Titel:
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft., Mitgliedern der Pfingstgemeinde, auch als pentekostale Kirche oder
Normenkette:
Asyl § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 3c Nr. 1
Schlagworte:
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft., Mitgliedern der Pfingstgemeinde, auch als pentekostale Kirche oder
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4438
Tenor
I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 16.7.2024 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die vollständige Ablehnung seines Asylantrags.
2
Der Kläger ist am …1996 geboren in Maimine, Eritrea. Er ist eritreischer Staatsangehöriger tigrinischer Volkszugehörigkeit und nach eigener Aussage Anhänger der pentekostalen christlichen Religionsgemeinschaft, auch bekannt als Pfingstbewegung oder in Eritrea auch „Pente“ genannt. Am 1.3.2024 reiste er über den Landweg nach Deutschland ein und stellte am 16.4.2024 einen Asylantrag.
3
Am 11.6.2024 fand die persönliche Anhörung des Klägers durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) statt. Dabei gab der Kläger unter anderem an, er sei tigrinischer Volkszugehörigkeit. Die Sprache Tigrinya verstehe er und spreche er auch ein wenig. Er habe die Sprache von seinen Eltern gelernt. Er habe versucht, einen Taufschein von seiner Kirche ausstellen zu lassen, das habe aber bisher nicht geklappt. Er habe nur ein Foto von dem Ausweis seiner Mutter am Telefon. Er habe keine andere als die eritreische Staatsangehörigkeit. Seine Eltern seien Eritreer gewesen. Seine Mutter habe einen eritreischen Ausweis gehabt. Er habe in Eritrea zuletzt im Dorf Maimine gelebt. Er habe Eritrea mit sechs Jahren verlassen und sei seitdem nie mehr zurückgekehrt. Er habe das Land mit seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern verlassen. Seine Brüder seien in Äthiopien, eine Schwester in Eritrea und eine Schwester in Jordanien. Er habe Eritrea Ende 2001 verlassen. Er sei am 1.3.2024 nach Deutschland eingereist. Er sei von 2001 bis 2023 in Äthiopien gewesen, dann über Dubai nach Rumänien gereist, wo er neun Monate verbracht habe. Von dort sei er nach Deutschland gekommen. Er habe keinen Asylantrag in Rumänien gestellt. Er habe in Rumänien in Cluj in einem Hotel für sieben Monate schwarz gearbeitet, wo er auch untergebracht gewesen sei. In Äthiopien habe er in Addis Abeba gelebt unter schwierigen Wohnverhältnissen. Seine Eltern würden noch dort leben. Er habe schon bei der Auslandsvertretung von Eritrea angefragt, einen Pass zu erhalten. Dort habe man ihn aber gesagt, er müsse die 2% bezahlen und sonst sei es auch schwierig gewesen. Er habe noch eine Schwester, Tanten, Onkel und Cousinen in Eritrea. Seine Eltern hätten auch noch Kontakt zu diesen Verwandten. Er selbst habe nur Kontakt mit einer Nichte, die auch ein bisschen Amharisch spreche. Sonst täte er sich schwer mit der Sprache. In Eritrea habe er keine Schule besucht, in Äthiopien dagegen für vier Jahre. Er habe drei Jahre auf Baustellen in Addis Abeba gearbeitet. Seine Eltern seien Protestanten, was in Eritrea verboten gewesen sei. Auch die Gesellschaft habe das abgelehnt und sie bedrängt und ihnen Probleme bereitet. Sie hätten nicht öffentlich beten können. Als das für sie unerträglich geworden sei, sei die Familie aus Eritrea geflohen, weil sie unterdrückt worden seien. Sein Vater sei deswegen auch ins Gefängnis gebracht und geschlagen worden. Der Kläger gehe davon aus, dass er in Eritrea ins Gefängnis käme und dann in ein Militärlager. Er befürchte ins Gefängnis zu kommen, weil er einen anderen Glauben habe. Er habe vor einiger Zeit in der BBC gesehen, dass Protestanten immer noch ins Gefängnis kämen. Seine Eltern seien in der Pfingstbewegung, was in Eritrea verboten sei. Da er nur ein Kind gewesen sei, könne er sich nicht an Verfolgung in Eritrea erinnern. Bei der Pfingstbewegung gebe es eigene Gebetsbücher. Man bete aus den eigenen Büchern, es werde viel gesungen. Man gehe auch