Titel:
Herausgabeanordnung, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Rechtspfleger, Empfangsberechtigung, Vorläufig vollstreckbares Urteil, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Prozessuale Sicherheitsleistung, Beschwerdebescheid, Aufhebungsbeschluss, Beschwerdeentscheidung, Hinterlegungsstelle, Abwendung der Zwangsvollstreckung, Nach Klagerücknahme, Versäumnisurteil, Gerichtliche Entscheidung, Vollstreckungsschuldner, Beschwerdebefugnis, Hinterlegter Betrag, Beschlüsse des Amtsgerichts
Schlagworte:
Hinterlegungsverfahren, Herausgabeanordnung, Klagerücknahme, Sicherheitsleistung, Beschwerdebefugnis, Rechtskraftvermerk, Empfangsberechtigung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 52
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
3. Der Geschäftswert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Aufhebung eines Beschwerdebescheids, mit dem eine zu seinen Gunsten ergangene Herausgabeanordnung in einem Hinterlegungsverfahren aufgehoben worden ist.
2
Im Jahr 2021 erhob der Antragsteller beim Landgericht München II Klage gegen die Eheleute … auf Bewilligung der Eintragung von Geh-, Fahrt- und Leitungsrechten im Grundbuch auf deren Grundstück Fl. Nr. …, als dienendem Grundstück zugunsten seines Grundstücks Fl. Nr. …. Am 23. August 2021 erging ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil. Nach Einspruch der Beklagten erließ das Landgericht München II am 3. Dezember 2021 ein Endurteil, mit dem das Versäumnisurteil aufrechterhalten wurde (Az.: …). Das Urteil wurde gemäß § 709 ZPO gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 € für vorläufig vollstreckbar erklärt.
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Der Antragsteller hinterlegte aufgrund entsprechender Annahmeanordnung vom 2. Februar 2022 beim Amtsgericht Bamberg – Hinterlegungsstelle –, Az. …, eine Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 €. Hierzu führte er aus, die Hinterlegung erfolge „zur vorläufigen Vollstreckung“ des Urteils des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2021. Als mögliche Empfänger für den hinterlegten Betrag wurden vom Antragsteller die Eheleute … angegeben. Auf das Recht zur Rücknahme des hinterlegten Betrags verzichtete der Antragsteller nicht.
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Die Eheleute … legten gegen das Urteil des Landgerichts München II Berufung ein. In der mündlichen Verhandlung beim Oberlandesgericht München am 26. Juli 2023 nahm der Antragsteller die Klage zurück. Die Eheleute … stimmten der Klagerücknahme zu. Es erging lediglich ein Streitwertbeschluss. Mit Beschluss vom 28. November 2023 stellte das Landgericht München II fest, dass das Versäumnisurteil vom 23. August 2021, Az.: …, wirkungslos sei.
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Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 9. April 2024 die Auszahlung des hinterlegten Betrags auf ein von ihm bezeichnetes Konto. Zur Begründung führte er aus, das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2021 (Az. …) sei gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos, nachdem die Klage in der Berufungsinstanz zurückgenommen worden sei, „siehe Beschluss LG München II v. 26.7.2023“. Aufgrund der Wirkungslosigkeit des Urteils sei die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinfällig und die Sicherheitsleistung damit funktionslos. Das Geld sei an den Hinterleger zurückzuzahlen.
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Auf die Bitte der mit dem Verfahren betrauten Rechtspflegerin, den genannten Beschluss vom 26. Juli 2023 vorzulegen, übermittelte der Antragsteller mit Schreiben vom 30. April 2024 das Protokoll der mündlichen Verhandlung beim Oberlandesgericht München vom 26. Juli 2023, das Endurteil des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2021, den Beschluss des Landgerichts München II vom 30. November 2023 sowie eine Eintragungsbekanntmachung des Amtsgerichts Miesbach – Grundbuchamt – vom 10. April 2024 über die Löschung von Eintragungen am 27. März 2024 in der Zweiten Abteilung des Grundbuchs der Gemarkung … unter anderem zu Fl. Nr. …. Am 7. Mai 2024 wies die Rechtspflegerin darauf hin, dass das Urteil und der Beschluss in Ausfertigung vorzulegen seien, um eine Auszahlung nach Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 BayHintG vornehmen zu können. Gemäß Vermerk der Rechtspflegerin vom selben Tag erteilte sie zudem dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in einem Telefonat den Hinweis, dass eine Ausfertigung des Urteils vom 3. Dezember 2021 samt Rechtskraftvermerk in Papierform vorzulegen sei. Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2024 legte der Prozessbevollmächtigte das Original einer beglaubigten Abschrift dieses Urteils vor, welche mit einem Rechtskraftvermerk vom 13. Juni 2024 der Geschäftsstelle versehen ist.
