Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 19.03.2025 – 101 AR 10/25
Titel:

Verweisungsbeschluß, Gewöhnlicher Aufenthalt, Antragsgegner, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Sofortige Beschwerde, Örtliche Zuständigkeit, Rügelose Einlassung, Örtliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts, Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, Beschlüsse des Amtsgerichts, Zuständigkeitsbestimmung, Fehlende Bindungswirkung, Keine Bindungswirkung, Prozeßbevollmächtigter, Verletzung rechtlichen Gehörs, Ausschließliche Zuständigkeit, Zuständiges Gericht, Gerichtsstandsbestimmung, Amtsgerichte, gewöhnlicher Aufenthaltsort

Schlagworte:
Negativer Kompetenzkonflikt, Örtliche Zuständigkeit, Gewöhnlicher Aufenthalt, Unterhaltsverpflichtung, Verweisungsbeschluss, Rügelose Einlassung, Bindungswirkung
Vorinstanz:
AG Sonthofen vom 20.01.2025 – 1 F 157/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4844

Tenor

1. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Sonthofen vom 20. Januar 2025 entfaltet keine Bindungswirkung.
2. Örtlich zuständig für die weitere Behandlung der Streitsache ist das Amtsgericht Sonthofen, dem es auch vorbehalten bleibt, nach Durchführung der erforderlichen Aufklärung zur örtlichen Zuständigkeit den Rechtsstreit gegebenenfalls an das ausschließlich zuständige Gericht zu verweisen.

Gründe

I.
1
Der im Bezirk das Amtsgerichts Sonthofen wohnhafte Antragsteller ist dem minderjährigen Antragsgegner, dem Kind …, nach der Urkunde der Stadt K. (Allgäu) – Jugendamt – seit dem 1. Januar 2009 zu Unterhaltszahlungen in Höhe von 110% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe verpflichtet. Das Kind lebt bei der allein sorgeberechtigten Mutter.
2
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2024 an das Amtsgericht Sonthofen beantragte der Antragsteller, seine Unterhaltsverpflichtung für die Zeit ab dem 1. Mai 2024 herabzusetzen.
3
Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts führte er aus, der Antragsgegner sei zwar noch an seiner früheren Wohnanschrift in YYY im Bezirk des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen gemeldet, halte sich dort jedoch nicht mehr auf. Vielmehr sei er mit der Mutter bereits Mitte des Jahres 2021 nach Italien verzogen. Eine Adresse sei nicht bekannt. Mindestens seit Mitte März 2024 sei der Antragsgegner an seiner Meldeadresse nicht mehr gesehen worden und stehe das Haus leer. Somit richte sich die Zuständigkeit nach seinem, des Antragstellers, Wohnsitz. Für den Fall, dass sich das Amtsgericht Sonthofen für unzuständig halten sollte, beantragte er die Verweisung an das örtlich zuständige Gericht.
4
Die Zustellung der Antragsschrift erfolgte am 21. Mai 2024 an die vom Antragsteller benannte Prozessbevollmächtigte, mit der bereits die vorgerichtliche Korrespondenz geführt worden war.
5
Der Antragsgegner rügte mit der Antragserwiderung die örtliche Unzuständigkeit des Amtsgerichts Sonthofen und beantragte, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen zu verweisen. Zu seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort macht er keine Angaben. Der Antragsteller beantragte, die Verweisung abzulehnen; der Antragsgegner habe sich während der letzten zwei Jahre in Italien aufgehalten. Zum Nachweis bezog sich der Antragsteller auf einen Beschluss des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 7. April 2022 in der Kindschaftssache betreffend die elterliche Sorge für …, mit dem sein Antrag wegen fehlender internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zurückgewiesen worden war mit der Begründung, das Kind sei mit der Mutter nach Italien verzogen und habe nun dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Er trat Zeugenbeweis dafür an, dass das Haus an der Meldeadresse des Antragsgegners unbewohnt sei, und verwies auf das vorgerichtliche Schreiben vom 29. Mai 2024, in dem der Antragsgegner selbst geltend gemacht habe, dass in Italien derselbe Unterhaltsbedarf bestehe wie in Deutschland.
