Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 05.03.2025 – 204 StObWs 32/25
Titel:

Strafgefangener, Nahrungsergänzungsmittel, Einkauf, Besitzrecht, Verweigerung, Verlegung, Verwaltungsakt, Widerruf, Ermessensausübung, Rechtsbeschwerde, Sicherung einheitlicher Rechtsprechung

Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 1 Art. 2 Abs. 1
StVollzG § 115 Abs. 5
BayStVollzG Art. 24 Abs. 1 Satz 1
BayStVollzG Art. 115a Satz 2
BayStVollzG Art. 208
BayVwVfG Art. 1
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2
Leitsätze:
Die Verweigerung der Herausgabe eines von einem Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG erworbenen und im Rahmen der Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt mit eingebrachten Nahrungsergänzungsmittels stellt einen Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar, der sich an Art. 115a Satz 2 BayStVollzG i.V.m. Art. 1 und Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG zu messen hat. (Rn. 23)
1. Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und auslegungsfähige Anträge sachdienlich auszulegen (vgl. BVerfG BeckRS 2021, 742). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erlaubt eine Justizvollzugsanstalt Strafgefangenen im Rahmen eines Einkaufs gemäß Art. 24 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG den Erwerb von Gegenständen, beinhaltet dies auch ein Recht, diese in der Anstalt zu besitzen, solange sich die Anstalt keinen entsprechenden Vorbehalt einräumt (vgl. OLG Karlsruhe BeckRS 2016, 13234). (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein solches Besitzrecht geht durch die Verlegung des Gefangenen in eine andere Anstalt nicht verloren. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafgefangener, Nahrungsergänzungsmittel, Einkauf, Besitzrecht, Verweigerung, Verlegung, Verwaltungsakt, Widerruf, Ermessensausübung, Rechtsbeschwerde, Sicherung einheitlicher Rechtsprechung
Vorinstanz:
LG Augsburg, Beschluss vom 15.12.2024 – 2 NöStVK 581/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5083

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen K. werden
a) der Bescheid der Justizvollzugsanstalt K., mit der die Aushändigung des vom Antragsteller bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbenen Nahrungsergänzungsmittels Orthomol (88 Tagesportionen) verweigert wurde, und
b) der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 15.12.2024 aufgehoben.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen und die dem Strafgefangenen darin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
3. Der Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren und für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden auf 25,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller befindet sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt K. zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe. Dorthin war er mit Wirkung vom 18.09.2024 aus der Justizvollzugsanstalt S. verlegt worden.
2
Mit Schreiben vom 14.10.2024 beantragte der Strafgefangene bei der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen, die Justizvollzugsanstalt K. zu verpflichten, ihm das von ihm bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbene und im Rahmen der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt K. mit eingebrachte Nahrungsergänzungsmittel Orthomol (88 Tagesportionen) auszuhändigen, und subsidiär festzustellen, dass die Einbehaltung des Orthomols bei der Habe des Antragstellers rechtswidrig war. Zugleich beantragte er die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T. Zur Begründung führte der Antragsteller aus, dass er mit Wirkung vom 18.09.2024 von der Justizvollzugsanstalt S.in die Justizvollzugsanstalt K. verlegt worden sei. Hierbei habe er auch das sich in seinem Besitz befindliche Nahrungsergänzungsmittel Orthomol (88 Tagesportionen) mit sich geführt. Dieses habe er unter Mitwirkung des ärztlichen Dienstes der Justizvollzugsanstalt S. von dieser bezogen gehabt. In der Justizvollzugsanstalt K. sei ihm von dieser die Aushändigung dieses Präparats ohne Angaben von Gründen verweigert worden.