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Mit Bescheid vom 24. Juni 2024 ordnete die Rechtspflegerin die Herausgabe der hinterlegten Geldsumme von 10.000,00 € an den Antragsteller an. Zur Begründung führte sie unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 BayHintG aus, es sei eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, nämlich das Endurteil des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2021, vorgelegt worden.
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Die hinterlegte Geldsumme wurde am 1. Juli 2024 dem vom Antragsteller bezeichneten Konto gutgeschrieben.
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Mit Schreiben vom 12. Juli 2024 erhob … unter Beifügung einer Vormerkungsbekanntmachung des Amtsgerichts Miesbach – Grundbuchamt – zu Fl. Nr. … des Grundbuchs der Gemarkung Rottach-Egern vom 12. Juli 2022 und der (bereits vom Antragsteller vorgelegten) Eintragungsbekanntmachung über die Löschungen vom 10. April 2024 Beschwerde gegen den Auszahlungsbescheid vom 24. Juni 2024. Sie beantragte, den Antragsteller zu verpflichten, die Hinterlegungssumme erneut einzuzahlen. Einen Nachweis nach Art. 22 Abs. 3 BayHintG habe der Antragsteller nicht erbracht. Ein Herausgabeanspruch könne nur dann bestehen, wenn die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beendet seien und dem zu Unrecht der Zwangsvollstreckung Unterworfenen sämtliche Kosten, die mit der Zwangsvollstreckung im Zusammenhang stünden, ausbezahlt worden seien. Dies sei hier nicht der Fall. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung seien Vormerkungen zur Sicherung der verfahrensgegenständlichen Rechte im Grundbuch zugunsten des Antragstellers eingetragen worden. Die Kosten der Löschung dieser Vormerkungen habe der Antragsteller bis heute nicht ersetzt. Einer Rückgabe der Sicherheitsleistung könne erst zugestimmt werden, wenn die Löschungskosten auf dem Konto ihres Ehemanns eingegangen seien.
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Auf den Hinweis der Rechtspflegerin vom 16. Juli 2024, dass die rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2021 vorgelegt und aufgrund der Rechtskraft eine Sicherheitsleistung nicht mehr erforderlich sei, erwiderte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 31. Juli 2024, dass sie die Beschwerde weiterverfolge. Sie beantrage zudem, den Herausgabebeschluss vom 24. Juni 2024 aufzuheben. Dem „Aufhebungsbeschluss“ des Landgerichts München II vom 29. November 2023 sei keine Sachentscheidung über den Verbleib der hinterlegten Geldsumme zu entnehmen.
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Mit Verfügung vom 9. August 2024 wies die Rechtspflegerin die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die Anforderungen an die Auszahlung eines hinterlegten Betrags nach Sicherheitsleistung aus rechtskräftigen Urteilen herabgesetzt worden seien. Es werde auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Dezember 2023, 101 VA 209/23, verwiesen. Die Beschwerdeführerin entgegnete mit Schreiben vom 28. August 2024, dass weiterhin keine Zahlung vom Antragsteller geleistet worden sei und sie an ihrer Rechtsauffassung festhalte. Ein etwaiger Wegfall des Hinterlegungsgrunds allein reiche für eine Herausgabe nicht aus.
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Mit „Beschluss“ vom 5. September 2024 half die Rechtspflegerin der Beschwerde unter Hinweis auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Dezember 2023 (101 VA 209/23) nicht ab. Für den Auszahlungsgrund werde auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Die Anforderungen an die Auszahlung des hinterlegten Betrags nach Sicherheitsleistung aus rechtskräftigen Urteilen gemäß Art. 20 BayHintG seien herabgesetzt worden.