6
Im Anhörungstermin am 26. Juli 2024, zu dem der Antragsgegner nicht ordnungsgemäß geladen worden war, gab der Antragsteller ergänzend zur Zuständigkeitsfrage an, er sei durch seine Mutter, die in der Nachbarschaft der Meldeadresse des Antragsgegners wohne, darüber informiert, dass jenes Anwesen seit längerem, mindestens seit 15. März 2024, leer stehe. Im Zeitraum Dezember 2023 habe sich der Antragsgegner für zwei bis drei Monate in Deutschland aufgehalten, ohne dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Im weiteren Anhörungstermin am 18. November 2024 erklärte die Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners auf die Mitteilung des Gerichts, dass laut eingeholter Einwohnermeldeamtsauskunft der Antragsgegner nach wie vor in YYY gemeldet sei, an dieser Adresse könnten Schriftstücke zugestellt werden. Der Antragsgegner lasse sich jedoch rügelos ein.
7
Mit Beschluss vom 18. Dezember 2024 wies das Amtsgericht darauf hin, dass die Zuständigkeit in der vorliegenden Sache eine ausschließliche sei, weshalb eine Zuständigkeitsvereinbarung – und (wohl gemeint) eine rügelose Einlassung vor einem unzuständigen Gericht – nicht wirksam möglich seien. Der Antragsteller nahm hierzu unter Verweis auf sein bisheriges Vorbringen und unter Benennung weiterer Zeugen Stellung; eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen bestehe aus den vorgetragenen Gründen nicht. Der gewöhnliche Aufenthalt des Antragsgegners sei nicht mehr in Deutschland. Das Haus an der Meldeadresse sei mittlerweile sogar leerstehend veräußert worden. Der Antragsgegner habe nicht bestritten, dass er sich überwiegend in Italien aufhalte. Der Antragsgegner erwiderte hierzu, sein gewöhnlicher Aufenthalt habe sich im Zeitpunkt der Zustellung Anfang 2024 „unstreitig“ in Z. (Ortsteil von YYY) befunden. Er verwies hierfür auf den Vortrag des Antragstellers, wonach dessen Mutter den Antragsgegner im Januar 2024 dort getroffen habe. Der Antragstellervortrag gehe von einem gewöhnlichen Aufenthalt bis mindestens Februar aus. Ausweislich einer bereits vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 11. März 2024 habe sich der Antragsgegner an diesem Tag in einer Arztpraxis in Deutschland vorgestellt, habe sich also noch nicht im Ausland aufgehalten. Die den Antragsgegner im Verfahren vertretende Rechtsanwältin versicherte zudem, dass sie am 13. März 2024 ausführlich mit dem Antragsgegner in ihren Büroräumen (in YYY) habe sprechen können. Eine Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts trete erst dann ein, wenn sich der Mittelpunkt des tatsächlichen Lebens dauerhaft ändere; erforderlich sei eine Aufenthaltsdauer von mindestens sechs Monaten am neuen Ort. Zum Zeitpunkt der Zustellung habe sich der Antragsgegner nicht dauerhaft in Italien aufgehalten. Der Antragsteller widersprach einer solchen Interpretation seines Vortrags. Die Mutter des Kindes sei mit diesem sowie ihrem Ehemann und den weiteren Kindern bereits im Jahr 2021 nach Italien ausgewandert. Der vorübergehende Aufenthalt von Dezember 2023 bis maximal Mitte März 2024 in Z. habe dort keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.
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Mit Beschluss vom 20. Januar 2025 erklärte sich das Amtsgericht Sonthofen für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren von Amts wegen an das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen. Ausschließlich zuständig sei das Gericht, in dessen Bezirk das Kind oder der Elternteil, der auf Seiten des minderjährigen Kindes zu handeln befugt sei, im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Dieser liege im Bezirk desjenigen Familiengerichts, an welches das Verfahren verwiesen werde. Auf den Antrag der Antragstellerseite habe sich das angerufene Gericht für unzuständig zu erklären und das Verfahren an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen.
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Der Antragsteller wandte sich gegen den Verweisungsbeschluss mit einer sofortigen Beschwerde.
10
Das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen hörte die Beteiligten zu seinen Bedenken gegen die Verweisung an. Es sei überhaupt nicht aufgeklärt, ob der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk dieses Gerichts habe. Aus den Ausführungen des Antragsgegners ergebe sich solches jedenfalls nicht.
11
Mit Beschluss vom 30. Januar 2025 erklärte sich das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen für örtlich unzuständig und legte die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Die Verweisung entbehre jeder Grundlage, zumal nicht aufgeklärt sei, ob der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Empfangsgerichts habe. Die gerichtliche Auflage vom 26. Juni 2024, den Wohnort mitzuteilen, habe der Antragsgegner nicht erfüllt. Nach dem Vortrag des Antragstellers bestehe der gewöhnliche Aufenthalt seit 2021 in Italien.
