Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 22.01.2025 – B 8 K 22.524
Titel:

Kostenerstattung für selbstbeschaffte Eingliederungshilfe in Form der Web-Individualschule

Normenketten:
SGB VIII § 35a, § 36, § 36a Abs. 3
SGB IX § 112
Leitsätze:
1. Zur Anforderung, den Jugendhilfeträger nach § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB VIII in Kenntnis zu setzen, wenn der Anspruchsinhaber sein Recht mit verwaltungsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfen verfolgt. (Rn. 75 – 86)
2. Ein Hilfeplan kommt in verfahrensfehlerhafter Weise zustande, wenn im Nachgang an das Hilfeplangespräch durch den Jugendhilfeträger Informationen der Hilfeentscheidung zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten eines Hilfeplanverfahrens nicht äußern konnten. (Rn. 98)
3. Der alternativlose Verweis eines Anspruchsinhabers nach § 35a SGB VIII auf die staatliche Regelschule ist fachlich nicht vertretbar, wenn ersichtlich ist, dass dessen festgestellter schulischer Bedarf dort nicht gedeckt werden kann. (Rn. 100 – 103)
4. Die fachliche Ablehnung einer Eingliederungshilfe aufgrund vermeintlich mangelnder Eignung ist fehlerhaft, wenn nicht der maßgebliche Sachverhalt für diese Einschätzung vollständig berücksichtigt wurde. Das kann der Fall sein, wenn ihr lediglich selektiv die negativen Aspekte einer Hilfe herangezogen wurden. (Rn. 104 – 107)
Schlagworte:
Selbstbeschaffte Eingliederungshilfe in Form einer Web-Schule, Verfahrensfehlerhafter Hilfeplan (bejaht), Fachlich nicht vertretbare Hilfeablehnung (bejaht), Eingliederungshilfe, Selbstbeschaffung, Web-Individualschule, Systemversagen, Hilfeplan
Fundstelle:
BeckRS 2025, 5011

