Titel:
Verfristete Klage und Organisationsverschulden des Verfahrensbevollmächtigten bei mangelnder Ausgangskontrolle
Normenketten:
VwGO § 58 Abs. 2, § 60, § 74 Abs. 1 S. 1
ZPO § 85 Abs. 2
BGB § 278
Leitsätze:
1. Die Nennung einer falschen Postanschrift des Verwaltungsgerichts führt nicht zur Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung, wenn Empfangsadressat des angegriffenen Bescheids ein Rechtsanwalt ist, der zwingend den elektronischen Rechtsverkehr zu nutzen hat. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist wegen Organisationsverschuldens des Verfahrensbevollmächtigten ausgeschlossen, wenn sich seine schriftlichen Anweisung nicht zur Frage verhalten, wie die Postausgangskontrolle erfolgt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfristete Klage, fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung:, Antrag auf Wiedereinsetzung, Organisation einer wirksamen Postausgangskontrolle in der Rechtsanwaltskanzlei, Organisationsverschulden des Rechtsanwalts, Klagefrist, Rechtsbehelfsbelehrung, unrichtig, Postanschrift, Wiedereinsetzung, Organisationsverschulden, Ausgangskontrolle, Jugendhilfe, Kostenbeitrag
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4483
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu den Kosten der Kinder- und Jugendhilfe für seine Tochter in Form eines Kostenbeitrags aus seinem Einkommen für den Zeitraum ab 28. November 2022.
2
Die Beklagte leistete für die am … geborene Tochter des Klägers ab dem 28. November 2022 Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens. Mit Schreiben vom 9. Juni 2022 wurde der Kläger aufgefordert, Unterlagen über seine Einkommenssituation vorzulegen, und über eine etwaige Kostenbeitragspflicht für die stationäre Unterbringung seiner Tochter informiert.
3
Mit vorläufigem Leistungsbescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2022, gegen Postzustellungsurkunde am 16. Dezember 2022 zugestellt, wurde für die Zeit ab 28. November 2022 ein Kostenbeitrag in Höhe von 570,00 EUR monatlich aus dem Einkommen des Klägers aus Vermietung und Verpachtung festgesetzt. Mit Schreiben vom 11. Januar 2023, beim Beklagten eingegangen am 18. Januar 2023, legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. Dezember 2022 ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2023 wurde der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen. Hiergegen wurde Klage erhoben (AN 6 K 23.860), die in der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2025 zurückgenommen wurde.
4
Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2021 weist Einkünfte des Klägers in Höhe von 133.599,00 EUR auf: 74.608,00 EUR aus Gewerbebetrieb (Beteiligungen), 7.000,00 EUR aus nichtselbständiger Arbeit und 51.991,00 EUR aus Vermietung und Verpachtung). Für die Ehefrau des Klägers werden Einkünfte aus zwei Gewerbebetrieben in Höhe von insgesamt 197.128,00 EUR ausgewiesen. Es wurde Einkommenssteuer in Höhe von 89.189,00 EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von 4.499,00 EUR festgesetzt.
5
Mit anwaltlichen Schreiben vom 4. April 2023 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er nicht leistungsfähig sei. Aus einer Gegenüberstellung der monatlichen Einnahmen und Ausgaben für das Jahr 2023 ergebe sich ein Fehlbetrag. Dafür habe der Kläger einen Kredit in Höhe von 70.000,00 EUR aufgenommen. Dem Schreiben war als Anlage ein Kontoauszug beigefügt, aus dem sich ergibt, dass am 12. Juni 2020 der Ehefrau des Klägers 70.000,00 EUR auf das Konto „…“ ausbezahlt wurden.
6
Mit Schreiben vom 6. April 2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Kostenbeitragspflicht für das Jahr 2023 gerne neu berechnet werden könne. Dazu würden die Einkommensnachweise aus dem Jahr 2022 benötigt. Insbesondere werde eine Übersicht aller Mieteinnahmen und Ausgaben zu den jeweiligen Mietobjekten für das Jahr 2022 und Angaben zur eigenen Wohnung (Größe, Lage usw.) inkl. Kreditvertrag und Tilgungsübersicht benötigt.
