Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 04.02.2025 – 203 VAs 539/24
Titel:

Offener Vollzug, Vorschaltverfahren, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Vollstreckungsbehörde, Vollstreckungsplan, Generalstaatsanwaltschaft, Staatsanwaltschaft, Einweisung, Strafvollstreckungskammer, Ermessensentscheidung, Geschlossener Vollzug, Beschwerdebescheid, Strafvollzugsgesetz, Freiheitsstrafe, Außergerichtliche Kosten, Nichtannahmebeschluß, Vorläufiger Rechtsschutz, Klärungsbedürftigkeit, Ermessensfehlerfreie Entscheidung, Rechtsbeschwerde

Normenketten:
EGGVG § 23
EGGVG § 24 Abs. 2
StVollstrO § 26 Abs. 1 S. 1
StVollstrO § 26 Abs. 2
Leitsätze:
1. Gegen die Einweisungsentscheidung der Staatsanwaltschaft ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet.
2. Ein vor Durchlaufen des Vorschaltverfahrens gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts das Vorschaltverfahren durchlaufen ist und nicht zu einer Änderung der angefochtenen Maßnahme geführt hat.
3. Die Frage, ob ein Verurteilter von der Staatsanwaltschaft abweichend zu den Regelungen des Vollstreckungsplans unmittelbar in den offenen Vollzug einzuweisen ist, beurteilt sich nach § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVollstrO.
4. Die einweisende Vollstreckungsbehörde hat in ihrer Ermessensentscheidung das Resozialisierungsinteresse eines Verurteilten mit in den Blick zu nehmen. Sie hat unter Einbeziehung der prognostisch maßgeblichen Umstände die Eignung des Verurteilten für den offenen Vollzug zu prüfen und auf der Grundlage dieser Beurteilung eine Einweisung in den offenen oder in den geschlossenen Vollzug vorzunehmen.
5. Voraussetzung für eine Unterbringung eines Gefangenen im offenen Vollzug ist nach Art. 12 Abs. 2 BayStVollzG dessen Eignung für diese Vollzugsform.
Schlagworte:
Strafvollstreckung, Eilrechtsschutz, Vollstreckungsbehörde, Ermessensentscheidung, Haftfähigkeit, Resozialisierungsinteresse
Fundstellen:
FDStrafR 2025, 005088
BeckRS 2025, 5088

Tenor

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
2. Der Geschäftswert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist erledigt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich mit seinen Anträgen vom 25. Oktober 2024 und vom 13. Dezember 2024 auf gerichtliche Entscheidung verbunden mit einem Antrag auf Eilrechtsschutz gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft M. I, ihn zur Verbüßung des Strafrestes von 234 Tagen aus der Verurteilung des Amtsgerichts München vom 30. November 2020 – 823 Ls 259 Js 152878/20 – in den geschlossenen Vollzug einzuweisen. Nach dem rechtskräftigen Widerruf der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung mit Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 10. November 2023 hat die Staatsanwaltschaft M. I den Antragsteller mit einer ihm am 10. April 2024 zugestellten Verfügung vom 4. April 2024 innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung zum Strafantritt in die Justizvollzugsanstalt B. geladen. Mit Schriftsätzen seines Bevollmächtigten vom 2. Mai 2024 und vom 2. September 2024 hat der Verurteilte bei der Vollstreckungsbehörde aus gesundheitlichen Gründen Strafaufschub beantragt, im Schriftsatz vom 2. September 2024 ergänzend die Prüfung der Haftfähigkeit und eine Entscheidung über die Einweisung in den offenen Vollzug begehrt. Er habe sich eine berufliche Existenz aufgebaut, die mit einer Einweisung in den geschlossenen Vollzug auf dem Spiel stehe. Mit Verfügung vom 15. Oktober 2024 hat die Staatsanwaltschaft M. I den Antrag auf Aufschub der Vollstreckung abgelehnt. Zu dem Antrag auf eine Einweisung in den offenen Vollzug hat sie sich nicht verhalten.