antragstellerin hat bei summarischer Prüfung auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestützt auf einen anderen Aufenthaltszweck. Diesbezüglich ist weder etwas dargelegt noch sind anderweitige Anhaltspunkte ersichtlich, insbesondere sind die Kinder der Antragstellerin allesamt volljährig, sodass ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestützt auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht in Betracht kommt, und wurde eine außergewöhnliche Härte i.S.d. § 36 Abs. 2 AufenthG in Bezug auf die beiden Enkelkinder der Antragstellerin nicht dargelegt.
39
bb. Auch gegen die zur Durchsetzung der sich nach § 50 Abs. 1 AufenthG ergebenden Ausreisepflicht ergangene Ausreiseaufforderung (Ziffer 2 des Bescheids) sowie die Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) bestehen bei summarischer Prüfung keine rechtlichen Bedenken.
40
Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar und die Ausreisefrist abgelaufen ist. Die Abschiebung ist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen.
41
Die Antragstellerin ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 2 AufenthG ausreisepflichtig, da sie über keinen Aufenthaltstitel (mehr) verfügt. Ebenso wenig ist bei summarischer Prüfung ein schwebender Antrag mit Fiktionswirkung, welcher der Durchsetzung der Ausreisepflicht entgegenstünde (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), gegeben. Denn die Antragsgegnerin hat den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis mit streitgegenständlichem Bescheid abgelehnt.
42
Auch die familiäre Situation der Antragstellerin, insbesondere das Kindeswohl (§ 59 Abs. 1 AufenthG), steht der Abschiebungsandrohung nach vorläufiger Auffassung des Gerichts nicht entgegen.
43
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewähren weder Art. 6 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta einen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörden und die Gerichte, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die bestehenden familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich ebenfalls im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14; B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 21), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 7). Dabei ist auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anerkannt, dass selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht stets das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung verdrängen. Vielmehr ist ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. z.B. EuGH, U.v. 18.10.2006 – C 46410/99 – juris Rn. 57 ff.).
44
Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt darüber hinaus aber auch generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern, zwischen Enkeln und Großeltern oder zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie bestehen können (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.2014 – 1 BvR 2926/13 –, juris Rn. 23; OVG Hamburg, B.v. 28.1.2025 – 6 Bs 154/24 – juris Rn. 23; NdsOVG, B.v. 20.11.2023 – 13 ME 195/23 – juris Rn. 7). Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern kommt im Verhältnis zu den widerstreitenden einwanderungspolitischen Belangen aber in der Regel nur ein geringeres Gewicht zu. Allenfalls dann, wenn beispielsweise ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, kann dies einwanderungspolitische Belange zurückdrängen (vgl. BVerfG, B.v. 25.10.1995 – 2 BvR 901/95 – juris Rn. 8; OVG Hamburg, B.v. 28.1.2025, a.a.O., Rn. 23; NdsOVG, B.v. 20.11.2023, a.a.O., Rn. 7).
45
In Anwendung dieser Grundsätze und unter Würdigung der konkreten Gegebenheiten des vorliegenden Einzelfalls ist die Kammer bei summarischer Prüfung der Auffassung, dass weder Art. 6 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK oder Art. 7 EU-GR-Charta vorliegend dem Erlass einer Abschiebungsandrohung entgegenstehen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die drei Kinder der Antragstellerin allesamt volljährig sind und eine derartig besondere Situation, aufgrund derer die Angehörigen der Antragstellerin (volljährige Kinder und Enkel) zwingend auf die Hilfe und Unterstützung der Antragstellerin (oder umgekehrt) im Bundesgebiet angewiesen wären, allenfalls im Ansatz behauptet, nicht jedoch genauer ausgeführt wurde. Insbesondere ist weder eine Erkrankung der Antragstellerin näher dargelegt noch die Betreuungssituation hinsichtlich ihrer Enkelkinder geschildert.
46
cc. Schließlich dürfte auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids nach summarischer Prüfung rechtmäßig erfolgt sein.
47
Der Erlass des befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids stützt sich auf § 11 Abs. 1 und 2 Satz 2 AufenthG.
48
Der streitgegenständliche Bescheid ist nicht formell rechtswidrig. Bei summarischer Prüfung wurde ein etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls geheilt nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG.
49
Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Behörde muss den beabsichtigten Verwaltungsakt nach Art und Inhalt so konkret umschreiben, dass für den Beteiligten hinreichend klar oder erkennbar ist, weshalb und wozu er sich äußern können soll und mit welcher eingreifenden Entscheidung er zu welchem ungefähren Zeitpunkt zu rechnen hat (vgl. Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2023, § 28 Rn. 35, Huck in Huck/Müller, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Auflage 2020, § 28 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Die Anhörung muss sich demnach (auch) auf das beabsichtigte Einreise- und Aufenthaltsverbot beziehen (vgl. Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, § 11 AufenthG Rn. 47).