3
Mit Schreiben vom 30.10.2024 nahm die Justizvollzugsanstalt K. Stellung und beantragte, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen, da ein Anspruch auf Herausgabe des Nahrungsergänzungsmittels nicht bestehe. Insbesondere ergebe sich ein solcher nicht aus den Art. 58 ff. BayStVollzG, wonach ein Anspruch auf Krankenbehandlung bestehe, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln handele es sich aber nicht um eine medizinisch notwendige Versorgung, da eine gesunde abwechslungsreiche Ernährung, wie sie in der Justizvollzugsanstalt K. täglich erfolge, die Nahrungsergänzung in aller Regel überflüssig mache. Die Einnahme des gewünschten Nahrungsergänzungsmittels sei nach Ansicht des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt K. nicht notwendig. Zwar sei es richtig, dass die Justizvollzugsanstalt S.im Rahmen eines von der dortigen Krankenabteilung durchgeführten und überwachten freiwilligen Dienstleistungsservices das entsprechende Produkt an den Antragsteller verkauft habe. Die Ausgabe des bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbenen Nahrungsergänzungsmittels in der hiesigen Behörde habe aber auch aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu erfolgen. Ein Bestandsschutz greife nicht ein. Im Übrigen lasse auch die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt K., bei der es sich um eine solche mit höchstem Sicherheitsgrad handle, das Einbringen der aufgeführten Gegenstände nicht zu. Bei den Nahrungsergänzungsmitteln, die in Form von Kapseln in Kartons verpackt seien, handele es sich um Gegenstände mit schwer kontrollierbaren Versteckmöglichkeiten. Infolge der Nichtherausgabe würde dem Antragsteller auch kein Schaden entstehen, da das Mindesthaltbarkeitsdatum der Nahrungsergänzungsmittel so weit in der Zukunft liege, dass der Antragsteller diese noch nach seiner voraussichtlichen Entlassung am 16.04.2025 außerhalb der Justizvollzugsanstalt konsumieren könne.
4
Mit Beschluss vom 15.12.2024 wies die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 12.10.2024 und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts zurück. Zur Begründung verwies die Strafvollstreckungskammer darauf, dass sie die rechtliche Auffassung der Justizvollzugsanstalt K. teile.
5
Gegen diesen ihm am 20.12.2024 zugestellten Beschluss legte der Antragsteller zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Augsburg am 14.01.2025 Rechtsbeschwerde ein, die er zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Augsburg am 21.01.2025 begründete. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung gemäß dem gestellten Antrag, hilfsweise die Zurückverweisung an das Landgericht Augsburg zur erneuten Entscheidung. Der Antragsteller rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, weist insbesondere darauf hin, dass sich die Strafvollstreckungskammer nur ungenügend mit seinem Antragsvorbringen auseinandergesetzt habe und insbesondere unberücksichtigt gelassen habe, dass er das begehrte Präparat bereits in der vorherigen Anstalt bezogen habe.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt im Schreiben vom 30.01.2025, die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen als unzulässig zu verwerfen.
7
Eine Stellungnahme hierzu erfolgte seitens des Strafgefangenen nicht mehr.
II.
8
Die Rechtsbeschwerde vom 14.01.2025 ist form- und fristgerecht eingelegt und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (Art. 208 BayStVollzG, § 116 Abs. 1, § 118 Abs. 1 bis 3 StVollzG).
III.
9
Die Rechtsbeschwerde hat auch Erfolg und führt, da das Verfahren spruchreif ist, nicht nur zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, sondern auch zur Aufhebung der vom Beschwerdeführer angefochtenen Entscheidung der Justizvollzugsanstalt K., ihm das von ihm bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbene und im Rahmen der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt K. mit eingebrachte Nahrungsergänzungsmittel Orthomol (88 Tagesportionen) nicht auszuhändigen (§ 115 Abs. 2 Satz 1 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG).
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Die Verweigerung der Justizvollzugsanstalt K., dem Antragsteller das von ihm bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbene und im Rahmen der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt K. mit eingebrachte Nahrungsergänzungsmittel Orthomol auszuhändigen, stellt den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar, der nur bei ordnungsgemäßer Ausübung des hierbei bestehenden Ermessens Bestand haben kann. Dieser Widerruf ist vorliegend nicht rechtsfehlerfrei begründet, da eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht festzustellen ist.