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Mit „Beschluss“ vom 15. Oktober 2024 hob der Direktor des Amtsgerichts Bamberg den Bescheid vom 24. Juni 2024 auf. Zur Begründung führte er aus, die Beschwerde sei zulässig und begründet. Es bestehe keine Empfangsberechtigung des Antragstellers gemäß Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 BayHintG. Eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung liege nicht vor, weil durch die Klagerücknahme bereits ergangene, noch nicht rechtskräftige Urteile wirkungslos würden, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedürfe, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Das Versäumnisurteil vom 23. August 2023 und das Endurteil vom 3. Dezember 2021 seien durch die Klagerücknahme somit von Gesetzes wegen wirkungs-/gegenstandslos geworden und nicht in Rechtskraft erwachsen. Der Beschluss des Landgerichts München II vom 29. November 2023 habe nur deklaratorische Bedeutung. Andere Gründe gemäß Art. 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BayHintG seien nicht ersichtlich.
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Dem „Beschluss“ war eine Rechtsbehelfsbelehrungbeigefügt, nach der gegen die Entscheidung Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden könne.
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Mit Schriftsatz vom 21. November 2024 hat der Antragsteller gegen die Beschwerdeentscheidung des Direktors des Amtsgerichts Bamberg Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gestellt.
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Zur Begründung führt er aus, die Beschwerde „der Eheleute …“ sei mangels Beschwerdebefugnis bereits unzulässig. Allein die Beteiligtenstellung als möglicher Empfänger (Art. 5 Abs. 1 Nr. 2 BayHintG) verschaffe noch keine Beschwerdebefugnis. Der Herausgabebescheid vom 24. Juni 2024 beschwere die Eheleute … schon nicht.
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Bestimmt gewesen sei der Herausgabebescheid für ihn, den Antragsteller, der damit „Adressat“ sei, denn die Entscheidung über die Herausgabe einer zur Erwirkung der vorläufigen Vollstreckbarkeit hinterlegten Geldsumme ergehe gegenüber dem Antragsteller. Eine dem Schutz der Eheleute … dienende Vorschrift sei vorliegend nicht verletzt, da aufgrund der Wirkungslosigkeit des Endurteils ohnehin nicht mehr habe vollstreckt werden können.
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Jedenfalls sei die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen gewesen. Zwar möge sich die Empfangsberechtigung nicht aus Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 BayHintG ergeben. Allerdings sei der Antragsteller gemäß Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 BayHintG empfangsberechtigt. Mit der Wirkungslosigkeit des Endurteils des Landgerichts München II sei der Titel entfallen, aus dem (vorläufig) habe vollstreckt werden können. Die hinterlegte Geldsumme sei somit grundlos hinterlegt gewesen. Durch Vorlage des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2023 sei der Nachweis erbracht worden, dass der Antragsteller mangels (vorläufig) vollstreckbaren Titels keinen Hinterlegungsgrund mehr habe und daher ein Recht nach Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 BayHintG bestehe, den hinterlegten Betrag zurückzunehmen. Dass der Herausgabebescheid in der Begründung fälschlicherweise auf eine Empfangsberechtigung gemäß Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 BayHintG abstelle, sei unerheblich.
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Der Antragsteller beantragt,
Der Beschluss des Amtsgerichts Bamberg vom 15. Oktober 2024, Az.: …, wird aufgehoben.
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Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 21. November 2024 wird als unbegründet verworfen.
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Zur Begründung nimmt der Antragsgegner auf die Ausführungen im Beschwerdeentscheid des Direktors des Amtsgerichts Bamberg vom 15. Oktober 2024 Bezug. … sei als Hinterlegungsbeteiligte beschwerdebefugt gewesen und habe durch die Vollstreckung (Eintragung von Vormerkungen und Kosten der Grundbuchberichtigung nach Klagerücknahme) wirtschaftliche Einbußen erlitten, deretwegen gerade Sicherheit zu leisten gewesen sei. Die Herausgabe der Sicherheit an den Antragsteller sei auch nicht von Art. 20 BayHintG gedeckt gewesen. Der Wegfall des Urteils könne keinesfalls zur Freigabe der Hinterlegungssumme an den Hinterleger führen.