7
Mit Schreiben vom 26. Mai 2023 übersandte der Kläger der Beklagten diverse Kontoauszüge aus dem Jahr 2022 zu seinen vermieteten Immobilien in der … in … und in der … in … Die vorgelegten Jahreskontoauszüge 2022 für die Darlehensverträge … und … (Finanzierung der Immobilie in …*) sind an den Kläger und seine Ehefrau adressiert. Der vorgelegte Jahreskontoauszug 2022 für den Darlehensvertrag … (Finanzierung der Immobilie in …*) ist ebenfalls an den Kläger und seine Ehefrau adressiert. Der Kläger legte zudem einen Darlehensvertrag für die Finanzierung seiner selbst genutzten Immobilie in der … in … vor. Darlehensnehmer sind der Kläger und seine Ehefrau.
8
Mit Schreiben vom 5. Juni 2023 informierte die Beklagte den Kläger, dass die vorgelegten Unterlagen für eine Neuberechnung des Kostenbeitrags nicht ausreichend seien. Insbesondere fehle eine Tabelle beziehungsweise eine Gewinn- und Verlustübersicht zu den Immobilien. Die vorgelegten Unterlagen könnten nicht zugeordnet werden. Es werde um Verständnis gebeten, dass es nicht Aufgabe der Beklagten sei, eine Gewinn- und Verlustübersicht zu erstellen. Vielmehr sei der Kläger verpflichtet, sein Einkommen nachvollziehbar nachzuweisen.
9
Mit Schreiben vom 5. Juli 2023 wurde der Kläger zu einer endgültigen Festsetzung eines Kostenbeitrags in Höhe von 725,00 EUR monatlich ab 28. November 2022 angehört. Der Kläger legte daraufhin ein Schreiben seines Steuerberaters vor: Das 2021 zu versteuernde Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau belaufe sich auf 305.095,00 EUR. Dabei sei jedoch zu beachten, dass dem Gewerbebetrieb „…“ Corona-Hilfen in Höhe von 311.293,00 EUR ausbezahlt worden seien. Daher sei das Ergebnis verzerrt. Im Laufe der Jahre 2020 bis 2022 habe der Kläger 153.100,00 EUR (davon 126.000,00 EUR in 2021) für Hygienemaßnahmen investieren müssen. Diese könnten jedoch in der Regel nur im Rahmen von Abschreibungen und nicht als sofortige Betriebsausgaben steuerlich geltend gemacht werden. Unter Beachtung der privaten monatlichen Ausgaben betrage die liquide Unterdeckung des Jahres 2021 14.877,44 EUR und des Jahres 2022 16.744,79 EUR.
10
Mit Bescheid vom 3. August 2023, gegen Postzustellungsurkunde am 8. August 2023 zugestellt, wurde für die Zeit ab 28. November 2022 ausgehend vom Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2021 ein Kostenbeitrag von 725,00 EUR monatlich festgesetzt. Die Festsetzung des Kostenbeitrags beruhe auf §§ 91 Abs. 1 Nr. 5, 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII. Der Umfang der Kostenheranziehung bestimme sich nach § 94 SGB VIII. Bei der Berechnung des bereinigten Einkommens des Klägers sei von zwei unterhaltspflichtigen Kindern ausgegangen worden. Die monatlichen Belastungen seien mit einer Pauschale von 25% des Einkommens in Abzug gebracht worden. Dies habe ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 5.870,60 EUR monatlich ergeben. Die Ehefrau des Klägers sei nicht als weitere Zählperson zu berücksichtigen, da sie ihren Bedarf selbst decke. Corona-Hilfen seien als geldwerte Mittel zugeflossen und stellten daher Einkommen dar, das auch bei der Steuer berücksichtigt worden sei.
11
Die Beklagte legte ihrer Berechnung ein Bruttoerwerbseinkommen in Höhe von 133.599,00 EUR zugrunde. Hiervon zog sie Einkommenssteuer in Höhe von 36.032,36 EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von 1.817,60 EUR ab (jeweils 40,4% der Steuerfestsetzung 2021 für den Kläger und seine Ehefrau). Weiter zog sie Beiträge für die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung in Höhe von 3.095,00 EUR und 542,00 EUR ab. Für die Einkommensbereinigung nach § 93 Abs. 3 SGB VIII brachte sie pauschal 25% des Einkommens in Abzug. Damit ergab sich ein monatliches Durchschnittseinkommen in Höhe von 5.757,00 EUR und eine Eingruppierung in die Einkommensgruppe 19 der Kostenbeitragsverordnung in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung. Unter Berücksichtigung von zwei weiteren Unterhaltsberechtigten und von der Tatsache, dass eine Hilfe für junge Volljährige geleistet wird, wurde der Kläger in die Einkommensgruppe 13 eingruppiert, die gemäß der Anlage zur Kostenbeitragsverordnung in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung ein Kostenbeitrag in Höhe von 725,00 EUR monatlich vorsieht.