50
Diesen Anforderungen wird das Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 5. September 2023 wohl nicht gerecht. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin nur unzureichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, indem sie ihr unter Angabe der wesentlichen Gründe lediglich mitgeteilt hat, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzulehnen und sie – unter Androhung der Abschiebung – zur Ausreise aufzufordern. Da kein Hinweis auf die Anordnung und die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots enthalten war, kam der Anhörung bei summarischer Prüfung wohl nicht in vollem Umfang die nötige Warn- und Anstoßfunktion zu. Auch liegen keine besonderen Umstände des Einzelfalls i.S.d. Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG vor, aufgrund derer von der Anhörung hätte abgesehen werden können.
51
Eine insoweit fehlende Anhörung der Antragstellerin nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG wurde nach vorläufiger Auffassung des Gerichts jedoch nachgeholt gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Entscheidend ist insofern, dass eine wirksame Nachholung der Anhörung hinter den Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG nicht zurückbleiben darf und die Funktion der Anhörung für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2023, § 45 Rn. 76; Schemmer in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, Stand: 1.10.2024, § 45 Rn. 42.1, jeweils m.w.N.). Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, ihre Entscheidung noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und zu erwägen, ob sie unter Berücksichtigung der nunmehr vorgebrachten Tatsachen und rechtlichen Erwägungen an ihrer Entscheidung mit diesem konkreten Inhalt festhalten will und das Ergebnis der Überprüfung mitteilt (vgl. Schneider in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2024, § 45 VwVfG Rn. 93 m.w.N.; BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5/14 juris Rn. 17 – BVerwGE 153, 367).
52
Diesen Anforderungen dürfte das Schreiben der Antragsgegnerin an den anderweitig Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 4. November 2024 in Verbindung mit der Antrags- und Klageerwiderung mit Schriftsatz vom 18. November 2024 in noch ausreichendem Maße gerecht werden. Die Antragsgegnerin vertritt hierbei die Auffassung, dass die streitgegenständliche Entscheidung rechtmäßig ist und nicht in die Rechte der Antragstellerin eingreift. Dabei findet Berücksichtigung, dass taggleich mit dem Erlass der streitgegenständlichen Entscheidung am 30. September 2024 bei der Antragsgegnerin ein Schreiben der Antragstellerin einging, mit dem weitere Unterlagen übersandt wurden. Die Antragsgegnerin gelangt nach nochmaliger Würdigung und unter Berücksichtigung des neuen Tatsachenvortrags zu dem Ergebnis, dass zwar nunmehr die Passpflicht – vorbehaltlich der Vorlage des Reisepasses im Original und des Ergebnisses der Dokumentenprüfung – erfüllt sei, dass sich jedoch die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis weiterhin auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts der Antragstellerin stütze. Anhand dieser Ausführungen der Antragsgegnerin ist ersichtlich, dass sie den Vortrag der Antragstellerin zum Anlass genommen hat, ihre Entscheidung unter Berücksichtigung des ergänzenden Vortrags der Gegenseite zu überprüfen, und gleichwohl weiterhin an dem streitgegenständlichen Bescheid festhält. Eine weitere Begründung der Klage bzw. des Eilantrags ist trotz Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 19. November 2024 bislang nicht erfolgt, sodass keine neuen Aspekte vorgetragen wurden, welche die Antragsgegnerin ergebnisoffen einer Würdigung hätte unterziehen können. Dass hierzu Bereitschaft bestanden hätte, kommt in der Klage- und Antragsbegründung in Zusammenschau mit der erfolgten Würdigung der nach Bescheiderlass weiter vorgelegten Unterlagen hinreichend deutlich zum Ausdruck.
53
Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids ist bei summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig.
54
Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen, § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Dies hat zur Folge, dass das Gericht die Länge der Frist grundsätzlich nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfen darf. Eine Verkürzung der Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde erneut Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 47; U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 59 m.w.N.). Die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Frist des nur für den Fall der Abschiebung angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von zwei Jahren ist bei summarischer Prüfung gerichtlich nicht zu beanstanden, insbesondere wurde die familiäre Situation der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Umstände, dass ihre Kinder allesamt volljährig sind und nicht dargetan wurde, dass gegenseitige Hilfeleistungen im Bundesgebiet zwingend erforderlich wären, gewürdigt. Durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch von der Antragstellerseite geltend gemacht.
55
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
56
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013).