22
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, führt aber in der Sache nicht zum Erfolg. Der Direktor des Amtsgerichts Bamberg hat den Herausgabebescheid vom 24. Juni 2024 zu Recht mit Bescheid vom 15. Oktober 2024 aufgehoben, weil dieser rechtswidrig war und die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzte.
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1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
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a) Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 25 Abs. 2 EGGVG, Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständig.
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b) Der Antragsteller hat die Aufhebung der ihm am 24. Oktober 2024 zugestellten Beschwerdeentscheidung mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21. November 2024, eingegangen beim Bayerischen Obersten Landesgericht am selben Tag, form- und fristgerecht gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG beantragt.
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c) Der Antrag ist nach Art. 8 Abs. 3 BayHintG statthaft. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist grundsätzlich die Ausgangsentscheidung der Hinterlegungsstelle in der Gestalt, die sie durch die Beschwerdeentscheidung gefunden hat (BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023, 102 VA 22/23, juris Rn. 25; Beschluss vom 10. Juni 2020, 1 VA 29/20, NJW-RR 2020, 1209 Rn. 22; Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, 2012, Art. 8 Rn. 40; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, EGGVG § 23 Rn. 49). In dem – hier vorliegenden – Fall der Aufhebung der Ausgangsentscheidung der Hinterlegungsstelle ist Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nur die Beschwerdeentscheidung, die den Antragsteller erstmals beschwert. Dies entspricht der Regelung in § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023 und 10. Juni 2020, a. a. O.). Eine Beschwerdeentscheidung gemäß Art. 8 Abs. 3 BayHintG hat als Justizverwaltungsakt zu ergehen (vgl. Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 8 Rn. 40). Dass der Direktor des Amtsgerichts Bamberg seine Entscheidung als „Beschluss“ bezeichnet und eine Kostenentscheidung nach § 91 ZPO getroffen hat, steht deren rechtlicher Einordnung als Justizverwaltungsakt nicht entgegen.
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Der Antragsteller musste nicht seinerseits ein Beschwerdeverfahren nach Art. 8 Abs. 1 BayHintG i. V. m. § 24 Abs. 2 EGGVG durchführen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 und 3 BayHintG und dessen ratio legis. Die Selbstkontrolle der Verwaltung hat stattgefunden und die Durchführung eines weiteren Beschwerdeverfahrens bei erstmaliger Beschwer durch die Beschwerdeentscheidung würde zur Verzögerung des Rechtsschutzes führen (BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023, 102 VA 22/23, juris Rn. 23 m. w. N.).
28
d) Der Antragsteller macht eine Verletzung in eigenen Rechten geltend, § 24 Abs. 1 EGGVG, da der zu seinen Gunsten ergangene Herausgabebescheid durch den Beschwerdebescheid aufgehoben wurde.
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e) Der Umstand, dass die Herausgabeanordnung bereits vollzogen wurde und das Hinterlegungsverhältnis dadurch gemäß Art. 18 Abs. 1 BayHintG beendet ist, steht der Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG nicht entgegen. Die zugunsten des Antragstellers ergangene Herausgabeanordnung wurde nach Vollzug mit Beschwerdebescheid vom 15. Oktober 2024 aufgehoben. Wenn, wie der Antragsteller meint, die Anfechtung einer vollzogenen Herausgabeanordnung mit der Beschwerde bereits unzulässig wäre, hätte der Beschwerdebescheid nicht mehr ergehen dürfen und müsste zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG anfechtbar und aufhebbar sein. Nach zutreffender Ansicht (siehe unten Ziffer 2 a] cc]) kann allerdings auch eine vollzogene Herausgabeanordnung noch durch Beschwerde angefochten oder durch gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG aufgehoben werden. Bedenken gegen die Statthaftigkeit eines Antrags nach § 23 EGGVG ergeben sich daher auch bei dieser Ansicht nicht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023, 102 VA 22/23, juris Rn. 28).