12
Mit Schreiben vom 10. August 2023, bei der Beklagten eingegangen am selben Tag, legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. August 2023 ein. Der Kläger und seine Frau seien Unternehmer. Für das Jahr 2021 habe das zu versteuernde Einkommen insgesamt bei 305.095,00 EUR gelegen. Die einmalig ausgezahlten Corona-Hilfen hätten das Ergebnis jedoch verfälscht.
13
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2024, an den Klägerbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt am 8. Januar 2024, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Kläger sei nach §§ 91 Abs. 1 Nr. 5b), 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VIII als Elternteil grundsätzlich aus dem Einkommen kostenbeitragspflichtig. Zum Einkommen gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gehörten alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Es seien gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII als Pauschale 25% des Nettoeinkommens abgezogen worden. Der Abzug höherer Kosten stünde im Ermessen der Beklagten. Vorliegend seien keine Gründe angeführt, warum gerade im Kalenderjahr 2021 in dem vom Kläger geführten Gewerbebetrieb Investitionen in dieser Größenordnung erforderlich gewesen seien. Im Übrigen sei die Kostenbeitragspflicht Ausfluss der Unterhaltspflicht der Eltern. Insofern müsse auch ein unternehmerisch tätiger Elternteil Betriebsausgaben so planen, dass er seine Unterhaltspflichten weiterhin erfüllen könne. Die Kosten für eine eigene Wohnung seien als Unterkunftskosten bereits in der Kostenbeitragsverordnung berücksichtigt. Gegebenenfalls wäre eine Vergleichsberechnung anhand des örtlichen Wohnwerts und des Mietspiegels durchzuführen. Da die Tilgung mit monatlich 2.569,65 EUR sehr hoch angesetzt sei, sei diese bei einem geringeren Einkommen ohnehin zuerst anzupassen. Im Übrigen seien die seitens des Klägers geltend gemachten Ausgaben bereits als Kosten der allgemeinen Lebensführung in der Kostenbeitragsverordnung berücksichtigt. Bei einigen Kosten sei davon auszugehen, dass diese bereits im Steuerbescheid bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt seien. Es sei weiter nicht nachgewiesen worden, dass die Verpflichtung zum Kostenbeitrag in Höhe von 725,00 EUR monatlich für den Kläger eine besondere Härte darstellen würde. Laut Steuerbescheid habe der Kläger 2021 ein Einkommen in Höhe von 133.599,00 EUR gehabt. Es könne ein Antrag nach § 94 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gestellt werden. Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass das jeweilige Einkommen im Kalenderjahr 2022 bzw. 2023 erheblich geringer gewesen sei, sei noch eine Nachberechnung möglich. Um die Jahresfrist nach § 94 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII einzuhalten, könne der Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. August 2022 als entsprechender Antrag ausgelegt werden, über den die Beklagte jedoch erst noch zu entscheiden habe.
