Inhalt

OLG München, Beschluss v. 20.01.2025 – 14 U 2456/24 e
Titel:

Ausländisches Insolvenzverfahren, Ausländisches Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter, Ordre public, Streithelfer, Nebenintervenient, Verweigerung von Akteneinsicht, Verweigerung der Akteneinsicht, Kostenentscheidung, Gegenerklärung, Lebensmittelpunkt, Erfolgsaussichten der Berufung, Kosten des Berufungsverfahrens, Insolvenzakte, Zwischenurteil, Kosten der Nebenintervention, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Arrestverfahren, Sekundärinsolvenz, Streitwert

Leitsätze:
1. Die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens ist anzuerkennen, auch wenn die Insolvenz durch falsche Angaben oder kriminelle Handlungen herbeigeführt wurde.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Die faktische Verzögerung der Akteneinsicht im ausländischen Insolvenzverfahren widerspricht jedenfalls nicht dem deutschen ordre public, solange die Klägerin nicht gleichsam aus dem Verfahren ausgesperrt sei.  (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zuständigkeit des irischen Insolvenzgerichts ist nicht vom deutschen Gericht zu überprüfen, solange das irische Insolvenzgerichts geeignet ist, die relevanten Verhältnisse aufzuklären. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszurückweisung, Insolvenzverfahren, Ordre-public-Klausel, Insolvenztourismus, Akteneinsicht, Zuständigkeit
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 30.10.2024 – 14 U 2456/24 e
LG Augsburg, Urteil vom 12.06.2024 – 2 HK O 2503/21
Fundstellen:
FDInsR 2025, 004541
BeckRS 2025, 4541

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12.06.2024, Aktenzeichen 2 HK O 2503/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Kosten der Nebenintervention im Berufungsverfahren trägt der jeweilige Streithelfer selbst.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 93.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12.06.2024, Aktenzeichen 2 HK O 2503/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen, ebenso zur Bezeichnung der Berufungsanträge: Sie sind dort referiert.
II.
3
Auch die Ausführungen in den Gegenerklärungen geben zu einer Änderung keinen Anlass.
1. (zur Gegenerklärung der Klägerin):
4
1.1 Die Gegenerklärung der Klägerin bringt vor:
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Die Eröffnung des irischen Insolvenzverfahrens sei nicht anzuerkennen, weil sie Ergebnis einer Straftat sei, nämlich deswegen, weil die Beklagte zuvor Vermögenswerte ins Ausland geschafft und die liechtensteinische GmbH als Bankrottvehikel benutzt habe, weshalb das Landgericht Augsburg ja auch einen Arrest über 600.000 € bestätigt habe (BK 1).
6
Bezüglich Akteneinsicht habe das irische Insolvenzgericht erst nicht reagiert, dann die Klägerin an den Insolvenzverwalter verwiesen. Mit letzterem habe Klägerin (durch den Streithelfer …) eine persönliche Unterredung am 17.10.2024 gehabt. Der Insolvenzverwalter habe einerseits bekundet, auch ihm liege „die vollständige Akte überhaupt nicht vor“, andererseits habe er der Klägerin einen Teil daraus überlassen, nämlich eine – falsche – eidliche Versicherung der Beklagten über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse. Bis heute habe die Klägerin die irische Insolvenzakte nicht bekommen und nicht prüfen können, welche Angaben die Beklagte zur Verlegung ihres Lebensmittelpunktes nach Irland gemacht habe und wie sie diese belegt hat. In Deutschland wäre die faktische Verweigerung von Akteneinsicht „evident rechtswidrig“, gemessen an § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO.
7
Die Beklagte habe dem irischen Insolvenzgericht unter Eid falsche Angaben gemacht, nämlich ihr Beteiligung an der … GmbH verschwiegen, ferner eine Leibrentenzahlung, die ihr von der … GmbH zufließe mit monatlich 417,- € (und stattdessen nur die weitere, gleich hohe Leibrente von der … Stiftung) angegeben. Auch seien die Angaben der Beklagten gegenüber dem irischen Insolvenzgericht nicht in Übereinstimmung zu bringen mit solchen, die sie dem deutschen Insolvenzgericht gegenüber machte: Die Beklagte erfinde in Irland unbelegte Steuerschulden in auffällig runder Höhe von „422.000 €“, die sie in Deutschland zutreffend und vehement verneine. Oder: Die 422.000 € ergäben sich dann, wenn die Beklagte eine Rückstellung von 900.000 € auflöse, die sie gegenüber dem Finanzamt in dieser Höhe gebildet haben müsse, was dann wieder dafür spreche, dass sie als Ergebnis des Prozesses „M. I“ durch Vergleich mit dem Prinzipal eben doch wesentlich mehr als die eingeräumten und vom Prinzipal bestätigten 2 Mio. € erhalten habe – oder der Mehrbetrag von anderen Unternehmen aus dem Konzern des Prinzipals aufgebracht worden sein könne.
8
Die Beklagte sei als Insolvenztouristin erkennbar (im einzelnen GgErkl S. 13/16), indem sie mit professioneller Unterstützung durch kommerzielles Auslandsinsolvenz-Coaching einen Lebensmittelpunkt in Irland vortäusche. Eine vollständige Einsicht in die irische Insolvenzakte werde diesen Befund stützen.
9
Mit einem Wort: Das irische Insolvenzverfahren gebe es nur deshalb, weil die Beklagte es kriminell herbeiführe. Darum dürfe es „ein ordentliches Verfahren hier [in Deutschland] nicht verhindern/unterbrechen“.
10
Hilfsweise solle der Senat der Beklagten oder dem irischen Insolvenzverwalter nach § 142 ZPO die Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen nebst Anlagen aufgeben, bevor er über die Berufung entscheide.
11
1.2 Das verfängt nicht:
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Die Eröffnung des irischen Insolvenzverfahrens ist als solche anzuerkennen, und zwar auch dann, wenn die Beklagte ihre Insolvenz nur fälschlich behauptet und/oder dadurch herbeigeführt hat, dass sie zuvor Vermögenswerte ins Ausland geschafft, insbesondere die … GmbH als „Bankrottvehikel“ benutzt hat (Stichwort „Arrestverfahren“).
13
Dass das irische Insolvenzgericht der Klägerin bisher weder selbst noch über den Insolvenzverwalter Einsicht in die vollständige Insolvenzakte gewährt hat, führt, auch im Vergleich zu §§ 4 InsO, 299 Abs. 1 ZPO, nicht zur Annahme, dass bereits die Eröffnung des irischen Insolvenzverfahrens dem deutschen ordre public widersprochen habe. Dies gilt schon deshalb, weil auch unter der Geltung von §§ 4 InsO, 299 Abs. 1 ZPO sich Akteneinsichten faktisch verzögern können, namentlich wenn Aktenbestandteile bei verschiedenen Stellen entstehen oder/und bearbeitet werden.
14
Gegen die ordre-public-Widrigkeit jeglichen irischen Insolvenzverfahrens im Ganzen spricht umgekehrt, dass der irische Insolvenzverwalter mit der Klägerin (über den Streithelfer) persönlich Kontakt hatte und ihr Auskünfte gab und Unterlagen überließ. Das erweckt nicht den Anschein, als ob die Klägerin aus dem irischen Insolvenzverfahren gleichsam „ausgesperrt“ würde.
15
Ob die Beklagte bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Irland ihren Lebensmittelpunkt hatte, betrifft die Zuständigkeit des irischen Insolvenzgerichts und ist daher vom Landgericht nicht zu überprüfen gewesen (vgl. vorangegangener Senatshinweis Seite 9/10 = Blatt 46/47 BerA). War für die Frage der Eröffnung (um die es hier geht) der Lebensmittelpunkt in Irland anzunehmen, so ist hiervon die Frage zu trennen, ob dieser Lebensmittelpunkt in der Folgezeit aufrechterhalten wird – wogegen es sprechen mag, wenn die Beklagte ihre postalische Erreichbarkeit in Irland nur mit einem Post-Digitalisierungs-Dienst aufrechterhalten haben sollte (GgErkl. S. 15/16). Davon können in vorstellbarer Weise weitere Rechtsfolgen abhängen, die nach der Eröffnung zu entscheiden sein mögen, ohne dass damit die Eröffnungsentscheidung als solche nachträglich in Frage gestellt wird.
16
Soweit die Klägerin eidliche Falschangaben der Beklagten gegenüber dem irischen Insolvenzgericht anführt, kritisiert sie damit nicht das irische Insolvenzverfahren, sondern sie kritisiert das Verhalten der Beklagten, ohne dass Anzeichen dafür bestünden, dass das irische Verfahren ungeeignet wäre, deren relevante Verhältnisse aufzuklären. Daher bleibt anzuerkennen, dass ein irisches Insolvenzverfahren, auch wenn es das Vermögen einer noch so kriminell gesinnten Person beträfe, grundsätzlich auch ein „ordentliches Verfahren“ in Deutschland unterbricht.
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Anlass, der Beklagten oder dem irischen Insolvenzverwalter nach § 142 ZPO die Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen nebst Anlagen aufzugeben, sieht der Senat nicht. Denn zum einen betrifft die Aufklärung, welche die Klägerin damit ermöglichen will, die Zuständigkeit des irischen Gerichts (Stichwort: „Lebensmittelpunkt zur Zeit der Eröffnung“), zum anderen ist nicht ersichtlich, dass das irische Gericht die Akteneinsicht endgültig verweigert hätte.
2. (zur Gegenerklärung des Streithelfers)
18
2.1 Die Gegenerklärung des Nebenintervenienten … bringt vor:
19
Es könne bewiesen werden, dass die Beklagte vom Prinzipal 3,1 Mio. € erhielt, weshalb sie dem Kläger als anteiliges Honorar hieraus 330.000 € mehr schulde als bisher vom Landgericht ausgeurteilt. Das sei im Wege mehrerer Rückrechnungsschritte anhand derjenigen eidesstattlichen Versicherung anzunehmen, welche die Beklagte im irischen Insolvenzverfahren abgegeben hat. Darin verschweige sie ferner ihren Geschäftsanteil an der … GmbH in Liechtenstein. Daher verstoße bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den deutschen ordre public.
20
Dem deutschen Sekundär-Insolvenz-Eröffnungs-Verfahren entziehe sich die Beklagte mit einer vorgeschobenen Krankschreibung. Somit hätten sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz und nach dem vorangegangenen Hinweis des Senats neue Tatsachen ergeben, die dafür sprächen, „der Berufung deutliche bessere Erfolgsaussichten beizumessen“, als es der Senat bisher getan habe.
21
2.2 Das verfängt nicht.
22
Lassen sich, wie vom Nebenintervenienten behauptet, anhand des irischen Insolvenzverfahrens Umstände herausarbeiten, die die Beklagte des Betrugs überführen und eine weitere Forderung des Klägers stützen, so erweist sich das irische Insolvenzverfahren darin nicht als generisch untauglich zur Klärung der insolvenzrelevanten Umstände; hierhin gehören die in den Gegenerklärungen berichteten bisherigen Erfahrungen der Klägerin mit dem irischen Insolvenzverwalter. Auch diese sprechen jedenfalls nicht (insbesondere nicht ex post) dagegen, diese Eröffnung des irischen Insolvenzverfahrens anzuerkennen.
23
Denn es bleibt dabei, dass nicht ersichtlich wird, warum das irische Insolvenzverfahren generisch unvereinbar sein sollte mit der verfassungsmäßigen Ordnung Deutschlands oder aus welchen sonstigen Gründen bereits die Eröffnung des irischen Insolvenzverfahrens dem deutschen ordre public widerstritte – und nur darum kann es vorliegend gehen.
24
Auch aus sonstigem Verhalten der Beklagten (etwa im deutschen Sekundär-Verfahren) ergibt sich nichts anderes.
25
Nach alledem sieht der Senat unverändert keine Erfolgsaussichten der Berufung.
III. 
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, für die Nebenintervenienten zusätzlich auf § 101 Abs. 1 ZPO.
27
Ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils (§ 708 Nr. 10 ZPO) unterbleibt, weil das angegriffene Zwischenurteil keinen vollstreckbaren Inhalt (insbesondere keine eigene Kostenentscheidung) hat.
28
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.
29
Ausgehend davon, dass die Berufung sich zum Ziel setzt, das Zwischenurteil zu beseitigen, damit eine überschießende (noch nicht ausgeurteilte) Forderung von 330.000 € verfolgt werden kann und die bereits landgerichtlich ausgeurteilten Ansprüche durchgesetzt werden können, ist das Interesse im Ausgangspunkt (unter rundender Einbeziehung aller Anträge) mit 930.000 € zu bemessen. Davon ist Betrag eine Quote von 10% anzusetzen, da es lediglich um ein Zwischen- (nicht End-) Urteil geht.