auf Menschen zu, man müsse diese zu sich ziehen und sie vom Glauben überzeugen. Auch er glaube daran. Er lebe seinen Glauben, indem er in seinem Gebetsbuch bete und auch die Glaubensgesänge mitmache und versuche, auch anderen Menschen zu sagen, wie gut sein Glauben sei. An seinem Glauben seien ihm besonders wichtig die Freiheit und das Gebet. Er würde anderen Menschen sagen, dass man ein guter Mensch sein müsse und würde ihnen empfehlen auch das Gebetsbuch zu lesen. Ein Unterschied zum orthodoxen Christentum sei zum Beispiel Jesus. Die Pfingstler würden glauben, dass er der Richter sei und auch der Versöhner. Bei den Orthodoxen würde man seine Gebete auch an die Heiligen richten. Bei den Pfingstlern hingegen würde man sein Gebet nur direkt an Gott richten. Sein Glaube habe sich im Ausland nicht verändert. Es gebe nicht viele Pfingstler in Eritrea. Genau wisse er das nicht, weil sie nicht öffentlichen leben könnten. Er selbst habe in Eritrea keine Verfolgungshandlungen erlebt, weil er zu klein gewesen sei. Er habe aber durch seinen Vater davon gehört. Er könne nichts näheres zur Verhaftung seines Vaters berichten, weil er sich nicht daran erinnere und man darüber auch nicht gesprochen habe. Er würde bei einer Rückkehr nach Eritrea seinen Glauben nicht ausleben können. Er hätte viele Probleme mit seinem Glauben in Eritrea. Man würde ihn auch zum Militärdienst zwingen, was gegen seinen Glauben sei. Er rechne damit, wegen seines Glaubens in Eritrea ins Gefängnis geschickt zu werden. Darüber hinaus auch, weil seine Familie das Land illegal verlassen habe. In Eritrea würden die Leute schon erkennen, welcher Familie er angehöre. Er wolle in seinem Glauben auch täglich beten. Er müsse sich ja verstecken. Besonders wichtig sei ihm zum Bespiel das Gefühl mit Gott. Die Verbindung mit Jesus Christus. Es gebe ein Gebet, das er täglich bete. Es spiegele seine Verbindung zu Jesus wider; die Nähe zu diesem. Er würde keinen konkreten Vers oder Psalm beten, aber an Gesang hätte er ziemlich viel. Nur sein Vater und sein näherer Familienkreis hätten dem Glauben angehört. Es habe wohl eine Art Versöhnung mit dem Rest der Familie stattgefunden. Von dem Diaspora-Status habe er schon gehört, das käme für ihn aber nicht in Betracht. Es gebe den Unterschied zwischen den orthodoxen Christen und den Pfingstlern, dass es bei letzteren 66 und bei ersteren 86 Verse zu beten gebe. Das sei gravierend. Der Kläger habe nur entfernte Verwandte in Deutschland.
4
Mit Bescheid vom 16.7.2024, laut Postzustellungsurkunde dem Kläger am 20.7.2024 zugegangen, erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4). Weiter wurde die Abschiebung nach Eritrea angedroht und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten ab dem Tag der Abschiebung angeordnet (Ziffern 5 und 6).
5
Am 23.7.2024 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg.
6
Begründet wurde die Klage im Wesentlichen damit, dass dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Dem Kläger drohe bei seiner Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aufgrund seiner Religion. Der Kläger sei, ebenso wie seine Familie, Anhänger der Pfingstgemeinde, in Eritrea Pente genannt. Der Kläger habe in seiner Anhörung am 11.6.2024 angegeben, dass er Anhänger der Pfingstbewegung sei und seinen Glauben nach wie vor lebe. Seine Eltern seien ebenfalls Anhänger der Pfingstbewegung gewesen. Der Kläger habe angegeben, regelmäßig mit seinem Gebetsbuch zu beten, Glaubensgesänge zu singen und auch zu versuchen, andere Menschen von seinem Glauben zu überzeugen. Dem Kläger drohe aufgrund seiner Religion in seinem Herkunftsland die Verfolgung. Er nehme dienstags und mittwochs abends an einem online Gottesdienst seiner Glaubensgemeinschaft, der Halwot Emmanuel Church teil. Weiterhin nehme er an Treffen zum Bibelstudium teil. Zumindest aber sei ihm der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen, da ihm die Einziehung in den militärischen Teil des Nationaldienstes drohe.