14
Die Rechtsbehelfsbelehrungdes Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2024 enthält folgenden Text: „Gegen den Bescheid der Stadt … vom 03.08.2023 kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Widerspruchsbescheids Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach, Postfachanschrift: Postfach 616, 9..1511 Ansbach, Hausanschrift: Promenade 24, 9..1522 Ansbach schriftlich, zur Niederschrift oder elektronisch in einer für den Schriftformersatz zugelassenen Form erhoben werden.“
15
Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, wurde Klage gegen den Bescheid vom 3. August 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2024 erhoben und Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragt. Der Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2024 sei am 8. Januar 2024 zugestellt worden. Die Fristversäumung beruhe allein auf einem Versehen des bis dahin stets zuverlässigen Kanzleiangestellten Herr … Der Brief mit dem Widerspruchsbescheid sei von einem Mitarbeiter am 8. Januar 2024 geöffnet und mit dem korrekten Eingangsstempel versehen worden. Der Mitarbeiter … habe sodann die Akte herausgesucht, den Eingang des Schreibens überprüft und die Klagefrist zum 8. Februar 2024 notiert. Der Prozessbevollmächtigte habe danach die Frist überprüft und das entsprechende Empfangsbekenntnis mit dem entsprechenden Datum unterschrieben. Die Kanzlei sei so organisiert, dass Fristen ständig überwacht würden. Die Frist werde in der Handakte markiert und mit einem roten Post-It markiert. Zu den Morgenarbeiten gehöre, dass Angelegenheiten, bei denen der Fristablauf am nächsten Tag sei, dem Rechtsanwalt morgens zur Bearbeitung vorgelegt würden. Außerdem würden die offenen Fristen des aktuellen Tages mit einem Textmarker versehen. Vor Büroschluss werde kontrolliert, ob alle Fristensachen erledigt seien. Die erledigten Fristen würden dann gestrichen. Die Streichung der Frist obliege dem jeweiligen Assistenten des Rechtsanwalts, in diesem Fall Herrn … Dieser habe am 8. Februar 2024 die offenen Fristen kontrolliert. Hierbei habe er festgestellt, dass die Klagefrist bereits als bearbeitet gestrichen worden sei. Erst am 9. Februar 2024 bei Einreichung der Klage sei aufgefallen, dass die Klagefrist bereits abgelaufen sei. Der Angestellte … sei eine geschulte und zuverlässige Bürokraft, die die Kalender- und Fristenkontrolle seit 2021 sorgfältig und fehlerlos geführt habe. Sollte das Gericht die Klage als unzulässig bewerten, werde beantragt, dass die Beklagte gemäß § 44 SGB X in der Sache neu entscheide.
16
Die Klage sei auch begründet, da der Kläger nicht leistungsfähig sei. Er habe 2023 folgende monatliche Ausgaben: 2.775,00 EUR für die Finanzierung der eigenen Wohnung, 790,42 EUR für die Finanzierung der Immobilie in …, 1.681,25 EUR für die Finanzierung der Immobilie in …, 787,37 EUR für einen Kredit der …Bank, 236,13 EUR und 96,00 EUR für die Neben- und Stromkosten der eigenen Wohnung, 421,46 EUR für Versicherungen, 42,70 EUR für eine Zahnversicherung, 108,00 EUR für die Nachmittagsbetreuung der Kinder, 176,00 EUR für das Essensgeld der Kinder, 2.061,00 EUR für die Nebenkosten der Immobilie in …, 213,00 EUR Nebenkosten für die Immobilie in … Demgegenüber habe der Kläger 2023 folgende monatliche Einnahmen: 1.290,00 EUR und 6.500,00 EUR Miete für die Immobilie in …, 955,00 EUR Miete für die Immobilie in …, 578,14 EUR Lohn und 2.966,85 EUR Gewinn aus dem Betrieb des … Der Kläger habe folglich einen monatlichen Fehlbetrag. Um diesen zu decken, habe er einen Kredit in Höhe von 70.000,00 EUR aufgenommen. Der Kläger legte zudem eine Unterhaltsberechnung vor, aus der sich ergebe, dass der Kläger ein negatives monatliches Einkommen habe und nicht leistungsfähig sei.
Der Bescheid der Stadt … vom 03.08.2023, Az: …, in Form des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2024 …, wird aufgehoben.
18
Die Beklagte beantragt,
19
Die Klage sei bereits unzulässig, da nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass den Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Frist kein Verschulden treffe. Die Überwachung von im Bürobetrieb häufig vorkommenden Fristen könne an gut ausgebildete und sorgfältig überwachte Angestellte übertragen werden. Eine ausreichende Qualifikation des fristüberwachenden Angestellten lasse sich dem Vortrag nicht entnehmen. Die Klage gehe nicht auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid ein. Eine Berechnung sei aufgrund des vorgelegten Einkommenssteuerbescheids 2021 erfolgt. Die Ausführungen zur fehlenden Leistungsfähigkeit des Klägers könnten angesichts des dort aufgeführten Einkommens nicht nachvollzogen werden. Es sei nicht vorgetragen worden, warum sich die finanzielle Situation des Klägers verschlechtert habe und ein Antrag auf Berücksichtigung des laufenden Einkommens nach § 93 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII sei auch nicht gestellt worden. Ein etwaiges Einkommen oder Belastungen der Ehefrau des Klägers würden nicht berücksichtigt, da sie nicht die Mutter des jugendhilfeberechtigten Kindes sei. Die Corona-Hilfen seien als Einkommen zu berücksichtigen. Die Kosten für die Wohnung seien bereits in der Kostenbeitragsverordnung berücksichtigt und seien ohnehin durch beide Ehepartner zu teilen. Zudem sei die Tilgung mit monatlich 2.569,65 EUR sehr hoch angesetzt und bei einem geringeren Einkommen aus Sicht des Jugendamtes zuerst einmal anzupassen. Ausgaben für die Kinderbetreuung, das Mittagessen der Kinder und den Strom seien allgemeine Lebenshaltungskosten und bereits in der Kostenbeitragsverordnung berücksichtigt. Es sei davon auszugehen, dass Kreditraten und Nebenkosten für die Mietobjekte im Steuerbescheid bereits bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt worden seien. Da es sich vorliegend nicht um Unterhaltsrecht handle, sei die Rechnung des Beklagten nicht relevant. Eine Unterhaltsvergleichsberechnung sei im Rahmen der Kostenbeitragsrechnung durchgeführt worden und habe ergeben, dass ein deutlich ausreichendes Einkommen vorhanden sei.