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. Oktober 2024 hat der Verurteilte daraufhin beim Senat einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gestellt und beantragt, die Bescheide der Staatsanwaltschaft zur Ladung in den geschlossenen Vollzug aufzuheben, die Staatsanwaltschaft M.I zu verpflichten, den Verurteilten in den offenen Vollzug zu laden und dem Antragsteller bis zur Entscheidung vorläufigen und einstweiligen Rechtsschutz ─ im Eilverfahren ─ dergestalt zu gewähren, als die Ladung zum Strafantritt solange aufgeschoben oder ausgesetzt und von der etwaigen Einleitung von Zwangsmaßnahmen Abstand genommen werde. Zur Begründung hat er unter Verweis auf einen Arbeitsvertrag vom 24. Mai 2022 im Wesentlichen ausgeführt, dass ihm der Verlust des Arbeitsplatzes drohe. Der Strafvollzug sei auf das Ziel der sozialen Integration ausgerichtet. Schädlichen Auswirkungen des Strafvollzugs sei nach Möglichkeit entgegenzuwirken, weshalb er in den offenen Vollzug zu laden sei. Ebenfalls mit Schreiben vom 25. Oktober 2024 hat der Verurteilte eine Vorschaltbeschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft M. erhoben. Die Vollstreckungsbehörde hat der Beschwerde mit Verfügung vom 4. November 2024 nicht abgeholfen und die Vollstreckungsakten mit Verfügung vom 6. November 2024 der Generalstaatsanwaltschaft M. vorgelegt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat mit Bescheid vom 11. November 2024 die Beschwerde des Antragstellers gegen die Verfügungen der Staatsanwaltschaft M. I vom 4. April 2024 und vom 15. Oktober 2024 zurückgewiesen. Der Vollstreckungsplan sehe eine Einweisung in den offenen Vollzug nicht vor. Auch lägen die Voraussetzungen für einen Vollzug der Freiheitsstrafe im offenen Vollzug nicht vor. Der Verurteilte hätte sich während der Bewährungszeit als nicht absprachefähig erwiesen. Der Aufsicht und der Leitung des Bewährungshelfers hätte er sich nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug nach kürzester Zeit entzogen. Der Generalstaatsanwalt in M. hat mit Schreiben ebenfalls vom 11. November 2024 beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mangels Durchführung des Vorschaltverfahrens als unzulässig zu verwerfen. Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 29. November 2024 ist der Antragsteller den Rechtsausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zur Unzulässigkeit des Antrags entgegengetreten. Zu beanstanden sei auch, dass die Vollstreckungsbehörde die gesundheitliche Situation des Antragstellers ausgeklammert habe. Der Verurteilte habe sich in seinem Beruf als vertrauenswürdig erwiesen und würde zudem am 17. Dezember 2024 heiraten.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Dezember 2024 hat der Antragsteller beim Senat gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft M. vom 11. November 2024 die gerichtliche Entscheidung beantragt. Mit Stellungnahme vom 19. Dezember 2024 hat die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Am 19. Dezember 2024 hat der Antragsteller eine Ablichtung einer Heiratsurkunde vorgelegt und mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Januar 2025 mitgeteilt, dass das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 10. Januar 2025 die Vollstreckung des Strafrestes der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 30. November 2020 – 823 Ls 259 Js 152878/20- ausgesprochenen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von 2/3 der Strafe erneut ab Rechtskraft des Beschlusses zur Bewährung ausgesetzt hätte. Mit Schreiben vom 2. Februar 2025 hat der Antragsteller mitgeteilt, dass der Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht rechtskräftig geworden und über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aussetzungsentscheidung des Landgerichts Traunstein noch nicht entschieden worden sei. Für eine Ladung in den offenen Vollzug würde die Stabilität der Lebensumstände sprechen. Es habe sich zudem um den ersten Vollzug einer Freiheitsstrafe gehandelt, auch scheine eine Unterstellung unter die Bewährungshilfe nicht notwendig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Anträge auf gerichtliche Entscheidung vom 25. Oktober 2024 und vom 13. Dezember 2024 nebst ergänzenden Ausführungen sowie auf die weiteren Verfügungen und Entscheidungen Bezug genommen. Die Ladung in den geschlossenen Vollzug ist noch nicht vollzogen worden.