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2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist aber unbegründet. Der Herausgabebescheid vom 24. Juni 2024 war rechtswidrig und ist zu Recht auf die Beschwerde aufgehoben worden.
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a) Die Beschwerde von … vom 12. Juli 2024 war zulässig.
32
aa) Die Herausgabeanordnung nach Art. 18 Abs. 2 BayHintG ist eine beschwerdefähige Entscheidung gemäß Art. 8 Abs. 1 BayHintG (Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 8 Rn. 7).
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bb) … war beschwerdebefugt, da sie geltend gemacht hat, die Herausgabeanordnung sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten (vgl. Wiedemann/Armbruster, a. a. O.,Art. 8 Rn. 17). Die Beschwerdeführerin wurde vom Antragsteller als Hinterleger des Geldbetrags als mögliche Empfängerin genannt und ist daher Beteiligte nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 3 BayHintG. Als solche hat sie ein gesetzlich anerkanntes Mitwirkungsinteresse im Hinterlegungsverfahren (Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 20 Rn. 9). Die Herausgabeanordnung erging zu ihren Lasten, ohne dass sie eine Bewilligung nach Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayHintG erteilt hätte.
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cc) Die Beschwerde nach Art. 8 Abs. 1 BayHintG war trotz des zwischenzeitlichen Vollzugs der Herausgabeanordnung zulässig (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023, 102 VA 22/23, juris Rn. 34 ff.).
35
Zwar endet nach Art. 18 Abs. 1 BayHintG das Hinterlegungsverhältnis mit dem Vollzug der Herausgabe. Dementsprechend wird teilweise die Anfechtung einer vollzogenen Herausgabeanordnung für unzulässig gehalten, weil sie nicht rückgängig gemacht werden und die Verfügungsmacht der Hinterlegungsstelle über den hinterlegten Gegenstand nicht wiederherstellen könne. Zur Begründung werden ferner Vorschriften wie der frühere § 18 HintO herangezogen, der den Betroffenen nach einer (rechtswidrigen) Herausgabe auf Amtshaftungsansprüche verwies (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023, 102 VA 22/23, juris Rn. 35; zu dem Hinterlegungsgesetz Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 16. März 2010: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. April 2019, 3 VA 9/18, juris Rn. 20; zu der bis 31. November 2010 geltenden Hinterlegungsordnung: OLG Hamm, Beschluss vom 10. Dezember 2009, 15 VA 11/09, juris Rn. 9; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Februar 2006, 20 VA 1/06, juris Rn. 6; OLG Dresden, Beschluss vom 11. Oktober 2001, 6 VA 5/01, juris Rn. 10).
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Dieser Auffassung ist aber jedenfalls für das Bayerische Hinterlegungsgesetz nicht zu folgen (so auch Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 8 Rn. 23; vgl. auch OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. April 2013, 2 Wx 61/11, juris Rn. 23, das die Rücknahme einer Herausgabeanordnung trotz Vollzugs für möglich hält). Das Bayerische Hinterlegungsgesetz enthält gerade keine dem § 18 HintO oder § 23 Abs. 3 HintG NRW bzw. § 26 Abs. 2 HintG NRW a. F. entsprechende Regelung, die die Betroffenen nach Herausgabe auf Amtshaftungsansprüche verweist.