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 15.09.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.04.2022 verpflichtet, dem Kläger das für die Zeit vom 01.08.2021 bis 31.07.2025 gezahlte bzw. noch zu zahlende Schulgeld für die Web-Individualschule in Höhe von insgesamt 33.420,00 EUR zu erstatten.
2. Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 1/5, der Beklagte zu 4/5.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt im Wege der Versagungsgegenklage die Verpflichtung des Beklagten, das Schulgeld für die vom Kläger besuchte Web-Individualschule ab Antragstellung erstattet zu bekommen.
2
Der am 30.10.2009 geborene Kläger wird durch seine getrenntlebenden Eltern gesetzlich vertreten und lebt zusammen mit der Kindsmutter in … Unter dem Datum 23.01.2019 wurde dem Kläger durch das … Fachklinikum … eine tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne eines Asperger-Syndroms (F84.5 nach ICD-10), die zu qualitativen Beeinträchtigungen in den Bereichen Sozialverhalten, Kommunikation und Interessenbildung führt, bescheinigt (Bl. 9 der Behördenakte). Mit Bescheid vom 21.03.2019 bewilligte der Beklagte ab dem 25.03.2019 Eingliederungshilfe in Form einer Schulassistenz (Bl. 18 der Behördenakte). Die mit Bescheid vom 21.03.2019 bewilligte Schulassistenz wurde durch Bescheid vom 18.11.2019 wieder eingestellt, da der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, die Schule zu besuchen. Die Schulassistenz habe keine Verhaltensänderung bei ihm bewirken können. Im Rahmen einer erneuten Überprüfung solle nach dem Wunsch der Mutter eine alternative Beschulung (Flex Schule) überprüft werden (Bl. 23 f. der Behördenakte). Das … Fachklinikum … bescheinigte sodann unter dem Datum 22.11.2019, dass eine Flex-Fernschule als geeignete Schulform erachtet werde. Das Ruhen der Schulpflicht erscheine medizinisch indiziert (Bl. 28 der Behördenakte). Im Rahmen eines Gesprächs in seiner Praxis äußerte Dr. …, Facharzt für Kinder-/Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, am 07.07.2020, dass er die soziale Komponente in der Schule als sehr wichtig ansehe. Eine Web Schule solle der letzte Ausweg sein. Auch der Kläger brauche grundsätzlich den Unterschied zwischen Familie und Schule. Er empfehle eine stationäre Diagnostik. In der Zeit zwischen der festen Zusage der Klinik und der tatsächlichen stationären Aufnahme befürworte er die Web Schule, jedoch nur für diese Zeitspanne. Das Ziel der stationären Abklärung solle sein, dass der Kläger danach wieder die Regelschule besuchen könne, nicht die Web Schule (Bl. 35 der Behördenakte). Unter dem Datum 20.10.2020 bestätigte Dr. …, dass sich in Folge der Corona-Situation der Aufnahmetermin zur umfassenden stationären Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen auf unbestimmte Zeit verschiebe. Er empfehle wegen dieser unerwartet uneinschätzbaren langen Wartezeit auf einen stationären Therapieplatz doch die Genehmigung der webbasierten Schule als rein überbrückende Maßnahme, um den Kläger nicht allzu lange aus dem Lernprozess auszuklinken (Bl. 49 der Behördenakte).
3
Am 03.11.2020 beantragten die sorgeberechtigten Eltern des Klägers für diesen die Kostenübernahme der Web-Individualschule ... (Bl. 43 der Behördenakte). Mit Bescheid vom 10.11.2020 wurde der Antrag auf Übernahme des Schulgeldes für die webbasierte Individualbeschulung durch die Web-Individualschule ... , zum Kostenbeitrag der Überbrückungsbeschulung, ab dem 03.11.2020 bis zur stationären Aufnahme in eine Klink, längstens bis zum 31.07.2021, bewilligt. Dies wurde damit begründet, dass beim Kläger eine seelische Behinderung aus dem Bereich der Autismus-Spektrum-Störung vorliege. Trotz intensiver Bemühungen (Schulassistenz, 1:1 Unterricht in der Schule) sei eine Beschulung kaum möglich. Der zuständige Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie empfehle eine stationäre Aufnahme zu Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen. Da die Wartezeit bis zur Aufnahme unter den aktuellen Bedingungen nicht eingeschätzt werden könne, werde zur Überbrückung vorübergehend eine Web-Beschulung angeraten (Bl. 50 ff. der Behördenakte).
4
Unter dem Datum 25.03.2021 bestätigte Dr. … dem Kläger, dass er bis zum nächsten Termin am 25.05.2021 von der allgemeinen Schulpflicht zu befreien sei. Er werde in Kooperation mit dem Jugendamt stattdessen derzeit erfolgreich in der Web-Individualschule beschult (Bl. 74 der Behördenakte).
5
Laut Gesprächsvermerk vom 22.04.2021 teilte Herr …, die Lehrkraft des Klägers in der Web Schule, unter anderem mit, dass zwar auch kleine Fortschritte gesehen würden, im Vergleich zu anderen Schülern falle jedoch auf, dass die Fortschritte und auch die Motivation gering seien. Insgesamt sei fraglich, wie viel der Kläger wirklich vom Unterricht mitbekomme und ob die Web-Individualschule die geeignete Schulform für ihn sei (Bl. 76 der Behördenakte).
6
Bezüglich des Termins am 25.05.2021 teilte Dr. … u.a. mit, dass er die Web-Beschulung nicht als zielführend ansehe, da der Kläger soziale Kontakte benötige und am Leben teilhaben müsse, um überhaupt irgendwann eine Chance zu haben, einen Beruf zu ergreifen und ein eigenständiges Leben zu führen. Dr. … sei bereit, eine Stellungnahme zu schreiben, auch im Hinblick auf mögliche Kindeswohlgefährdung (Behinderung der Entwicklung des Kindes). Eine stationäre Aufnahme in eine Klinik zur Diagnostik ohne die Kindsmutter sei weiterhin definitiv notwendig. Dr. … werde keine weitere Krankmeldung herausschreiben (Bl. 107 der Behördenakte).
7
Dr. …, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, diagnostizierte unter dem Datum 24.06.2021 beim Kläger u.a. eine Autismus-Spektrum-Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms (F84.5). Er empfehle eine den Selbstwert steigernde Gruppenpsychotherapie in einem Autismus-Zentrum, die auch die soziale Kompetenz des Klägers steigern werde. In der Schule und in der Ausbildung habe der Kläger aus fachärztlicher Sicht Anspruch auf eine Schulassistenz und einen Nachteilsausgleich. Eine sozialpädagogische Familienhilfe sei nicht notwendig, weil seine Mutter erzieherisch kompetent sei. Das Geld für die sozialpädagogische Familienhilfe könne eingespart werden und entlaste den deutschen Steuerzahler. Beim Kläger liege eine psychische Störung vor, die mit hoher Wahrscheinlichkeit noch länger als sechs Monate bestehen werde. Eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sei nach fachlicher Kenntnis bereits vorhanden. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht seien die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII erfüllt. Es bestehe weder eine geistige noch körperliche Behinderung. Bei Autismus-Spektrum-Störungen handele es sich um angeborene, tiefgreifende Entwicklungsstörungen, der eine komplexe Störung des zentralen Nervensystems, insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung, zugrunde liege. Deren Auswirkung behindere von Geburt an in vielfältiger Weise die Beziehung zur Umwelt, die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, den Schulerfolg und die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft, da sprachliche, motorische und emotionale Funktionen betroffen seien. Die Teilhabe des Klägers an der Gesellschaft sei beeinträchtigt (Bl. 88 f. der Behördenakte).
8
Sodann attestierte Dr. … unter dem Datum 25.06.2021 u.a., dass die Online-Beschulung alternativlos sei. Eine Regelbeschulung empfehle er nicht, weil der Kläger ängstlich und mit psychosomatischen Beschwerden auf große Gruppen reagiere. Die Online-Beschulung biete Kontinuität und Reizarmut. Der Kläger könne aus seinem sicheren Umfeld heraus allen Leistungsanforderungen besser gerecht werden. Eine Präsenzschule mit Integrationshelfer (Schulassistenz) und Nachteilsausgleich würden nicht ausreichen, weil sich der Kläger in großen Gruppen nicht aufhalten könne. Er verweigere große Gruppen. Neues, Wechsel und Unvorbereitetes würden zum Schulalltag gehören und den Kläger irritieren. Hausunterricht käme nicht in Frage. Ein Eindringen zunächst unvertrauter Lehrpersonen führe zu Panik und vegetativen Symptomen wie Schwitzen und Zittern. Sozialpädagogische Hilfen und der Besuch einer außerschulischen Einrichtung mit einzelfallbezogenem Förderplan kämen nicht in Frage, weil das eine ungewohnte Umgebung für den Kläger bedeute (Bl. 92 der Behördenakte).
9
Unter dem 28.06.2021 attestierte Dr. … dem Kläger bis auf weiteres eine Schulbesuchsunfähigkeit (Bl. 93 der Behördenakte). Diese wurde bis zum heutigen Tag durch Dr. … aufrechterhalten.
10
Im Lernstandsbericht vom 01.07.2021 zog die Web-Individualschule ein gemischtes Fazit. Im ersten Halbjahr hätten sich relativ problemlose Zeiten mit längeren Phasen abgewechselt, in denen faktisch keine Beschulung stattgefunden habe. Um hier neue Impulse zu setzen, sei bei einer Verlängerung der Beschulung durch den Kostenträger über den Juli hinaus geplant, einen Lehrerwechsel vorzunehmen (Bl. 94 ff. der Behördenakte).
11
Im zweiten Hilfeplan vom 09.07.2021 ist u.a. als Ergebnis vermerkt, dass der Kläger weiterhin dem Personenkreis des § 35a SGB VIII zuzuordnen sei. Die Kostenübernahme der Web-Individualschule werde nicht weiter bewilligt, da die Maßnahme nicht sinnvoll und zielführend für den Kläger erscheine (Bl. 99 ff. der Behördenakte). Daneben heißt es dort: „Im Nachgang an das Hilfeplangespräch wurde von Seiten der Schule folgendes ergänzt: Die Schule sieht die Web-Beschulung [beim Kläger] kritisch, da kein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkraft, stellvertretender Schulleitung, [der Mutter des Klägers und dem Kläger] gegeben ist. Für die Schule ist fragwürdig, ob diese Form der Beschulung für [den Kläger] zielführend ist. Herr … würde zwar den Versuch einer neuen Lehrkraft für zwei Monate auf Probe ausprobieren, sieht aber keine großen Erfolgschancen“. Der 2. Hilfeplan wurde ausweislich des Vermerks am 20.07.2021 u.a. an die Erziehungsberechtigten versandt (Bl. 104 der Behördenakte)
12
Laut Gesprächsvermerk vom 09.07.2021 teilte Herr … (stellv. Schulleiter der Web-Individualschule) mit, dass aufgrund des fehlenden Vertrauensverhältnisses zwischen der Kindsmutter, dem Kläger und der Schule sowie der fehlenden Mitarbeit und Einsicht der Kindsmutter und der kaum sichtbaren Entwicklung des Klägers die Weiterführung der Maßnahme kritisch zu sehen sei. Die Kindsmutter finde für alles Ausreden, probiere wenig aus und es gebe keinen offenen Austausch. Die Schule wisse nicht, was der Kläger zu Hause mache und wie er gefördert werde. Er schätzte die Diagnostik bei Dr. … so ein, dass die Kindsmutter mit aller Kraft einen Arzt gesucht habe, der ihr das bestätigt habe, was sie möchte. Er sehe die stationäre Abklärung in einer Klinik als durchaus sinnvoll und notwendig an. Die Kindsmutter habe auch im Vorfeld des Hilfeplangesprächs dem Lehrer des Klägers eine E-Mail mit Hinweisen bezüglich der Überarbeitung des Lernstandsberichts geschickt, weil sie dies nicht habe akzeptieren wollen (Bl. 105 der Behördenakte).
13
In der folgenden Fachkonferenz wurde beschlossen, dass die Fortführung der Eingliederungshilfe in Form einer Beschulung per Web Schule aktuell nicht zielführend sei. Laut fachärztlicher Empfehlung sei eine stationäre Therapie zwingend notwendig, da sonst die Entwicklung des Kindes gefährdet sei. Die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form einer Beschulung per Web-Beschulung werde daher nicht verlängert. Mangels Kooperation der Kindeseltern solle eine Erörterung des Falles vor dem Familiengericht angeregt werden. So solle vermieden werden, dass der Kläger in seiner Entwicklung nachhaltig geschädigt werde (Bl. 116 f. der Behördenakte).
14
Laut fachärztlicher Stellungnahme wegen Kindeswohlgefährdung vom 28.07.2021 von Dr. … sei aus fachärztlicher Sicht keine weitere Beschulung auf Web-Basis indiziert oder sinnvoll, da die Mutter des Klägers diesen immer mehr isoliere und ihn nicht mehr außer Haus lasse und er somit immer weiter desintegriert werde. Die Mutter blockiere alle ambulanten Hilfen und verstärke zudem ihr Isolationsverhalten. Selbst wenn die webbasierte Beschulung möglich wäre, sei sie aus fachärztlicher Sicht kontraindiziert, da der Kläger danach besonders verstärkt durch das vorgeschriebene Verhalten der Mutter immer mehr Kompetenzen verliere und (gemeint wohl: nicht mehr) an der Gesellschaft teilnehme. Der Kindesvater habe laut seinen Angaben keine ausreichenden Ressourcen, den Kläger bei sich wohnen zu lassen und würde einer Fremdunterbringung zustimmen. Aus fachärztlicher Sicht sei dies unbedingt notwendig, da sonst eine Erfüllung der Schulpflicht nicht möglich sei und der Kläger sozial immer mehr isoliert werde. Durch ihr Verhalten isoliere die aus fachärztlicher Sicht erziehungsinkompetente Kindsmutter den Kläger zusehend, blockiere alle gegensteuernden Maßnahmen und gefährde dadurch das Wohlergehen des Klägers (Bl. 110 f. der Behördenakte).
15
Laut Attest von Dr. … – ebenfalls vom 28.07.2021 – leide der Kläger unter einem Asperger-Syndrom. Der Kläger habe sein intellektuelles Potential in der Online Schule gut umsetzen und erstmals in seiner Schulkarriere Erfolgserlebnisse verzeichnen können. Er habe dort gute Schulleistungen erzielen können. Er habe dadurch an Selbstvertrauen zugewonnen. Weil der Kläger oft übermäßig lärmempfindlich sei und Angst in größeren Gruppen von Gleichaltrigen habe, seien stationäre oder teilstationäre Behandlungen nicht anzuraten. Er empfehle daher die Fortsetzung der Online-Beschulung. Er empfehle weiterhin die Behandlung in einem Autismus-Zentrum (Bl. 113 der Behördenakte).
16
Mit Schreiben vom 02.08.2021, eingegangen beim Landratsamt … am 04.08.2021, wurde die Kostenübernahme für die notwendige Beschulung des Klägers an der Web-Individualschule ... ab 01.08.2021 beantragt. Dem Antrag wurde das fachärztliches Attest von Dr. … vom 28.07.2021 beigelegt (Bl. 112 f. der Behördenakte).
17
Laut Abschlussbericht zum Hilfeverlauf nach § 27 i.V.m. § 35a SGB VIII von … vom 16.08.2021 zeige der Kläger kein Interesse an einer Veränderung und die Kindseltern seien dazu ebenfalls nicht bereit. Im Hilfezeitraum würden alle beteiligten Fachkräfte eher Rückschritte im Verhalten des Klägers und seiner sozialen Integration sehen. Aus Sicht der Fachkräfte müsse der Kläger dringend einen Rahmen bekommen, in dem er soziales Verhalten lernen und sich in sozialen Kontexten bewegen könne. Eine Therapiebereitschaft müsse notfalls von außen hergestellt werden. Die Kindsmutter sei sehr engagiert, schaffe es aber nicht, beim Kläger Veränderungsimpulse zu initiieren oder Fortschritte anzuregen. Keine der begonnenen Hilfen (Erziehungsbeistand, Autismus-Therapie, Elternberatung oder auch Anbindung an eine Kinder- und Jugendpsychiatrie) seien ernsthaft durchgeführt worden. Die Eltern hätten an der Hilfe teilgenommen, würden aber keine Erkenntnisse außerhalb der Hilfe umsetzen. Es erscheine erst einmal irrelevant, welche Hilfe gestartet werde. Wichtig sei, dass diese an Erfolgen oder konkreten Ergebnissen gemessen werde. Der Kläger sei aus Sicht des Unterzeichners in seiner Entwicklung durch die Rahmenbedingungen eingeschränkt (Bl. 114 f. der Behördenakte).
18
Mit Bescheid vom 15.09.2021 wurde der Antrag auf Übernahme des Schulgeldes für die webbasierte Individualbeschulung abgelehnt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass eine stationäre Aufnahme in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen vom zuständigen Facharzt dringend angeraten und auch vom Kreisjugendamt als zwingend erforderlich gesehen werde. Zur Überbrückung der Wartezeit bis zur stationären Aufnahme sei die Webbeschulung empfohlen worden. Die Kostenübernahme der Webschule sei bis zum 31.07.2021 befristet bewilligt worden. Trotz dringender Erforderlichkeit sei eine stationäre Aufnahme nicht erfolgt. Im Hilfeplangespräch mit der Schule und dem vorliegenden Lernstandsbericht sei deutlich geworden, dass diese Maßnahme für den Kläger nicht geeignet sei. Aufgrund der Verweigerung des Live-Unterrichts, der mangelhaften Mitarbeit und der fehlenden Kooperationsbereitschaft werde die Fortführung der Eingliederungshilfe in Form einer Beschulung durch die Web Schule als nicht sinnvoll und zielführend erachtet und sei daher abzulehnen (Bl. 118 f. der Behördenakte).
19
Mit Schreiben vom 15.10.2021, eingegangen beim Landratsamt … am 18.10.2021, legte die Bevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid vom 15.09.2021 Widerspruch ein (Bl. 125 der Behördenakte).
20
Mit Schreiben vom 29.10.2021 begründete sie den Widerspruch damit, dass nicht zutreffend sei, dass die Web Schule für den Kläger nicht geeignet sei (Bl. 127 der Behördenakte). Der Lernstandsbericht vom 24.09.2021, der als Anlage beigefügt wurde, zeige, dass die Maßnahme für den Kläger geeignet sei, er am Live-Unterricht teilnehme und mitarbeite. Der Bescheid vom 15.09.2021 basiere sowohl auf falschen Tatsachenbehauptungen als auch auf einer falschen Einschätzung der therapeutischen Notwendigkeit. Insbesondere das Attest von Dr. … vom 25.06.2021 sei eindeutig. Die Online-Beschulung sei alternativlos. Sie ermögliche dem Kläger den Schulerfolg, der ihm andernfalls versagt bleibe. Laut Lernstandsbericht vom 24.09.2021 sei der Kläger nach vollzogenem Lehrerwechsel am 02.08.2021 mit neuem Elan in den Unterricht an der Web Schule gestartet. Die vergangenen acht Wochen seien aus Sicht der Web Schule positiv verlaufen. Außerschulische Dinge würden dem Kläger aufgrund seiner Autismus-Spektrum-Störung im Sinne des Asperger-Syndroms zwar unregelmäßig die reibungslose Teilnahme am Unterricht erschweren, trotzdem habe er fast täglich die vereinbarten Arbeitsaufträge erledigt und Lernfortschritte erzielt. Die im Ablauf des Unterrichts festzustellenden Fort- und Rückschritte seien aus Sicht der Schule nicht ungewöhnlich (Bl. 122 f. der Behördenakte).
21
Laut Lernstandbericht vom 15.11.2021 habe der Kläger nach dem Lehrerwechsel im August 2021 motiviert am Unterricht und auch an den täglich stattfindenden Telefonaten teilgenommen. Der Unterricht habe sich dabei bis zuletzt nach den Interessen und Wünschen des Klägers gestaltet, zumeist orientiert an den sechs unterrichteten Fächern an der Web-Individualschule: Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Biologie und Erdkunde. Seine Aufgaben habe der Kläger zum Großteil erledigt, allerdings seien manche Themen oder Aufgaben auch verworfen worden, weil sie ihn nicht angesprochen oder motiviert hätten. Seit Anfang September habe der Kläger nicht mehr an den täglichen Telefonaten teilnehmen können oder wollen. Außerschulische Unregelmäßigkeiten, etwa seine laufende Ergotherapie, eine heimische Baustelle oder der aktuell temporär auftretende Baulärm an der Web-Individualschule, hätten ihn aufgrund seiner Autismus-Spektrums-Störung im Sinne des Asperger-Syndroms davon abgehalten. Die Kommunikation fände seitdem per Chat statt, was insgesamt nicht wünschenswert sei, aber nur in Ausnahmen zu Schwierigkeiten führe, weil der Kläger zumeist gewillt sei, seine Arbeitsaufträge gut zu erledigen. Für die Zukunft sei es aus Sicht der Web-Individualschule wichtig, dass sich der Kläger Schritt für Schritt wieder darauf einlasse, mit seinem Lehrer zu telefonieren, und er und seine Mutter außerdem bestimmte Regeln und Umstände akzeptieren und annehmen würden. Dies beziehe sich zum einen auf die Unterrichtsinhalte, die bislang auf Interessen und Wünschen des Klägers basiert hätten und die in wenigen Fällen aufgrund des angeblich fehlenden Motivationscharakters auf Wunsch der Mutter wieder aussortiert worden seien. Zum anderen beziehe sich dies auf die offenbar fehlende Bereitschaft, sich auf Gegebenheiten, wie nicht minutengenau startende Anrufe oder das Verbot des – angeblich konzentrationsfördernden – Computerspielens während des Unterrichts einzulassen (Bl. 131 ff. der Behördenakte).
22
Das Landratsamt … teilte mit Schreiben vom 18.11.2021 mit, dass keine Möglichkeit gesehen werde, dem Widerspruch abzuhelfen und das Schulgeld für die webbasierte Individualbeschulung zu übernehmen (Bl. 130 der Behördenakte). Mit Schreiben vom 20.12.2021 wurde der Widerspruch daher mit Bitte um Entscheidung der Regierung von … vorgelegt (Bl. 134 ff. der Behördenakte).
23
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2022, laut Empfangsbekenntnis der Klägerbevollmächtigten zugegangen am 25.04.2022, wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Bl. 16 ff., 40 der Behördenakte).
24
Zur Begründung wurde vorgebracht, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Kostenübernahme für die webbasierte Individualbeschulung habe. Auch wenn nach dem Gesetzeswortlaut des § 35a SGB VIII die Geeignetheit und Notwendigkeit der Hilfe keine geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen seien, sei auch im Rahmen des § 35a SGB VIII eine Entscheidung über die im jeweiligen Einzelfall geeignete und notwendige Hilfe auf Tatbestandsseite zu treffen. Die Geeignetheitsprüfung müsse sich dabei auf die konkret im Einzelfall ins Auge gefasste Hilfe beziehen. Die Geeignetheit sei gegeben, wenn die gewählte Eingliederungshilfe objektiv tauglich sei, die Behebung der Mangellage im individuellen Fall zu fördern. Es müsse also nicht feststehen, dass in Folge der Hilfegewährung eine Besserung der Situation eintreten werde. Ausreichend sei, dass die Möglichkeit einer Besserung bestehe. Ungeeignet sei die Hilfe jedoch dann, wenn sie ein objektiv untaugliches Mittel darstelle. Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage und unter Berücksichtigung der fachlichen/ärztlichen Stellungnahmen sowie der Lernstandsberichte, insbesondere des letzten Lernstandsberichts vom 15.11.2021, sei festzustellen, dass die Form der Hilfe nicht geeignet sei, um den Hilfebedarf zu decken. Der fachärztlichen Stellungnahme von Herrn Dr. … vom 20.10.2020 sei zu entnehmen, dass die webbasierte Individualbeschulung nur vor dem Hintergrund einer Überbrückungslösung bis zur stationären Aufnahme des Kindes in eine Klinik zur umfassenden Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störung angedacht gewesen sei. Der Verlauf der Webbeschulung zeige, dass sich der Kläger der Maßnahme entziehe und nicht die erforderliche Mitarbeit leiste, um die Maßnahme erfolgreich zu gestalten. Der Grund hierfür sei die fehlende Geeignetheit des Settings der Online-Beschulung, um den Bedarf des Jungen zu decken. Die beantragte Hilfe fordere den Kläger zu wenig und setze ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Compliance und Disziplin voraus, weil die Umstände zu viel Raum für „Entweichung“ bieten würden. Aus diesen Gründen werde die beantragte Hilfe als nicht geeignet angesehen, da sie objektiv gesehen ein untaugliches Mittel darstelle. Die Möglichkeit einer Besserung liege ebenfalls nicht vor. Der Lernstandsbericht vom 15.11.2021 zeige Parallelen zum Beginn der Hilfe auf. Der Kläger habe sich auf die geplanten Telefonate zu Unterrichtsbeginn nicht mehr einlassen können. Die Kommunikation im Schüler-Lehrer-Verhältnis fände nur noch über die Chat-Funktion statt. Die anfängliche Motivation und Bereitschaft Anfang September 2021 habe abgenommen. Viele Themen und Aufgaben seien verworfen worden, weil sie den Kläger nicht angesprochen und motiviert hätten. Der Kläger müsse lernen, Gegebenheiten anzunehmen und auszuhalten und auch Neues auszuprobieren, um sich beispielsweise besser zu konzentrieren. Hier wurden keine alternativen Möglichkeiten ausprobiert, weder vom Kläger noch von seiner Mutter. Es werde sogar das Computerspielen während des Unterrichts unterstützt, da es angeblich konzentrationsfördernd sei. Es habe sich keine Besserung zum Maßnahmebeginn eingestellt und auch die Möglichkeit einer Besserung sei nicht ersichtlich. Nach abschließender Bewertung sei daher zu erkennen, dass die beantragte Hilfe nicht geeignet sei, um den Hilfebedarf zu decken.
25
Mit Schriftsatz vom 25.05.2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte Klage mit dem Antrag erheben:
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Der Bescheid des Landratsamtes … vom 15.09.2021 zum Az.: … in Form des Widerspruchbescheides der Regierung von … vom 20.04.2022 zum Az.: …, wird aufgehoben.
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Der Beklagte wird verpflichtet, das Schulgeld für die webbasierte Individualschule für den Kläger rückwirkend ab Antragstellung zu übernehmen.
28