II.
6
Der in der Gesamtschau gegen die Einweisung und die Ladung zum Strafantritt in den geschlossenen Vollzug gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß den §§ 23 ff. EGGVG zulässig.
7
1. Gegen die Einweisungsentscheidung der Staatsanwaltschaft – wie auch gegen die Ladung zum Strafantritt (§ 27 StVollstrO) – ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (Wolf in: Pohlmann/Jabel/Wolf/Kempfer, Strafvollstreckungsordnung, 10. Auflage 2024, § 26 StVollstrO Rn. 13; Gerson in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 23 GVGEG Rn. 107).
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2. Entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft stand der Zulässigkeit des am 25. Oktober 2024 gestellten Antrags nicht entgegen, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein Beschwerdebescheid in dem gesetzlich vorgeschriebenen Vorschaltverfahren (§ 24 Abs. 2 EGGVG, § 21 StVollstrO) ergangen war. Ungeachtet des Wortlauts des § 24 Abs. 2 EGGVG, wonach der Antrag „erst nach vorangegangenem Beschwerdeverfahren“ gestellt werden kann, erachtet der Senat im Einklang mit weiterer obergerichtlichen Rechtsprechung einen vor Durchlaufen des Vorschaltverfahrens gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung als zulässig, wenn – wie hier – im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts das Vorschaltverfahren durchlaufen ist und nicht zu einer Änderung der angefochtenen Maßnahme geführt hat (OLG Hamm, Beschluss vom 10. August 2010 – 1 VAs 69/10 –, juris Rn. 8; KG, Beschluss vom 5. Januar 2009 – 1 VAs 64/08, BeckRS 2009, 5930; Gerson a.a.O. § 24 GVGEG Rn. 10; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 24 EGGVG Rn. 3, 4; Ellbogen in MüKoStPO, 1. Aufl. 2018, EGGVG § 24 Rn. 16).
III.
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In der Sache bleibt der Antrag ohne Erfolg. Die angefochtene Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erweist sich unter Beachtung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs von § 28 Abs. 3 EGGVG als frei von Rechtsfehlern.
10
1. Ob ein Verurteilter in Bayern von der Staatsanwaltschaft unmittelbar in den offenen Vollzug einzuweisen ist, beurteilt sich nach der Vorschrift des § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVollstrO unter Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.
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a. Welche Justizvollzugsanstalt für den Strafvollzug des Verurteilten zuständig ist, bestimmt sich grundsätzlich nach dem gemäß § 152 Abs. 1 StVollzG erlassenen Vollstreckungsplan (§ 22 Abs. 1 StVollstrO), hier Nummer 5 und 6 des Vollstreckungsplans für den Freistaat Bayern in der Fassung vom 4. September 2024 mit Anlage 1. b. Die Frage, ob ein Verurteilter von der Vollstreckungsbehörde, wie vom Antragsteller beantragt, abweichend zu den Regelungen des Vollstreckungsplans in eine andere als die danach für ihn zuständige Vollzugsanstalt eingewiesen wird, beurteilt sich nach § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVollstrO (vgl. auch Nummer 9 Abs. 1 des Vollstreckungsplans). Die Vollstreckungsbehörde darf nach § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVollstrO und Nummer 9 Abs. 1 Buchst. a des Vollstreckungsplans vom Vollstreckungsplan von Amts wegen oder auf Antrag bezüglich der örtlichen oder der sachlichen Vollzugszuständigkeit unter anderem aus den Gründen der Wiedereingliederung abweichen und in ihrer Einweisungsentscheidung eine andere Anstalt bestimmen.
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c. Entgegen der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft M. I lässt § 26 StVollstrO auch die Einweisung und Ladung eines Verurteilten unmittelbar in den offenen Vollzug zu.
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aa. Zwar ist die vom Antragsteller begehrte Einweisung in den offenen Vollzug im Vollstreckungsplan für den Freistaat Bayern verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. September 2007 – 2 BvR 725/07 –, BVerfGK 12, 210-226, juris Rn. 58) nicht ausdrücklich geregelt.