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Ferner kann auch keine Erledigung durch den Vollzug angenommen werden, da die Herausgabeanordnung den fortbestehenden Rechtsgrund für die Beendigung des Hinterlegungsverhältnisses, für die Herausgabe des Gegenstands an den Empfänger und für die Zuweisung der weiteren Ansprüche aus dem Hinterlegungsverhältnis (Art. 13 BayHintG) liefert (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023, 102 VA 22/23, juris Rn. 37; Wiedemann/Armbruster, a. a. O., Rn. 23; vgl. auch Schemmer in BeckOK VwVfG, 65. Ed. Stand 1. Oktober 2024, § 43 Rn. 55, wonach eine Erledigung eines Verwaltungsakts durch die Leistungsbewirkung regelmäßig nicht eintritt, solange der Verwaltungsakt Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung sein kann). Die Rückabwicklung einer fehlerhaften Herausgabeanordnung erscheint auch rechtlich und tatsächlich möglich. Eine rechtswidrige Herausgabeanordnung kann entweder bereits im Rahmen der Beschwerde nach Art. 8 Abs. 1 BayHintG aufgehoben, unter den Voraussetzungen der Art. 18 Abs. 5 BayHintG i. V. m. Art. 48 BayVwVfG von der Hinterlegungsstelle zurückgenommen oder vom Gericht nach § 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG aufgehoben werden. In letzterem Fall kann das Gericht nach § 28 Abs. 1 Satz 2 EGGVG auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Justiz- oder Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Wird die Herausgabeanordnung mit Rückwirkung aufgehoben, hat das Hinterlegungsverhältnis mangels wirksamer Herausgabeanordnung nach Art. 18 BayHintG unverändert fortbestanden. Die Hinterlegungsstelle hat somit ohne Rechtsgrundlage herausgegeben und hat dies – gegebenenfalls gemäß richterlicher Anordnung nach § 28 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EGGVG bzw. gemäß Art. 49a BayVwVfG – rückgängig zu machen (Wiedemann/Armbruster, a. a. O., Rn. 23).
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Es lässt sich auch aus Art. 18 Abs. 5 BayHintG nicht ableiten, dass nach Vollzug der Herausgabeanordnung die Beschwerde nach Art. 8 Abs. 1 BayHintG unzulässig wäre. Art. 18 Abs. 5 BayHintG ermöglicht durch den Verweis auf Art. 48 BayVwVfG der Hinterlegungsstelle, von sich aus eine fehlerhafte Entscheidung zu korrigieren und damit Rechtsfrieden zu schaffen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. Dezember 2023, 102 VA 22/23, juris Rn. 38; Wiedemann/Armbruster, a. a. O., Art. 18 Rn. 25 f.). Dagegen eröffnet Art. 8 Abs. 1 BayHintG einem durch die Herausgabeanordnung negativ betroffenem anderen Beteiligten einen Rechtsbehelf, um eine Überprüfung zu erzwingen und gegebenenfalls eine gerichtliche Entscheidung (§ 23 Abs. 1, § 24 Abs. 2 EGGVG) zu erhalten.
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dd) Die Beschwerde nach Art. 8 Abs. 1 BayHintG unterliegt keiner Frist; nichts anderes gilt, wenn es um die Anfechtung einer vollzogenen Herausgabeanordnung geht (Wiedemann/Armbruster, a. a. O., Art. 8 Rn. 23).
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b) Die Beschwerde war auch begründet, da die Herausgabeanordnung rechtswidrig war und die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzte.
41
Eine Herausgabeanordnung zugunsten eines Beteiligten, Art. 18 Abs. 2 BayHintG, kann nur erfolgen, wenn die hierfür in Art. 19, 20 BayHintG statuierten formellen Voraussetzungen erfüllt sind. Daran fehlt es vorliegend. Der Antragsteller hat seine Empfangsberechtigung nicht gemäß Art. 19 Abs. 2 Nr. 3, Art. 20 Abs. 1 BayHintG nachgewiesen.
42
aa) Ein Fall des Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 BayHintG scheidet bei einer Sicherheit nach der Zivilprozessordnung regelmäßig aus. Die Vorschrift setzt ein gesetzliches Rücknahmerecht des Hinterlegers voraus (vgl. Wiedemann/Armbruster, a. a. O., Art. 20 Rn. 5 f.), das bei der Bestellung von Sicherheiten zugunsten Dritter, wie dies hier der Fall ist, sinnwidrig wäre. Denn Sicherheiten zur Ermöglichung oder Abwendung der Zwangsvollstreckung ist immanent, dass die Interessen des jeweiligen Sicherungsnehmers zu berücksichtigen sind. Der Antragsteller kann somit nicht mit Erfolg ins Feld führen, mit der Rücknahme der Klage sei der Titel entfallen, aus dem (vorläufig) habe vollstreckt werden können. Ein gesetzliches Rücknahmerecht des Antragstellers wegen nachträglichen Wegfalls des Vollstreckungstitels ergibt sich nicht.