Zur Begründung führt der Kläger in der Klageschrift aus, dass die Beschulung in der Web-Individualschule „alternativlos“ gewesen sei. Der Kläger habe aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten, die vor allem in der Schule auftreten würden, bereits ab dem Jahr 2018 diverse Hilfen seitens des Kreisjugendamtes des Beklagten erhalten. In der dritten Jahrgangsstufe vom 30.09.2019 bis 18.11.2019 habe der Kläger eine ambulante Hilfe in Form einer Schulbegleitung bekommen. Nachdem er trotz Schulbegleitung den Gang in die Schule komplett verweigere, sei die Maßnahme eingestellt worden. Ab dem 21.01.2020 sei eine ambulante Fachkraft in der Familie eingesetzt worden, die sie unterstützten sollte. Da die Hilfe schnell stagniert habe, sei im Juli 2020 eine Autismus-Therapeutin eingesetzt worden, um als Beratung für die Fachkraft im Umgang mit dem Kläger zur Verfügung zu stehen. Die Hilfe habe vom Kläger infolge der bestehenden Störung nicht angenommen werden können und sei im November 2020 eingestellt worden. Da der Kläger seit November 2019 den Schulbesuch verweigert habe, stellten die Eltern einen Antrag auf Kostenübernahme für webbasierte Individualbeschulung. Das Konzept der Individualschule richte sich insbesondere an Schüler, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht dazu in der Lage seien, eine Regelschule zu besuchen. Die Beschulung erfolge über Web-Unterricht. Der Unterricht des Klägers bestehe aus täglich 30 Minuten Live-Unterricht mit Webcam mit einer für den Kläger zuständigen Lehrkraft. Im Nachgang müsse der Kläger Aufgaben bearbeiten, die der Lehrkraft zugeschickt und im nächsten Unterricht besprochen würden. Diese Beschulungsform wäre vom seinerseits zuständigen Kinder- und Jugendpsychiater, Dr. … aus …, befürwortet worden, jedoch als Übergangslösung bis zur stationären Aufnahme in eine Klinik zur umfassenden Diagnostik und Therapie zur autistischen und begleitenden Störungen des Klägers. Die Kostenübernahme für die Web-Individualschule sei bis 31.07.2021 bewilligt worden. Obwohl die Kindsmutter dem Vorschlag des Dr. …, eine stationäre Diagnostik durchzuführen skeptisch gegenüber gestanden habe, habe sie zunächst entsprechend der Empfehlung versucht, einen Klinikplatz für den Kläger zu finden. Dies sei jedoch wegen Corona nicht möglich gewesen. Jedoch sei der Kindsmutter auch durch die Gespräche mit den einzelnen Klinken erst bewusst geworden, dass die von Herrn Dr. … gewünschte stationäre Aufnahme des Klägers eventuell nicht der richtige therapeutische Ansatz sei. Seitens aller Kliniken sei der Kindsmutter bestätigt worden, dass ein kurzer Aufenthalt von 6 bis 8 Wochen sicher nicht dazu geeignet sein würde, die Schulfähigkeit des Klägers wiederherzustellen. Infolge dieser Erkenntnis habe sich die Kindsmutter mit einem ausgewiesenen Autismus-Experten, namentlich Herrn Dr. … aus …, in Verbindung gesetzt. Herr Dr. … ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Jugendtherapie und in diesem Zusammenhang insbesondere mit der Behandlung von Autismus befasst. Die Kindsmutter habe den Kläger am 21.06.2021 Herrn Dr. … vorgestellt. Herr Dr. … habe nach den durchgeführten Testungen bestätigt, dass der Kläger an einer Autismus-Spektrum-Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms leide. Ebenso sei bestätigt worden, dass gerade bei dem Kläger ambulante Hilfsmaßnahmen notwendig seien, weil teilstationäre oder stationäre Behandlungen in der Regel von Autisten nicht vertragen würden. Als für die Kindseltern absehbar geworden sei, dass der Kläger die Regelschule auf Dauer nicht würde besuchen können, sei beim Beklagten die Übernahme der weiteren Kosten ab August 2021 bzw. September 2021 für die Online-Beschulung beantragt worden. Bereits unter dem Datum 04.10.2021 habe der behandelnde Therapeut, Herr Dr. …, in diesem Zusammenhang die Fortsetzung der Online-Beschulung empfohlen.
29
Der Kläger leide unter einer Autismus-Spektrum-Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms. Er habe daher Anspruch auf Eingliederungshilfen im Sinne des § 35a Abs. 1 SGB VIII. Die beantragte Maßnahme in Form der webbasierten Individualschule sei für den Kläger erforderlich und geeignet, um die Behebung der Mangellage im individuellen Fall zu fördern. Der behandelnde Therapeut, Herr Dr. …, habe die Online-Beschulung als „alternativlos“ bezeichnet. Eine Regelbeschulung sei nicht empfohlen worden, weil der Kläger ängstlich und mit psychosomatischen Beschwerden auf große Gruppen reagiere. Die Online-Beschulung biete Kontinuität und Reizarmut. Der Kläger könne aus einem sicheren Umfeld heraus alle Leistungsanforderungen besser erfüllen. Eine Präsenzschule mit Integrationshelfer (Schulassistenz) und Nachteilsausgleich genügten insoweit nicht, weil sich der Kläger nicht in großen Gruppen aufhalten könne. Er verweigere große Gruppen. Neues, Wechsel und Unvorbereitetes gehörten jedoch zum Schulalltag und würden den Kläger irritieren. Ebenso komme Hausunterricht nicht infrage. Ein Eindringen zunächst unvertrauter Lehrpersonen führe beim Kläger zu Panik und vegetativen Symptomen wie Schwitzen und Zittern. Der behandelnde Therapeut weise darauf hin, dass nach seiner Erfahrung Asperger-Autisten den Lehrpersonen noch nicht einmal die Tür öffnen würden. Ebenso wenig kämen sozialpädagogische Hilfen oder der Besuch einer außerschulischen Einrichtung in Frage, weil auch hier das Problem des fehlenden sicheren Umfeldes auftreten würde. Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag der Eltern habe sich der Beklagte jedoch nicht an die Empfehlung des behandelnden Therapeuten, der Autismus-Experte sei, gehalten, sondern die eigene Einschätzung über eine vermeintliche Ungeeignetheit der webbasierten Beschulung herangezogen. Hierbei sei die Behauptung aufgestellt worden, der Kläger würde laut dem Lernstandsbericht vom 15.11.2021 auch die webbasierte Schule nicht akzeptieren, wodurch diese objektiv untauglich sei, um die Beschulung des Kindes zu gewährleisten.
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Zwar sei zutreffend, dass der Kläger seit dem Beschulungsbeginn am 01.12.2020 unterschiedliche Phasen im Hinblick auf die Aufmerksamkeit und Mitarbeiter durchlaufen habe. Insgesamt habe sich die schulische Situation des Klägers jedoch positiv entwickelt und gefestigt. Dies ergebe sich aus dem schulischen Kurzbericht der Web-Individualschule vom 29.04.2022. Dort werde mitgeteilt, der Kläger beginne nun aktuell täglich um 09.15 Uhr mit dem Unterricht, der montags und mittwochs ausschließlich per Chat stattfinde und Dienstag und Donnerstag jeweils mit einem Video-Telefonat beginne. Während der Telefonate folge er den Ausführungen und Erläuterungen des Lehrers und reagiere auf diese per Chat-Nachrichten. Darüber hinaus sei es mittlerweile auch möglich, Unterrichtszeiten spontan zu verschieben oder Live-Unterrichtstage zu tauschen, wenn dies aus organisatorischen Gründen nötig sei. Dies würde der Kläger zwischenzeitlich zulassen. Im Jahr 2021 hätten derartige Umstände oft noch dazu geführt, dass der Unterricht gar nicht habe stattfinden können. Die Behauptung, der Kläger würde ausschließlich nach individuellen Interessen arbeiten und sich nicht an den Lehrplan halten, sei unzutreffend. Vielmehr bescheinige die Web-Individualschule, dass der Kläger von Montag bis Donnerstag anhand des vorgegebenen Arbeitsplanes seine Aufgabe erledige und der Unterricht nicht anhand der Wünsche des Klägers, sondern entsprechend dem Lehrplan ausgestaltet sei. Aktuell sei lediglich der Freitag für die Wunschthemen des Klägers reserviert, die sich auch um außerschulische Dinge drehen dürften. Hier sei es dem Kläger in den vergangenen Monaten sogar einige Male gelungen, sich mündlich an den Gesprächen zu beteiligten. Die Web Schule beschreibe den Kläger als motiviert. Er erledige seine Aufgaben selbstständig, tausche sich aber auch rege per Chat mit seinem Lehrer aus. Er melde sich, wenn er Fragen habe und gestalte die Unterrichtsinhalte über seine Interessen mit. Das Verhalten sei freundlich, die Bearbeitung der Aufgaben gut, sorgfältig und zuverlässig. Das aktuelle Setting würde genügen, um täglich Lernfortschritte zu erzielen. Mittelfristig wäre es wünschenswert, wenn es dem Kläger gelingen würde, sich mündlich an Unterrichtsgesprächen zu beteiligen. Hierzu solle er weiter ermutigt und schrittweise im Rahmen regelmäßiger Telefonate herangeführt werden.
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Hieraus ergebe sich, dass die Web-Individualschule im vorliegenden Fall laut der Einschätzung des behandelnden Facharztes nicht nur objektiv geeignet, sondern alternativlos sei. Aus dem schulischen Entwicklungsbericht ergebe sich, dass der Kläger Lernerfolge erziele und zwischenzeitlich im Rahmen des webbasierten Unterrichts seine Leistungen erheblich habe verbessern können.
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Mit Schriftsatz vom 20.07.2022 beantragt der Beklagte die Klage abzuweisen Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten nicht bestehe. Grundsätzlich könne eine Beschulung mittels einer Online Schule, mit welcher die bestehende Schulpflicht nicht erfüllt werden könne, keine geeignete Eingliederungshilfe darstellen, denn auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 S. 1 SGB VIII hätten Leistungen zur Teilhabe an Bildung prinzipiell lediglich unterstützenden Charakter. Sie seien grundsätzlich weder auf die Finanzierung der Bildungsmaßnahme selbst noch auf die Gestaltung deren pädagogischen Kernbereichs gerichtet. Das bedeute, dass z.B. Schulgelder und Kursgebühren grundsätzlich nicht in das Leistungsspektrum des Rehabilitationsträgers fallen würden. Die Bereitstellung der räumlichen, sächlichen, personellen und finanziellen Mittel für die Erlangung einer angemessenen Schulbildung auch für solche Kinder und Jugendliche, deren seelische Behinderung festgestellt sei oder die von einer solchen bedroht seien, obliege grundsätzlich nicht dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, sondern dem Träger der Schulverwaltung.
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Eine Ausnahme hiervon bildeten lediglich Fälle des Systemversagens, wenn einem Kind der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven Gründen nicht möglich oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder zumutbar sei. Das sei hier nicht der Fall. Dr. … führe in seiner fachärztlichen Stellungnahme wegen Kindeswohlgefährdung vom 28.07.2021 aus, dass aus fachärztlicher Sicht keine weitere Beschulung auf Web-Basis indiziert oder sinnvoll sei. Eine Beschulung auf Web-Basis sei vielmehr kontraindiziert, da der Kläger immer mehr Kompetenzen verliere. Darüber hinaus sei die webbasierte Online Schule keine Eingliederungsmaßnahme im Sinne des § 35a SGB VIII. Die Leistung nach § 35a SGB VIII solle dem Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung ermöglichen und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fördern. Die Leistung soll die Leistungsberechtigten befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich vornehmen zu können. Leistungen zur Teilhabe an Bildung umfassten u.a. Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu, wobei die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben würden. Der Kontakt zu Gleichaltrigen sei essentiell in der Entwicklung junger Menschen. Eine derartige soziale Teilhabe und damit auch eine sozio-emotionale Entwicklung des Klägers sei gefährdet, wenn er an keine Schule angebunden sei und keinerlei soziale Kontakte zu Gleichaltrigen habe. Damit sei die webbasierte Online Schule bestenfalls als überbrückende Maßnahme der Eingliederungshilfe zur schulischen Teilhabe geeignet gewesen, allerdings nicht über den im Bewilligungsbescheid genannten 31.07.2021 hinaus.
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Das Amtsgericht …, Abteilung für Familiensachen, hat am 14.07.2022 beschlossen, dass familiengerichtliche Maßnahmen derzeit nicht erforderlich seien und dies damit begründet, dass die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Gerichts nach § 1666 BGB nicht vorlägen (Bl. 70 f. der Gerichtsakte). Eine akute Kindeswohlgefährdung sei nicht erkennbar. Die Eltern hätten ihren Sohn bei einem Facharzt angebunden, der auf Autismuserkrankungen spezialisiert sei. Ferner würden sie sich um eine ambulante Therapie bemühen. Der Kläger sei auf der Warteliste für die ambulante Autismustherapie in …, welche derzeit aufgebaut werde. Ferner würden die Eltern aus eigenen Mitteln für die Web Schule aufkommen. Auch eine Ergotherapie würde stattfinden. Die Eltern seien ferner bereit, eine ambulante Familienhilfe oder einen Erziehungsbeistand zu beantragen. Die Eltern würden damit ihre Verantwortung im Bereich der Gesundheitsfürsorge und der schulischen Angelegenheiten wahrnehmen.
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Laut Gesprächsvermerk vom 15.07.2022 teilte Herr …, Leitender Psychologe der Kinder- und Jugendpsychiatrie …, telefonisch mit, dass ein Kind/Jugendlicher mit Autismus-Spektrum-Störung lernen könne, in Interaktion zu gehen. Es müsse unterstützt werden, Kontakt mit anderen anzubahnen, aufzubauen und zu stärken. Es sei schwierig, aber besser als wenn nichts gemacht werde. Im Alter von zwölf Jahren sei schon vieles in der Entwicklung verpasst. Es sei schädlicher für die Entwicklung, nichts zu unternehmen (Bl. 141 der Behördenakte). Laut Gesprächsvermerk vom 08.11.2022 äußerte Herr …, dass zwar keine pauschalen Aussagen getroffen werden könnten, jedoch sehe er es sehr kritisch, dass der Junge seit mehreren Jahren die Schule nicht mehr besuche und nur online beschult werde. Ein adäquates Sozialverhalten könne nicht erprobt werden, hierfür werde Kontakt mit anderen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen benötigt. Es müsse zumindest ein Therapieversuch gestartet werden, der nur außerhalb der Familie möglich sei. Für Herrn … sei eine stationäre Behandlung auch für Kinder mit Autismus sinnvoll und dringend angeraten. In einer stationären Behandlung könne erprobt werden, wie genau sich die Autismus-Spektrum-Störung auf das Verhalten des Klägers auswirke und wie er unterstützt werden könne. In der Klinikbeschulung könne ebenso erprobt werden, mit wie vielen anderen Kindern die Beschulung möglich sei und was der Kläger benötige, um wieder in den Klassenverband zurückzukehren. Durch die fehlende Therapie sei soziales Lernen nicht möglich. Er empfehle aufgrund der widersprüchlichen Gutachten ein erneutes Gutachten von einem unabhängigem Kinder- und Jugendpsychiater erstellen zu lassen (Bl. 142 der Behördenakte).
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Mit Attest vom 09.08.2022 (Bl. 59 der Gerichtsakt) führt der behandelnde Therapeut des Klägers aus, dass die ambulanten Hilfsmaßnahmen sinnvoll seien, weil teilstationäre und stationäre Behandlungen von Autisten in der Regel nicht zu ertragen seien. Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie seien die Behandlungen für Autisten ambulant durchzuführen. Eine stationäre Behandlung sei in der Regel kontraindiziert. Allenfalls könne man die Selbstständigkeitsentwicklung von autistischen Jugendlichen etwa ab dem 18. Lebensjahr fördern, indem man sie in einer pädagogischen Einrichtung fördere. Autisten fühlten sich am sichersten zu Hause, sie fühlten sich in einem vertrauen Rahmen am sichersten. Neue Situationen, plötzliche Änderungen und Unvertrautes gehörten zu einem Stationsalltag. Auf diese Irritationen reagierten sie mit Einnässen, Einkoten, mit Aggressionen, mit Panik und Angst. Zum Teil hätten sie sich verbarrikadiert in ihrem Zimmer, oder sie seien mit Tischwerkzeugen auf die Pfleger losgegangen, wenn die Pfleger erzieherische Hinweise geben wollten. Die Mütter von autistischen Kindern hätten von Geburt an einen erzieherischen Mehrbedarf. Weil Autisten in der Regel willensstark und stur seien. Deshalb müssten die Mütter von Anfang an lernen sich durchzusetzen. Das trainiere die Mutter. Deshalb seien die Eltern von Autisten im Durchschnitt erziehungskompetenter als durchschnittliche Eltern. Die Mutter sei sehr engagiert. Sie habe für ihr Kind eine Ergotherapie organisiert. Der Kläger stehe durch ihr Engagement auf der Warteliste der Autismus-Therapie und er stehe auch auf der Warteliste einer Psychologin, die ambulant arbeite. Die Erziehungskompetenz der Mutter schätze er als überdurchschnittlich ein. Sie habe sich von Geburt an gegen die Willensstärke ihres Sohnes durchsetzen können. Die Tatsache, dass sie sich bei ihrer Hausärztin regelmäßig berät und für den Kläger Behandlungsstellen aufsuche und dort anmelde, zeige, dass sie engagiert sei. Eine Gefährdung des Gesundheitszustands des Klägers sei bei dem Engagement der Mutter nicht zu erwarten.
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Mit Schriftsatz vom 15.08.2022 wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen und verweist auf das Attest des behandelnden Therapeuten vom 09.08.2022 und den Lernstandsbericht der Web-Individualschule vom 31.05.2022 (Bl. 65 ff. der Gerichtsakte). Bereits zum 04.10.2021 habe der behandelnde Therapeut in diesem Zusammenhang die Fortsetzung der Online-Beschulung empfohlen. Aus dem Lernstandsbericht vom 31.05.2022 ergebe sich, dass sich der Kläger nach den von der Mutter angeregten Umstellungen zwischenzeitlich positiv auf den Unterricht einlassen könne. Beim Kläger sei eine deutliche Motivationssteigerung eingetreten. Er bearbeite seine Arbeitsaufträge engagierter, interessiert und wolle häufiger weiterführende Aufgaben bearbeiten. Seit der Umstellung Anfang September halte der Kläger sich stets an die Vereinbarungen und sei auch bereit, sich auf spontane Änderungen einzulassen, wenn diese aus organisatorischen Gründen notwendig seien. Der Kläger nehme täglich am Unterricht teil und übersende seine Ausarbeitungen täglich unaufgefordert. Seine Aufgaben erledige der Kläger übersichtlich und mit Sorgfalt. Die Kommunikation sei stets freundlich und respektvoll, die Beschulung verlaufe aus Sicht der Web-Individualschule zwischenzeitlich positiv. Die Schilderungen des Beklagten hätten daher mit der aktuellen Situation nichts mehr zu tun. Daneben verweist die Klägerbevollmächtigte auf die Ausführungen in dem Beschluss des Amtsgerichts … vom 14.07.2022. Der Beklagte würde sich daher nicht mit dem aktuellen Sachstand auseinandersetzen. Der Kläger verweigere nicht die Beschulung an und für sich, sondern die Präsenzbeschulung. Grund hierfür seien die Einschränkungen des Klägers durch die Autismus-Spektrum-Störung. Er sei sehr lärmempfindlich und könne sich in großen Gruppen, in denen viele ablenkende Geräusche und Aktivitäten entstehen könnten, nicht hinreichend konzentrieren. Darüber hinaus benötige der Kläger Möglichkeiten zum Rückzug. Die Online-Beschulung werde vom behandelnden Therapeuten im vorliegenden Fall als „alternativlos“ bezeichnet. Soweit vom Beklagten auch immer wieder in Zweifel gezogen werde, ob der Kläger tatsächlich an der beschriebenen Störung leide, werde darauf hingewiesen, dass diesbezüglich zwischenzeitlich zwei positive Diagnosen vorliegen würden. Der Kläger habe eine Schwerbehinderung (GdB 60 mit Merkzeichen B und H) und Pflegegrad 3. Beim Kläger handele es sich entsprechend nicht um ein „normales“ Kind, dass sich schlechter benehme oder von seiner Mutter nicht erzogen werde. Vielmehr bestehe beim Kläger eine Beeinträchtigung im Sinne einer Behinderung, unter der er lebenslang leiden werde. Im vorliegenden Fall könnten keine von der Zielrichtung her nachvollziehbare Aktionen des Jugendamtes festgestellt werden. Einerseits solle für den Kläger eine kostenaufwändige stationäre Diagnostik und Therapie durchgeführt werden. Andererseits sei bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt klar, dass der Kläger – ohne nachträgliche ambulante Anbindung – durch eine kurzfristige stationäre Therapie nicht „schulfähig“ gemacht werden könne. Nach Rücksprache mit der Behindertenbeauftragten des Landkreises sei auch nicht ersichtlich, dass es für den Kläger im gesamten Landkreis eine geeignete Regelschule gebe. Die Beschulung im Rahmen einer Sonder- bzw. Förderschule verbiete sich aufgrund der vorhandenen kognitiven Fähigkeiten des Kindes.
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Mit E-Mail vom 09.11.2022 schrieb Herr … der Kindsmutter, dass das Jugendamt … anonym bei ihm angefragt habe. Das Jugendamt habe eine schwierige diagnostische Klärung und einen langen Schulabsentismus geschildert. Herr … Aussagen hätten sich grundsätzlich auf Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung und die diagnostischen bzw. therapeutischen Möglichkeiten im Rahmen einer stationären Therapie bezogen. Bei Problemen mit dem Schulbesuch könne eine Klinik mit Klinikbeschulung den notwendigen Rahmen zum sozialen Lernen bieten, den ein ambulantes Therapiesetting nicht mehr erfüllen könne (Bl. 146 der Behördenakte).
39
Mit Schriftsatz vom 16.11.2022 vertrat die Klägerbevollmächtigte gegenüber dem Oberlandesgericht Bamberg, Gerichtsabteilung Familie, dass seitens des Kreisjugendamtes im Gespräch mit Herrn … falsche Voraussetzungen geschildert worden seien. Es existiere eine gesicherte Diagnose. Ebenso wenig bestehe ein langer Schulabsentismus, da der Kläger tatsächlich beschult werde. Die vom Jugendamt vorgelegten Unterlagen seien ohne Beweiswert, da sie sich nicht auf den Fall des Klägers beziehen würden (Bl. 148 der Behördenakte).
40
Mit Schreiben vom 22.12.2022 wies das Oberlandesgericht Bamberg, Gerichtsabteilung Familie, darauf hin, dass die Beschwerde nach vorläufiger Einschätzung keine Aussicht auf Erfolg habe, da die Voraussetzungen des § 1666 BGB nicht vorlägen. Der Kläger sei bei einem Facharzt angebunden, weitere ambulante Maßnahmen, wie etwa Ergotherapie und Beschulung durch die Web Schule, würden durchgeführt. Der Kläger sei für eine ambulante Therapie angemeldet. Dass dies nicht die Maßnahmen seien, die aus Sicht des Jugendamtes wünschenswert seien, rechtfertige ein staatliches Einschreiten nicht (Bl. 151 der Behördenakte).
41
Mit Schriftsatz vom 24.01.2023 nahm der Beklagte die beim Oberlandesgericht Bamberg erhobene Beschwerde zurück (Bl. 155 der Behördenakte).
42
Mit Schriftsatz vom 02.03.2023 übersandte die Klägerbevollmächtigte den Lernstandsbericht vom 25.11.2022 (Bl. 106 ff. der Gerichtsakte). Hiernach habe der Kläger in den vergangenen Monaten mit nur wenigen Ausnahmen kontinuierlich Lernfortschritte in allen sechs unterrichteten Fächern erzielen können.
43
Mit Schriftsatz vom 30.03.2023 übersandte die Klägerbevollmächtigte einen Zwischenbericht der Web-Individualschule vom 20.03.2023 über den Kläger (Bl. 114 der Gerichtsakte). Auch in diesem Bericht wird ein kontinuierlicher Lernfortschritt attestiert. Die Beschulung verlaufe weiterhin positiv und zielführend.
44
Mit Schriftsatz vom 11.05.2023 (Bl. 122 der Gerichtsakte) teilte der Beklagte mit, dass im Rahmen der Hilfeplanung die fachärztlichen Stellungnahmen von Herrn Dr. … vom 07.07.2020, 20.10.2020 und 28.07.2021 (Bl. 123 f.,135 ff. der Gerichtsakte) in die ablehnende Entscheidung mit einbezogen worden seien. Maßgeblicher Hilfeplan sei der 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 (Bl. 125 f. der Gerichtsakte).
45
Mit Schriftsatz vom 29.09.2023 (Bl. 157 ff. der Gerichtsakte) wiederholt die Klägerbevollmächtigte zunächst ihr Vorbringen. Insbesondere wird kritisiert, dass die Fachkräfte des Beklagten und der vom Beklagten eingesetzte Herr Dr. … nicht die notwendige Expertise aufwiesen. Daneben habe das Jugendamt veraltete Informationen für seine Entscheidung herangezogen. Seitens des Jugendamtes seien zu keinem Zeitpunkt die Berichte und Atteste des aktuell behandelnden Therapeuten, Dr. …, beigezogen worden. Persönliche Gespräche oder ein persönlicher Kontakt hätten seit dem Hilfeplangespräch im Jahr 2021 nicht mehr stattgefunden. Auch die Lernstandsberichte der Web Schule würden vom Jugendamt weder zur Kenntnis genommen, noch seien sie in die Entscheidung eingeflossen. Weiterhin kritisiert die Klägerbevollmächtigte das Verhalten des Beklagten rund um die Anfrage bei Herrn Dr. … (KJP …*). Daneben übersandte die Klägerbevollmächtigte den Lernstandsbericht vom 21.06.2023 (Bl. 161 ff. der Gerichtsakte). Auch in diesem Bericht werden fast kontinuierliche Lernfortschritte in allen sechs unterrichteten Fächern attestiert. Den Freitag nutze der Kläger nun nur noch für seine Arbeitsaufträge und nicht mehr als Wunsch- oder Erholungstag.
46
Mit Schriftsatz vom 02.11.2023 (Bl. 167 f. der Gerichtsakte) führt der Beklagte aus, dass eine Beschulung mittels einer Online Schule, die die Schulpflicht nicht erfülle, grundsätzlich keine geeignete Eingliederungshilfe darstellen würde, denn auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 S. 1 SGB VIII hätten Leistungen zur Teilhabe an Bildung prinzipiell lediglich unterstützenden Charakter. Sie seien grundsätzlich weder auf die Finanzierung der Bildungsmaßnahme selbst noch auf die Gestaltung deren pädagogischen Kernbereichs gerichtete. Das bedeute, dass z.B. Schulgelder und Kursgebühren grundsätzlich nicht in das Leistungsspektrum des Rehabilitationsträgers fielen. Die Bereitstellung der räumlichen, sächlichen, personellen und finanziellen Mittel für die Erlangung einer angemessenen Schulbildung obliege grundsätzlich nicht dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, sondern dem Träger der Schulverwaltung. Darüber hinaus sei die webbasierte Online Schule keine geeignete Eingliederungsmaßnahme im Sinne des § 35a SGB VIII. Die Leistungen nach § 35a SGB VIII sollen dem Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung ermöglichen und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fördern. Der Kontakt zu Gleichaltrigen sei essentiell in der Entwicklung junger Menschen. Eine derartige soziale Teilhabe und damit auch eine sozio-emotionale Entwicklung des Klägers sei gefährdet, wenn er an keine Schule angebunden sei und keinerlei soziale Kontakte zu Gleichaltrigen habe.
47