20
Mit gerichtlichem Schreiben vom 30. Januar 2025 forderte das Gericht den Kläger auf, bis 6. Februar 2025 nachvollziehbare Unterlagen und Erklärungen zu seinen Einnahmen für das Jahr 2021 vorzulegen, um eine von dem Steuerbescheid 2021 abweichende Einkommenssituation darzulegen. Dabei wies das Gericht den Kläger u.a. darauf hin, dass nur seine Einkommensverhältnisse und nicht die seiner Ehefrau relevant seien.
21
Am 19. Februar 2025 gingen bei Gericht vom Kläger übersandte Unterlagen zu seinen Einkommensverhältnissen in den Jahren 2021 und 2022 ein. Am 10. März 2025 reichte der Kläger ein Schreiben des Landesamtes für Finanzen vom 28. Januar 2025 ein, in dem übergegangene Unterhaltsansprüche einer weiteren Tochter des Klägers geltend gemacht werden.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
23
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 03. August 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2024 ist unzulässig, da die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht eingehalten wurde und der Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg hat.
24
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Da der Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2024 eine – für den konkreten Fall – ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrungenthielt, ist nicht gemäß § 58 Abs. 2 VwGO auf die Jahresfrist abzustellen.
25
Für den hier vorliegenden Fall einer Klage gegen den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids wurde der Kläger ordnungsgemäß mit dem Hinweis „gegen den Bescheid der Stadt … vom 03.08.2023 kann […] Klage […] erhoben werden“ belehrt. Dass ein Hinweis auf die nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich bestehende Möglichkeit, gegen den Widerspruchsbescheid isoliert vorzugehen, nicht in die Rechtsbehelfsbelehrungaufgenommen wurde, ist unschädlich, da im konkreten Fall nicht isoliert gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben wurde und eine solche Klage mangels erstmaliger Beschwer durch den Widerspruchsbescheid auch nicht in Betracht gekommen wäre.
26
Dass in der Rechtsbehelfsbelehrungals Postanschrift des Verwaltungsgerichts Ansbach „Postfach 616, 9..1511 Ansbach“ genannt ist, obwohl dieses Postfach bereits zum 31. Mai 2023 gekündigt wurde, führt im konkreten Fall ebenfalls nicht zur Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung. Die Nennung der Postanschrift ist grundsätzlich kein zwingender Bestandteil einer Rechtsbehelfsbelehrung(Kimmel in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, § 58 Rn. 15). Eine Rechtsbehelfsbelehrungist jedoch nicht nur dann unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, U.v. 21.3.2002 – 4 C 2/01 – juris Rn. 12). Enthält die RechtsbehelfsbelehrungInformationen, die nicht nach § 58 Abs. 1 VwGO zwingend sind, müssen diese daher grundsätzlich richtig, vollständig und nicht geeignet sein, beim Betroffenen einen Irrtum über die Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen. Für den vorliegenden Fall ist jedoch in jeder Hinsicht ausgeschlossen, dass die fehlerhafte Nennung des Postfachs beim Bevollmächtigten des Klägers, der hier Empfangsadressat des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2024 war und die Klage sodann auch eingereicht hat, einen Irrtum über die formellen und materiellen Voraussetzungen des Rechtsbehelfs hervorgerufen hat. Als Anwalt gehört der Bevollmächtigte des Klägers zu der Gruppe von Rechtsanwendern, die gemäß § 55d VwGO bereits ab dem 1. Januar 2022 verpflichtet waren, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument einzureichen, was der Klägerbevollmächtigte mit dem Klageschriftsatz vom 9. Februar 2024 schließlich auch getan hat. Die fehlerhafte Nennung des Postfachs konnte sich daher nachweislich nicht auf die Einhaltung der Klagefrist auswirken (vgl. VG Ansbach, U.v. 3.6.2024 – AN 15 K 23.1953 – juris Rn. 38). Zwar kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der zu beanstandende Fehler in