7
Der Kläger beantragt zuletzt,
- 1.
-
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. 7.2024, Az. …-224, wird aufgehoben.
- 2.
-
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, bei dem Kläger Abschiebungsverbote festzustellen.
8
Das Bundesamt beantragt für die Beklagte,
9
Das Bundesamt bezieht sich zur Klagebegründung auf die angefochtene Entscheidung.
10
Mit Beschluss vom 3.1.2025 wurde der Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
11
Die Klägervertreterin erklärte bei der mündlichen Verhandlung am 4.2.2025 die teilweise Klagerücknahme hinsichtlich des Antrags auf Asylanerkennung, den der Kläger noch mit Klageerhebung persönlich gestellt hatte.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 1 S. 1 Asylgesetz (AsylG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
14
Die Klage ist zulässig und begründet, soweit sie nicht zurückgenommen wurde.
15
Hinsichtlich dem Begehren, die Asylberechtigung des Klägers anzuerkennen, hat die Klägerbevollmächtigte die Klage zulässig teilweise zurückgenommen, § 92 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
16
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
17
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner „Rasse“, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es aber regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Eine Verfolgung i.S. d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten (vgl. auch VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 – Au 1 K 16.30744 – juris). Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
18
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festzustellenden Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 RL 2011/95/EU neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 m.w.N.). Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn bei einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise ein Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für dessen Eintritt besteht. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus; ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Bei der Abwägung aller Umstände ist die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in die Betrachtung einzubeziehen. Besteht bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in sein Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit; sie bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris m.w.N.).
19
Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Handlungen oder Bedrohungen eine Beweiskraft für die Wiederholung in der Zukunft bei, wenn sie eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 m.w.N. – juris). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 m.w.N. – juris).
20
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Ausländers die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris; BVerwG, U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VG Ansbach, U.v. 24.10.2016 – AN 3 K 16.30452 – juris m.w.N.).
21
Dies zugrunde gelegt hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
22
1. Dem Kläger droht nach Überzeugung des zuständigen Einzelrichters bei einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund seiner Religion.
23
Im Hinblick auf die Religionsfreiheit (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG) kommt eine rechtlich beachtliche Verfolgungsfurcht in Betracht, wenn im Herkunftsland auf die Entschließungsfreiheit eines Asylbewerbers, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegt, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren, oder aber in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (vgl. EuGH U.v. 5.9.2012 – C-71/11, C-99/11 –, NVwZ 2012, 1612). Ob der Asylbewerber die Gefahr der Verfolgung durch Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen vermeiden könnte, ist ebenso grundsätzlich irrelevant (vgl. EuGH a.a.O.). Entscheidend für die Frage, ob eine beachtliche Verfolgungsfurcht vorliegt, ist, ob im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Asylbewerbers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen (vgl. EuGH a.a.O.). Dabei setzt ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit nicht voraus, dass der Asylbewerber seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (vgl. BVerwG U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 –, NVwZ 2013, 936, Rn. 26, beck-online). Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH a.a.O., Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z. B. Leib und Leben (vgl. a.a.O., Rn. 28, beck-online). Der subjektive Umstand, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis in der Öffentlichkeit, die Gegenstand der beanstandeten Einschränkungen ist, zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, ist ein relevanter Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Größe der Gefahr, der der Asylbewerber in seinem Herkunftsland wegen seiner Religion ausgesetzt wäre, selbst wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis keinen zentralen Bestandteil für die betreffende Glaubensgemeinschaft darstellt (EuGH a.a.O.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein (BVerwG a.a.O., Rn. 30, beck-online). Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG a.a.O., Rn. 30, beck-online). Das Gericht hat sowohl bei der Sachverhaltsaufklärung als auch bei der Beweiswürdigung die besondere Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit als zentrales Grundrecht und grundlegendes Menschenrecht in einer demokratischen Gesellschaft zu beachten (vgl. Art. 4 Abs. 1, 2 GG, Art. 9 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK, Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union – EU-GRCh). Ihm ist daher im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung jegliche inhaltliche Bewertung des Glaubens des Einzelnen und der Kirche bzw. Religionsgemeinschaft vorenthalten. Eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ findet nicht statt. Abgesehen davon kann eine identitätsprägende Hinwendung zu einem Glauben auch ohne eine Vertrautheit des Schutzsuchenden mit den Lehraussagen einer Religionsgemeinschaft vorliegen, wenn aufgrund aussagekräftiger und gewichtiger Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich der Schutzsuchende den Verhaltensleitlinien seines Glaubens derart verpflichtet sieht, dass er ihnen auch nach Rückkehr in seinen Herkunftsstaat folgen und sich damit der Gefahr von Verfolgung oder menschenunwürdiger Behandlung aussetzen wird (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 –, juris Rn. 32 f, 37 f.).