Mit Schriftsatz vom 15.07.2024 (Bl. 221 der Gerichtsakte) führte der Beklagte aus, dass die Fernbeschulung als Eingliederungsmaßnahme nach § 35a SGB VIII regelmäßig nur vorübergehend in Betracht komme, um eine langfristige Beschulung im öffentlichen Regelschulsystem wieder gewährleisten zu können. Die Kooperation mit dem öffentlichen Schulsystem sei essentiell. Gleichzeitig müsse auch die soziale Teilhabe des jungen Menschen gewährleistet werden, so dass es weitergehender Maßnahmen, sei es therapeutisch oder pädagogischer Art bedarf, um langfristig eine Beschulung zu erreichen. Die Klägervertreterin habe bis zum heutigen Tag keinen therapeutischen Handlungsplan vorgelegt. Daneben habe der Beklagte für die Schuljahre 2022/2023 und 2023/2024 ohne neuen bzw. weiteren Antrag nicht in die Hilfeplanung einsteigen müssen. Im Unterschied zu den sozialrechtlichen ausschließlichen monetären Leistungen unterlägen die Kinder- und Jugendhilfe regelhaft der freiwilligen Inanspruchnahme durch die Anspruchsinhaber. § 36 SGB VIII beziehe sich ausschließlich auf den Zeitraum vor und während der Hilfegewährung. Eine Hilfeplanung bzw. Überprüfung der Hilfeplanung nach Beendigung bzw. bei Ablehnung sehe § 36 SGB VIIII dagegen nicht vor. Zudem unterlägen Entscheidungen über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Maßnahme einem „kooperativen sozialpädagogischen Entscheidungsprozess“ unter Mitwirkung der Fachkräfte des Jugendamts und des betroffenen Hilfeempfängers, weshalb der Jugendhilfeträger nicht ohne Weiteres nach Ablehnung einer Hilfe in ein neues Hilfeplanverfahren – ohne entsprechende Willensbekundung des Anspruchsinhabers – einsteigen dürfe. Eine solche habe jedoch noch Ablehnung des Antrags am 15.09.2021 nicht vorgelegen. Vielmehr würden ausschließlich Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel eingelegt. Es sei nicht zulässig, ohne vorherigen Antrag ein (neues) Hilfeplanverfahren zu eröffnen. Nach dem 09.07.2021 seien keine weiteren Hilfeplanverfahren durchgeführt worden.
48
Mit Schriftsatz vom 19.07.2024 (Bl. 225 f. der Gerichtsakte) führte die Klägerbevollmächtigte aus, dass es sich bei der beim Kläger diagnostizierten Autismus-Spektrum-Störung nicht um eine „Krankheit“ handele, die in diesem Sinne therapierbar wäre, sondern um eine seelische Beeinträchtigung. Entsprechend sei der Kläger auch nicht im eigentlichen Sinne „therapierbar“. Der Kläger könne lediglich – mit geeigneten Hilfen – für sich selbst Coping-Strategien entwickeln, um bestehende Defizite auszugleichen. Ziel dieses Ausgleichs könne und solle es jedoch nicht sein, beim Kläger eine „Wesensänderung“ herbeizuführen. Der Kläger werde als Mensch mit Spektrum-Störung niemals „gesellig“ werden oder Freude am Kontakt mit fremden Menschen empfinden. Tatsächlich sei dieses „Anderssein“ auch ein Recht des Klägers. Entsprechend müsse eine geeignete Hilfe darauf gerichtet sein, dem Kläger Strategien zu vermitteln, um im erforderlichen Umfang sozial interagieren zu können. Der Kläger habe einen Anspruch auf Bildung. Es dürfte zwischen den Beteiligten unstreitig sein, dass der Kläger im Juli 2021 im Rahmen des öffentlichen Schulsystems als nicht beschulbar gegolten habe. Der Kläger begehre über die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII Teilhabe in Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Die begehrte Hilfe in Form der Beschulung sei vom Beklagten verweigert worden, ohne dem Kläger eine adäquate Alternative anzubieten. Vielmehr sei seitens des Jugendamts versucht worden, über den Umweg des familiengerichtlichen Verfahrens wegen Kindeswohlgefährdung eine therapeutische Maßnahme durch die stationäre Unterbringung des Klägers in einer psychiatrischen Einrichtung durchzusetzen. Dieses Ansinnen des Jugendamtes sei aus fachärztlicher Sicht als völlig ungeeignet qualifiziert worden. Aus Sicht des behandelnden Facharztes Dr. … sei vielmehr zu befürchten gewesen, dass der Kläger zusätzlich traumatisiert worden wäre. Andererseits sei der von der Beklagtenseite priorisierte Klinikaufenthalt von Anfang an keine geeignete Maßnahme im Bereich der vom Kläger begehrten Teilhabe an Bildung gewesen, da im Rahmen von stationären Aufenthalten die Wissensvermittlung nicht im Vordergrund der Maßnahme stünde. Der Kläger wolle beschult werden. Das Jugendamt habe es versäumt, dem Kläger ein adäquates Alternativangebot zur Teilhabe an Bildung zu unterbreiten.
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Daneben antwortete die Klägerbevollmächtigte in diesem Schriftsatz auf die Fragen aus dem gerichtlichen Hinweis vom 25.06.2024. Auf die erste Frage, wie dem Kläger seit dem Schuljahr 2021/2022 und auch künftig Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht werde, wurde geantwortet: Beim Kläger bestehe eine diagnostizierte Autismus-Spektrum-Störung. Der Kläger habe hierdurch vollkommen andere Bedürfnisse als ein Kind oder ein Jugendlicher ohne entsprechende Störung. Der Kläger habe kein Bedürfnis nach vielen Sozialkontakten. Entsprechend verbiete es sich, dem Kläger die Wertung eines Dritten, der nicht unter einer Spektrum-Störung leide, über den Wert von sozialen Kontakten aufzuoktroyieren. Dem Kläger werde Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht
- durch den Besuch eines Modelleisenbahnvereins. Aktuell fänden die Treffen weniger regelmäßig statt, da sich die Interessenlage des Klägers geändert habe. Der Kläger interessiere sich zwischenzeitlich stark für 3D-Druck-Modelle und das entsprechende Verfahren.
- Aktuell besuche der Kläger als Gast ein Probetraining beim SSV … (Sportschützenverein). Dort habe der Kläger in der Jugendabteilung Kontakt zu anderen Jugendlichen.
- Der Kläger habe zwischenzeitlich wieder einen engen Bezug zu seinem Vater, mit dem er regelmäßig aushäusige Unternehmungen tätige.
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Das Hauptinteresse des Klägers gelte jedoch der Erforschung sinnvoller Gestaltungen am Computer. Der Kläger sei einerseits Teilnehmer bei unterschiedlichen Onlinespielen, bei denen er teilweise als Moderator und Administrator arbeite. Die Spieler fänden sich auch häufig nach den Spielen im sogenannten „Discord“ zu persönlichen Gesprächen zusammen. Hierdurch habe der Kläger zwischenzeitlich Freunde in der ganzen Welt, mit denen er sich regelmäßig – auch in der englischen Sprache – unterhalte. Über diese sozialen Verbindungen habe der Kläger neue Interessen entwickelt. Der Kläger habe zwischenzeitlich ein erstaunliches Können bei 3D-Konstruktionen (Modelle) am Computer. Zusammen mit anderen Freunden, die der Kläger über das Medium Internet kennengelernt habe, entwickele er aktuell ein PC-Spiel. Gerade durch die Kontakte im Internet sei der Kläger zwischenzeitlich deutlich besser dazu in der Lage, sich im persönlichen Gespräch auszutauschen, zu diskutieren und Ideen zu entwickeln, also mit dem Gegenüber zu interagieren.
51
Daneben ergänzte die Klägerbevollmächtigte, dass hinsichtlich der vermeintlich fehlenden Antragstellung der Klägerseite das letzte Hilfeplangespräch bereits am 09.07.2021, also noch im Schuljahr 2020/2021 stattgefunden habe. Zum damaligen Zeitpunkt habe der Kläger unbestritten Probleme mit dem konkret für ihn zuständigen Lehrer der Web Schule. gehabt Das Hilfeplangespräch habe auch nicht, wie eigentlich sinnvoll, im Beisein der Erziehungsberechtigten des Klägers stattgefunden. Gegenstand des Hilfeplangesprächs sei der Verlauf des Schuljahres 2020/2021 gewesen. Seitens der Schule sei eine Probephase mit Lehrerwechsel vorgeschlagen worden. Der Vorschlag sei vom Jugendamt sofort abgelehnt worden, obwohl es tatsächlich keine Alternative zur Web-Beschulung gegeben habe, um dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt Teilhabe an Bildung zu ermöglichen. Am 02.08.2021 hätten die gesetzlichen Vertreter des Klägers erneut Antrag auf Kostenübernahme gestellt. Das Jugendamt habe den Kläger seit dem Hilfeplangespräch im Juli 2021 weder gesehen noch gehört. Informationen über den Gang der Beschulung seien nicht eingeholt worden.
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Mit Schriftsatz vom 10.10.2024 ergänzte und vertiefte die Prozessbevollmächtigte des Klägers ihren bisherigen Sachvortrag. Die Beschulung werde durchgehend erteilt. Die Beschulung habe für das Schuljahr 2021/2022 bereits ab dem 01.07.2021 stattgefunden. Der Kläger werde auch laufend beschult. Die Beschulung für den aktuellen Abschluss (Hauptschulabschluss bzw. Quali) soll bis Ende des Schuljahres 2025/2026 erfolgen. Hier müsse jedoch zunächst ein Konsens mit der Stammschule des Klägers herbeigeführt werden, da die Prüfungen extern abgenommen würden. Laut Auskunft der Stammschule würde der Kläger bereits Ende des laufenden Schuljahres 2024/2025 zur Prüfung anstehen. Voraussichtlich wolle der Kläger sogar noch den mittleren Schulabschluss erwerben. Im Schuljahr 2021/2022 würde sich die Beschulungspauschale auf 910,00 € pro Monat belaufen. Die Mutter des Klägers habe hierzu monatlich eine Rechnung im Voraus erhalten. Exemplarisch werde als Anlage die Rechnung für den Monat Mai 2022 übergeben. Die Mutter des Klägers beziehe Leistungen nach dem SGB II. Die Kosten der Beschulung würden über ein Privatdarlehen der Mutter des Klägers finanziert. Für das Schuljahr 2021/2022 seien dies insgesamt 10.920,00 € (12 x 910,00 €) gewesen. Im Schuljahr 2022/2023 habe die monatliche Beschulungspauschale voraussichtlich ebenfalls 910,00 € pro Monat betragen. Ein Beleg hierzu könne nicht vorgelegt werden, da der Kläger insoweit externe Hilfe erhalten habe. Zusammen mit dem Förderverein der Bochumer Web-Individualschule habe der karitative Verein … e.V. in … ein sogenanntes …-Stipendium ins Leben gerufen. Auf Vermittlung der Individualschule habe … e.V. die Beschulungspauschale im Hinblick auf den laufenden Rechtsstreit übernommen. Der Zuschuss im Rahmen des Stipendiums in Höhe von 7.500,00 € sei im Falle der Kostenübernahme an den Förderverein zurückzuerstatten. Auch die Beschulungspauschale des Schuljahres 2023/2024 in Höhe von 7.500,00 € pro Jahr sei bislang von … e.V. vorfinanziert worden. Aktuell beliefen sich die Kosten der monatlichen Beschulungspauschale auf 1.164,00 €. Der Schulbesuch werde von … e.V. über das Jahresstipendium vorfinanziert. Die Vorfinanzierung der Unterrichtskosten durch … e.V. sei eine interne Absprache zwischen der Webschule und der Hilfseinrichtung, um die Beschulung des Klägers fortsetzen zu können. Die Kosten in Höhe von aktuell 22.500,00 € für die Jahresstipendien sollen an den Förderverein rückerstattet werden. Entsprechend beliefen sich die rückständigen Beschulungspauschalen und Kosten seit dem 01.07.2021 bis einschließlich 30.06.2025 zwischenzeitlich auf 33.420,00 €.
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Die Prozessbevollmächtigte beantragte nunmehr:
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger das gezahlte Schulgeld für die Zeit vom 01.08.2021 bis 30.06.2025 in Höhe von 33.420,00 € durch Zahlung von 10.920,00 € an den Kläger selbst zu Händen der gesetzlichen Vertreterin und weiteren 22.500,00 € an die Web-Individualschule ... zu erstatten und die monatliche Beschulungspauschale beginnend mit dem Monat Juli 2025 jeweils monatlich im Voraus direkt an die Web-Individualschule ... zu zahlen.
54
Zu der Stellungnahme bzw. dem Attest des Dr. … vom 24.05.2021 und 25.06.2021 führte die Prozessbevollmächtigte aus: Mitte des Jahres 2021 sei ein Wechsel des Therapeuten durchgeführt worden. Der Kläger sei von Dr. … zu Dr. … gewechselt. Die erste Vorstellung sei am 21.06.2021 erfolgt. Die Abklärung habe eine Woche gedauert, in der vom Therapeuten neben den typischen Symptomen der Autismus-Spektrum-Störung auch die beim Kläger individuellen Symptome festgestellt worden seien. Im Rahmen des Abklärungsprozesses habe sich ergeben, dass der Kläger oft übermäßig lärmempfindlich sei und Angst in größeren Gruppen habe. Bei der Gruppenpsychotherapie in einem Autismuszentrum handele es sich um einen Standardtherapievorschlag, der für den Kläger sodann einerseits infolge der individuellen Symptomatik nicht infrage käme. Andererseits habe zum damaligen Zeitpunkt im hiesigen Raum kein Autismuszentrum existiert, wo eine entsprechende Therapie hätte durchgeführt werden können. Aus dem Attest vom 25.06.2021 ergebe sich deutlich, welche individuelle Symptomatik beim Kläger vorliege, die den Therapeuten dazu gebracht habe, die vorangegangene Empfehlung zu revidieren. Höchst vorsorglich solle darauf hingewiesen werden, dass auch die Gruppenpsychotherapie in einem Autismuszentrum vom Therapeuten lediglich als ambulante Maßnahme angedacht gewesen sei. Hierzu habe sich der Therapeut nochmals im Attest vom 28.07.2021 (Bl. 113 der Behördenakte) erklärt. Grund hierfür sei wiederum die übermäßige Lärmempfindlichkeit des Klägers sowie die Angst in größeren Gruppen von Gleichaltrigen. Die Stellungnahme vom 24.06.2021 sei nach der ersten Abklärung erfolgt und in die Stellungnahme vom 25.06.2021 hätten die sich im Rahmen der späteren Diagnostik ergebenden individuellen Symptomatiken des Klägers Eingang gefunden. Der letzte persönliche Kontakt zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter des Beklagten habe im April 2021 stattgefunden. Von der zwischenzeitlichen Einleitung eines Hilfeplanverfahrens habe die Klägerseite keine Kenntnis.
55
Mit Schriftsatz vom 07.11.2024 vertiefte der Beklagte sein Vorbringen. Weitere schriftliche Ausführungen von Seiten der Weblndividualschule neben dem Telefonat vom 09.07.2021 mit Herrn … und den Lernstandsberichten würden mit Blick auf das Hilfeplanverfahren nicht vorliegen. Die Weblndividualschule sei bereits im Hilfeplanverfahren vom 01.02.2021 (Bl. 61 der Behördenakte) beteiligt worden. Der Gesprächsinhalt sei im Schriftsatz vom 21.04.2022 (Anregung von gerichtlichen Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB i.V.m. mit der Erörterung einer Kindeswohlgefährdung) zum familiengerichtlichen Verfahren … wiedergegeben.
56
Die fachärztliche Stellungnahme des Dr. … vom 28.07.2021 (Bl. 110 f. der Behördenakte) sei angefertigt worden, weil mit der webbasierten lndividualbeschulung die Schulpflicht nicht erfüllt werden könne. Für das Schulamt sei eine Krankschreibung durch einen Facharzt notwendig. ln der Vergangenheit sei diese von Dr. … ausgestellt worden. Da Dr. … aus bekannten Gründe keine Krankschreibung mehr ausgestellt habe, habe sich die Mutter des Klägers an einen Facharzt in …, Dr. … gewandt, der bei … eine Autismus-Testung durchgeführt habe und ihm aus gesundheitlichen Gründen eine Schulbesuchsunfähigkeit attestiert sowie die webbasierte lndividualschule als geeignete Schulform empfohlen habe. Nachdem Herr Dr. … von dieser Entwicklung und dem neuen Gutachten Kenntnis erhalten habe, sei die Meldung einer Kindeswohlgefährdung mittels fachärztlicher Stellungnahme erfolgt. Die Meldung sei aus eigenem Antrieb erfolgt.
57
Auf den Hinweis des Gerichts, dass die Stellungnahme des Dr. … vom 24.06.2021 offenbar nur teilweise in den 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 eingeflossen und seine anderen Vorschläge bzw. Aussagen von ihm im Hilfeplan nicht berücksichtigt worden seien, führte der Beklagte aus, dass ausweislich des Antrags auf Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe vom 03.11.2020 (Bl. 43 der Behördenakte) die Kostenübernahme für die Weblndividualbeschulung Bochum beantragt worden sei. Die von Dr. … vorgeschlagene Gruppenpsychotherapie in einem Autismuszentrum sei von Klägerseite nicht aufgegriffen worden. Der Kläger habe Angst vor langen Autofahrten und könne daher nicht zu dem Autismuszentrum in … gelangen. Dies sei vom Jugendamt im Hilfeplan vom 09.07.2021 ausgeführt worden. Es stelle sich die Frage, warum Dr. … auf diese Angstproblematik nicht eingegangen sei. Es handele sich hier um einen objektiven Mangel in der Schlüssigkeit der Ausführungen von Dr. … Es sei auch nicht bekannt wie der Kläger bei Berücksichtigung dieser Problematik zu Dr. … nach … zur Untersuchung habe gelangen können. Es sei auch nicht ersichtlich, ob überhaupt eine Untersuchung durch Dr. … stattgefunden habe. Es sei der Klägerseite in erster Linie um die Durchführung der Weblndividualbeschulung gegangen. Daher sei die Gruppenpsychotherapie in einem Autismuszentrum im Ergebnis zur Vermeidung einer redundanten, weil nicht antragsorientierten Abwägung, nicht berücksichtigt worden. Dr. … schlage in seiner Stellungnahme vom 24.06.2021 (Bl. 88 und 89 der Behördenakte) verschiedene Maßnahmen vor. Diese sind Gruppenpsychotherapie in einem Autismuszentrum, Besuch einer Selbshilfegruppe durch die Eltern des Klägers, Schulassistenz und Nachteilsausgleich in der Schule und in der Ausbildung. ln der Stellungnahme von Dr. … vom 25.06.2021 (einen Tag nach der vorgenannten Stellungnahme) sei die Online-Beschulung als alternativlos dargestellt worden. Andere Hilfemaßnahmen wie Präsenzbeschulung mit Schulassistenz und Nachteilsausgleich oder ein teilstationärer oder stationärer Klinikaufenthalt seien nach den Ausführungen von Dr. … nicht in Betracht gekommen. Die von Dr. … vorgeschlagene Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe durch die Eltern könne nicht zur Vermittlung einer ausreichenden Schulbildung des Klägers beitragen. Die Stellungnahmen von Dr. … seien oberflächlich und ließen jede substantielle Diagnostik vermissen. Die Schlussfolgerungen würden ohne Begründung in den Raum gestellt.
58
Auf die Frage, wie die fachärztliche Stellungnahme des Dr. … vom 28.07.2021 berücksichtigt worden sei, erklärt der Beklagte, dass das Jugendamt sich bei einer Fortsetzung des Hilfeplanverfahrens – dies ist nur im Einvernehmen mit dem Kläger möglich – bei der Umsetzung jugendhilferechtlicher Maßnahmen für die Klägerseite ganz wesentlich auf die fachärztliche Stellungnahme des Dr. …vom 28.07.2021 stützen würde. Das Jugendamt beurteile diese fachliche Stellungnahme als äußerst plausibel und realitätsgerecht. Der Hilfeplan vom 09.07.2021 beinhalte als Ergebnis, dass die Hilfe weiterhin notwendig sei, da der Kläger weiterhin dem Personenkreis des § 35a SGB Vlll zuzuordnen sei.
59
Auf den Hinweis des Gerichts, dass ein Telefonat des Schulleiters mit der Web-Individualschule am 09.07.2021 im Nachgang zum Hilfeplangespräch für den 2. Hilfeplan vom gleichen Tag noch „im Nachgang“ (Bl. 101 der Behördenakte) berücksichtigt worden sei und dies gegebenenfalls einem kooperativen Teil des Hilfeplangesprächs widersprechen könne, wurde seitens des Beklagten ausgeführt, dass das Hilfeplanverfahren ein laufender Prozess sei. Deshalb könne die Beteiligung des Schulleiters im Nachgang nicht als schädlich betrachtet werden. Die Einbeziehung des Telefonats habe der Vervollständigung aller fachlichen Gesichtspunkte gedient. Daraus sei der Klägerseite kein rechtlicher Nachteil entstanden.
60
Auf den Hinweis des Gerichts, dass zweifelhaft sei, ob eine Mitteilung über eine Kindeswohlgefährdung eine Stellungnahme nach § 36 Abs. 4 SGB VIII darstelle, wurde seitens des Beklagten ausgeführt, dass die Beseitigung einer Kindeswohlgefährdung als Teilaspekt umfassenderer Eingliederungshilfemaßnahmen und die Eingliederungshilfemaßnahmen durchaus Fragestellungen aufwerfen würden, die zumindest teilidentisch seien.
61
Auf den Hinweis des Gerichts, dass die Widerspruchsentscheidung die positiven Aspekte des Lernstandsberichts ausblende, wurde seitens des Beklagten ausgeführt, dass es nicht ersichtlich sei, dass die Weblndividualbeschulung zu einem stabilen und nachhaltigen Lernerfolg führe, der für die gesellschaftliche Teilhabe des Klägers ausreichend sei. Es mag Verbesserungen des Lernerfolgs gegeben haben. Die Klägerseite bleibe allerdings den Nachweis schuldig, dass die Unzulänglichkeiten und Unwägbarkeiten der Weblndividualbeschulung, die der Kläger absolviere, beseitigt werden könnten. Die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten der Weblndividualbeschulung entspreche nur dann dem jugendhilferechtlichen Schutzauftrag, wenn der Lernerfolg auf ausreichendem Niveau mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Aussicht stehe. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall mitnichten erfüllt. ln den Telefonaten mit dem Lehrer habe der Kläger wohl nur per Chat agiert. Es sei nicht sichergestellt, dass er mit dem Lehrer spreche. Es sei nicht gewährleistet, dass Live-Termine stattfänden. Es mag sein, dass die Web Schule ihre Methoden als positiv bewerte. Es widerspreche aber doch jeder Lebenserfahrung, dass eine Kommunikation ohne direkte Ansprache eine ausreichende Bildungsmaßnahme darstellen solle. ln der Stellungnahme von Dr. … vom 24.06.2021 (Bl. 89 der Behördenakte) werde ausgeführt, dass die sprachlichen, motorischen und emotionalen Funktionen des Klägers beeinträchtigt seien. Es stelle sich hier die entscheidende Frage, wie insbesondere dem sprachlichen Förderbedarf durch eine Online-Beschulung ohne direkten sprachlichen Kontakt mit dem Lehrer Rechnung getragen werden solle. Die Stellungnahme des Dr. … gehe auf diese Frage nicht ein. Das Jugendamt dürfe sich jedenfalls nicht ins Blaue hinein oder auf Probe auf Maßnahmen einlassen, deren Erfolg sehr ungewiss sei.
62
Auf die Frage, ob zwischenzeitlich ein Hilfeplanverfahren aufgenommen wurde, wurde seitens des Beklagten vorgetragen, dass die Einleitung eines weiteren Hilfeplanverfahrens nur im Einvernehmen mit der Klägerseite möglich sei. Eine Willensbekundung der Klägerseite, die auf eine Fortsetzung des Hilfeplanverfahrens gerichtet sei, liege nicht vor. Nach Auffassung des Beklagten mache die Fortsetzung des Hilfeplanverfahrens jedoch nur dann Sinn, wenn eine Art Obergutachter mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt werde. Lediglich ergänzend werde vorgetragen, dass der Beklagte die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 14.10.2024 zu einem Gespräch ins Landratsamt am 06.11.2024 eingeladen habe. Man wollte, unabhängig vom Verlauf des Gerichtsverfahrens, die aktuelle Situation von … beleuchten. Mit E-Mail vom 04.11.2024 sei der Gesprächstermin abgelehnt worden. Man wolle nur im Beisein einer Anwältin mit dem Beklagten reden.
63
Mit Schriftsatz vom 25.11.2024 wurde seitens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgebracht, dass sich aus der Stellungnahme der Web-Individualschule vom 20.11.2024 ergebe, dass sich die schulische Situation des Klägers seit etwa 2 Jahren stabilisiert habe. Der tägliche Unterricht via Skype laufe reibungslos. Das Material, mit dem der Kläger unterrichtet werde, befinde sich auf dem Niveau der Mittelschule oder Realschule, dessen Abschlüsse der Kläger praktisch anstreben könne. Die Abschlussprüfung in Bayern wäre für den Kläger aus Sicht der Web-Individualschule im Sommer 2026 möglich. Der Kläger werde daher voraussichtlich im Rahmen der Hilfe, die vom Jugendamt als ungeeignet qualifiziert werde, den mittleren Bildungsabschluss machen. Der Facharzt Dr. … habe sich im Rahmen einer einwöchigen Diagnostik mit dem Kläger auseinandersetzt. Der aktuelle Lernstand des Klägers und die Aussicht auf einen vollwertigen Schulabschluss zeigten, wie richtig die Einschätzung des Facharztes gewesen sei. Geradezu impertinent sei die Einschätzung des Beklagten, die Stellungnahmen von Dr. … seien „oberflächlich“ und würden jede „substantielle Diagnostik vermissen lassen“. Das Jugendamt würde sich auf die fachärztliche Stellungnahme des Dr. … vom 28.07.2021 stützen wollen, bei der es sich letztendlich um eine „Kurzmitteilung“ handele. Seit dem 09.07.2021 habe kein Hilfeplanverfahren stattgefunden. Das Jugendamt habe sich vollständig aus jeglicher Hilfe zurückgezogen, nachdem der Versuch, den Eltern die elterliche Sorge über einen Antrag gemäß § 1666 BGB entziehen zu lassen, vor dem Oberlandesgericht gescheitert sei. In diesem Zusammenhang wäre es sicherlich Aufgabe des Jugendamtes gewesen, nach dem Abschluss des zivilrechtlichen Verfahrens zur Weiterführung des Hilfeplans auf die Eltern zuzugehen, da der Antrag auf Eingliederungshilfe nach wie vor gestellt gewesen sei. Zutreffend sei, dass das Jugendamt nun – nach mehr als 3 Jahren und aufgrund des richterlichen Hinweises – ein Gespräch angeboten habe. Der Termin sei einseitig für den 06.11.2024 festgesetzt worden. Da die Kindsmutter das Gespräch nur in Anwesenheit der Unterfertigten führen wolle, habe ein entsprechender Termin bis dato nicht abgestimmt werden können. Da es das Recht der Kindsmutter sei, sich im Rahmen des Hilfeplans anwaltlich vertreten zu lassen, könne dieser Umstand sicherlich nicht gegen die Kindeseltern gewertet werden.
64
Mit Schriftsatz vom 18.12.2024 führte der Beklagte aus, dass zutreffend sei, dass der Beklagte der Kindsmutter einen Gesprächstermin angeboten habe. Von einer einseitigen Festsetzung könne keine Rede sein. Der Kindsmutter sei freigestellt worden, weitere Personen zum Gespräch mitzubringen. Der Beklagte sei ausdrücklich bereit gewesen, das Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt oder auch an einem anderen Ort stattfinden zu lassen. Die Kindsmutter habe das Gesprächsangebot zwei Tage vor dem Termin abgelehnt. Einen alternativen Terminvorschlag habe sie nicht unterbreitet. Dass die Vorgehensweise des Beklagten seitens der Bevollmächtigten nun wieder beanstandet werde, könne nicht nachvollzogen werden.
65
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2025 nahm die Prozessbevollmächtigte des Klägers Bezug auf Ziffer 1 des Antrags aus dem Schriftsatz vom 25.05.2022 und Ziffer 2 des Antrags aus dem Schriftsatz vom 10.10.2024 mit der Maßgabe, dass der Antrag auf Übernahme des Schulgeldes für des Schuljahr 2025/2026 zurückgenommen wird.
66
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (B 10 K 22.524 und B 10 E 23.356), des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2025 und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