der Belehrung im konkreten Fall tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt hat, dass das Rechtsmittel nicht rechtzeitig eingelegt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 3 C 23/08 – juris Rn. 17). Allerdings kommt es bei nicht nach § 58 Abs. 1 VwGO zwingenden Zusätzen in der Rechtsbehelfsbelehrungdarauf an, ob diese im konkreten Fall zumindest potentiell geeignet sind, einen Irrtum hervorzurufen. Das Bundesverwaltungsgericht hat für den nicht zwingenden Zusatz, dass die Klagefrist mit Bekanntgabe (statt Zustellung) des Widerspruchsbescheids zu laufen beginne, entschieden, dass dieser an sich fehlerhafte Zusatz daraufhin überprüft werden muss, ob er bei der konkret gewählten Form der Zustellung des Widerspruchsbescheids geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über den Beginn der Rechtsbehelfsfrist hervorzurufen (BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 70/88 – juris Rn. 18).
27
Die somit geltende einmonatige Klagefrist endete gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO am 8. Februar 2024, da der Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2024 dem Klägerbevollmächtigten ausweislich des auf dem Widerspruchsbescheid befindlichen Eingangsstempels der Kanzlei (Gerichtsakte Bl. 20) am 8. Januar 2024 zugestellt wurde, vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 22 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB. Die Klage ging jedoch erst am 9. Februar 2024 bei Gericht ein, so dass die Klagefrist versäumt wurde.
28
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung kommt kein Erfolg zu, da der Klägerbevollmächtigte nicht glaubhaft machen konnte, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten, vgl. § 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO. „Verschulden“ im Sinne des § 60 VwGO liegt vor, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (BVerwG, B.v. 10.8.1993 – 8 C 10/91 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 19.5.2021 – 9 ZB 20.2993 – juris Rn. 9). Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwaltes, steht dabei gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich. Ein schuldhaftes Handeln von Hilfspersonen des Rechtsanwalts, insbesondere von Büropersonal, ist als solches dem bevollmächtigten Rechtsanwalt und damit der Partei hingegen nicht zurechenbar, da eine dem § 278 BGB entsprechende Vorschrift über die Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen im Prozessrecht fehlt (BayVGH, B.v. 19.5.2021 – 9 ZB 20.2993 – juris Rn. 9). Allerdings können Fehler von Hilfspersonen dann auf eine in der eigenen Verantwortungssphäre des bevollmächtigten Rechtsanwalts liegende Ursache zurückzuführen sein, wenn es der Rechtsanwalt unterlassen hat, hinreichende organisatorische Maßnahmen zu treffen, und ihn somit ein so genanntes Organisationsverschulden trifft (BayVGH, B.v. 19.5.2021 – 9 ZB 20.2993 – juris Rn. 9). Ein Rechtsanwalt kann die grundsätzlich ihm obliegenden Aufgabe der Fristenkontrolle zwar an ein nach Ausbildung und Erfahrung ausreichend qualifiziertes Büropersonal, deren bisherige untadelige Arbeitsweise keine Bedenken in ihre Zuverlässigkeit aufkommen hat lassen (vgl. BVerwG, B.v. 13.12.1979 – 7 C 24/79 – juris Rn. 19), delegieren. Dabei haben Rechtsanwälte ihre Büroabläufe aber so zu organisieren, dass, jedenfalls für fristwahrende Schriftsätze, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs oder durch einen Vermerk im Terminkalender, eine wirksame Ausgangskontrolle durchgeführt werden kann (BVerwG, B.v. 9.3.2023 – 1 B 70/22 – juris Rn. 6). Hierzu gehört unter anderem die Anordnung des Rechtsanwaltes, dass die Fertigung sowie die Übersendung oder Übermittlung fristgebundener Schriftsätze am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine beauftragte Bürokraft überprüft wird (BVerwG, B.v. 9.3.2023 – 1 B 70/22 – juris Rn. 6). Eine wirksame Ausgangskontrolle hat sich dabei auch darüber Gewissheit zu verschaffen, dass die fristwahrende Handlung in einer im Fristenkalender als erledigt vermerkten Sache auch tatsächlich vorgenommen wurde (BVerwG, B.v. 9.3.2023 – 1 B 70/22 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 2.10.2008 – 9 CE 08.2116 – juris Rn. 4). Gegebenenfalls ist anhand der Akten zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden sind (BVerwG, B.v. 9.3.2023 – 1 B 70/22 – juris Rn. 6). Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört regelmäßig auch, dass nach Abgang eines fristwahrenden Schriftsatzes ein Kontrollvermerk erfolgt, der den Abgang zweifelsfrei nachweist, und das Fehlen des Kontrollvermerks vor Ablauf der Frist zu weiteren Nachforschungen führt (BVerwG, B.v. 28.5.2003 – 1 B 126/03 – juris Rn. 3; B.v. 28.12.1998 – 7 B 318/98 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 14.5.2013 – 11 B 12.1522 – juris Rn. 12). Das bloße Streichen von Fristen, ohne dass das Datum der Hinausgabe des Schriftsatzes vermerkt wurde, genügt einer effektiven Ausgangskontrolle grundsätzlich nicht (BVerwG, B.v. 28.12.1998 – 7 B 318/98 – juris Rn. 2). Eine ausreichende Kanzleiorganisation ist zudem nur dann anzunehmen, wenn die Durchführung der Ausgangskontrolle durch den Rechtsanwalt stichprobenartig kontrolliert wird (BVerwG, B.v. 23.6.2011 – 1 B 7/11 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 19.1.2023 – 7 CE 22.10035 – juris Rn. 10).
29
Dass in der Kanzlei des Klägerbevollmächtigten eine Ausgangskontrolle, die den oben dargestellten rechtlichen Maßstäben entspricht, gewährleistet ist, lässt sich weder dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten noch der eidesstattlichen Versicherung des Kanzleiangestellten entnehmen. Die seitens des Klägerbevollmächtigten vorgelegten schriftlichen Anweisungen enthalten zwar detaillierte Angaben zu Eintragung und Berechnung von Fristen. Zur Frage, wie die Postausgangskontrolle erfolgt, verhalten sich die schriftlichen Anweisungen jedoch nicht. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass Fristen nur von bestimmten Kanzleimitarbeitern gestrichen werden dürfen. In der Klageschrift führt der Klägerbevollmächtigte zwar zusätzlich aus, dass jeden Tag vor Büroschluss kontrolliert wird, ob alle Fristensachen erledigt sind. Der Kanzleimitarbeiter gibt in seiner eidesstattlichen Versicherung entsprechend an, dass er am 8. Februar 2024 die offenen Fristen überprüft hat. Es wurden aber keine Angaben dazu gemacht, wie die Streichung der Fristen und die Kontrolle der offenen Fristen im Einzelnen organisiert sind. Weder hat der Klägerbevollmächtigte ausgeführt, dass über das bloße Streichen der Frist hinaus ein Postausgangsvermerk erfolgt, noch inwiefern bei gestrichenen Fristen am Tag des Ablaufs der Frist anhand der Akten kontrolliert wird, ob die Fristsache tatsächlich erledigt wurde. Die irrtümliche Streichung der Frist wäre bei einer effektiven Ausgangskontrolle, zu der ein Vermerk des Datums, an welchem der fristwahrende Schriftsatz versendet wurde, gehört, aufgefallen. Ebenso hätte eine Anweisung, die tatsächliche Erledigung von Fristen am Tag des Fristablaufs anhand der Akten zu überprüfen, dazu geführt, dass noch vor Fristablauf bemerkt worden wäre, dass keine Klageschrift versendet wurde (vgl. BVerwG, B.v. 10.8.1993 – 8 C 10/91 – juris Rn. 5). Hinzu kommt, dass der Klägerbevollmächtigte weder Angaben zur konkreten Ausbildung und Kenntnissen des Kanzleimitarbeiters gemacht hat, noch dargelegt hat, dass er die Streichung von Fristen zumindest stichprobenartig kontrolliert. Das Verschulden des Kanzleimitarbeiters hat daher seine Ursache in einer mangelnden Organisation der Postausgangskontrolle durch den Rechtsanwalt, dessen Organisationsverschulden dem Kläger nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird, so dass die Klagefrist nicht unverschuldet im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO versäumt wurde. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist ist daher abzulehnen.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.