24
a) Nach eritreischem Staatsverständnis ist der Säkularismus eine der wichtigsten Säulen des Staates (vgl. Proclamation No. 73/1995 of 1995, Proclamation to legally standardize and articulate religious institutions and activities, 15.6.1995, abrufbar unter https://www.refworld.org/legal/legislation/natlegbod/1995/en/61889, Stand: 28.2.2025). Die Regierung, deren Mitglieder überwiegend eritreisch-orthodoxe Christen sind, behauptet, dass sie sich gegenüber den Religionsgemeinschaften strikt neutral verhalte. Sie gibt, ohne Zahlen zu veröffentlichen, das Verhältnis zwischen Christen und (sunnitischen) Muslimen mit „etwa gleich“ an. Dieses Religionsverhältnis darf öffentlich nicht hinterfragt werden (Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 16.10.2024 (Stand: August 2024), S. 11). Seit dem Jahr 2002 gilt für alle Glaubensgemeinschaften eine Registrierungspflicht, sodass seither nur noch offiziell anerkannte Religionsgemeinschaften ihren Glauben tatsächlich praktizieren dürfen. Hierzu zählen die eritreisch-orthodoxe, die katholische, die evangelisch-lutherische Kirche und der sunnitische Islam (U.S. Department of State: Eritrea 2023 International Religious Freedom Report S. 5). Mehrere kleinere Religionsgemeinschaften reichten zwar Registrierungsanträge ein, über die jedoch bislang nicht entschieden worden ist. Den nicht registrierten Religionsgemeinschaften ist die Religionsausübung de facto grundsätzlich verboten (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 16.10.2024 (Stand: August 2024), S. 11; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 2, 7). Religiöse Aktivitäten (z.B. Gottesdienste) sind diesen Glaubensgemeinschaften grundsätzlich nicht erlaubt. Als Begründung gibt die Regierung an, dass es sich bei ihnen um vom Ausland illegal finanzierte Gruppen handele, die das traditionelle nationale Gefüge zerstören wollten (BAMF, Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 7). Internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und religiöse Medien berichten, dass Mitglieder nicht anerkannter religiöser Gruppen mit willkürlichen Inhaftierungen ohne Anklage und ohne Gerichtsurteil rechnen müssen (BAMF, Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 7; U.S. Department of State: Eritrea 2023 International Religious Freedom Report S. 7 f.). Berichten von NGOs zufolge befanden sich im Jahr 2023 zwischen 500 und 1.000 Personen in Haft, weil sie Anhänger christlicher Glaubensgemeinschaften sind, die nicht vom eritreischen Staat anerkannt werden (zu Berichten über Verhaftungswellen in den Jahren 2020 bis 2023 s. BAMF, Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 8). Es wird angenommen, dass die meisten davon Mitglieder pentekostaler oder evangelikaler Kirchen sind (U.S. Department of State: Eritrea 2023 International Religious Freedom Report S. 8 f.). Laut den NGOs wurden die Gefangenen in Schiffscontainern in der Wüste gehalten, wo sie bei Tag der Hitze und bei Nacht der Kälte ausgesetzt wurden. Zudem sollen Regierungsbeamte die Gefangenen geschlagen und gefoltert haben, um sie zur Aufgabe ihres Glaubens zu bewegen (U.S. Department of State: Eritrea 2023 International Religious Freedom Report S. 9). UN-Sonderberichterstatter Mohamed Abdelsalam Babiker bezieht sich auf Schätzungen, wonach in Eritrea mehrere tausend Menschen aufgrund ihres Glaubens inhaftiert werden (Human Rights Council Situation of human rights in Eritrea 5/2024, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea S. 10). Es gibt Berichte über Festnahmen von Gläubigen, die sich zu privaten Gottesdiensten und Gebetsstunden in ihren Wohnungen versammelt haben (vgl. Human Rights Council Situation of human rights in Eritrea 5/2024, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea S. 10 f.; vgl. auch AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 16.10.2024 (Stand: August 2024), S. 12). Mitglieder des Militärs und des Nationaldienstes wurden Berichten zufolge für die Teilnahme an Gebetstreffen verhaftet und ihnen wurde der Besitz religiöser Schriften, darunter der Bibel, verboten (United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), Annual Report 2010 – Countries of Particular Concern: Eritrea, 29.4.2010). Zudem gibt es auch Berichte über inhaftierte Gläubige, die infolge von Misshandlungen oder den schlechten Haftbedingungen ums Leben gekommen sind (vgl. BAMF, Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 9; HRC, Human rights situation in Ertirea, Report oft he Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea, 11. Mai 2020, S. 9). Eritrea befindet sich aufgrund besonders schwerwiegender Verletzungen der Religionsfreiheit seiner Bevölkerung seit 2009 auf der „Liste der besonders besorgniserregenden Staaten“ („Country of particular concern“) des US Department of State (https://www.state.gov/countries-of-particular-concern-special-watch-list-countries-entities-of-particular-concern/, Stand: 28.2.2025).