I.
67
Die zulässige Klage ist, soweit über sie noch zu entscheiden ist, begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Web-Individualschule für die Schuljahre 2021/2022 bis 2024/2025 als selbstbeschaffte Eingliederungshilfe nach § 36a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 35a VIII. Der ablehnende Bescheid vom 17.09.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
68
1. Die Klage ist zulässig.
69
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet, § 40 Abs. 1 VwGO, § 62 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
70
Die Klage ist statthaft als Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG München, U.v. 7.7.2021 – M 18 K 18.2218 – juris Rn. 66 m.w.N.; Stähr in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. EL 2024, § 36a Rn. 54).
71
Die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO folgt aus einem möglichen Anspruch des Klägers als Inhaber des Rechts auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII auf Ersatz der Kosten für die selbstbeschaffte Hilfe in Form der Beschulung durch die sog. Web-Individualschule aus § 36a Abs. 3 SGB VIII.
72
2. Die Klage hat zudem auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf den begehrten Aufwendungsersatz nach § 36a Abs. 3 SGB VIII.
73
Werden nach § 36a Abs. 3 S. 1 SGB VIII Hilfen abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn (Nr. 1.) der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 2.), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und (Nr. 3.) die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. War es dem Leistungsberechtigten unmöglich, den Träger der öffentlichen Jugendhilfe rechtzeitig über den Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen, so hat er dies nach § 36a Abs. 3 S. 2 SGB VIII unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachzuholen.
74
Begehrt ein Jugendlicher Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, ist angesichts der Möglichkeit einer Veränderung des Hilfebedarfs mit zunehmendem Alter des Hilfeempfängers und dem möglichen Wandel der sonstigen entscheidungserheblichen Umstände hierüber grundsätzlich zeitabschnittweise zu entscheiden. Bei Schuljahren wird in der Rechtsprechung für die Betrachtung in aller Regel auf das jeweilige Schuljahr abgestellt (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2014 – 12 ZB 13.2025 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 18.2.2008, 12 B 06.1846 – juris Rn. 36; OVG NW, B.v. 23.8.2022 – 12 B 819/22 – juris Rn. 13 f.; VG Ansbach, U. v. 22.9.2021 – AN 6 K 18.01194 – juris Rn. 34; VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 – juris Rn. 73; VG München, U.v. 4.9.2024 – M 18 K 19.5886 – juris Rn. 45). Für diese Bewilligungszeiträume sind die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenübernahme bzw. -erstattung jeweils gesondert zu prüfen. Scheidet diese für einen Bewilligungszeitraum nach § 36a Abs. 3 SGB VIII aus, kann sie für nachfolgende Bewilligungszeiträume aufgrund der gebotenen zeitabschnittweisen Betrachtungsweise gleichwohl in Betracht kommen, wenn die Selbstbeschaffung für diese weiteren Bewilligungszeiträume zulässig war (BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 36).
75
a) Die Beschaffung der Hilfe erfolgte vorliegend für alle Schuljahre abseits von § 36a Abs. 1 und Abs. 2 SGB VIII.
76
b) Formale Voraussetzung nach § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB VIII ist zunächst, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat. Mit dieser Formulierung verzichtet der Gesetzgeber auf die Normierung eines ausdrücklichen Antragserfordernisses und orientiert sich an der Regelung des Sozialhilferechts (§ 18 SGB XII), die ein Tätigwerden der Sozialbehörde von Amts wegen erfordert, wenn ihr der Hilfebedarf bekannt wird. § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB VIII sichert die Steuerungsverantwortung des Jugendamts für Jugendhilfemaßnahmen. Das Erfordernis, den Jugendhilfeträger vor einer Selbstbeschaffung vom Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen, ermöglicht es ihm, die Leistungsvoraussetzungen sowie mögliche Hilfemaßnahmen pflichtgemäß zu prüfen und entsprechende Leistungen zu bewilligen. Seine Aufgabe liegt damit gerade nicht darin, als Zahlstelle für vom Leistungsberechtigten selbst beschaffte Maßnahmen zu fungieren. Es ist nur dann gerechtfertigt, von einem Systemversagen des Jugendhilfeträgers auszugehen, wenn vor einer solchen Feststellung der Versuch unternommen wurde, die gewünschte Hilfe ordnungsgemäß bewilligt zu bekommen. Beschafft sich daher ein Leistungsberechtigter eine Leistung, bevor der Jugendhilfeträger überhaupt Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt hat, liegt regelmäßig eine unzulässige Selbstbeschaffung vor (vgl. BVerwG, U.v. 28.9.2000 – 5 C 29/99 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 35; BayVGH, U.v. 18.2.2008 – 12 B 06.1846 – juris Rn. 28; VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 juris Rn. 71).
77
aa) Erforderlich für das „in Kenntnis setzen“ des Jugendhilfeträgers ist eine eindeutige Willenserklärung in dem Sinne, dass der Leistungsberechtigte den Jugendhilfeträger über den konkreten Hilfebedarf in Kenntnis setzt und einen (nicht formgebundenen) Antrag auf die gewünschte Leistung stellt (BVerwG, B.v. 17.2.2011 – 5 B 43/10 – juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 25.11.2020 – 10 LA 58/20 – juris Rn. 26; OVG NW, U.v. 25.4.2012 – 12 A 659/11 – juris Rn. 48; VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 – juris Rn. 70; Stähr in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. EL 2024, § 36a Rn. 26; zur Notwendigkeit eines Antrags BVerwG, B.v. 22.05.2008 – 5 B 130/07 – juris Rn. 4; Möller in: Möller, Praxiskommentar SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 36a Rn. 24). Für einen konkludenten Antrag genügt es etwa, dass einschlägige Unterlagen oder Atteste eingereicht werden, aus denen ein Hilfebedarf hervorgeht (Möller in: Möller, Praxiskommentar SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 36a Rn. 24). Der Leistungsberechtigte muss dabei aber den eindeutigen Willen erkennen lassen, dass Hilfe vom Jugendhilfeträger begehrt wird (Gallep in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 36a Rn. 44). Die Bekanntgabe des Hilfebedarfs darf aber nicht lediglich eine Information sein, die „en passant“ übermittelt wird, ohne dass dieser Wille erkennbar ist (Stähr in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. EL 2024, § 36a Rn. 28).
78
In zeitlicher Hinsicht ist jedoch einschränkend zu beachten, dass der Antrag nicht nur bloß vor der Selbstbeschaffung, sondern gerade so rechtzeitig (vgl. § 36a Abs. 3 S. 2 SGB VIII) gestellt wird, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist (BVerwG, U.v. 11.8.2005 – 5 C 18/04 – juris Rn. 19; U.v. 28.9.2000 – 5 C 29/99 -Rn. 11; NdsOVG, B.v. 25.11.2020 – 10 LA 58/20 – juris Rn. 27; OVG NW, U.v. 25.4.2012 – 12 A 659/11 – juris Rn. 51). Das bedeutet, der Jugendhilfeträger muss durch die Antragstellung in die Lage versetzt werden, seiner prüfenden, beratenden und steuernden Aufgabe im Rahmen eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses im Vorfeld der Leistungserbringung nachzukommen (OVG NW, U.v. 14.3.2003 – 12 A 1193/01 – juris Rn. 24; NdsOVG, B.v. 25.11.2020 – 10 LA 58/20 – juris Rn. 27; vgl. BVerwG, U.v. 28.9.2000 – 5 C 29/99 – juris Rn. 13; VG Gelsenkirchen, B.v. 14.7.2000 – 19 K 5288/98). Der dem Jugendhilfeträger zur Prüfung zuzubilligende Zeitraum kann, je nachdem wie drängend der Hilfebedarf des potenziell Leistungsberechtigten erscheint, unter Umständen recht kurz zu bemessen sein. Wann ein Herantragen des Hilfebedarfs an den Jugendhilfeträger als rechtzeitig zu bewerten ist, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls (VG München, U.v. 7.7.2021 – M 18 K 18.2218 juris Rn. 77; VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 – juris Rn. 72; vgl. Möller in: Möller, Praxiskommentar SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 36a Rn. 24). Es obliegt dem Hilfesuchenden, die Hilfeleistung so rechtzeitig zu beantragen bzw. von seiner Hilfebedürftigkeit Kenntnis zu geben, dass die Hilfe vom Sozialhilfeträger rechtzeitig gewährt werden kann; eine sofortige Hilfeleistung kann deshalb nur in entsprechend beschaffenen Eilfällen erwartet werden (BVerwG, U.v. 23.6.1994 – 5 C 26/92 juris Rn. 18; VG München, U.v. 7.7.2021 – M 18 K 18.2218 juris Rn. 77).
79
Zeitpunkt der Selbstbeschaffung ist vorliegend jeweils der Beginn der Beschulung. Beschaffung meint die Deckung des jugendhilferechtlichen Bedarfs durch die unmittelbare Inanspruchnahme eines Leistungserbringers, vorbereitungsmaßnahmen wie eine Vorstellung oder Anmeldung bei der Schule genügen nicht (NdsOVG, B.v. 25.11.2020 – 10 LA 58/20 – juris Rn. 26; VG München, U.v. 7.7.2021 – M 18 K 18.2218 – juris Rn. 76; VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 – juris Rn. 78; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 195/21 – juris Rn. 118; VG Düsseldorf, U.v. 18.7.2023 – 19 K 8696/21 – juris Rn. 49 ff.; VG Bayreuth, GB v. 20.03.2024 – B 8 K 22.1194; v. Koppenfels-Spies in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 05.07.2024, § 36a Rn. 53; Stähr in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. EL 2024, § 36a Rn. 26a; teilweise a.A. bei Schaffung vollendeter Tatsachen unter Verweis auf den Schutz der Entscheidungshoheit des Jugendhilfeträgers Möller in: Möller, Praxiskommentar SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 36a Rn. 34a).
80
bb) Diese Gründesätze auf den vorliegenden Fall übertragen, ist das Tatbestandsmerkmal der (rechtzeitigen) Inkenntnissetzung für sämtliche streitgegenständliche Schuljahre erfüllt.
81
(1) Was das Schuljahr 2021/2022 anbelangt, hat der Kläger mit Schreiben vom 02.08.2021, zugegangen beim Beklagten am 04.08.2021, ausdrücklich die Kostenübernahme für die Web-Individualschule ab dem 01.08.2021 beantragt (Bl. 112 der Behördenakte). Es kann dahinstehen, ob dieser ausdrückliche Antrag noch rechtzeitig erfolgte. Ein Antrag kann, wie oben dargestellt, auch konkludent gestellt werden. Das ist hier nach Auffassung der Kammer der Fall. Mit Bescheid vom 10.11.2020 wurde die Übernahme des Schulgeldes für die webbasierte Individualbeschulung ab dem 03.11.2020 (Antragseingang beim Beklagten) bis zur stationären Aufnahme in eine Klinik, längstens bis zum 31.07.2021 bewilligt. Nach Aktenlage spricht viel für die Kenntnis des Beklagten, dass die weitere Bewilligung der Web-Beschulung begehrt wurde. Hierfür sprechen das Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 12.05.2021 („um über die weitere Finanzierung von Hilfsmaßnahmen (Web Schule etc.) entscheiden zu können“, Bl. 86 der Behördenakte) und das eingereichte Attest des Dr. … vom 25.06.2021 („Die Online-Beschulung ist alternativlos.“, Bl. 92 der Behördenakte). Außerdem hat sich das Jugendamt schon mit der weiteren Leistungsgewährung befasst, etwa im 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 („Die Kostenübernahme der Web-Individualschule wird nicht weiter bewilligt, da die Maßnahme nicht sinnvoll und zielführend für … erscheint.“, Bl. 103 der Behördenakte) und Fachkonferenz am 13.07.2021 („Im Hilfeplangespräch wurde auch die noch ausstehende stationäre Diagnostik und Therapie angesprochen und die Frage, wie es mit der Web Schule für … weitergehen solle“ und „Die Web-Beschulung sollte nicht weiter genehmigt werden.“, Bl. 107 ff. der Behördenakte). Es ist daher auch davon auszugehen, dass der Beklagte nicht nur vor der Selbstbeschaffung, sondern auch rechtzeitig Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt hat. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass es nicht um die erstmalige Gewährung einer Hilfe geht, sodass dem Beklagten bereits umfassende Informationen zur Verfügung standen (vgl. NdsOVG, B.v. 25.11.2020 – 10 LA 58/20 – juris Rn. 27). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22.01.2025 wurde letztlich unstreitig gestellt, dass ein rechtzeitiger Antrag der Beklagtenseite für das Schuljahr 2021/2022 zugegangen ist.
82
(2) Ein ausdrücklicher Antrag für die Schuljahre 2022/2023 bis 2024/2025 wurde nicht gestellt.
83
Jedoch ist auch in Bezug auf diese Schuljahre zumindest ein konkludenter Antrag anzunehmen. Die Auffassung des Beklagten, dass kein Antrag gestellt worden sei und damit nicht ins Hilfeplanverfahren hätte eingestiegen werden müssen, trifft nicht zu. Spätestens mit Erhebung eines Widerspruchs vom 15.10.2021 (Bl. 126, 127 der Behördenakte) gegen die ablehnende Entscheidung über die Kostenübernahme und die sich anschließende Klage gerichtet auf fortlaufende Kostenübernahme hinsichtlich des Schulgeldes für die Web-Individualschule vom 25.05.2022 mit den ausgetauschten Schriftsätzen und Anlagen (insbesondere den jeweiligen Lernstandsberichten des Klägers) wird der Wille des Klägers deutlich, die begehrte Hilfeleistung auch weiterhin bewilligt zu bekommen (vgl. VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 – juris Rn. 87). Nichts Anderes gilt für den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 04.05.2023 (B 10 E 23.356). Dem Beklagten war hierdurch hinreichend klar, dass der Hilfebedarf des Klägers weiterhin bestand, weshalb von einer Inkenntnissetzung und einem konkludenten Antrag ausgegangen werden kann (vgl. Stähr in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. EL 2024, § 36a Rn. 27). Der Beklagte wäre gehalten gewesen, dem Begehren des Klägers nachzugehen, zumal sich die Berichte der Web-Individualschule stark vom ersten Jahr der Beschulung unterschieden haben. Es trifft daher nicht zu, dass es dem Beklagten rechtlich nicht möglich gewesen sei, ein (neues) Hilfeplanverfahren zu eröffnen. Vielmehr hat sich der Beklagte nach Ablehnung der Weiterbewilligung der Beschulung an der Web-Individualschule darauf konzentriert, eine stationäre Diagnostik und gegebenenfalls eine Behandlung des Klägers mittels eines familiengerichtlichen Verfahrens zur Bekämpfung einer vermeintlichen Kindeswohlgefährdung zu erreichen (AG …, Az. …, OLG Bamberg, Az. …*). Mit Rücknahme der sofortigen Beschwerde mit Schriftsatz vom 24.01.2023 durch das Jugendamt des Beklagten war das familiengerichtliche Verfahren beendet.
84
Die von der Kammer vertretene Auslegung steht auch im Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Unterhaltsvorschussrecht (BVerwG, U.v. 12.12.2023 – 5 C 9/22 – juris Rn. 20). Nach dieser Rechtsprechung beschränkt sich ein zeitlich unbegrenzt gestellter Antrag, wie im vorliegenden Fall (vgl. Bl. 112 der Behördenakte), bei verständiger, am Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) orientierter Auslegung regelmäßig nicht nur auf das Begehren, Leistungen bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheides gewährt zu bekommen, sondern auch für den sich daran anschließenden Zeitraum, wenn die Ablehnungsentscheidung der Behörde angegriffen wird und sich als rechtswidrig erweist. Dass sich der auf den weiteren Zeitraum erstreckende Antrag nicht durch eine Ablehnungsentscheidung für den vorangegangenen Zeitraum erledigen, sondern insoweit aufrechterhalten bleiben soll, ist aus dem Umstand zu folgern, dass der Betroffene uneingeschränkt Rechtsbehelfe gegen die Ablehnungsentscheidung einlegt. Hat die Behörde also den Antrag für die Zeit bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides zu Unrecht abgelehnt und erzielt der Antragsteller in einem nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Leistungsbewilligung (ganz oder teilweise) mit der Behörde eine zusprechende Verständigung oder obsiegt rechtskräftig, so hat sich dadurch sein zeitlich unbeschränkt gestellter (ursprünglicher) Antrag nicht für den Folgezeitraum nach Erlass des Widerspruchsbescheides erledigt, sondern ist insoweit – ohne dass es einer weiteren gesonderten Antragstellung bedürfte – noch zu bescheiden. Für dieses Verständnis spricht auch der in § 2 Abs. 2 Halbs. 2 SGB I formulierte sowie der Vorschrift des § 28 SGB X zugrundeliegende Rechtsgedanke, eine möglichst weitgehende Verwirklichung sozialer Rechte sicherzustellen.
85
Ungeachtet dessen wäre eine Antragstellung für die Schuljahre 2022/2023 bis 2024/2025 nach Auffassung der Kammer auch entbehrlich gewesen. Insoweit kann jedenfalls auf den Rechtsgedanken zurückgegriffen werden, der hinter der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Wohngeldrecht steht. Nach dieser Rechtsprechung kann daraus, dass ein erfolglos gebliebener Antragsteller seinen Anspruch im Rechtsmittelverfahren verfolgt, auf die Entbehrlichkeit späterer neuer Anträge geschlossen werden, solange der Antragsteller damit rechnen muss, dass erneuten Anträgen dieselben Ablehnungsgründe entgegengehalten werden (BVerwG, U.v. 10.3.1966 – VIII C 338/63; BVerwG, U.v. 2.5.1984 – 8 C 94/82; BVerwG, U.v. 30.11.1972 – VIII C 81.71). Dieser Grundsatz ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. Das Erfordernis der Antragstellung bzw. – genauer – der „Inkenntnissetzung“, ist kein reiner „Selbstzweck“, sondern stellt sicher, dass der Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbezogen ist, um seine aus § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB VIII effektiv wahrnehmen zu können (BVerwG, B.v. 22.5.2008 – 5 B 130.07 – juris Rn. 4; BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21.11 juris Rn. 31). Eine erneute Antragstellung erscheint folgerichtig allerdings dann entbehrlich, so lange ein erfolglos gebliebener Antragsteller seinen Anspruch im Rechtsmittelverfahren verfolgt und damit rechnen muss, dass erneuten Anträgen dieselben Ablehnungsgründe entgegengehalten würden. Der Jugendhilfeträger wird hierdurch weder in der Wahrnehmung seiner Gesamt- und Planungsverantwortung unangemessen eingeschränkt noch läuft dies seiner Steuerungsverantwortung und seinem fachlichen Bewertungsspielraum im konkreten Einzelfall zuwider. Er ist insbesondere nicht daran gehindert, während eines laufenden Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht ein Hilfeplanverfahren erstmals oder erneut durchzuführen oder fortzuführen und je nach Ergebnis des Hilfeplanverfahrens dem Klagebegehren abzuhelfen oder seine Ablehnungsentscheidung zu ergänzen. Solange er untätig bleibt, muss der Antragsteller des Ausgangsverfahrens ohne Hinzutreten weiterer Umstände jedoch damit rechnen, dass erneuten Anträgen dieselben Ablehnungsgründe entgegengehalten würden und eine erneute Antragstellung bloße Förmelei wäre. Im vorliegenden Fall spricht hierfür auch das bisherige Vorbringen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren, der die Web-Beschulung ohne zeitliche Differenzierung zwischen bestimmten Zeiträumen generell als ungeeignet ansah und noch ansieht (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 – juris Rn. 89).
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c) Als Primäranspruch kommt nur die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII i.V.m. § 112 SGB IX in Betracht, da der Kläger für eine Hilfe zur Erziehung bereits nicht aktivlegitimiert wäre (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII) und diesem insoweit deshalb auch kein Anspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII zukäme.
87
aa) Der Beklagte ist als sachlich (§ 85 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. Art. 15 Satz 1 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG)) und örtlich (§ 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) zuständiger örtlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
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bb) Der Antragsteller hat grundsätzlich einen Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Nach § 35a Abs. 1 S. 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche einen Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn (Nr. 1.) ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und (Nr. 2.) daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, § 35a Abs. 1 S. 2 SGB VIII. Die Hilfe wird dabei nach § 35a Abs. 2 SGB VIII nach dem Bedarf im Einzelfall (Nr. 1.) in ambulanter Form, (Nr. 2.) in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, (Nr. 3.) durch geeignete Pflegepersonen und (Nr. 4.) in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.
89
Dass der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe hat, ist ausgehend von den dem Gericht vorliegenden Unterlagen unter den Beteiligten unstreitig. Das … Fachklinikum … bescheinigte dem Antragsteller bereits unter dem 23.01.2019 eine tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne eines Asperger Syndroms (F84.5), weshalb ein Nachteilsausgleich medizinisch indiziert sei (Bl. 9 der Behördenakte). Des Weiteren diagnostizierten auch Dr. … Asperger-Autismus (F84.5G) (vgl. fachärztliche Stellungnahme vom 28.07.2021, Bl. 110 der Behördenakte) und Dr. … eine Autismus-Spektrum-Störung in Sinne eines Asperger-Syndroms (F84.5) und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35a SGB VIII (vgl. u.a. Bericht vom 24.06.2021, Bl. 88 f. der Behördenakte). Der Beklagte selbst hat den Kläger in seinen Hilfeplänen vom 01.02.2021 und vom 09.07.2021 dem Personenkreis des § 35a SGB VIII zugeordnet (Bl. 63, 103 der Behördenakte) und in der Vergangenheit bereits mehrfach Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gewährt (z.B. Schulassistenz mit Bescheid vom 21.03.2019, Erziehungsbeistand mit Bescheid vom 23.01.2020 und befristete Übernahme des Schulgeldes für die webbasierte Individualbeschulung mit Bescheid vom 10.11.2020 (vgl. Bl. 18 f., 26 f., 50 f. der Behördenakte).
90
cc) Es besteht ein Anspruch des Klägers auf die vorliegend konkret begehrte Übernahme des Schulgelds für die Web-Individualschule als Leistung der Eingliederungshilfe in Form von Leistungen zur Teilhabe an Bildung gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
91
(1) Zwischen den Beteiligten ist vorliegend die Frage streitig, welche Hilfeart für den Kläger geeignet ist. Seitens des Klägers wird die Übernahme des Schulgelds für die webbasierte Individualschule begehrt, wohingegen seitens des Beklagten eine stationäre Aufnahme in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Diagnostik und Therapie der autistischen und begleitenden Störungen bzw. eine ambulante Autismus-Therapie als zwingend erforderlich gesehen und die Maßnahme der Web-Beschulung als nicht geeignet eingestuft wird (vgl. u.a. Bescheid vom 15.09.2021, Bl. 118 der Behördenakte). Durch diese Maßnahmen soll nach der Vorstellung des Beklagten der Kläger an der Regelschule „beschulbar“ gemacht werden.
92
Die Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist durch das Verwaltungsgericht nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar. Die Feststellung einer – zumindest drohenden – Teilhabebeeinträchtigung verpflichtet den zuständigen Träger der Jugendhilfe nicht automatisch zu einer bestimmten Hilfemaßnahme. Denn nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Maßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung der Fachkräfte des Jugendamts und des betroffenen Hilfeempfängers, der nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation beinhaltet, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich in diesem Fall darauf, dass allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist daher nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24.98 – juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 28.6.2016 – 12 ZB 15.1641 – juris Rn. 26; VG Würzburg, B.v. 16.8.2021 – W 3 E 21.2021; VG Würzburg, B.v. 26.8.2024 – W 3 E 24.1363 – juris Rn. 63; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 1152/21 – juris Rn. 92). Zur Wahrung der allgemeinen Grenzen eines Beurteilungsspielraums ist ebenfalls zu verlangen, dass Rechtsbegriffe richtig ausgelegt werden (Kepert, ZKJ 2023, 429) und der Sachverhalt vollständig erfasst und der Entscheidung zugrunde gelegt wurde (VG Berlin, B.v. 13.11.2023 – 18 L 585/23 – juris Rn. 21; vgl. Ruthig in: Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 113 Rn. 28; zum Ganzen BVerfG, B.v. 10.12.2009 – 1 BvR 3151/07 – juris Rn. 59; Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241/243).
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Sind mehrere rechtmäßige Entscheidungen denkbar, so verlangt Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Abwehr von Rechtsverletzungen durch gerichtlichen Rechtsschutz nicht, dass die Auswahl unter ihnen letztverbindlich vom Gericht getroffen wird (BVerwG, U.v. 25.6.1981 – 3 C 35.80 – juris Rn. 36; VG Würzburg, B.v. 26.8.2024 – W 3 E 24.1363 – juris Rn. 63). Vielmehr muss, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise der Verwaltung Spielräume belässt, das behördliche Letztentscheidungsrecht auch von den Gerichten respektiert werden (BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 21.16 – juris Rn. 16; VG Würzburg, B.v. 26.8.2024 – W 3 E 24.1363 – juris Rn. 63). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kommt eine Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Gewährung einer bestimmten Hilfeleistung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn sich der Beurteilungsspielraum der Behörde dahingehend verdichtet, dass nur eine einzige Maßnahme, nämlich die vom Kläger begehrte, als notwendig und geeignet anzusehen ist (NdsOVG, B.v.4.3.2021 – 10 ME 26/21 – juris Rn. 10 m.w.N.; VG Würzburg, B.v. 26.8.2024 – W 3 E 24.1363 – juris Rn. 64; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 1152/21 – juris Rn. 92; v. Koppenfels-Spies in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 05.07.2024, § 35a Rn. 65).
94
Diese gerichtliche Prüfung erstreckt sich gleichwohl aber nicht nur auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – Rn. 33; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 38; von Koppenfels-Spies in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 35a SGB VIII (Stand: 05.07.2024), Rn. 65).
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(2) Gemessen an diesen Grundsätzen bedeutet dies für die hier in Streit stehenden Schuljahre, dass für die streitgegenständlichen Schuljahre ein Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe in Form der Web-Individualschule in Form der Übernahme des Schulgeldes besteht.
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(a) Der genannte Anspruch des Klägers konkret für das Schuljahr 2021/2022 besteht.
97
(aa) Wie bereits dargelegt, ist die Kammer bei einer fachlich begründeten Ablehnung darauf beschränkt nachzuprüfen, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Daneben muss der Sachverhalt der Beurteilung vollständig zugrunde gelegt und es müssen die einschlägigen Rechtsbegriffe korrekt ausgelegt worden sein. Dies war vorliegend nicht der Fall. Aus diesem Grund ist der Beurteilungsspielraum auf die Mutter des Klägers übergegangen, den diese in nicht zu beanstandender Weise ausgefüllt hat.
98
(bb) Die Ablehnung der beantragten Hilfe erfolgte für das Schuljahr 2020/2021 zum einen verfahrensfehlerhaft. Die nachträgliche Ergänzung des Hilfeplans um Informationen des Schulleiters der Web-Individualschule ist mit § 36 Abs. 3 S. 2 SGB VIII nicht vereinbar. Soweit dies zur Feststellung des Bedarfs, der zu gewährenden Art der Hilfe oder der notwendigen Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer erforderlich ist, sollen nach dieser Vorschrift öffentliche Stellen, insbesondere auch die Schule, beteiligt werden. Aus der Behördenakte ergibt sich, dass der Schulleiter sich am gleichen Tag nach dem Hilfeplangespräch telefonisch an das Jugendamt des Beklagten gewendet hat (Bl. 105 der Behördenakte). Der 2. Hilfeplan wurde dabei um Informationen aus diesem Gespräch ergänzt (Bl. 101 der Behördenakte). Es ist nicht ersichtlich, dass es dem Kläger bzw. seinen Eltern möglich war, sich zu den Ausführungen zu äußern. Dies führt nach Auffassung der Kammer zu einem relevanten Verfahrensfehler (vgl. auch VG München, U.v. 20.3.2024 – M 18 K 20.3029 – juris Rn. 47 f.), da eine solche Vorgehensweise dem kooperativen Aspekt des Hilfeplanverfahrens zuwiderläuft.
99
Entgegen dem Vorbringen der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2025 ist nichts dafür ersichtlich, dass die Eltern des Klägers den 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 am 20.07.2021 unterschrieben hätten und damit noch die Möglichkeit gehabt hätten, sich zu den Inhalten des telefonischen Gesprächs zu äußern. Aus der Akte ergibt sich einzig, dass der fertige Hilfeplan am 20.07.2021 unter anderem an die Eltern des Klägers versandt wurde, also ein bloßer Versandvermerk. Wenn diese ohnehin den verschriftlichen Hilfeplan am gleichen Tag unterschrieben hätten, wäre ein Versand obsolet gewesen. Hinzu kommt, dass der auf den 09.07.2021 datierte Hilfeplan bereits eine Beendigung der Hilfe vorgesehen hat, sodass eine Stellungnahmemöglichkeit danach ohnehin sinnentleert gewesen wäre.