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Die Parteien haben im Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Der Antragsteller hat sich inhaltlich den Ausführungen des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen angeschlossen und auf die Begründung seiner sofortigen Beschwerde Bezug genommen; der Antragsgegner hat sich nicht geäußert. Das Amtsgericht Sonthofen hat auf gerichtliche Anfrage mitgeteilt, dass keine Entscheidung über die sofortige Beschwerde ergangen sei und eine Vorlage an das übergeordnete Beschwerdegericht nicht erfolge, weil davon ausgegangen werde, dass das zuständige Gericht im hier vorliegenden Verfahren bestimmt werde.
II.
13
Auf die zulässige Vorlage des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen ist die fehlende Bindungswirkung des ergangenen Verweisungsbeschlusses auszusprechen. Da der Sach- und Streitstand dem Bayerischen Obersten Landesgericht keine ausreichende Grundlage für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts bietet, ist die Sache an das Amtsgericht Sonthofen zur weiteren Bearbeitung der Streitsache zurückzugeben, verbunden mit dem Zusatz, dass das Amtsgericht dadurch an einer Verweisung nicht gehindert ist, falls sich auf der Grundlage des Parteivorbringens und des Ergebnisses der erforderlichen Sachverhaltsklärung die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts und die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts am – noch zu klärenden – inländischen Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragsgegners im Zeitpunkt der Antragszustellung ergibt.
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1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i. V. m. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO liegen grundsätzlich vor.
15
Das Amtsgericht Sonthofen hat sich in der vorliegenden Familienstreitsache im Sinne von § 111 Nr. 8, § 112 Nr. 1, § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG nach Rechtshängigkeit durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 20. Januar 2025 für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 30. Januar 2025. Beide Beschlüsse sind den Beteiligten bekanntgegeben worden. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.).
16
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Verweisungsbeschluss steht dessen Beurteilung als rechtskräftige Entscheidung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht entgegen. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i. V. m. § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist der Beschluss, mit dem sich ein Gericht für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das für zuständig erachtete Gericht verweist, unanfechtbar. Deshalb ist die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Sonthofen zweifellos nicht statthaft. Die Einlegung eines nicht statthaften Rechtsmittels hindert die formelle Rechtskraft der Entscheidung nicht. Es bedarf daher keiner Entscheidung des Beschwerdegerichts, um das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO herbeizuführen.
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Zuständig für die Entscheidung ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Amtsgerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Oberlandesgerichte (München und Naumburg) gehören, daher das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist (vgl. zu Familienstreitsachen BayObLG, Beschluss vom 15. Mai 2019, 1 AR 35/19, juris Rn. 8) und ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.
18
2. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann in der Streitsache nicht erfolgen, weil der Verweisungsbeschluss keine verfahrensrechtliche Bindungswirkung erzeugt und die Tatsachen zur Bestimmung des für den Rechtsstreit zuständigen Gerichts noch nicht ermittelt sind.
19
a) Im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Kompetenzstreit in der Weise zu entscheiden, dass das für den Rechtsstreit tatsächlich zuständige Gericht bestimmt wird; eine Auswahlmöglichkeit oder ein Ermessen bestehen nicht (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1970, 2 BvR 48/70, BVerfGE 29, 45 [juris Rn. 19]; BGH, Beschluss vom 14. Februar 1995, X ARZ 35/95, juris Rn. 3; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 24. Aufl. 2024, § 36 Rn. 81).
20
Bei der Entscheidung sind die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften und eingetretene verfahrensrechtliche Bindungswirkungen sowie Zuständigkeitsverfestigungen nach dem Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) zu beachten (Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 38; Toussaint in BeckOK ZPO, 55. Ed. Stand: 1. Dezember 2024, § 36 Rn. 43 f.; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 36 Rn. 31; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 36 Rn. 81).
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b) Das nach dem Gesetz für die Streitsache zuständige Gericht kann derzeit nicht bestimmt werden, weil zunächst weitere Tatsachenfeststellungen getroffen werden müssen. Die Sache wird daher an das Amtsgericht Sonthofen zurückgegeben, das dadurch nicht daran gehindert ist, nach Einholung ergänzenden Sachvortrags der Beteiligten und gegebenenfalls nach Beweisaufnahme über streitige, für die Zuständigkeit erhebliche Umstände im Fall eigener Unzuständigkeit den Rechtsstreit auf der Grundlage eines entsprechenden Verweisungsantrags des Antragstellers an das zuständige Gericht zu verweisen. In der gegebenen Verfahrenslage sind lediglich das Fehlen einer Bindungswirkung des ergangenen Verweisungsbeschlusses und die Zuständigkeit des Amtsgerichts Sonthofen für die Durchführung der zur Klärung der Zuständigkeitsfrage erforderlichen Tatsachenfeststellungen auszusprechen.
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aa) Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen folgt nicht schon aus dem Verweisungsbeschluss vom 20. Januar 2025, weil dieser Beschluss ausnahmsweise nicht bindet.
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(1) Zwar sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i. V. m. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an welches verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Jedoch entfällt die Bindungswirkung dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 144/19, juris Rn. 84; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16 f.; jeweils m. w. N.).
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Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das erkennende Gericht, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschl. v. 13. Februar 2019, 2 BvR 633/16, juris Rn. 23). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfG, Urt. v. 8. Juli 1997, 1 BvR 1621/94, BVerfGE 96, 205 [juris Rn. 44]; BGH, Beschluss vom 20. Februar 2025, V ZR 77/23, juris Rn. 4). Geht aber das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt das Schweigen darauf schließen, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2024, 1 BvR 1790/22, juris Rn. 9; Beschluss vom 18. Juli 2024, 1 BvR 1314/23, WM 2024, 1764 Rn. 20 f.; Beschluss vom 19. Mai 1992, 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 [juris Rn. 39]; BGH, Beschluss vom 17. September 2024, XI ZR 130/23, BKR 2025, 133 Rn. 9).
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(2) Nach diesem Maßstab ist der Verweisungsbeschluss unter Verletzung des Anspruchs des Antragstellers auf rechtliches Gehör ergangen und bindet deshalb nicht.
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Das Amtsgericht hat die Verweisung darauf gestützt, dass der gewöhnliche Aufenthalt des unterhaltsberechtigten Kindes im Bezirk des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen liege, ohne sich mit den Tatsachenbehauptungen des Antragstellers zu befassen, mit denen er einen gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners an seiner Meldeanschrift in Abrede gestellt und hierfür Beweis angetreten hatte. Mit keinem Wort hat das verweisende Gericht das umfangreiche Vorbringen des Antragstellers zu dieser von Amts wegen zu prüfenden Frage bewertet. Zwar ist – wie der Antragsgegner insoweit zutreffend betont – auf den Zeitpunkt der Antragszustellung abzustellen. Der Antragsteller hatte aber eine Umsiedlung des Antragsgegners nach Italien bereits im Jahr 2021 behauptet, wobei vorübergehende Aufenthalte in Deutschland – etwa für Arztbesuche – am Lebensmittelpunkt in Italien nichts änderten. Dieses Vorbringen hat das verweisende Gericht ebenso wenig erwogen wie die übrigen Umstände, aus denen der Antragsteller den Schluss gezogen hatte, dass der Antragsgegner bereits seit mehreren Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Italien habe.
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(3) Die Verletzung des in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Gebots stellt einen so schwerwiegenden Mangel des Verweisungsbeschlusses dar, dass ihm die Bindungswirkung im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO abzuerkennen ist (BGH, Beschluss vom 15. März 1978, IV ARZ 17/78, BGHZ 71, 69 [juris Rn. 4]). Einer Feststellung, dass die Verweisung bei ordnungsgemäßer Anhörung beider Parteien möglicherweise unterblieben wäre, bedarf es nicht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Oktober 2022, 102 AR 80/22, NJW-RR 2023, 68 [juris Rn. 18] m. w. N.; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 17a; Thole in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 281 Rn. 58).
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bb) Zur Durchführung der ausstehenden Aufklärung über die diejenigen Tatsachen, die für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit maßgeblich sind, ist die Sache an das Ausgangsgericht zurückzugeben.