25
b) Die Pfingstbewegung ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden und gilt als Teil der weiteren evangelikalen Bewegung. Sie bezeichnet sich auch als pentekostales Christentum und wird in Eritrea (wohl abwertend) als „Pente“ bezeichnet (zusammen mit evangelikalen und charismatischen Religionsgemeinschaften). Es handelt sich um eine vielschichtige Bewegung. Wichtige Glaubenselemente sind die Bekehrung und die Wiedergeburt. Neben den fundamentalen Lehren der Erlösung und der Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi stellt das pentekostale Christentum das Wirken des Heiligen Geistes in den Mittelpunkt der Frömmigkeit (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Evangelikale und pentekostale Kirchen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 9.2.2011, S. 1, 3). Vor allem seit den 1980ern, zum Teil aber auch schon früher, breiteten sich in Eritrea Evangelikale, Pfingstler und sog. charismatische Bewegungen aus, u. a. die Mulu Wengel Eritrean Full Gospel Church EFGC als erste Pfingstkirche in Eritrea, Kale Heywet (Word of Life) Church of Eritrea KHCE, Faith Church of Christ FC, Meserete Krestos (Foundation of Christ) Church MKC, Mehrete Yesus (compassion of Jesus) Evangelical Presbyterian Church of Eritrea MYEPCE. Aktivitäten dieser Gruppen sind inzwischen verboten. Als Begründung heißt es, dass es sich bei ihnen um vom Ausland illegal finanzierte Gruppen handele, die das traditionelle nationale Gefüge zerstören wollten (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 16.10.2024 (Stand: August 2024), S. 12). Auch wird angenommen, dass die eritreische Regierung diese Glaubensgemeinschaften aufgrund ihrer Popularität bei jungen Eritreern als Gefahr für die im Nationaldienst vermittelten Wertevorstellungen sieht, dessen Ziel die Schaffung eines Nationalgefühls ohne religiöse und/oder ethnische Einflüsse ist (BAMF, Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 10). Zwar ist das Vorgehen des eritreischen Staates gegenüber Religionsgemeinschaften nicht einheitlich und gibt es auch Berichte davon, dass einige lokale Behörden die Anwesenheit und Aktivitäten nicht-registrierter religiöser Gruppen tolerierten (BAMF, Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 7). Doch zum einen ist dies vor allem Ausdruck der für den eritreischen Staat typischen Willkür, die sich auch in rechtsgrundlosen Verhaftungen und Bestrafungen zeigt und eine Folge der mangelnden bzw. nicht-vorhandenen Rechtsstaatlichkeit Eritreas ist. Zum anderen gibt es zahlreiche Berichte, die belegen, dass Mitglieder der sogenannten Freikirchen, also insbesondere die Zeugen J. und evangelikale sowie pentekostale Gemeinschaften, unter ganz besonderem Druck durch die eritreische Regierung stehen (vgl. U.S. Department of State: Eritrea 2023 International Religious Freedom Report, S. 12; BAMF, Länderreport Eritrea Religionszugehörigkeit, 7/2023, S. 7; SFH Eritrea: Evangelikale und pentekostale Kirchen, 9.2.2011). So gibt es beispielswiese Berichte von NGOs, dass im Juli 2023 13 Personen aus einer zehnjährigen Haft entlassen wurden, die sie allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der Pfingstbewegung hatten erdulden müssen (vgl. U.S. Department of State: Eritrea 2023 International Religious Freedom Report, S. 8).