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1. Bei dem vom Antragsteller gestellten Antrag handelt es sich um einen Anfechtungsantrag. Der Antragsteller hatte in seinem Schreiben vom 12.10.2024 sein Antragsziel zwar als Verpflichtungs- und Feststellungsantrag formuliert. Die Gerichte sind insoweit verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und auslegungsfähige Anträge nicht daran scheitern zu lassen, dass die Rechtslage unübersichtlich ist, und die Anträge sachdienlich auszulegen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.01.2021 – 2 BvR 673/20 –, juris Rn. 26). Da der Antragsteller sein Ziel, das von ihm bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbene und im Rahmen der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt K. mit eingebrachte Nahrungsergänzungsmittel Orthomol (88 Tagesportionen) zu erlangen, aus den nachfolgenden Gründen bereits mit einem Anfechtungsantrag, der den Widerruf seiner Berechtigung zum Besitz des verfahrensgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels in Fortfall bringt, erreichen kann, ist sein Antrag als Anfechtungsantrag auszulegen. Weil damit die Justizvollzugsanstalt K. verpflichtet ist, das verfahrensgegenständliche Nahrungsergänzungsmittel an den Antragsteller herauszugeben, bedurfte es einer ausdrücklichen Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Herausgabe dieses Nahrungsergänzungsmittels nicht mehr.
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2. Entgegen den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt, die sich zur Begründung für ihre Verweigerung auf die Vorschriften der Art. 58 ff. BayStVollzG berufen hat, handelt es sich vorliegend nicht um eine Frage der Krankheitsbehandlung im Sinne der Art. 58 ff. BayStVollzG. Diese regeln die Pflicht der Anstalt, für die körperliche und geistige Gesundheit der Anstalt zu sorgen, und einen Anspruch des Strafgefangenen gegen die Anstalt auf notwendige Krankenbehandlung. Vorliegend macht der Antragsteller aber keinen derartigen Anspruch auf Krankenbehandlung geltend, sondern fordert die Herausgabe eines Nahrungsergänzungsmittels, welches der Antragsteller in der Justizvollzugsanstalt S. im Rahmen eines Einkaufs gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG aus eigenen Mitteln aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot bezogen hatte.
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3. Vielmehr ist die Frage der Berechtigung des Antragstellers zum Besitz des verfahrensgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels nach Art. 24 BayStVollzG zu beurteilen.
14
a) Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG können sich Gefangene aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot Nahrungs- und Genussmittel kaufen. Die Durchführung des Einkaufs bei der Justizvollzugsanstalt beinhaltet eine Genehmigung des Erwerbs der eingekauften Waren [OLG Celle, Beschluss vom 09.02.2011 – 1 Ws 29/11 (StrVollz) –, juris Rn. 23].
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Bei dem verfahrensgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittel handelt es sich um ein solches Nahrungsmittel. Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel. Sie unterscheiden sich von anderen Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs dadurch, dass sie in kleinen Dosierungen, etwa als Tabletten oder Kapseln angeboten werden. Sie enthalten Vitamine, Mineralstoffe und/oder sonstige Stoffe in konzentrierter Form mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung. Anders als Arzneimittel ergänzen sie lediglich die normale Ernährung, d.h. sie dürfen keine arzneiliche Wirkung haben (Quelle: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/03_Verbraucher/04_NEM/NEM_node.html).
16
Wie die Antragsgegnerin mitgeteilt hat, hatte der Antragsteller das verfahrensgegenständliche Nahrungsergänzungsmittel in der Justizvollzugsanstalt S.im Rahmen eines sogenannten „Medikamenteneinkaufs“, der von der dortigen Krankenabteilung durchgeführt und überwacht wurde, bezogen. Bei einem solchen von der Anstalt vermittelten und überwachten Einkauf handelt es sich um einen solchen im Sinne des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG.