43
bb) Auch Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayHintG greift nicht ein. Herausgabebewilligungen der Eheleute … als vom Antragsteller als Hinterleger angegebene mögliche Empfangsberechtigte liegen nicht vor.
44
cc) Der Antragsteller hat seine Empfangsberechtigung schließlich auch nicht nach Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 BayHintG nachgewiesen. Eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, die die Empfangsberechtigung des Antragstellers mit Wirkung gegen die Beteiligten feststellt, ist nicht ergangen.
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(1) Aus dem Beschluss des Landgerichts München II vom 29. November 2023 ergibt sich ersichtlich keine Empfangsberechtigung des Antragstellers. Eine solche folgt auch nicht aus der Zusammenschau mit der gesetzlichen Regelung, dass das Endurteil des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2021 gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO mit der Zustimmung der Beklagten zur Klagerücknahme wirkungslos geworden ist. Da die Sicherheitsleistung vorliegend der Absicherung der Vollstreckungsschuldner … dient, geht der Antragsteller fehl, soweit er meint, es bestehe kein „Hinterlegungsgrund“ mehr, weil das Urteil, aus dem er vorläufig habe vollstrecken können, weggefallen sei.
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Zweck der prozessualen Sicherheitsleistung gemäß § 709 Satz 1 ZPO ist es, einen bei Aufhebung oder Abänderung des vorläufig vollstreckbaren Urteils bestehenden Anspruch des Forderungsschuldners auf Ersatz des Schadens abzusichern, der ihm durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung erfolgte Leistung entstanden ist, § 717 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 10. September 2015, IX ZR 220/14, NJW-RR 2016, 118 Rn. 11; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 709 Rn. 3). Der Hinterlegungsgrund für eine Sicherheit gemäß § 709 Satz 1 ZPO entfällt damit gerade nicht, wenn das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil nach Rücknahme der Klage wirkungslos geworden ist.
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(2) Aus der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Dezember 2023 (101 VA 209/23, juris Rn. 29) folgt keine andere Bewertung. Danach ist die Empfangsberechtigung eines Titelgläubigers, wenn die Hinterlegung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil gemäß §§ 711, 108 ZPO bewirkt wird, gemäß Art. 20 Abs. 1 Nr. 3 BayHintG nachgewiesen, wenn dieses Urteil rechtskräftig geworden ist.
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Eine Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Fall ist aber nicht gegeben. Die hier bereits nicht von den Vollstreckungsschuldnern zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, sondern vom Antragsteller als Titelgläubiger zur Ermöglichung der Vollstreckung geleistete Sicherheit diente der Absicherung von sich im Falle der Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils ergebenden Ausgleichsansprüchen der Vollstreckungsschuldner (vgl. Ulrici in BeckOK ZPO, 54. Ed. Stand: 1. Juli 2024, § 709 Rn. 2). Dass das Urteil, wie hier, nicht aufgehoben, sondern gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO gegenstandslos wurde, führt zu keiner anderen Bewertung. Rechtskraft des vorläufig vollstreckbaren Urteils ist vorliegend gerade nicht eingetreten.
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(3) Zwar war der Rechtspflegerin eine mit einem Rechtskraftvermerk versehene Ausfertigung des Urteils des Landgerichts München II vom 3. Dezember 2021 vorgelegt worden. Der auf der beglaubigten Abschrift angebrachte Rechtskraftvermerk ist jedoch unzutreffend und die Urkunde daher unberücksichtigt zu lassen. Denn das genannte Endurteil ist nicht durch eine Rücknahme der Berufung rechtskräftig, sondern durch die Rücknahme der Klage in der mündlichen Verhandlung beim Oberlandesgericht München gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO kraft Gesetzes gegenstandslos geworden.
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dd) Die Regelung des Art. 20 Abs. 1 BayHintG ist abschließend. Ist keiner der genannten Fälle gegeben, kommt eine Herausgabeanordnung nicht in Betracht.
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Eine Entscheidung über die Kostentragung ist nicht erforderlich, weil der Antragsteller schon kraft Gesetzes dazu verpflichtet ist, die gerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG).
52
Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor.
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Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 36 Abs. 1 GNotKG. Er entspricht dem an der Höhe des hinterlegten Betrags zu bemessenden wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers.