Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 20.03.2025 – 8 O 4305/24
Titel:

Rechtsanwaltsgebühren, Fahrstreifenwechsel, Informatorische Anhörung, Gesamtschuldnerische, Elektronisches Dokument, Klagezustellung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Betriebsgefahr, Prozeßbevollmächtigter, Gutachterkosten, Gegenstandswert, Wertminderung, Elektronischer Rechtsverkehr, Netto-Reparaturkosten, Verbringungskosten, Klageabweisung, Streitwert, Gerichtlich bestellter Sachverständiger, Schadensersatzpflicht, Vorgerichtliche Anwaltskosten

Schlagworte:
Schadensersatz, Haftungsquote, Fahrstreifenwechsel, Verkehrsunfall, Beweisaufnahme, Gesamtschuldnerische Haftung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4535

Tenor

1. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger gesamtschuldnerisch 7.919,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 28.09.2023 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger gesamtschuldnerisch 800,39 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31.07.2024 zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch 80 % aller weiteren Schäden aus dem streitgegenständlichen Kfz-Unfall vom 16.08.2023 zu erstatten haben.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 23 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch 77 %.   
Das Urteil vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 12.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, welcher sich am ... 08.2023 auf der A 73 im Bereich der Anschlussstelle Erlangen ereignete.
2
Am Unfalltag gegen 13:10 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw Opel Astra 1.6 d (amtliches Kennzeichen: …) die A 73 in Fahrtrichtung Suhl. Beifahrerin im Pkw war die Ehefrau des Klägers, die Zeugin T.H. Zum selben Zeitpunkt befuhr der Beklagte zu 2) mit der auf die Beklagte zu 1) zugelassenen Scania Zugmaschine (amtliches Kennzeichen: YYY) mit Anhänger (amtliches Kennzeichen: Z-JN 274), welche bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert war die A73 in gleicher Fahrtrichtung. Dabei kam es zu einer Streifkollision der Fahrzeuge. Unstreitig war zuletzt, dass die Kollision bei einem Fahrstreifenwechsel des Beklagtenfahrzeuges vom linken Fahrstreifen auf den mittleren Fahrstreifen erfolgte. Die diesbezüglichen Einzelheiten sind jedoch streitig (siehe hierzu sogleich). In der Folge gab der Kläger beim Ingenieurbüro für Kfz-Technik ein Schadensgutachten in Auftrag, welches unten dem 23.08.2023 erstattet wurde. Darin wurden Netto-Reparaturkosten in Höhe von 8.449,42 € und eine Wertminderung von 400,00 € ermittelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K3 umfassend Bezug genommen. Für die Erstattung des Gutachtens stellte der Sachverständige dem Kläger einen Betrag in Höhe von 1.349,22 € brutto in Rechnung (Anlage K2).
3
Der Kläger behauptet im Wesentlichen, dass das Beklagtenfahrzeug die Spur gewechselt habe, als er sich auf dessen Höhe befunden habe. Der Spurwechsel sei in etwa gleichzeitig mit dem Blinkersetzen erfolgt, sodass der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, den Unfall zu verhindern. Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung vor Gericht gab der Kläger an, dass das Beklagtenfahrzeug – kurz nachdem es den Blinker betätigt habe – nach rechts gezogen sei. Der Kläger habe dann versucht, „nach vorne weg zu kommen, weil dort noch etwas Luft“ gewesen sei. Der Kläger meint, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch vollumfänglich für seinen entstandenen Schaden hafteten Neben den Netto-Reparaturkosten, der Wertminderung sowie den Brutto-Gutachterkosten könne er noch pauschalierte Unkosten in Höhe von 25,00 € verlangen. Der Kläger beantragte daher:
1. Die Beklagten wird verurteilt, an den Kläger 10.223,64 € nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 28.09.2023 zu bezahlen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1054,10 € nebst 5% Zinsen hieraus seit Klageerhebung.
2. Es wird festgestellt, dass Beklagten samt verbindlich alle weiteren Schäden aus dem Kfz-, Unfall vom 16.08.2023 zu erstatten haben.
4
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
5
Sie behaupten im Wesentlichen, der Spurwechsel sei rechtzeitig angekündigt worden. Vor der Lenkbewegung nach rechts habe sich der Beklagte zu 2) durch einen nochmaligen Blick in den Spiegel davon überzeugt, dass rechts frei sei. Unfallursächlich sei letztlich gewesen, dass der Kläger sich sehr schnell von hinten angenähert habe.
6
Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen umfassend Bezug genommen.
7
Das Gericht hat den Kläger sowie den Beklagten zu 2) informatorisch im Termin vom 13.02.2025 angehört. Die Ausführungen des Beklagten 2) im Rahmen seiner informatorischen Anhörungen, die im Widerspruch mit den ursprünglichen Angaben im Rahmen der Klageerwiderung standen, machten sich die Beklagten insgesamt zu eigen. Ferner wurde im selben Termin die Ehefrau des Klägers T.H. uneidlich als Zeugin vernommen. Schließlich erstattete der gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) S. K. im Termin ein mündliches Gutachten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll sowie die Anlagen zum Protokoll umfassend Bezug genommen

Entscheidungsgründe

I.
8
Die zulässige Klage ist weitgehend begründet. Der Kläger kann Schadensersatz auf Grundlage einer 80%-igen Haftungsquote ersetzt verlangen. Einzelne Schadens-Positionen waren zu kürzen.
Im Einzelnen:
9
1. Aufgrund des teilweise übereinstimmenden Sachvortrags sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht der nachstehende Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts fest: Am Unfalltag befuhr der Kläger mit seinem Opel Astra die mittlere Fahrspur der A 73 in Fahrtrichtung Suhl. Der Beklagte zu 2) befuhr mit seinem Lkw und Anhänger zeitgleich die linke Fahrspur der A 73 in dieselbe Fahrtrichtung. Auf Höhe der Anschlussstelle Erlangen kam es zu einem Fahrspurwechsel des Beklagten-Lkw. Dieser erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich die beiden Fahrzeuge ungefähr auf gleicher Höhe befanden. Der Kläger bemerkte die Absicht des Beklagten zu 2), den Fahrstreifen zu wechseln, weil der Beklagte zu 2) zuvor den rechten Blinker betätigte. Anstatt eine Bremsung einzuleiten, beschleunigte der Kläger seinen Pkw. Hierdurch konnte eine Kollision jedoch nicht mehr verhindert werden. Am Klägerfahrzeug entstand ein Fahrzeugschaden, der Reparaturkosten in Höhe von 8.115,28 € netto auslösen würde. Ferner trat an dem Fahrzeug eine Wertminderung von 400,00 € ein. Der Kläger ließ den Schaden außergerichtlich begutachten, wodurch Gutachterkosten in Höhe von 1.349,22 € brutto entstanden.
10
2. Das Gericht stützt sich auf die zuletzt weitgehend übereinstimmenden Parteivorträge. Zunächst hatte der Beklagte zu 2) seinen Prozessbevollmächtigten noch vortragen lassen, der Unfall sei durch einen Spurwechsel des Klägerfahrzeuges verursacht worden. Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung im Termin räumte er jedoch ein, selbst den Spurwechsel vorgenommen zu haben. Dass der Beklagte zu 2) vor dem Spurwechsel den Blinker betätigt hatte, wurde klägerseits bestätigt. Dem Vortrag des Beklagten zu 2), wonach der Spurwechsel erst etwa 15 Sekunden nach Betätigung des Blinkers eingesetzt habe und verantwortlich für das Unfallgeschehen letztlich das schnelle Heranfahren des Klägerfahrzeuges von hinten gewesen sei, folgt das Gericht hingegen nicht. So konnte der gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) S. K., der dem Gericht seit Jahren als zuverlässiger und kompetenter Experte im Bereich der Unfallrekonstruktion und Fahrzeugbewertung bekannt ist, ausschließen, dass das Klägerfahrzeug im Moment des Anstoßes mit einer deutlich höheren Geschwindigkeit rechts an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren ist. Auch die Zeugin H. gab nicht an, dass zwischen dem Einsetzen des Blinkers und dem Rüberziehen ein längerer zeitlicher Abstand bestanden habe. Dass der Kläger auf das Blinken des Beklagtenfahrzeuges mit Gasgeben reagiert hatte, räumte der Kläger selbst ein. Letzteres wurde auch von der Ehefrau des Klägers sowie dem Ergebnis der sachverständigen Begutachtung bestätigt.
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3. Aufgrund einer vorzunehmenden Gesamtbewertung sämtlicher unstreitiger und festgestellter Umstände haften die Beklagte gesamtschuldnerisch zu 80% für die dem Kläger entstandenen Schäden.
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Zu berücksichtigen war dabei insbesondere, dass der Beklagte zu 2) den Fahrstreifenwechsel nicht rechtzeitig angekündigt und damit gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen hat.
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Auf der anderen Seite war zu sehen, dass der Kläger inadäquat auf die konkrete Situation reagiert hat: Anstatt eine Gefahrenbremsung einzuleiten, beschleunigte er seinen Pkw. Auch wenn aufgrund fehlender Anknüpfungstatsachen nicht mit Sicherheit hat festgestellt werden können, ob eine solche Gefahrenbremsung den Unfall letztlich verhindert hätte – der Sachverständige hat insofern lediglich feststellen können, dass nicht ausgeschlossen sei, dass der Kläger die Kollision durch eine starke Verzögerung hätte vermeiden können – ist das konkrete Fahrverhalten des Klägers als abstrakt gefährlich anzusehen: Im vorderen Bereich eines auf eine benachbarte Fahrbahn ziehenden Fahrzeuges verengt sich diese als erstes. Hinzu kommt, dass sich nach dem übereinstimmenden Parteivortrag vor den Fahrzeugen der Parteien der Verkehr staute. Damit musste der Kläger mit erhöhtem Fahrstreifenwechsel der vorausfahrenden Pkws rechnen. Im Gegensatz dazu durfte der Kläger davon ausgehen, dass andere Verkehrsteilnehmer ausreichende Sicherheitsabstände wahrten, sodass er eine Gefahrenbremsung hätte vornehmen können. . Daher steht der Wertung des Gerichts auch nicht das klägerseits zitierte Urteil des BGH vom 18.11.1966 (Az.: 4 StR 363/66) entgegen, wo ausgeführt wurde, dass ein Kraftfahrer eine Vollbremsung insbesondere dann vermeiden soll, wenn er auf andere sicherere Art und Weise die Gefahrensituation meistern könne.
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Aufgrund des konkreten Unfallgeschehens tritt damit die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges nicht vollständig hinter den Fahrfehler des Beklagten zu 2) zurück. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Sicht des Beklagten zu 2) auf den mittleren Fahrstreifen durch die Fahrzeuggeometrie beeinträchtigt war und nur durch die Spiegel erfolgen konnte. Der zum Unfallzeitpunkt rechts neben dem Lkw fahrende Pkw war daher für den Beklagten zu 2) schwer zu erkennen.
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4. Vor Quote kann der Kläger Reparaturkosten in Höhe von 8.262,80 € geltend machen. Die Einwände der Beklagten gegen die Schadensermittlung des Ingenieurbüros für Kfz-Technik H. GmbH sind dahingehend erfolgreich, als die Arbeitszeit für die Türlackierung zu hoch angesetzt ist und daher um 63,84 € reduziert werden muss. Ferner müssen Haltegriffe, Fenster und Verkleidung nicht demontiert werden, sodass weitere 82,20 € in Abzug zu bringen sind. Schließlich können auch Verbringungskosten in die Lackiererei (in der Kalkulation: 137,00 € netto) nicht angesetzt werden, da es nach Aussage des Sachverständigen K. in der Region Fachbetriebe gibt, die auch lackieren.
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Damit kann die Klagepartei unter Berücksichtigung eines Abzugs 20% folgende Schadensersatzpositionen ersetzt verlangen:

Lfd.

Position

Betrag

1

Netto-Reparaturkosten (lt. SV K.)

8.262,28 €

2

abzgl. Verbringungskosten

- 137,00 €

3

Wertminderung

400,00 €

4

GA-Kosten

1.349,22 €

5

Pauschale

25,00 €

6

Summe

9.899,50 €

7

davon 80%

7.919,60 €

17
Die Beklagte zu 3) wurde seitens der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit E-Mail vom 23.08.2023 aufgefordert, den Schaden zu erstatten. Mit Schreiben der Beklagten zu 3) vom 28.09.2023 (Anlage K5) wurde jegliche Schadensersatzpflicht ernsthaft und endgültig abgelehnt. Die Beklagten befanden sich damit spätestens seit diesem Tage im Verzug.
18
Außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren kann die Klagepartei mithin aus einem Gegenstandswert von 8.000 € geltend machen.
19
Damit waren die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren wie tenoriert zuzusprechen. Diese waren – wie beantragt – seit Klagezustellung, mithin seit 31.07.2024, zu verzinsen.
20
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
II.
21
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, S. 2, 711 ZPO.