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bb. Gleichwohl entspricht es der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung, dass die Vollstreckungsbehörde auch in einem solchen Fall abweichend zum Vollstreckungsplan den Verurteilten nach § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVollstrO unmittelbar in eine Justizvollzugsanstalt des offenen Vollzuges laden kann (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. September 2007 – 2 BvR 725/07 –, BVerfGK 12, 210-226, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. August 2021 – III-1 VAs 77/21 –, juris Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. September 2019 – 3 Ws 360/19, BeckRS 2019, 23472 Rn. 10; OLG München, Beschluss vom 21. April 2015 – 5 VAs 19/15 –, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6. November 2009 – 1 VAs 2/09 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 22. April 2008 – 1 VAs 20/08 –, juris; OLG Naumburg, Beschluss vom 4. September 2008 – 1 VAs 10/08, BeckRS 2008, 23012; Kaestner in BeckOK StVollstrO, 15. Ed., 16. 12. 2024, StVollstrO § 26 Rn. 9; missverständlich insoweit Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, 21. Ed. 1.10.2024, BayStVollzG Art. 12 Rn. 3 und 4; abweichend im Sinne einer ausschließlichen Prüfung durch die Vollzugsbehörde Morgenstern/Wischka in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 2. Kapitel Aufnahme, Planung und Unterbringung B Rn. 4 und Lesting in Feest/Lesting/Lindemannn, Strafvollzugsgesetze 8. Aufl., Teil II § 15 F Rn. 44). Nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es die Aufgabe der Vollstreckungsbehörde, bei der Ladung zum Strafantritt über die konkrete Form des Freiheitsentzuges zu entscheiden (so auch VerfGH Saarland, Urteil vom 18. März 2013 – Lv 6/12, BeckRS 2013, 48404; a.A. Morgenstern/Wischka a.a.O.).
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2. Die Entscheidung über eine Abweichung vom Vollstreckungsplan trifft die Strafvollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 26 Abs. 1 S. 1 StVollstrO; Nummer 9 Abs. 1 und Nummer 7 Abs. 3 des Vollstreckungsplans). Der Verurteilte hat somit, stellt er einen Antrag auf eine Einweisung in den offenen Vollzug, einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Vollstreckungsbehörde.
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3. Nicht nur die Vollzugsanstalt, sondern bereits die einweisende Vollstreckungsbehörde hat in ihrer Ermessensentscheidung zwingend das Resozialisierungsinteresse eines Verurteilten mit in den Blick zu nehmen. Sie hat unter Einbeziehung der prognostisch maßgeblichen Umstände die Eignung des Verurteilten für den offenen Vollzug zu prüfen und auf der Grundlage dieser Beurteilung eine Einweisung in den offenen oder in den geschlossenen Vollzug vorzunehmen. Dies folgt aus den von der Behörde uneingeschränkt zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach das Interesse eines Gefangenen an einer auf das Ziel der sozialen Integration ausgerichteten Vollzugsgestaltung grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist. Dem einfachgesetzlich in § 2 Satz 1 StVollzG konkretisierten Vollzugsziel der sozialen Integration sowie der grundrechtlichen Verpflichtung, schädlichen Auswirkungen des Vollzuges nach Möglichkeit entgegenzuwirken, trägt auch die Einrichtung des offenen Vollzuges (§ 10 Abs. 1 StVollzG, Art. 12 Abs. 2 BayStVollzG) Rechnung. Bei der Entscheidung über die Unterbringung im offenen oder geschlossenen Vollzug sind diese grundrechtlich geschützten Belange von den Behörden von Anfang an zu berücksichtigen (zu allem BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. September 2007 – 2 BvR 725/07 –, BVerfGK 12, 210-226, juris Rn. 45 ff.). Dass nach der Konzeption des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (Art. 12 Abs. 1 BayStVollzG) der geschlossene Vollzug in Bayern die Regelvollzugsform darstellt (Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, a.a.O. Art. 12 Rn. 1), ändert daran nichts.