26
Nach alledem steht zur Überzeugung des zuständigen Einzelrichters fest, dass Anhängern der Pfingstbewegung in Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen ihrer Religion droht (so bereits VG Köln, Gerichtsbescheid v. 28.9.2023 – 8 K 3117/21.A – juris; VG Leipzig, U.v. 23.12.2020 – 7 K 644/19.A –, asyl.net; vgl. auch VG Minden, U.v. 16.2.2021 – 10 K 1527/20.A –, Rn. 77 juris zu evangelikalen Christen der Mennonitengemeinde). Anknüpfungspunkte für staatliche Verfolgungshandlungen können dabei jedes öffentliche wie private Verhalten sein, das im Kontext der Religionsausübung steht, so etwa das Abhalten von Gottesdiensten in Privaträumen oder das gemeinsame Beten zuhause (vgl. auch VG Köln, Gerichtsbescheid v. 28.9.2023 – 8 K 3117/21.A –, Rn. 67 juris). Die Verfolgungshandlungen reichen von der Unterdrückung der Aktivität nicht anerkannter Religionsgemeinschaften über die Verhaftung deren Mitglieder bis hin zur körperlichen Misshandlung und Folter von Gläubigen. Dabei wird auch der Tod der Verfolgten mindestens billigend in Kauf genommen. Die politische Dimension der Verfolgung stützt sich auf die Überzeugung des eritreischen Staates, bestimmte Religionsgemeinschaften würden durch Steuerung aus dem Ausland auf die Wertevorstellungen der Bevölkerung einwirken und ihre Loyalität zum eritreischen Staat untergraben.
27
c) Der Kläger hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass er der Pfingstbewegung angehört, eine entsprechende Glaubensüberzeugung hat und seinen Glauben auch tatsächlich leben will. Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung (BVerwG U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 –, NVwZ 2013, 936, Rn. 31, beck-online). Ergibt die Prüfung, dass der Asylbewerber seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in seinem Herkunftsland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Asylbewerber zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen (BVerwG a.a.O., Rn. 30, beck-online). Bei der Bewertung, wie viel Wissen der Asylbewerber über seine behauptete Religion hat, ist maßgeblich auf seine individuelle Geschichte, seine Persönlichkeit, sein Bildungsniveau und seine intellektuelle Disposition abzustellen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 –, Rn. 36 juris; BVerwG, B.v. 25.8.2015 – BVerwG 1 B 40.15 –, Rn. 14 juris).
28
Der Kläger hat sowohl in der behördlichen Anhörung als auch in der mündlichen Verhandlung dargestellt, dass er Sohn zweier Pfingstler ist und als solcher von Geburt an der Pfingsbewegung angehört hat und in ihr aufgewachsen ist. Er hat dargestellt, dass er in Äthiopien religiösen Unterricht erhalten hat und nach Absolvierung dessen in seiner Pfingstgemeinde in Äthiopien getauft wurde. Auch hat er glaubhaft beschrieben, dass er in Deutschland regelmäßig einen Gottesdienst der Pfingstgemeinde in D* … bis Silvester 2024 besucht hat. Dass er den Gottesdienst aktuell nicht mehr besucht, hat er schlüssig mit dem Wegzug seines Begleiters, bei dem er vor Gottesdiensten übernachten konnte, und der langen Anreise von seiner Unterkunft in V* … nach D* … erklärt. Auch hat er ausgeführt, dass er stattdessen dienstags und donnerstags über einen Livestream an einem online Gottesdienst der Halwot Emmanual Church teilnimmt. Er hat betont, dass ihm die Verbreitung seines Glaubens, und ausdrücklich auch die Missionierung seiner Mitmenschen, besonders wichtig seien. Angesprochen darauf, welchen Aspekt seines Glaubens er beim Missionieren in den Vordergrund stellt, verwies der Kläger auf Kapitel 13, Vers 16 des Johannesevangeliums, wonach den Gläubigen ewiges Leben erwarte. All dies begründet die Überzeugung des zuständigen Einzelrichters, dass der Kläger tatsächlich gläubiges und praktizierendes Mitglied der Pfingstbewegung ist und seinen Glauben frei ausleben will.