29
Das Gericht, bei dem eine Sache rechtshängig ist, hat die Frage seiner Zuständigkeit stets von Amts wegen zu prüfen und dabei nicht nur die zur Begründung seiner Zuständigkeit vorgetragenen Umstände von Amts wegen zu würdigen, sondern gegebenenfalls auch nicht vorgetragene, für die Zuständigkeit relevante Umstände aufzuklären (vgl. BGH, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 12; Beschluss vom 13. Dezember 2005, X ARZ 223/05, NJW 2006, 847 Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 26. Juli 2022, 102 AR 65/22, juris Rn. 27; Beschluss vom 15. September 2020, 101 AR 101/20, juris Rn. 39; Beschluss vom 12. April 1994, 1Z AR 13/94, juris Leitsatz 1 und Rn. 10).
30
Das ist bislang nicht geschehen.
31
Der Antragsteller hat zwar umfangreich Tatsachen vorgetragen, um einen gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners in Italien darzulegen. Gemäß Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18. Dezember 2008 (EuUnthVO), der innerhalb seines Anwendungsbereichs § 232 Abs. 3 Nr. 3 FamFG als nationales Recht verdrängt (vgl. Wurmnest in beckOGK, Stand: 1. Juli 2024, EU-UnterhaltsVO Art. 3 Rn. 9), bestünde danach in Deutschland keine internationale Zuständigkeit für die begehrte Entscheidung. International und örtlich zuständig wäre vielmehr nach Art. 3 Buchst. a) und b) EuUnthVO das für den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Antragsgegners in Italien zuständige Gericht (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 6. Juli 2023, 102 AR 135/23, juris Rn. 38). Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Amtsgerichts Sonthofen wäre allerdings gemäß Art. 5 EuUnthVO durch die am 18. November 2024 abgegebene Erklärung zur rügelosen Einlassung begründet worden (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 6. Juli 2023, 102 AR 135/23, juris Rn. 39).
32
Der Antragsgegner hat sich jedoch zu seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort noch nicht mit Tatsachenvortrag geäußert. Auch zu dem Tatsachenvorbringen des Antragstellers hat er bislang nicht konkret Stellung genommen. Er hat lediglich das Tatsachenvorbringen des Antragstellers lückenhaft und dadurch rechtlich fehlerhaft gewürdigt. Zudem hat er mit der Erklärung, dass das angerufene Gericht örtlich nicht zuständig sei, er sich aber rügelos einlasse, nicht das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers eingeräumt. Nach wie vor steht seine Antwort auf die Anfrage des Amtsgerichts Sonthofen vom 26. Juni 2024 aus, den Wohnort mitzuteilen. Dass die Meldeanschrift in der vorliegenden Situation kein hinreichendes Indiz für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts an jenem Ort bietet, liegt auf der Hand. Deshalb kann die Frage noch nicht beantwortet werden, ob der gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers im Zeitpunkt der Zustellung im In- oder (europäischen) Ausland gelegen hatte, wenngleich angesichts der ausweichenden Einlassung des Antragsgegners vieles dafür sprechen dürfte, dass er jedenfalls an seiner Meldeanschrift bereits zu diesem Zeitpunkt wohl keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr unterhielt. Sollte sich herausstellen, dass sich der Antragsgegner weiterhin nicht substantiiert zu den tatsächlichen Umständen seines gewöhnlichen Aufenthalts äußert, die das Streitgericht in rechtlicher Hinsicht zu würdigen hätte, könnte die diesbezügliche Darstellung des Antragstellers als zugestanden zu behandeln sein.
33
Die am 18. November 2024 erklärte rügelose Einlassung konnte die Zuständigkeit des Amtsgerichts Sonthofen nur dann begründen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 9. Juni 2021, 101 AR 46/21, NJW-RR 2021, 1000 [juris Rn. 31]), wenn kein inländischer ausschließlicher Gerichtsstand besteht, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i. V. m. § 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO, Art. 5 EuUnthVO.
34
Tatsachenermittlungen zur Feststellung des zuständigen Gerichts fallen nicht in die Zuständigkeit des anstelle des Bundesgerichtshofs (§ 36 Abs. 2 ZPO) mit Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO befassten Gerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 1996, XII ARZ 7/96, juris Rn. 6; Beschluss vom 14. Februar 1995, X ARZ 35/95, juris Rn. 5; Beschluss vom 10. August 1984, X ARZ 689/94, juris Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 20. April 2023, 101 AR 15/23, juris Rn. 35; Beschluss vom 15. September 2020, 101 AR 101/20, juris Rn. 23; Beschluss vom 1. April 1999, 1Z AR 34/99, NJW-RR 2000, 1311 [juris Rn. 12]; OLG Köln, Beschluss vom 10. März 2004, 5 W 8/04, juris Rn. 4; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 38).