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4. Voraussetzung für eine Unterbringung eines Gefangenen im offenen Vollzug ist nach Art. 12 Abs. 2 BayStVollzG dessen Eignung für diese Vollzugsform. Art. 4 BayStVollzG verlangt, den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten durch eine sichere Unterbringung und sorgfältige Beaufsichtigung der Gefangenen, eine gründliche Prüfung vollzugsöffnender Maßnahmen sowie geeignete Behandlungsmaßnahmen zu gewährleisten. Für die Beurteilung der Frage, ob eine unmittelbare Einweisung eines Straftäters in den offenen Vollzug der Allgemeinheit gegenüber verantwortet werden kann, bedarf es von Seiten der Vollstreckungsbehörde einer Gesamtabwägung der ihr bekannten prognoserelevanten Umstände unter Einstellung der Persönlichkeit des Verurteilten und seines Vorlebens. In Anlehnung an die von der Rechtsprechung erarbeiteten Kriterien für eine Verlegung in den offenen Vollzug spielt für die Eignung eine maßgebliche Rolle, ob der Verurteilte von der Einweisungsbehörde als fähig erachtet wird, sich unter geringer Aufsicht korrekt zu führen und sich in die Gemeinschaft des offenen Vollzugs einzuordnen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 3. Mai 2016 – III-1 Vollz (Ws) 130/16 –, juris Rn. 20). Als unerlässlich erachtet der Senat eine – tatsachenfundierte – Absprachefähigkeit und Bereitschaft des Verurteilten, Weisungen der Vollzugsanstalt zuverlässig zu beachten (vgl. zu den Ausschlusskriterien auch Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., Art. 12 BayStVollzG Rn. 3; Lesting a.a.O. Teil II § 15 C Rn. 18 f.).
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5. Der Senat hat im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG die Ermessensentscheidung einer Vollstreckungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur daraufhin zu überprüfen, ob sie rechtsfehlerfrei getroffen wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden, insbesondere ausreichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 25. August 2021 – 203 VAs 274/21 –, juris Rn. 16; Mayer in KK-StPO, 9. Aufl., § 28 EGGVG Rn. 3).
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6. Maßgeblich ist insoweit die Begründung des Beschwerdebescheids der Generalstaatsanwaltschaft (vgl. Senat, a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Dass sich die Staatsanwaltschaft M. I in ihren Verfügungen vom 4. April 2024 und vom 15. Oktober 2024 nicht zum offenen Vollzug verhalten hat, gefährdet den Bestand des Bescheids der Generalstaatsanwaltschaft nicht.
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7. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft M. in ihrem Bescheid vom 11. November 2024 beachtet die oben dargestellten Vorgaben der Rechtsprechung.
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a. Der Antragsteller hat seinen Antrag auf Einweisung in den offenen Vollzug primär darauf gestützt, dass er sich beruflich eine Existenz aufgebaut hätte, die gefährdet würde, falls er nicht von Anfang an in eine Anstalt des offenen Vollzuges eingewiesen werde. Zutreffend macht er insoweit geltend, dass ein gesicherter Arbeitsplatz für einen verurteilten Straftäter ein wichtiges Mittel der sozialen Integration darstellt.
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b. Es ist allerdings nicht zu beanstanden, dass die Vollstreckungsbehörde in ihre Ermessensentscheidung auch das Verhalten des Verurteilten nach der Entlassung aus dem Strafvollzug ab dem 11. März 2022 mit eingestellt hat. Laut rechtskräftigem Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein vom 10. November 2023 verstieß der Verurteilte nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug am 11. März 2022 in der Bewährungszeit gröblich und beharrlich gegen gerichtliche Weisungen. Seit April 2023 entzog er sich beharrlich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe. Auch missachtete er über ein Jahr lang die gerichtliche Weisung, an Gesprächs- und Beratungsterminen der Schuldnerberatung teilzunehmen. Eine gerichtliche Mahnung führte zu keiner Verhaltensänderung, vielmehr brach der Verurteilte danach den Kontakt zur Bewährungshilfe vollständig ab. Der von der Strafvollstreckungskammer anberaumten mündlichen Anhörung blieb der Verurteilte unentschuldigt fern und unterließ auch in der Folgezeit eine Kontaktaufnahme mit dem Gericht. Nach dem verfahrensgegenständlichen Urteil des Amtsgerichts München beträgt der Schuldenstand des Antragstellers etwa 70.000.- bis 80.000.- Euro. Er versagte in einer gesondert ausgesprochenen Bewährung und stellte sich nach dem Widerruf der Aussetzungsentscheidung auch nicht freiwillig zum Strafantritt.