29
Soweit die Beklagte im Ablehnungsbescheid die Schlüssigkeit der Ausführungen des Klägers zu seiner religiösen Zugehörigkeit infrage stellt und dabei maßgeblich auf dessen knappe Ausführungen zu den Prinzipien des Pentekostalismus abstellt, kann dem nicht gefolgt werden. Wie dargelegt, muss der Wissensstand eines Ausländers zu seiner Religion stets im Kontext seiner Person gesehen werden. Der Kläger genoss in seinem Leben lediglich vier Jahre Schulbildung und hat ausschließlich als Fliesenleger und Tellerwäscher gearbeitet. Zwar hat er mit etwa zwölf Jahren den Glaubensunterricht seiner Pfingstgemeinde besucht, jedoch sind religiöse Lehren und Dogmatik für Kinder in diesem Alter im Zweifel schwierig zu verstehen. Dass er also 15 Jahre später nicht mehr viel über die theoretischen Grundlagen seines Glaubens sagen kann, ist nur naheliegend. Hieraus lässt sich auch nicht ableiten, dass ihm der Glaube nicht wichtig wäre. Vielmehr hat er überzeugend darlegen können, dass er seinen Glauben auf seine Weise auslebt, nämlich durch das Beten und Singen sowie das Besuchen oder Anschauen von Gottesdiensten und der Weitergabe seines Glaubens. Dass er dabei statt dogmatischer Fragen seine Beziehung zu dem Glauben und seine Überzeugung vom ewigen Leben in den Vordergrund stellt, macht nur deutlich, dass dem Glauben des Klägers ein sehr persönliches und individuelles Verständnis seiner Religion zugrunde liegt.
30
Das Ausleben seines Glaubens, insbesondere das Missionieren, aber auch die Teilnahme an Gottesdiensten und sogar das Beten in privaten Räumlichkeiten zusammen mit anderen Gläubigen wäre dem Kläger wie dargestellt in Eritrea nicht möglich, ohne der beachtlichen Gefahr einer Verfolgung in Form von Verhaftung, langjähriger Inhaftierung und sogar Folter durch den eritreischen Staat ausgesetzt zu sein.
31
d) Da sich wie dargelegt bereits aus dem Vortrag des Klägers hinreichend glaubhaft seine religiöse Zugehörigkeit ergibt, kommt es nicht mehr auf den Beweiswert des mit Schriftsatz vom 6.2.2025 übersandten Zertifikats über die Teilnahme an Glaubensunterricht an.
32
Dem Kläger droht damit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Eritrea eine Verfolgung wegen seiner religiösen Zugehörigkeit. Da die Verfolgung von staatlichen Akteuren nach § 3c Nr. 1 AsylG ausgeht und innerhalb Eritreas keine Möglichkeit besteht, dieser Verfolgung zu entgehen (§ 3e Abs. 1 AsylG) hat der Kläger gemäß § 3 Abs. 1 AsylG einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
33
Die Klage erweist sich damit insgesamt bereits im Hauptantrag als begründet.
34
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Asyl nicht erhoben. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG. Hinsichtlich des Antrags auf Asylanerkennung, der von der Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, gilt zwar grundsätzlich die Kostenpflicht der zurücknehmenden Beteiligten, § 155 Abs. 2 VwGO. Allerdings bestimmt sich die Höhe der Kostenverteilung auch in diesem Fall entweder nach denselben Regeln, die für ein teilweises Unterliegen gelten (§ 155 Abs. 1 VwGO) oder aber nach der Frage, welche Mehrkosten im Zusammenhang mit der Klagerücknahme entstanden sind (vgl. Olbertz in Schoch/Schneider/, 46. EL August 2024, VwGO § 155 Rn. 14, beck-online). In beiden Fällen läuft es auf eine Kostenfreiheit des Klägers hinaus. Nach der ersten Ansicht ist konsequenterweise auch § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO anwendbar, da sich aufgrund der weitgehenden Angleichung von Flüchtlingsstatus und Asylberechtigung der zurückgenommene Antrag auf Asylanerkennung kostenmäßig nicht auswirkt (vgl. SächsOVG, U.v. 7.2.2024 – 5 A 234/19.A –, Rn. 75-77, juris; VG Würzburg, U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 –, Rn. 58, juris). Nach der letztgenannten Ansicht haben sich aus der Rücknahme des Antrags vorliegend keine Mehrkosten ergeben.
35
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).