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(cc) Daneben war die vom Beklagten getroffene Entscheidung der Ablehnung der Hilfe fachlich nicht mehr vertretbar, unabhängig davon, ob nun der Beurteilungsspielraum aus sonstigen Gründen auf den Kläger bzw. seine Eltern übergegangen ist. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt der Entscheidung über die Weiterbeschulung des Klägers mittels der Web-Individualschule die Regelschule nicht besuchen konnte und bereits mehrere andere Hilfen (Schulassistenz, Unterstützung durch eine ambulante Fachkraft, Autismus-Therapie, Familienhilfe) zu diesem Zeitpunkt bereits erfolglos versucht worden waren. Der Beklagte hatte vielmehr im Sinn, den Kläger mittels einer Therapie im staatlichen Schulsystem mit oder ohne ergänzende Hilfen „beschulbar“ zu machen, wie auch nochmal in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde. Unabhängig davon, in welcher Form und in welchen Grenzen dies überhaupt möglich oder zumutbar gewesen wäre, war eine rechtzeitige Beschulung dadurch nicht sichergestellt. Insbesondere merkt der zweite Hilfeplan vom 09.07.2021 selbst an, dass der Erfolg einer angedachten ambulanten Autismus-Therapie in … aufgrund der Fahrzeit angezweifelt wird („Durch die Distanz und … Angst vor langen Autofahrten stellt sich die Frage, ob diese Maßnahme überhaupt angenommen werden kann“). Eine Autismus-Therapie vor Ort in … bzw. Landkreis … war – und ist bis 2024 – nicht verfügbar gewesen, zumal der Kläger bisher nur auf einer Warteliste steht. Der zweite Hilfeplan vom 09.07.2021 hat sich vielmehr darauf beschränkt, trotz weiterbestehender Zuordnung des Klägers zum Personenkreis des § 35a SGB VIII die bisherige Hilfe schlicht zu beenden bzw. auslaufen zu lassen. Das ist gerade vor dem Hintergrund unverständlich, dass die Web-Individualschule im Falle einer Verlängerung angeboten hatte, für eine bessere Beschulung des Klägers einen Lehrwechsel vorzunehmen und dies für weitere zwei Monate zu erproben. Es wurde insoweit auch im 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 festgehalten, dass der Kläger keine Beziehung zum vormaligen Lehrer aufbauen konnte. Dies deckt sich mit den Aussagen der Mutter des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung.
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Daneben war der Kläger aufgrund der „Krankschreibung“ des Klägers durch den damals neu behandelnden Facharzt Dr. … nicht mehr im staatlichen Schulsystem beschulbar (vgl. jüngst BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 5, 7). Dass der Kläger durch diesen schulbesuchsunfähig „krankgeschrieben“ wurde, war dem Beklagten bekannt (vgl. Bl. 93 der Behördenakte). Inwieweit die Entscheidung des damals neuen Facharztes
102
Dr. … angesichts dessen, dass er unter dem 24.06.2021 und dem 25.06.2021 scheinbar konträre Aussagen getroffen hat (Empfehlung einer Gruppenpsychotherapie in einem Autismus-Zentrum, Selbsthilfegruppe, Schulassistenz und Nachteilsausgleich ./. Beschulung in der Web-Individualschule sei alternativlos), für das Gericht überhaupt überprüfbar ist, bedarf keiner Klärung. Denn jedenfalls dessen Empfehlungen im Schreiben vom 24.06.2021 widersprechen nicht grundlegend den sonstigen Stellungnahmen zum Kläger, z.B. vom … Fachklinikum … vom 23.01.2019 (Bl. 9 ff. der Behördenakte) und den sonstigen bisherigen Erkenntnissen des Beklagten. Aus den oben genannten Gründen war eine von ihm im ersten Schreiben empfohlene Autismus-Therapie für den Kläger gerade nicht zeitnah verfügbar.
103
Der Kläger wurde durch die Ablehnung der Weiterbeschulung im Rahmen der Web-Individualschule auf den Besuch der Regelschule verwiesen. Es war dabei angesichts der bisherigen Erkenntnisse absehbar, dass dies keinerlei Erfolg versprechen würde. Der schulische Bedarf des Klägers konnte durch die Ablehnung in keiner Weise gedeckt werden. Daran ändert auch nichts, dass der Beklagte daraufhin (im Ergebnis erfolglos) ein Verfahren nach § 1666 BGB vor dem Familiengericht angestrengt hat. Die Ablehnung der Hilfe erweist sich in Ermangelung einer tragfähigen Alternative für die Beschulung in der Web-Individualschule als fachlich nicht mehr vertretbar.
104
(dd) Sowohl mit Blick auf die Begründung des Ausgangsbescheids vom 15.09.2021 wie auch auf den Widerspruchsbescheid vom 20.04.2022 ist nach Auffassung der Kammer zum anderen auch ein Beurteilungsfehler festzustellen. Wie oben bereits ausgeführt wurde, darf das erkennende Gericht nach den für Beurteilungsspielräumen geltenden Maßstäben überprüfen, ob auch der maßgebliche Sachverhalt zugrunde gelegt wurde. Vorliegend ist das in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der „Geeignetheit“ der Maßnahme nicht der Fall.
105
Die Widerspruchsbehörde legt im Ausgangspunkt in Übereinstimmung mit der in Bezug genommenen Literatur (Kepert/Dexheimer in: LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 35a Rn. 23) das Merkmal der Geeignetheit überzeugend aus. Insoweit führt der Widerspruchsbescheid zutreffend aus: „Die Geeignetheitsprüfung muss sich dabei auf die konkret im Einzelfall ins Auge gefasste Hilfeart beziehen. Die Geeignetheit ist gegeben, wenn die gewählte Eingliederungshilfe nicht objektiv untauglich ist, die Behebung der Mangellage zu fördern. Es muss also nicht feststehen, dass infolge der Hilfegewährung eine Besserung der Situation eintreten wird. Ausreichend ist, dass die Möglichkeit einer Besserung besteht. Ungeeignet ist die Hilfe jedoch dann, wenn sie ein objektiv untaugliches Mittel darstellt“.
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Allerdings kann bei dem zugrundeliegenden Sachverhalt nicht davon ausgegangen werden, dass der ermittelte Sachverhalt vollständig hierunter subsumiert wurde. Dass die Maßnahme der Web-Individualschule vorliegend ungeeignet, d.h. objektiv untauglich war und keine Möglichkeit der Besserung bestand, wie in den streitgegenständlichen Bescheiden angenommen wird, lässt sich gerade nicht feststellen. Im Hinblick auf die ausgewerteten Lernstandsberichte ergibt sich zwar ein ambivalentes Bild für das Schuljahr 2020/2021, nicht jedoch eine objektive Untauglichkeit der Hilfe, wie bis zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung durch den Beklagten vorgebracht wurde.
107
Angesichts des Ziels der Hilfe, Teilhabe im schulischen Bereich zu ermöglichen, blenden die Ausführungen die positiven Aspekte und Entwicklungen der Beschulung des Klägers in beurteilungsfehlerhafter Weise aus (vgl. Kepert, ZKJ 2023, 429/430 in einer Besprechung der zugehörigen Eilentscheidung). Selbst der 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 geht in der Zielkontrolle im Vergleich zum 1. Hilfeplan davon aus, dass die gesteckten Ziele im schulischen Bereich zumindest teilweise erreicht wurden. Dass die Beschulung nicht linear gut oder schlecht lief, wurde ebenso im 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 festgehalten (Bl. 102 der Behördenakte). Auch die Lernstandsberichte waren nicht gänzlich negativ. Zwar ist insoweit zuzugeben, dass auch die Beschulung in der Web-Individualschule die im Ausgangsbescheid und dem Widerspruchsbescheid genannten Defizite aufweist. Jedoch funktioniert die Beschulung zu Beginn jedenfalls per Chat-Funktion (vgl. Bl. 95 der Behördenakte). Die Webschule zieht im Lernstandsbericht vom 01.07.2021 zumindest ein gemischtes Fazit (Bl. 98 der Behördenakte). Es wechselten sich problemlose Zeiten mit längeren Phasen ab, in denen faktisch keine Beschulung stattfand. Deshalb werde bei einer Verlängerung der Beschulung ein Lehrwechsel vorgenommen. Dass die Maßnahme damit ungeeignet im Sinne der genannten Definition ist, kann damit nicht festgestellt werden. Vielmehr lässt sich die Beschulung nach dem Lernstandsbericht vom 01.07.2021 als wechselhaft bezeichnen. Insbesondere angesichts des fehlenden Aufbaus einer Beziehung zur bisherigen Lehrkraft und des deshalb beabsichtigten Lehrerwechsels konnte zudem nicht hinreichend sicher davon ausgegangen werden, dass sich die Beschulung im Weiteren auch nicht verbessert.
108
Die inhaltlichen Bedenken der Beklagtenseite gegen die Lernstandsberichte der Web-Individualschule teilt das Gericht nicht. In den Berichten wird nicht verschleiert – sondern vielmehr ausdrücklich offengelegt – dass mit „Telefonat“ gemeint ist, dass die Lehrkraft mit dem Kläger spricht, dieser jedoch per Chat antwortet. Auch sonst vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass die Berichte zugunsten des Klägers „geschönt“ wurden. Die recht ausführlichen Berichte stellen insbesondere den behandelten Lehrstoff und den Ablauf des Unterrichts sowie sonstige Umstände (Schulausfall, Motivation etc.) dar.
109
Die von Dr. … in seiner Stellungnahme vom 28.07.2021 geäußerte Behauptung, dass „der hochgradige Verdacht besteht, dass die Mutter [des Klägers] die Arbeitsblätter für ihn ausfüllt“, konnte seitens des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollzogen werden. Es blieb bereits überwiegend diffus, woher die von Dr. … zugrunde gelegten Informationen überhaupt stammen, die er seiner Stellungnahme zugrunde legt. Der Kläger ließ sich im Vorfeld bereits nicht mehr von Dr. …, sondern von Dr. … behandeln. Auch das Gericht kann anhand der Stellungnahme die Herkunft der Informationen nur vermuten. Die Beklagtenseite hat in der mündlichen Verhandlung die Vermutung geäußert, dass der Kindsvater Kontakt zu Dr. … aufgenommen hatte. Hierfür sprechen die in der Stellungnahme genannten Informationen zum Beziehungsleben der Kindseltern. Zum Zeitpunkt der Stellungnahme waren die Eltern des Klägers jedoch in einen heftigen Beziehungsstreit verwickelt, der auch die Frage der Erziehung des Klägers umfasste. Die Richtigkeit der in dieser Stellungnahme geäußerten Tatsachen ist daher grundsätzlich kritisch zu hinterfragen, zum Teil erweisen sich diese auch schlicht als unzutreffend. Insbesondere wird mit Blick auf die Web-Individualschule behauptetet, dass diese die weitere Beschulung abgelehnt habe, da der Kläger davon nicht profitiere. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Vielmehr hatte die Web-Individualschule ausweislich des vorhergehenden Lernstandsberichts vom 01.07.2021 lediglich Zweifel, ob die weitere Beschulung mit der bisherigen Lehrkraft Sinn ergibt, weshalb bei einer Verlängerung der Beschulung ein Lehrerwechsel vorgenommen werden sollte (Bl. 98 der Behördenakte). Im Übrigen fällt auf, ohne dass dies noch entscheidungserheblich wäre, dass der in der Stellungnahme von Dr. … gewählte Duktus eine gebotene neutrale Distanz vermissen lässt. In der mündlichen Verhandlung hat die Mutter des Klägers glaubhaft geschildert, dass sie lediglich als eine Art „Vermittler“ mitgewirkt hat, indem sie etwa den Anruf des Lehrers angenommen hat und es dem Kläger nichts gebracht hätte, wenn sie selbst die Aufgaben gelöst hätte.
110
(ee) Angesichts des Vorgesagten ist festzustellen, dass die Entscheidung des Beklagten in verschiedener Hinsicht zu beanstanden ist. Zu den Rechtsfolgen führt das Bundesverwaltungsgericht aus:
„Hat demgegenüber das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie – obgleich ihnen der Sachverstand des Jugendamtes fehlt – dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr etwa im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, a.a.O.; Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 36a Rn. 13 jeweils m.w.N.).“ (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 34)
Entsprechend dieser Ausführungen konnte der Kläger bzw. dessen Eltern den an sich dem Jugendhilfeträger zustehenden Beurteilungsspielraum für sich beanspruchen. Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass der Kläger bzw. dessen Erziehungsberechtigte diesen Vertretbarkeitsmaßstab hinsichtlich der Geeignetheit der Maßnahme aus ex-ante-Perspektive überschritten hätten. Im Einzelnen:
(α) In schulischer Hinsicht zeigen die einschlägigen Lernstandsberichte – wie oben bei der Prüfung des Beurteilungsspielraums dargelegt –, dass die Beschulung des Klägers in der Web-Individualschule zwar ambivalent, aber nicht in jeder Hinsicht negativ waren. Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen, dass ex ante-Sicht eines Laien die Annahme der Eignung der Hilfe mit Blick auf Teilhabe an Bildung in fachlicher Hinsicht unvertretbar war. Auch sind – wie bereits dargelegt – weitere Hilfen des Beklagten gescheitert, auch zwei Schulwechsel blieben ohne Erfolg. Auf die von der Beklagtenseite als fragwürdig erachtete Stellungnahme des neuen behandelnden Arztes, Dr. …, kommt es dabei nicht an.
(β) Der fachlichen Vertretbarkeit der Entscheidung des Klägers bzw. seiner Erziehungsberechtigten steht vorliegend für das Schuljahr 2021/2022 insbesondere nicht der Aspekt der fehlenden Gesamtbedarfsdeckung bzw. der fachlich unvertretbaren Teilbedarfsdeckung des Klägers entgegen.
Die Eingliederungshilfe zielt zwar grundsätzlich darauf ab, den Hilfebedarf in seiner Gesamtheit zu decken und deshalb alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen. Hilfeleistungen sind demnach so auszuwählen und aufeinander abzustimmen, dass sie den gesamten Bedarf soweit wie möglich erfassen. Denn aus dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (BVerwG, U.v. 19.10.2011 – 5 C 6.11 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 25; VG Würzburg, U.v. 22.9.2022 – W 3 K 21.1637 – juris Rn. 81; VG Würzburg, B.v. 26.8.2024 – W 3 E 24.1363 – juris Rn. 65). Allerdings kann der Regelung des § 35a SGB VIII nicht entnommen werden, dass dies zwingend der Fall sein muss. Denn der Systematik und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist zu entnehmen, dass Eingliederungshilfen auch darauf ausgerichtet sein dürfen, einen Teilbedarf zu decken. Denn wenn Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen einen Hilfebedarf erzeugen, der nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss, kann es geboten sein, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. In diesem Fall kann es, wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Personensorgeberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, kann es gleichwohl geboten sein, die Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden Bedarf abdecken (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 23; VG Würzburg, U.v. 22.9.2022 – W 3 K 21.1637 – juris Rn. 81; VG Würzburg, B.v. 26.8.2024 – W 3 E 24.1363 – juris Rn. 65; VG Würzburg, B.v. 26.8.2024 – W 3 E 24.1363 – juris Rn. 66).
Fachlich vertretbar in diesem Sinne kann eine Hilfemaßnahme deshalb auch dann sein, wenn sie darauf gerichtet ist, lediglich einen Teilbedarf und nicht den Hilfebedarf in seiner Gesamtheit zu decken (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 20 ff.). Etwas anderes kann – mit Blick auf den dargelegten Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe – (lediglich) dann anzunehmen sein, wenn die Gewährung der Hilfe für einen Teilbereich die Erreichung des Eingliederungsziels in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen erschweren oder vereiteln würde, es also zu Friktionen zwischen Hilfsmaßnahmen käme. Nachteilige Wechselwirkungen mit anderen Hilfeleistungen können die fachliche Geeignetheit einer (begehrten) Leistung für einen Teilleistungsbereich in Frage stellen (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 24; VG Würzburg, U.v. 22.9.2022 – W 3 K 21.1637 – juris Rn. 82; VG Würzburg, U.v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1437 – juris Rn. 100).
Nachteilige Wechselwirkungen mit anderen Hilfeleistungen sind vorliegend indes nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte darauf rekurriert, dass eine webbasierte Online Schule keine geeignete Eingliederungsmaßnahme i.S.v. § 35a SGB VIII sei und hierbei darauf verweist, dass eine Leistung hiernach die individuelle Lebensführung ermöglichen und eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fördern soll, verweist er auf die Zielsetzung der Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 3 i.V.m. § 90 Abs. 1 SGB IX. § 90 SGB IX enthält indes lediglich Programmsätze, die im Rahmen der Auslegung der weiteren Vorschriften der einzelnen Leistungsgruppen zu berücksichtigen sind (Wiesner in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 35a Rn. 108). Daneben ist darauf hinzuweisen, dass § 90 Abs. 4 SGB IX, auf den § 35a Abs. 3 SGB VIII ebenso verweist, es als besondere Aufgabe der Teilhabe an Bildung statuiert, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Hieraus wird gerade auch deutlich, dass eine entsprechende Teilhabe an der Bildung auch eine Voraussetzung für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist (VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 195/21 – juris Rn. 109). Das Argument der sozialen Isolation trifft deshalb beim Besuch einer Fernschule nicht pauschal zu (ebenso VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 195/21 – juris Rn. 107 f.; vgl. umfassend Bick/Hartmann, RdJB 2023, 390/404 f.). Im Übrigen ist auch die überragende Bedeutung der Erlangung eines Schulabschlusses zu berücksichtigen (VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 195/21 – juris Rn. 107 f. unter Verweis auf BayVGH, B.v 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 40). Soweit also eine Teilhabe an der Gesellschaft beim Kläger als anderweitiger Bedarf neben der schulischen Teilhabe identifiziert wurde, muss diese nicht zwangsläufig im Wege der Beschulung verwirklicht werden. Umgekehrt kann etwa ein entspannteres Schulsetting dazu beitragen, dass sich Lernende vermehrt außerschulischen Aktivitäten zuwenden, die dem informellen Lernen (ungeplantes Lernen bzw. ungeplanter Kompetenzerwerb) nützen (Bick/Hartmann, RdJB 2023, 390/404 f.).
Aus der maßgeblichen Sicht ex ante des Leistungsberechtigten sprechen auch im konkreten Fall keine Umstände allein oder in der Gesamtschau zwingend für die Annahme, dass der Bedarf des Klägers in schulischer Hinsicht nur zusammen mit der Erfüllung des Bedarfs an gesellschaftlicher Teilhabe erfüllt werden könnte. So hat der Kläger gleichwohl außerhalb der schulischen Sphäre (wenngleich wenige) Sozialkontakte gepflegt. Soweit Herr Dr. … in seiner fachärztlichen Stellungnahme wegen Kindeswohlgefährdung eine Isolierung des Klägers und nachteilige Folgen hierdurch anführt, so ist – angesichts der oben genannten Zweifel am Zustandekommen dieser Stellungnahme (keine zeitnahe vorige Untersuchung des Klägers und unklare Herkunft der Anknüpfungstatsachen) – nicht ersichtlich, dass die Sorgeberechtigten dieses Schreiben vor der Selbstbeschaffung erhalten haben, nachdem dieses an das Jugendamt des Beklagten adressiert war. Selbst wenn diese das Schreiben vor der Selbstbeschaffung erhalten hätten, gab es die fachärztliche Einschätzung des Dr. … vom 25.06.2021, in der eine Online-Beschulung als alternativlos bezeichnet wurde. Diese Einschätzung wurde durch Dr. … (Bl. 109 der Behördenakte) und den Beklagten inhaltlich zwar angezweifelt. Jedoch bleibt auch hier daran zu erinnern, dass der Beurteilungsspielraum vom Jugendamt des Beklagten auf den Kläger bzw. seine Sorgeberechtigten übergegangen ist. Diesen wurde durch die fehlerhafte Ablehnung eine Entscheidung über die Erfüllung des klägerischen Bedarfs abverlangt. Da aus Sicht ex-ante zum damaligen Zeitpunkt keine anderweitige zeitnahe Beschulungsmöglichkeit bekannt war, vor allem seitens des Beklagten auf eine stationäre Diagnostik bestanden wurde, bestand zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung die Wahl zwischen einer Beschulung des Klägers ohne die sozialen Kontakte mit gleichaltrigen Kindern in der Schule und einem vollständig ungedeckten Bedarf. Mit der Beschulung in der Web-Individualschule bestand somit die Möglichkeit, zumindest einen Bedarf des Klägers zu decken.
Es kommt hinzu, dass sich – freilich erst ex post – die Annahme des Herrn Dr. …, die Kindsmutter gefährde durch die Isolation des Klägers dessen Kindeswohl, ohnehin als nicht belastbar herausgestellt hat. Dies zeigt die Entscheidung des Amtsgericht …, Abteilung für Familiensachen, vom 14.07.2022, das auf Betreiben des Jugendamtes des Beklagten festgestellt hat, dass familiengerichtliche Maßnahmen nicht erforderlich waren. Das Gericht stellt dabei vor allem darauf ab, dass er fachärztlich angebunden war und sich die Eltern um eine ambulante Therapie bemühten. Daneben seien die Eltern bereit, eine ambulante Familienhilfe oder einen Erziehungsbeistand zu beantragen. Auch das von Jugendamtsseite angerufene OLG Bamberg hat in einer Verfügung vom 22.12.2022 auf diese Gesichtspunkte abgestellt und kam dabei zu dem Ergebnis: „Dass dies nicht die Maßnahmen sind, die aus Sicht des Jugendamtes wünschenswert sind, vermag unter Berücksichtigung der oben dargestellten Voraussetzungen ein staatliches Einschreiten nicht zu rechtfertigen.“
111
Ob hingegen vom Jugendhilfeträger bevorzugte Hilfen zur Deckung des festgestellten Teilhabedefizits des Klägers geeigneter gewesen wären als die selbstbeschaffte Fernbeschulung, bedarf keiner Entscheidung. Der dem Jugendamt zustehende Beurteilungsspielraum bei der Auswahl der konkreten Hilfemaßnahme ist auf den Kläger bzw. die Erziehungsberechtigten übergegangen, die ihn vertretbar genutzt haben. Folglich kann ihnen im Nachhinein nicht mehr entgegengehalten werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe bevorzugt (vgl. VGH BW, B.v. 26.02.2020 – 12 S 3015/18 – juris Rn. 21 m.w.N.).
112
(γ) Dem Anspruch kann nicht entgegengehalten werden, dass der Vorrang des öffentlichen Schulsystems greift. Entgegen der Auffassung des Beklagten und zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt nicht im staatlichen Schulsystem beschulbar war.
113
Im Rahmen der fachlichen Vertretbarkeitskontrolle darf grundsätzlich der Vorrang des öffentlichen Schulsystems nicht unberücksichtigt bleiben (VG München, U.v. 20.3.2024 – M 18 K 20.3029 – juris Rn. 61). Soweit konkret die Übernahme des Schulgelds für die webbasierte Individualschule als Leistung der Eingliederungshilfe in Form von Leistungen zur Teilhabe an Bildung gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX begehrt wird, ist deshalb zunächst hinzuweisen, dass Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen sich gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII u.a. nach § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des SGB IX richten, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können. Besondere Aufgabe der Teilhabe an Bildung ist es gemäß § 90 Abs. 4 SGB IX, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
114
Grundsätzlich umfassen Leistungen zur Teilhabe an Bildung gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht die Übernahme der für den Besuch einer Privatschule anfallenden Aufwendungen. Der Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe ist abzugrenzen von demjenigen der Schulträger. Gegenstand der Eingliederungshilfe können nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur Maßnahmen sein, die die Schulbildung begleiten. Hingegen obliegt die Schulbildung selbst als Kernbereich der pädagogischen Arbeit allein den Schulträgern. Zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrkräfte gehören die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte, somit der Unterricht selbst, seine Inhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen. Hingegen ist der Kernbereich der pädagogischen Tätigkeit nicht betroffen, wenn die Maßnahme lediglich dazu dienen soll, die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkräfte abzusichern und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass ein erfolgreicher Schulbesuch möglich ist. Den Kernbereich berühren deshalb alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste nicht, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der Leistungsberechtigte das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann (BSG, U.v. 9.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris Rn. 24; U.v. 18.7.2019 – B 8 SO 2/18 R – juris Rn. 16; Flint/Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB IX, 7. Aufl. 2020, § 112 Rn. 7). Auch nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung obliegt die Bereitstellung der räumlichen, sächlichen, personellen und finanziellen Mittel für die Erlangung einer angemessen, den Besuch weiterführender Schulen einschließenden Schulbildung auch solcher Kinder und Jugendlicher, deren seelische Behinderung festgestellt ist oder die von einer solchen bedroht sind, grundsätzlich nicht dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, sondern dem Träger der Schulverwaltung. Da die Schulgeldfreiheit in Verbindung mit der Schulpflicht eine Leistung der staatlichen Daseinsvorsorge darstellt und aus übergreifenden bildungs- und sozialpolitischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb des Sozialgesetzbuches gefunden hat, ist grundsätzlich für einen gegen den Träger der Kinder- und Jugendhilfe gerichteten Rechtsanspruch auf Übernahme der für den Besuch einer Privatschule anfallenden Aufwendungen kein Raum (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 18.10.2016 – 12 CE 16.2064 – juris Rn. 4; BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61/14 – juris Rn. 4). Deshalb ist die Beschulung dieser Kinder in erster Linie im Rahmen des ausdifferenzierten öffentlichen Schulsystems – ggf. durch flankierende sonderpädagogische Unterstützungsmaßnahmen – sicherzustellen (vgl. Nds. OVG, B.v. 25.11.2020 – 10 LA 58/20 – juris Rn. 28 m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 3; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 195/21 – juris Rn. 96). Demnach kann ein Schulgeld für eine private Ersatzschule, mit dem der Unterricht und damit die von der Schule als Kernbereich zu erbringende Leistung finanziert wird, in der Regel nicht vom Eingliederungshilfeträger übernommen werden (BayVGH, B.v. 19.11. 2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 3; Flint/Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB IX, 7. Aufl. 2020, § 112 Rn. 8).
115
Ausnahmen von dem voranstehend genannten, durch das Verhältnis der Spezialität geprägten Grundsatz sind nur für den Fall in Betracht zu ziehen, dass auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf des jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken, weil diesem der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist („schulisches Systemversagen“; vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61/14 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 18.10.2016 – 12 CE 16.2064 – juris Rn. 5; BVerwG – juris Rn. 5, BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 –, Rn. 31, juris; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 195/21 – juris Rn. 82; Flint/Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB IX, 7. Aufl. 2020, § 112 Rn. 7; Zinsmeister in: LPK-SGB IX, 6. Aufl. 2022, SGB IX § 75 Rn. 8 m.w.N.).
116
Im Falle eines Systemversagens des Jugendamtes ist dabei darauf abzustellen, ob aus der ex-ante-Sicht des Hilfesuchenden trotz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf im öffentlichen Schulsystem zu decken, und es fachlich vertretbar erscheint, dass der Betroffene den Besuch einer öffentlichen Schule für unmöglich bzw. unzumutbar hält (VG München, B.v. 21.1.2021 – M 18 E 20.6374 – juris Rn. 74; VG München, U.v. 20.3.2024 – M 18 K 20.3029, – juris Rn. 61 unter Verweis auf OVG NW, B.v. 9.10.2020 – 12 A 195/18 – juris Rn. 23 m.w.N.; VG München, U.v. 7.7.2021 – M 18 K 18.2218 – juris Rn. 109 f.).
117
Das VG Freiburg (Breisgau) führt ferner, insbesondere zur tatsächlichen Realisierbarkeit der Deckung des schulischen Bedarfs, zusammenfassend aus:
„Ein Verweis auf die abstrakte Möglichkeit einer Beschulung im öffentlichen Schulsystem genügt jedoch nicht, um die Erforderlichkeit eines Privatschulbesuchs zu verneinen. Denn die Nachrangigkeit der Jugendhilfe ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger und der Schulen überhaupt bestehen; vielmehr müssen diese anderweitigen Verpflichtungen auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalls eine bedarfsdeckende Hilfe im öffentlichen Schulsystem tatsächlich zu erhalten sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.10.2012 – 5 C 21.11 –, juris Rn. 39 m.w.N.). Dementsprechend bejaht das Bundesverwaltungsgericht einen gegenüber der Eingliederungshilfe vorrangigen Anspruch gegen die Schulverwaltung nur, soweit und solange eine staatliche Schule tatsächlich Hilfe gewährt oder der Betroffene den Anspruch auf Hilfeleistung gegen die Schulverwaltung rechtzeitig verwirklichen kann (vgl. Bayer. VGH, Beschluss vom 05.02.2018 – 12 C 17.2563 –, juris Rn. 43 m.w.N.). Der Nachweis, dass eine bedarfsdeckende Hilfe im öffentlichen Schulsystem zur Verfügung steht, obliegt dem Jugendamt; dieses muss – ggf. unter Beteiligung der Schulaufsichtsbehörden – eine konkrete Alternative zum Privatschulbesuch aufzeigen (ebenso bereits OVG NRW, Urt. v. 16.11.2015 – 12 A 1639/14 –, juris Rn. 108 ff. m.w.N. und VG Freiburg, Urt. v. 26.11.2020 – 4 K 1269/20 –, n.v., S. 23; in diese Richtung auch OVG NRW, Beschluss vom 08.09.2010 – 12 A 1326/10 –, juris Ls. 3, Rn. 18 ff.; VG Freiburg, Urt. v. 07.11.2018 – 4 K 2908/7 –, n.v., S.12 ff.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 26.02.2020 – 12 S 3015/18 –, juris Rn. 23; vgl. ferner BVerwG, Beschluss vom 17.02.2015 – 5 B 61.14 –, juris Rn. 7 ff.: Die Annahme der Erforderlichkeit eines Privatschulbesuchs mangels Nachweis einer adäquaten Bedarfsbedeckung im Regelschulsystem durch die Beklagte sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden)“ (VG Freiburg (Breisgau), U.v. 7.10.2021 – 4 K 195/21 – juris Rn. 97).
118
Vorliegend erschien eine Beschulung des Klägers im maßgeblichen Zeitraum dem Kläger bzw. den Erziehungsberechtigten zur Überzeugung des Gerichts nicht als (rechtzeitig) möglich bzw. zumutbar und entsprechend durfte auch die Klägerseite ex ante von diesem Umstand ausgehen.
119