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c. Wenn die Generalstaatsanwaltschaft auf der Grundlage dieser Erkenntnisse zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Antragsteller mangels Absprachefähigkeit nicht für den offenen Vollzug geeignet ist, ist hiergegen nichts zu erinnern. Aus dem Arbeitsvertrag vom 24. Mai 2022 kann der Antragsteller eine Eignung für den offenen Vollzug schon deshalb nicht herleiten, weil er dieses Teilzeit – Beschäftigungsverhältnis im Umfang von 12 Wochenstunden (§ 6 des Arbeitsvertrags) bereits kurz nach der Haftentlassung eingegangen war und seine Unzuverlässigkeit während dieser Beschäftigung fortentwickelte und verfestigte. Die angebliche Vertrauenswürdigkeit im Beruf ist wegen der zeitlichen Parallelität zu den Weisungsverstößen somit nicht geeignet, die mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 10. November 2023 festgestellte eingeschliffene Unzuverlässigkeit prognostisch in Frage zu stellen. Weshalb eine Eheschließung zu einer nachhaltigen charakterlichen Änderung führen soll, vermag der Senat der Rechtfertigungsschrift nicht zu entnehmen. Dass sich aus dem nicht rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 10. Januar 2025 entscheidungsrelevante Aspekte für die Frage eines Ermessensfehlers der Vollstreckungsbehörde im Zusammenhang mit der Einweisung des Verurteilten in den geschlossenen Vollzug ergeben könnten, trägt auch der Antragsteller nicht vor. Die Behauptung, sich zu stabilisieren und seine Angelegenheiten selbst regeln zu können, genügt nicht, um die vom Antragsteller begehrte Einweisung in den offenen Vollzug zu rechtfertigen.
24
d. Von einer Haftunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen musste die Vollstreckungsbehörde nach der ärztlichen Stellungnahme der Anstaltsärztin der Justizvollzugsanstalt B. (vgl. Nummer 25 des Vollstreckungsplans) nicht ausgehen. Weitere Erwägungen dazu waren unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers zum andauernden Teilzeit-Beschäftigungsverhältnis nicht geboten. Den Ausführungen des Beschwerdeführers erschließt sich nicht, weshalb er auch in der Zukunft für seinen Arbeitgeber zuverlässig als Fahrer tätig sein will und sich gleichwohl als haftunfähig sieht. Sollte der Gesundheitszustand des Antragstellers nach dem Strafantritt eine ärztliche Untersuchung oder eine Behandlung erfordern, wäre die Durchführung dieser Maßnahmen gesetzlich nach Art. 58 ff. BayStVollzG auch im geschlossenen Vollzug gewährleistet.
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8. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nicht prozessual überholt. Der Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 10. Januar 2025, in dem die Vollstreckung des Strafrestes der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 30. November 2020 – 823 Ls 259 Js 152878/20 – ausgesprochenen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von 2/3 der Strafe erneut ab Rechtskraft des Beschlusses zur Bewährung ausgesetzt wird, ist bislang nicht rechtskräftig.
IV.
26
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (zur Zulässigkeit vgl. OLG München, Beschluss vom 21. April 2015 – 5 VAs 19/15 –, juris; Mayer in KK-StPO a.a.O. EGGVG § 28 Rn. 24, 25; Schmitt a.a.O. § 28 EGGVG Rn. 13) ist mit der Entscheidung der Hauptsache erledigt.
V.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG und § 30 EGGVG; eine ausnahmsweise Erstattung der außergerichtlichen Kosten, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfte, ist nicht geboten. Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.
28
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 29 Abs. 1 EGGVG). Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich nicht.