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b) Aus diesem Einkauf folgt auch ein Besitzrecht an den eingekauften Gegenständen. Denn die Erlaubnis zum Erwerb von Gegenständen beinhaltet regelmäßig auch die Erlaubnis zum Besitz, solange sich die Vollzugsbehörde keinen entsprechenden Vorbehalt einräumt [OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2016 – 2 Ws 125/16 –, juris Rn. 7; OLG Celle, Beschluss vom 09.02.2011 – 1 Ws 29/11 (StrVollz) –, juris Rn. 23; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 21. Ed. 01.10.2024, BayStVollzG Art. 24 Rn. 3; Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 22 Rn. 3]. Ein derartiger Vorbehalt ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.
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c) Dieses Recht zum Besitz an den im Rahmen eines berechtigten Einkaufs gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG bezogenen Waren ging durch den Wechsel in eine andere Justizvollzugsanstalt vorliegend auch nicht verloren.
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aa) Für den Besitz von Gegenständen für die Freizeitgestaltung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 BayStVollzG ist dies anerkannt. Bei einer Verlegung des Gefangenen soll eine unbeschränkt erteilte Besitzerlaubnis in der neuen Anstalt nach der herrschenden Meinung grundsätzlich fortwirken, so dass eine Versagung nur unter den Voraussetzungen eines Widerrufs zulässig wäre [OLG Celle, Beschluss vom 31.07.1992 – 1 Ws 221/92 –, StV 1993, 207, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 08.02.2012 – 2 Ws 536/11 –, juris Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 22.05.2018 – 1 Vollz (Ws) 137/18 –, juris Rn. 15; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.04.1990 – 2 Ws 40/90 –, NStZ 1990, 408, juris; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/ Baier/Laubenthal/Baier, 13. Aufl. 2024, Kap. G Rn. 39 – 40]. Andernfalls würde die Rechtsstellung des Strafgefangenen verschlechtert, ohne dass dies durch ein ihm zuzurechnendes Verhalten veranlasst worden wäre. Soweit bei Gegenständen der Freizeitgestaltung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 BayStVollzG ein derartiger Vertrauensschutz unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.1996 (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.03.1996 – 2 BvR 222/96 –, juris Rn. 6 f.) kritisiert wird (Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 70 Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Knauss, 26. Ed. 01.08.2024, StVollzG § 70 Rn. 48), wird übersehen, dass auch das Bundesverfassungsgericht einen Vertrauensschutz nicht grundsätzlich ablehnt, sondern eine im Einzelfall vorzunehmende Prüfung verlangt, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls oder das Interesse des Einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf die er vertraut, den Vorrang verdienen.
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bb) Vorliegend sieht der Senat keinen Anlass, den Fall von im Rahmen eines berechtigten Einkaufs gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG bezogenen Waren anders zu beurteilen, da in beiden Fällen die Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt ein Ausschlusskriterium ist und auch im Tatsächlichen eine vergleichbare Ausgangslage besteht. Im Hinblick auf das verfahrensgegenständliche Nahrungsergänzungsmittel wäre auch ein besonderes Vertrauen des Antragstellers festzustellen, da dessen Bezug im Rahmen eines gesonderten von der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt S. durchgeführten und überwachten „Medikamenteneinkaufs“, also in qualifizierter Form, erfolgte.