Für ein schulisches Systemversagen spricht zunächst – selbstständig tragend – der bisherige Verlauf der Beschulung des Klägers und der vom Beklagten gewährten Hilfen. So hat der Kläger – dies ist unwidersprochen geblieben – zwei Mal einen Schulwechsel vollzogen, jeweils ohne Erfolg. Daneben wird die Unbeschulbarkeit nicht zuletzt aufgrund des vorhergehenden Hilfeverlaufs erkennbar. Es wurde bereits vor der „ersten“ Selbstbeschaffung für das Schuljahr 2021/2022 deutlich, dass die Beschulung des Klägers im öffentlichen Schulsystem nicht realisierbar war. So wird in der Besprechung in der Fallkonferenz am 08.03.2019 festgestellt, dass der Kläger im Unterricht auffällig ist und die Schule an ihre Grenzen stößt; die Mutter müsse den Kläger häufig abholen (Bl. 16 der Behördenakte). Daneben geht aus dieser Besprechung hervor, dass der Kläger den Schulbesuch verweigere. Insgesamt wird eine mäßig bis schwerwiegende Beeinträchtigung bei den schulischen Belangen festgestellt. Insoweit wurde eine Schulassistenz im vollem Umfang des Stundenplans einschließlich etwaiger Pflichtveranstaltungen und in den Pausen vorgeschlagen und letztlich auch mit Bescheid vom 21.03.2019 gewährt (Bl. 18 der Behördenakte). Mit Bescheid vom 18.11.2019 wurde die Hilfe indes wieder eingestellt, da der Kläger nicht in der Lage sei, die Schule zu besuchen (Bl. 23, 33 der Behördenakte). Dies wurde auch durch den Hilfeträger … e.V. bekräftigt (Bl. 114 der Behördenakte). Es werde im Rahmen einer erneuten Überprüfung des Eingliederungshilfebedarfs eine alternative Beschulung überprüft. In der Besprechung in der Fallkonferenz am 13.01.2020 (Bl. 25 der Behördenakte) wurde festgestellt, dass der Kläger keinen einzigen Tag die Schule besucht habe. Die Mutter des Klägers habe ihn jeden Tag zur Schule gefahren, um eine Strafe zu vermeiden. Es wurde seitens des Beklagten eine ambulante Eingliederungshilfe in Aussicht gestellt, die die Mutter des Klägers auch beantragt habe. Mit Bescheid vom 23.01.2020 (Bl. 26 der Behördenakte) wurde Eingliederungshilfe in Form eines Erziehungsbeistandes gewährt. Diese wurde am 03.11.2020 beendet, nachdem deren Wirksamkeit sich zusehends als zweifelhaft herausstellte und vermehrt Termine abgesagt wurden; weder habe der Sohn ein Interesse an einer Veränderung, noch wären die Eltern hierzu bereit (Bl. 114 f. der Behördenakte). In einer Bescheinigung des … Fachklinikums … vom 22.11.2019 wird festgestellt, dass der Kläger im Schuljahr 2019/2020 nicht beschult worden sei, da er das Betreten des Schulgeländes verweigert habe (Bl. 28 der Behördenakte). Die Mutter des Klägers habe ihn immer abholen müssen. Es sei medizinisch indiziert, den Kläger von der Schulpflicht zu befreien. Eine Flexfernschule werde für eine geeignete Schulform gehalten. Diese Form der Beschulung wurde seitens des Beklagten als nachrangig erachtet, es sollen andere Formen der Eingliederungshilfe ausgeschöpft werden (Bl. 33 der Behördenakte). Die von Dr. … empfohlene stationäre Diagnostik (Bl. 35 der Behördenakte) war aber zeitnah aufgrund der äußeren Umstände nicht möglich, sodass übergangsweise die Beschulung in der Web-Individualschule gewährt wurde (Bl. 47, 49 f. der Behördenakte). Auch die Hilfe durch die Autismus-Expertin gestaltete sich als kaum durchführbar, für sie mache die Therapie keinen Sinn, da sie nicht an den Kläger herankomme und er Hilfe ablehne (Bl. 78 der Behördenakte). Angesichts dieser Umstände durfte aus Sicht ex ante von einer objektiven Unmöglichkeit der Beschulung des Klägers im staatlichen Schulsystem ausgegangen werden.
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Dass der Beklagte meinte und noch meint, der Kläger könne durch eine ambulante oder stationäre Therapie für die Regelbeschulung „beschulbar“ gemacht werden, steht der Annahme eines schulischen Systemversagen nicht entgegen. In der Fachkonferenz am 13.07.2021 (Bl. 107 f. der Behördenakte) wurde festgestellt, dass der Kläger wieder in die Schule gehen müsse. Es sei zwar eine stationäre Therapie für den Kläger notwendig, hierauf ließe sich der Kläger aber wahrscheinlich nicht ein, weil er sich dagegenstelle. Das Jugendamt des Beklagten hat sich im Anschluss an die Ablehnung der Kostenübernahme für die Web-Individualschule im Ergebnis erfolglos darauf fokussiert, vermittels eines Kindeswohlgefährdungsverfahrens nach § 1666 BGB eine stationäre Aufnahme in einer Klinik zur Diagnostik ohne die Mutter des Klägers herbeizuführen, wie es auch Dr. … gefordert hatte (vgl. Bl. 108 f., 116 f. der Behördenakte). Die Mutter des Klägers hatte demgegenüber gefordert, dass sie in die Kliniken mitgehen könne. In der mündlichen Verhandlung wurde seitens des Beklagten demgegenüber auf eine ambulante Therapie abgestellt. Wie einerseits der schulische Bedarf des Klägers in der Zwischenzeit hätte gedeckt werden sollen, ist für das Gericht allerdings nicht ersichtlich. Er wäre letztlich in der Zwischenzeit nicht im staatlichen Schulsystem beschult worden. Andererseits war, wie zuvor dargestellt wurde, ein Therapieplatz nicht absehbar zu beschaffen. Dass durch eine solche Therapie, sei sie nun stationär oder ambulant ausgestaltet, eine rechtzeitige Beschulung hätte sichergestellt werden können, war damit ex ante bestenfalls ungewiss. Ob der Kläger durch eine Therapie tatsächlich im öffentlichen Schulsystem „beschulbar“ gemacht werden könnte, ist deshalb an dieser Stelle nicht von Belang.
121
Hinzu kommt – selbstständig tragend –, dass der Kläger durch den behandelnden Facharzt Dr. … bis auf weiteres schulbesuchsunfähig „krankgeschrieben“ wurde, sodass eine Beschulung im öffentlichen Schulsystem unter diesem Gesichtspunkt ohnehin ausscheidet (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 5). Angesichts der geschilderten Probleme der Beschulung des Klägers im staatlichen Schulsystem sieht das Gericht keine Veranlassung, an der durch Dr. … attestierten Schulbesuchsunfähigkeit des Klägers zu zweifeln.
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Letztlich konnte der Beklagte unter den gegebenen Umständen keine konkrete Möglichkeit der zeitnahen bedarfsgerechten Beschulung im öffentlichen Schulsystem aufzeigen, was – jedenfalls damals bis zur als notwendig erachteten stationären Diagnostik/Therapie – für eine Unbeschulbarkeit des Klägers im öffentlichen Schulsystem spricht. Im 2. Hilfeplan vom 09.07.2021 im Rahmen der Überprüfung der Teilhabefähigkeit hinsichtlich des Leistungsbereichs wird letztlich entsprechend auch keine konkrete Alternative Hilfe zur Teilhabe an der schulischen Bildung seitens des Beklagten genannt.
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(ff) Der Anspruch ist für die das Schuljahr 2021/2022 auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Mitwirkungsobliegenheitsverletzung ausgeschlossen.
124
Das VG München führt hierzu aus:
„Hilfeberechtigte haben grundsätzlich entsprechend den Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I im erforderlichen Umfang mitzuwirken, wobei zu beachten ist, dass die §§ 60 ff. SGB I nicht die Besonderheiten der Jugendhilfe im Auge haben, wo es um den oben dargestellten partizipatorischen Gestaltungsprozess geht und da von der Versagung der Leistung nicht nur die Personensorgeberechtigten, sondern v.a. die Kinder betroffen sind (Gallep in Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022 § 36 Rn. 4a; von Koppenfels/Spies in Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VIII, 3. Aufl. 2022 § 36 Rn. 19). Das Jugendamt kann zunächst auch verpflichtet sein, mit Blick auf das Kindeswohl intensive Bemühungen zur Motivation der Personensorgeberechtigten zur Mitwirkung zu unternehmen (vgl. DIJuF, JAmt 2023, 124 m.w.N.). Soll die Hilfe tatsächlich aufgrund von fehlender Mitwirkung versagt werden, sind die Adressaten der Hilfe gemäß § 66 Abs. 3 SGB I zuvor schriftlich auf die drohende Versagung der Hilfe hinzuweisen und eine angemessene Frist zur Mitwirkung zu setzen. Außerdem muss entschieden werden, ob die Hilfe zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich ist, sodass ggf. das Familiengericht anzurufen wäre (a.a.O.).“ (VG München, B.v. 26.7.2023 – M 18 E 23.2881 – juris Rn. 63; zur Frage der Einordnung der Mitwirkungsobliegenheit im Rahmen von § 36a SGB VIII Möller in: Möller, Praxiskommentar SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 36a Rn. 26a).
125
(α) Zwar gehen die Ansichten der Mutter des Klägers und von Dr. … bzw. des Beklagten auseinander, inwieweit eine stationäre Diagnostik und längerfristige Therapie des Klägers gerade ohne die Anwesenheit der Mutter geboten ist und hierdurch die Beschulbarkeit des Klägers im Rahmen der Regelbeschulung sichergestellt werden kann und ob die Aufnahme in eine Klinik wegen der damaligen äußeren Umstände tatsächlich nicht möglich war (vgl. Bl. 75 f. der Gerichtsakte). Die Mutter des Klägers hat jedoch im Rahmen der mündlichen Verhandlung für das Gericht in sich schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, welche Anstrengungen sie bei der Suche nach einem Autismus-Therapie-Platze unternommen hat und welche Nachteile eine Therapie, die nicht in der näheren Umgebung des Klägers stattfinden kann (eingeschränkte Aufnahmefähigkeit seitens des Klägers nach längerer Autofahrt), mit sich bringt. Dass der Kläger anlassbedingt und unregelmäßig längere Autofahrten unternehmen kann, z.B. zum Model-Eisenbahn-Verein nach … (ca. 2 Stunden Fahrzeit) bzw. zur fast einwöchigen Diagnostik bei Dr. … nach … im Jahr 2021, steht dem nicht entgegen. Insbesondere erschließt sich dem Gericht die klägerische Argumentation, dass die Therapiefähigkeit des Klägers durch längere Autofahrten nicht hinreichend sichergestellt werden kann und eine Reizüberflutung bei einer für den Kläger eher spaßigen Freizeitaktivität (Model-Eisenbahn-Verein) sich nicht vergleichbar auswirkt. Hinsichtlich der Fahrt nach … zur Diagnostik bei Dr. … wurde ausgeführt, dass dies nur unter Zuhilfenahme der Großmutter des Klägers als weitere Betreuungskraft und einem Zwischenstopp bei einem Freund des Klägers funktioniert habe.
126
Es kann aber dahinstehen, ob bzw. in welcher Form diesbezüglich eine Mitwirkungsobliegenheit des Klägers bzw. seiner Mutter bestand, jedenfalls fehlte es an einer schriftlichen Aufforderung verbunden mit einer Fristsetzung nach § 66 Abs. 3 SGB I seitens des Beklagten, um vor dem drohenden Rechtsverlust zu warnen.
127
(β) Entgegen dem Vorbringen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung besteht auch keine Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit unter dem Blickwinkel einer Verweigerung der erforderlichen bzw. notwendigen Mitwirkung des Klägers selbst am Hilfeplanverfahren. So wurde vorgebracht, dass der Kläger auf eine Einladung des Beklagten nicht reagiert habe und auch bei einem Besuch des Klägers durch den Beklagten dieser nicht seine Schlafzimmertüre aufgemacht hätte. Hiermit kann der Beklagte bereits deshalb nicht durchdringen, weil nicht ersichtlich ist, dass der Kläger unter Hinweis auf eine Ablehnung zur Mitwirkung aufgefordert worden ist. Zum anderen lässt sich eine Kausalität bzw. Erforderlichkeit der Mitwirkung des Klägers am Hilfeplanverfahren nicht feststellen. Der Beklagte verhält sich insoweit widersprüchlich, wenn er einerseits die Leistung allein aus fachlichen Gründen ablehnt, andererseits nun die fehlende Mitwirkung des Klägers geltend macht. Hinzu kommt, dass eine Erschöpfung anderweitiger Beteiligungsformen des Klägers am Hilfeplanverfahren offenbar nicht ausprobiert wurden (vgl. Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 4. Aufl. Stand: 06.11.2024, § 65 Rn. 25). Gerade derartige Versuche erscheinen vorliegend notwendig, da der Kläger aufgrund der diagnostizierten Einschränkungen Probleme hat, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Es sind daher an das Jugendamt höhere Anforderungen zu stellen, wenn dieses meint, eine persönlich notwendige Mitwirkung des Klägers sei nicht in hinreichendem Umfang gegeben, damit nicht Kinder bzw. Jugendliche mit Einschränkungen wie die des Klägers bei einer Hilfegewährung „durch das Raster fallen“ (vgl. § 65 SGB I).
128
(b) Mit Blick auf die Schuljahre 2022/2023 bis 2024/2025 kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Sekundäranspruch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII ebenfalls besteht. Zweifel daran, dass der Kläger weiterhin dem Personenkreis des § 35a SGB VIII zuzuordnen ist, bestehen zunächst nicht.
129
Zwar kann ein Jugendamt ein Systemversagen jederzeit beenden und die Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Hilfe wieder an sich ziehen, sofern es zu einem späteren Zeitpunkt sachgerecht eine neuerliche Entscheidung trifft (BayVGH, B.v. 1.8.2022 – 12 ZB 21.419 – juris Rn. 36; VG München, U.v. 21.09.2022 – M 18 K 18.5706 – juris Rn. 76; VG München, U.v. 21.9.2022 – M 18 K 18.5706 – juris Rn. 76).
130
Eine solche sachgerechte Entscheidung unter Durchführung eines ordnungsgemäßen Hilfeplanverfahrens ist vorliegend jedoch unterblieben. Für die Schuljahre 2022/2023 bis 2024/2025 ist zunächst nämlich festzustellen, dass der Beklagte trotz fortbestehenden und erkennbaren Hilfebedarfs und entsprechenden (konkludenten) Antrag des Klägers bzw. der Entbehrlichkeit von Folgeanträgen nicht in das Hilfeplanverfahren eingestiegen ist, sondern sich darauf zurückgezogen hat, den hier in Streit stehenden Erstattungsanspruch des Klägers im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzuwehren. Allein die Tatsache, dass ein Kläger bereits die von ihm priorisierte Hilfe selbst beschafft hatte, entbindet den Beklagten aber nicht von der Verpflichtung, den Kläger für die Zukunft zu beraten und ggf. andere, für geeignet gehaltenen Hilfeformen an diesen zumindest heranzutragen (VG München, U.v. 20.3.2024 – M 18 K 20.3029 – juris Rn. 51).
131
Insoweit hat der Beklagte jedenfalls nicht rechtzeitig bzw. aufgrund der oben genannten Beurteilungsfehler, die auch in den folgenden Schuljahren vom Beklagten aufrechterhalten wurden, in nicht verfahrenskonformer Weise über die Gewährung der begehrten Eingliederungshilfe entschieden, sodass ein fortbestehendes Systemversagen des Jugendamtes des Beklagten anzunehmen ist.
132
Entsprechend beschränkt sich der Prüfungsumfang des erkennenden Gerichts – wie im Schuljahr 2021/2022 dargelegt – auf die Frage, ob die Entscheidung Beschulung mittels Web-Individualschule aus ex-ante-Sicht der Leistungsberechtigten fachlich vertretbar war.
133
Nach diesem Maßstab kann auch in den Folgejahren nicht davon ausgegangen werden, dass die Grenzen der fachlichen Vertretbarkeit der Einschätzung, dass die Web-Individualschule eine geeignete Hilfe darstellt, nunmehr aufgrund neuer Erkenntnisse überschritten worden wäre.
134
(aa) Soweit es auch hier um die Unbeachtlichkeit des Vortrags der vermeintlich fehlenden Sozialkontakte des Klägers zu Gleichaltrigen geht, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Daneben wurde in der mündlichen Verhandlung dargestellt, dass sich der Kläger mit Freunden nach dem Spielen von Online-Videospielen austauscht und Kontakt zu einem polnischen Freund hält, mit dem er sich auf Englisch austauscht.
135
Daneben sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger aus Sicht ex ante in diesem Zeitraum im öffentlichen Schulsystem beschulbar geworden wäre. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2025 persönlich anwesend gewesen ist. Hieraus lässt sich nach gerichtlicher Überzeugung nicht schließen, dass der Kläger durch diese Begebenheit für die Regelschule geeignet wäre. Die Klägerseite hat bezüglich der Anwesenheit des Klägers ausgeführt, dass es durchaus sehr gute Verbesserungen in der Entwicklung des Klägers gegeben habe und damit der von Kindseltern eingeschlagene Weg der richtige Weg gewesen sei. Nach unbestritten gebliebenen Aussagen der Klägerseite hat die Anwesenheit des Klägers jedoch primär darauf beruht, dass eine Betreuung andernfalls für den Kläger nicht sichergestellt gewesen wäre. Er sei für den Tag der Verhandlung von der Web-Beschulung beurlaubt worden. Die bloße Anwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung stellt ein singuläres Ereignis dar, das nicht mit einer werktäglichen Beschulung an der Regelschule vergleichbar ist. Einen tragfähigen Rückschluss darauf, dass der Kläger in den maßgeblichen Zeitpunkten der jeweiligen Selbstbeschaffung die Regelschule hätte besuchen können, lässt dieser Umstand nicht zu. Hierfür sprechen auch die – im Anschluss näher beleuchteten – Lernstandsberichte der Web-Individualschule, wonach der Kläger bis zuletzt noch Probleme mit bestimmten Formen der direkten Kommunikation mit seinem Lehrer hat.
136
(bb) Auch die klägerseits vorgelegten neuen Lernstandsberichte bzw. Mitteilungen der Web-Individualschule lassen eine nunmehrige vollständige Ungeeignetheit (zu diesem Maßstab s.o.) der selbstbeschafften Hilfe nicht erkennen. Im Einzelnen:
137
Dem Schuljahr 2022/2023 vorausgehend hat die Web-Individualschule mehrere Kurzberichte für den Kläger erstellt:
138
Der Lernstandsbericht vom 24.09.2021 (Bl. 122 ff. der Behördenakte) kommt nach einem Lehrerwechsel zum Ergebnis, dass die vergangenen Wochen aus Sicht der Web-Individualschule positiv verlaufen seien. Die reibungslose Teilnahme werde zwar unregelmäßig durch die Autismus-Spektrum-Störung erschwert, trotzdem habe er fast täglich die vereinbarten Arbeitsaufträge erledigt und Lernfortschritte erzielt. Es ist ausdrücklich die Rede von Fort- und Rückschritten, die aber nach Auffassung der Web-Individualschule nicht ungewöhnlich seien. Im Vergleich zum vorigen Lernstandsbericht werde zwar die Kamera nicht eingeschalten, aber er spreche mit der neuen Lehrkraft. Er frage bei Rückfragen im Rahmen der Bearbeitung von Arbeitsaufträgen auch regelmäßig bei seinem Lehrer per Chat an. Es sei selten, dass Arbeitsaufträge nicht bearbeitet werden. Außerschulische Unregelmäßigkeiten würden den Kläger schnell aus dem Rhythmus bringen und erschwerten ihm die Konzentrations- und Kommunikationsfähigkeit, sodass er sich an einigen Tagen auf ein Telefonat nicht einlassen konnte. Aber Aufgaben würden per Chat entgegengenommen und bearbeitet. Der Beklagte führt in seinem Schreiben vom 20.12.2021 an die Regierung selbst aus, dass der Lernstandsbericht vom 24.09.2021 „positiv formuliert“ sei, aber „stellenweise Anhaltspunkte“ bestünden, weshalb die Maßnahme nicht als sinnvoll und förderlich erscheine (Bl. 137 der Behördenakte).
139
Auch der Lernstandsbericht vom 15.11.2021 (Bl. 131 ff. der Behördenakte) zeigt nicht auf, dass die Maßnahme vollständig ungeeignet ist. Wie die Regierung in ihrer Begründung hervorgehoben hat, gab es zwar auch Rückschritte, etwa zog sich der Kläger auf eine Kommunikation mittels Chat-Funktion zurück, die Telefonate entfielen. Diese Kommunikation erfolgte jedoch ausführlich. Auch die Arbeitsaufträge würden besprochen werden. Ca. 8 Wochen nach dem Lehrerwechsel wurde nach dem Lernstandsbericht festgestellt, dass der Kläger in den Wochen danach weniger effektiv arbeiten konnte. Es wurde vermutet, dass dies darauf zurückgehe, dass Themen behandelt wurden, die er nicht selbstständig gewählt habe. Er habe sich mit den gegebenen Strukturen (regelmäßige Telefonate und schulisch vorgegebene Inhalte) schwergetan. Es sei jedoch regelmäßig seine Motivation zu beobachten, die Aufgaben schnell und gut zu lösen.
140
Mit Kurzbericht vom 29.04.2022 (Bl. 11 f. der Gerichtsakte) wurde festgestellt, dass sich der Unterricht mit dem Kläger nach der Umstellung des Unterrichtsbeginns im Januar 2022 gefestigt und insgesamt positiv entwickelt habe. Es zeige sich, dass Unterrichtsausfall aufgrund der spontanen Änderung äußerer Umstände (Verschieben der Unterrichtszeit bzw. Tausch eines Unterrichtstages) nicht mehr in dem Maßstabe stattfände, wie im Jahr 2021. Die Lehrinhalte richteten sich überdies von Montag bis Donnerstag nunmehr allein anhand des Lehrplans. Der Freitag sei für Wünsche und Themen des Klägers reserviert, die auch außerschulische Dinge behandeln dürften. Insoweit sei es dem Kläger mehrere Male gelungen, sich mündlich an Gesprächen zu beteiligen. Zuletzt habe er den Freitag allerdings nur dazu genutzt, um weiter an seinen Aufgaben zu arbeiten. Der Kläger wird in dem Kurzbericht weiter insgesamt als motiviert beschrieben. Er bearbeite seine Aufgaben gut, sorgfältig und zuverlässig. Die Aufgaben, verfasst am Computer, würde er spätestens am jeweiligen Ende eines Schultages an seinen Lehrer schicken. Das derzeitige Setting reiche aus, um Lernfortschritte zu erzielen. Es sei jedoch – wie im Schuljahr davor – wünschenswert, wenn der Kläger es zukünftig schaffe, sich mündlich an Unterrichtsgesprächen zu beteiligen. Es sei geplant, ihn an regelmäßige Telefonate heranzuführen.
141
Im Lernstandbericht vom 31.05.2022 (Bl. 65 ff. der Gerichtsakte) wird konstatiert, dass die Kommunikation größtenteils per Chat stattfinde. Der Kläger nehme zwar an den Pflichttelefonaten teil, kommuniziert währenddessen aber nur per Chat. Er nehme jedoch die Ausführungen seines Lehrers wahr und an. Die Umstellungen im Unterrichtssetting hätten zu einer deutlichen Motivationssteigerung geführt. Auf spontane Änderungen im Ablauf lasse sich der Kläger zumeist ein, an Absprachen halte er sich stets. Es sei zu keinem Unterrichtsausfall mehr gekommen. Insgesamt verlaufe die Beschulung aus Sicht der Web-Individualschule seit September 2021 kontinuierlich gut. Das Lernsetting sei nunmehr gefestigt. Er habe in allen sechs unterrichteten Fächern Lernfortschritte erzielen können. In Zukunft solle es möglich sein, dass der Kläger sich auf weitere Telefonate einlasse. Ein täglicher Austausch per Telefon zu Unterrichtsbeginn sei perspektivisch wünschenswert.
142
Nach dem Lernstandbericht 25.11.2022 (Bl. 106 f. der Gerichtsakte) habe der Kläger mit wenigen Ausnahmen kontinuierlich Lernfortschritte erzielen können. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass der Kläger sich (wieder) darauf einlasse, mit seinem Lehrer zu sprechen. Nunmehr schlage der Kläger unregelmäßig Telefonate vor (ca. 4 pro Woche), wobei er von seiner Seite aus nur chatte. Weil der Unterricht unbeschadet dessen zielführend sei und die Beschulung weiterhin positiv verlaufe, gebe es aus Sicht der Schule keinen Grund, auf eine schnelle Änderung der Kommunikation zu drängen.
143
Im Zwischenbericht vom 20.03.2023 wird als Veränderung festgehalten, dass der Kläger nunmehr die Video-Telefonate (ohne Bild und nur mit Chat durch den Kläger) annehme, sie fänden auf Wunsch des Klägers fast täglich statt. Er bitte nur in wenigen Ausnahmefällen darum, nicht zu telefonieren. Insgesamt sei trotz dieses Vorgehens eine wechselseitige Kommunikation und der Austausch über Lerninhalte quasi vollumfänglich möglich. Mit sehr wenigen Ausnahmen laufe der Unterricht seit vielen Monaten kontinuierlich und verlässlich. Der Kläger habe sich stetig steigern können. Die Beschulung verlaufe aus Sicht der Schule weiterhin positiv.
144
Im Lernstandsbericht vom 21.06.2023 (Bl. 161 ff. der Gerichtsakte) wird festgehalten, dass der Kläger fast kontinuierlich Lernfortschritte in allen sechs unterrichteten Fächern habe erreichen können. Er werde nur an wenigen Tagen durch außerschulische Störfaktoren von der konzentrierten Teilnahme am Unterricht abgehalten. Er arbeite weiterhin motiviert und engagiert am Unterricht mit. Der Kläger telefoniere zusätzlich zu Pflichtterminen regelmäßig an weiteren Tagen der Woche mit dem Lehrer, wobei der Kläger lediglich chatte. Der Freitag würde nunmehr nur noch für Arbeitsaufträge genutzt. Es wäre wünschenswert, dass sich der Kläger wieder von seiner Seite aus auf ein Gespräch mit dem Lehrer einlasse. Die Beschulung verlaufe weiter zielführend und positiv.
145
Im Lernstandsbericht vom 20.11.2024 (Bl. 289 ff. der Gerichtsakte) wird ausgeführt, dass sich der Unterricht in den letzten zwei Jahren stabilisiert habe. Es fänden an fast allen Tagen Video-Telefonate zwischen dem Kläger und dem Lehrer statt. Es werde ein Unterrichtsfach pro Woche behandelt. Der Kläger selbst schreibe nur per Chat. Im September sei es zu einigen Tagen Unterrichtsausfall gekommen, weil der Kläger aufgrund außerschulischer Dinge nicht zum Unterricht in der Lage gewesen sei. Der Kläger wird als motiviert und größtenteils interessiert beschrieben. Er sei zuverlässig und pünktlich. Es seien kontinuierliche Lernfortschritte erzielt worden. Perspektivisch sei eine Abschlussprüfung im Jahr 2026 möglich. Der Kläger befände sich auf dem Niveau der Mittelschule oder Realschule.
146
Insgesamt zeigen die Lernstandsberichte damit im Vergleich zum Beginn der Beschulung in der Web-Individualschule durchaus eine Verbesserung. Insoweit ergeben sich trotz perspektivischer Änderungswünsche seitens der Web-Individualschule keine hinreichenden Anhaltspunkte, die Hilfe in dieser Hinsicht als (gänzlich) ungeeignet und ohne Besserungsaussicht zu qualifizieren. Soweit die Beklagtenseite die Beschulung des Klägers dort als gänzlich ungeeignet einstuft und dies bereits von Anfang an so einschätzt, so basiert dies allein darauf, dass – wie im Widerspruchsbescheid vom 22.04.2022 geschehen – lediglich einzelne Aspekte herausgegriffen werden, die als negativ erachtet und zu quasi-tatbestandlichen Ausschlussgründen erhoben werden. Dass aufgrund der individuellen Einschränkungen des Klägers die Art und Weise der Vermittlung und Abfrage der Lerninhalte angepasst werden muss, ist für sich genommen grundsätzlich unschädlich. Aus diesem Grund war gerade die Beschulung durch die Web-Individualschule angedacht. Auch Lehrkräfte an staatlichen Schulen berücksichtigen im Rahmen ihrer Tätigkeit individuelle Einschränkungen bei Schülern. Deren Einschränkungen sind jedoch im Regelfall nicht so ausgeprägt, wie die des Klägers, die eine größere Umgestaltung des Unterrichts notwendig machen, um den Kläger tatsächlich auch zu erreichen. So wurde etwa in der mündlichen Verhandlung geschildert, wie die Prüfung des Lese- und Hörverstehens im Englischunterricht abgeprüft wird, auch wenn der Kläger nicht mit der Lehrkraft spricht, sondern chattet. Die Lernstandsberichte, die Perspektive eines schulischen Abschlusses und auch die Äußerungen der Eltern des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung lassen nach Auffassung des Gerichts nicht den Schluss zu, dass die Beschulung des Klägers vergebens ist und damit aus Sicht ex ante des Klägers bzw. seiner Erziehungsberechtigten eine ungeeignete Maßnahme vorläge.
147
d) Auch die Voraussetzungen nach § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB VIII sind gegeben. Hiernach darf die Deckung des Bedarfs entweder bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung (Buchst. a) oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung (Buchst. b) keinen zeitlichen Aufschub geduldet haben. Der Hilfedarf des Klägers war vorliegend insoweit dringlich.
148
Hinsichtlich des Schuljahres 2021/2022 folgt das daraus, dass der Kläger – jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt – aufgrund seiner ausgeprägten Schulverweigerungshaltung trotz verschiedener Hilfemaßnahmen in der Vergangenheit im öffentlichen Schulsystem unbeschulbar war. Das Jugendamt des Beklagten hat am Ende keine Regelbeschulung ggfs. mit ergänzender Hilfe oder eine andere Form der Beschulung mit Ablehnung der weiteren Beschulung in der Web-Individualschule vorgeschlagen, sondern zwingend auf die – zwischen den Beteiligten umstrittene – stationäre Diagnostik und Therapie des Klägers verwiesen (vgl. OVG NW, U.v. 22.8.2014 – 12 A 3019/11 – juris Rn. 81). Er wäre damit nach den bisherigen Erfahrungen ab dem 01.08.2021 auf ungewisse Dauer nicht mehr beschult worden und der (Teil-)Bedarf wäre ungedeckt geblieben, was für die Dringlichkeit spricht (vgl. Meyen in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, § 36a Rn. 45). Angesichts des kurzen Zeitraums zwischen dem Schulbeginn am 01.08.2021 und der Übersendung des 2. Hilfeplans vom 09.07.2021 (ausweislich eines Vermerks versandt am 20.07.2021), in welchem die Fortführung der Beschulung durch die Web-Individualschule abgelehnt wurde, erscheint die Deckung des Bedarfs als zeitlich keinen Aufschub duldend (Buchst. a). Insbesondere wäre zu diesem Zeitpunkt auch eine rechtzeitige Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht hinreichend sicher gewesen. Nach der initialen Selbstbeschaffung für das Schuljahr 2021/2022 hat der Kläger die einschlägigen verwaltungsverfahrens- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe ergriffen (Buchst. b).
149
e) Was die Rechtsfolge des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII betrifft, so ist der Kläger danach so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die (selbst beschaffte) Jugendhilfeleistung, auf die ein Anspruch bestand, rechtzeitig bewilligt worden wäre. Denn in Fällen der vorliegenden Art entspricht der Umfang der nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vom Beklagten zu übernehmenden erforderlichen Aufwendungen dem Betrag, der bei rechtzeitiger Gewährung der Leistung vom Jugendhilfeträger nach den zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zu tragen gewesen wäre (BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 5 C 12.11 – juris Rn. 22 f.; BVerwG, U.v. 9.12.2014 – 5 C 32/13 – juris Rn. 36). Können die Anspruchsteller die erforderliche Hilfe zu diesen Konditionen jedoch selbst nicht beschaffen, so haben sie Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die sie bei rechtmäßigem Handeln des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe erspart hätten (BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 38). Damit bezieht sich der Erstattungsanspruch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII grundsätzlich auf die Aufwendungen, die im Rahmen anderweitiger Selbstbeschaffung tatsächlich entstanden sind. Zu erstatten sind deshalb im Rahmen des § 36a Abs. 3 SGB VIII in der Regel in Anwendung des Rechtsgedankens des § 683 S. 1 i.V.m. § 670 BGB diejenigen Aufwendungen, die der Selbstbeschaffer unter Berücksichtigung der Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln und der Interessen des Jugendhilfeträgers nach Lage der Dinge für erforderlich halten durfte (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 38; OVG NW, U.v. 22.8.2014 – 12 A 3019/11 – juris Rn. 82; VG München, B.v. 21.1.2021 – M 18 E 20.6374 – juris Rn. 85). Dies schließt Luxusaufwendungen aus und aus sachlichen Gründen zu rechtfertigende Mehrausgaben ein. Gegebenenfalls ist eine Deckelung auf das Erforderliche vorzunehmen (BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 38). Unter das Erforderliche fallen namentlich das monatlich an eine Privatschule zu zahlende Schulgeld sowie eine etwaig geleistete Aufnahmegebühr (OVG NW, U.v. 22.8.2014 – 12 A 3019/11 – juris Rn. 84).
150
aa) Für die weiteren Schuljahre 2022/2023, 2023/2024 und 2024/2025 ergibt sich dies übertragen auf den hiesigen Fall folgende Berechnung:

Schuljahr

Jährliches Schulgeld

Anteil Stipendium

Anteil Kläger

2021/2022

10.920,00 EUR

0 EUR

10.920,00 EUR

2022/2023

7.500 EUR

7.500,00 EUR

0,00 EUR

2023/2024

7.500 EUR

7.500,00 EUR

0,00 EUR

2024/2025

7.500 EUR

7.500,00 EUR

0,00 EUR

Summe

33.420,00 EUR

22.250,00 EUR

10.920,00 EUR

151
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Aufwendungen nicht erforderlich waren bzw. ein niedrigerer Betrag anzusetzen ist. Insbesondere wurde durch die Pauschale in Höhe von 7.500,00 EUR das regulär zu entrichtende Schulgeld deutlich unterschritten.
152
bb) Der Ersatzpflicht nach § 36a Abs. 3 SGB VIII des Beklagten steht nicht entgegen, dass das den Kläger betreffende Schulgeld vorläufig vom Förderverein …e.V. geleistet wurde. Der Förderverein hat gegenüber der Web-Individualschule aufgrund deren interner Abrede das Schulgeld für die Jahre 2022/2023 bis 2024/2025 vorgestreckt. Für den Fall, dass der Kläger im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Prozess obsiegt, ist diese Summe letztlich an den Förderverein zurückzuzahlen (vgl. Bl. 263 der Behördenakte). Es kann dahinstehen, ob diese Verpflichtung zur Zahlung an den Förderverein zwischen dem Kläger und der Web-Individualschule oder dem Kläger und dem Förderverein besteht. Schuldner des Schulgeldes blieben hingegen der Kläger bzw. seine Eltern, wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt wurde. Das Schulgeld wurde gerade nicht schuldbefreiend gegenüber dem Beklagten an die Web-Individualschule geleistet.
II.
153
Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
III.
154
Die Kostenfolge folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung den Antrag hinsichtlich der Kostenübernahme für das Schuljahr 2025/2026, also einem der fünf streitgegenständlichen Schuljahre, zurückgenommen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 188 S. 2 VwGO.
IV.
155
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung – ZPO.