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Auch ein – zulässiger [OLG Frankfurt, Beschluss vom 29.01.2009 – 3 Ws 990/08 (StVollz) –, juris Rn. 1 ff.] – Vorbehalt in dem Sinne, dass das Besitzrecht nur in der Justizvollzugsanstalt S. gelten solle, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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4. Die vom Beschwerdeführer angefochtene Maßnahme der Justizvollzugsanstalt, also die Verweigerung der Herausgabe des vom Antragsteller bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbenen und im Rahmen der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt K. mit eingebrachten Nahrungsergänzungsmittels Orthomol ist aufzuheben, weil die Justizvollzugsanstalt K. bei ihrer Entscheidung nicht alle relevanten Umstände berücksichtigt hat und auch nicht erkennbar ist, dass sie das ihr gemäß Art. 115a BayStVollzG i.V.m. Art. 1 BayVwVfG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG zustehende Ermessen ausgeübt hat (§ 115 Abs. 5 StVollzG; vgl. hierzu Laubenthal/Nestler/Neubacher/Baier/Verrel/Bachmann, StVollzG, 13. Aufl. 2024, Kap. P Rn. 84; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 26. Ed. 01.08.2024, StVollzG § 115 Rn. 18).
23
a) Die Verweigerung der Herausgabe des vom Antragsteller bereits in der Justizvollzugsanstalt S. erworbenen und im Rahmen der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt K. mit eingebrachten Nahrungsergänzungsmittels Orthomol (88 Tagesportionen) stellt einen Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar und hat sich mithin an Art. 115a Satz 2 BayStVollzG i.V.m. Art. 1 BayVwVfG i.V.m. Art. 48, 49 BayVwVfG zu messen, da eine spezialgesetzliche Regelung im BayStVollzG nicht enthalten ist. Da Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der zunächst durch den Anstaltseinkauf erteilten Genehmigung nicht gegeben sind, konnte der Widerruf nur nach Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG erfolgen. Auf Art. 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG konnte dieser dabei nicht gestützt werden, weil dieser nur bei nachträglich eingetretenen Tatsachen Anwendung findet, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Kenntnis dieser Tatsachen durch die Antragsgegnerin ankommt [vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.10.2010 – 1 Ws 488/10 (StrVollz) –, juris Rn. 17]. Insoweit käme allein Art. 49 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG, der zur Verhütung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl den Widerruf einer begünstigenden Maßnahme ermöglichen kann, als Rechtsgrundlage für die erfolgte Verweigerung der Herausgabe in Betracht.
24
b) Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG stellt den Widerruf eines Verwaltungsaktes in das Ermessen der Anstalt (vgl. BeckOK VwVfG/Abel, 66. Ed. 01.04.2024, VwVfG § 49 Rn. 23; Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 115 Rn. 14). Die gerichtliche Überprüfung erstreckt sich insoweit nur auf Ermessensfehler. Fehlerhaft sind Ermessenserwägungen, wenn sie auf unrichtigen oder unvollständigen tatsächlichen Grundlagen beruhen, wenn Ermessenserwägungen angestellt werden, obwohl kein Ermessen besteht, wenn Verwaltungsvorschriften gesetzeswidrig ausgelegt werden, wenn das Ermessen überhaupt nicht ausgeübt wird oder wenn nicht alle für die Abwägung relevanten Aspekte einbezogen werden (Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 115 Rn. 15 m.w.N.; BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 26. Ed. 01.08.2024, StVollzG § 115 Rn. 18).
25
c) Eine sachgerechte Ermessensausübung ergibt sich aus den von der Justizvollzugsanstalt K. vorgetragenen, in den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 15.12.2024 vollständig übernommenen Ausführungen nicht. Insoweit wäre auch die Betroffenheit von Grundrechtspositionen des Antragstellers (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen gewesen sowie der Umstand, dass es sich auch bei der Justizvollzugsanstalt S. ebenfalls um eine Justizvollzugsanstalt mit dem höchsten Sicherheitsgrad handelt. Auch Erwägungen, ob es eine mildere Maßnahme geben könnte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2016 – 2 Ws 125/16 –, juris Rn. 14), fehlen völlig.
IV.
26
1. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 1 und 4 StVollzG, § 467 Abs. 1, § 473 Abs. 4 StPO.
27
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für beide Instanzen beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.