Inhalt

AG München, Beschluss v. 23.01.2025 – 1507 IN 3109/21
Titel:

Unerlaubte Handlung, Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, Gläubigerrechte, Restschuldbefreiungsverfahren, Restschuldbefreiungsantrag, Insolvenzordnung, Belehrungspflicht des Gerichts, Privilegierte Forderung, Insolvenzgericht, Schuldnerschutz, Antrag des Schuldners, Sachvortrag, Angefochtener Beschluss, Prüfungspflicht, Tatsachenvortrag, Rechtsfolgen, Vorprüfungsrecht, Krankenkasse, Sozialversicherungsträger, Rechtsmittel

Normenkette:
InsO § 174 Abs. 2, 175 Abs. 2; SGB § 266a; BGB § 823 Abs. 2
Leitsätze:
1.  Nach § 174 Abs. 2 InsO ist bei einer Anmeldung einer privilegierten Forderung gem. § 175 Abs. 2 InsO ein Sachvortrag dahingehend notwendig, aus welchen Tatsachen sich nach Einschätzung des Gläubigers die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung ergibt. (redaktioneller Leitsatz)
2.  Lediglich ein allgemeiner Verweis auf § 266a StGB ist für den Tatsachenvortrag gem. § 174 Abs. 2 InsO nicht ausreichend, denn ein nach § 266a StGB strafbares und damit über § 823 Abs. 2 BGB auch haftungsrechtlich relevantes Verhalten fällt dem Arbeitgeber nur dann zur Last, wenn er die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung unterlassen hat, obwohl sie ihm möglich gewesen wäre.  (redaktioneller Leitsatz)
3.  Eine Belehrungspflicht des Schuldners über die Rechtsfolgen des § 850f Abs. 2 ZPO kennt die Insolvenzordnung jedoch nicht, sondern lediglich die Belehrung nach § 175 Abs. 2 InsO, welche ohne einem Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners jedoch ins Leere laufen würde. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Restschuldbefreiungsverfahren, Gläubigerrechte, Forderungsanmeldung, Forderungsattribut, Unerlaubte Handlung, Schuldnerschutz, Insolvenztabelle
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 23.10.2024 – 1507 IN 3109/21
Rechtsmittelinstanz:
AG München, Beschluss vom 24.02.2025 – 1507 IN 3109/21
Fundstellen:
FDInsR 2025, 004403
BeckRS 2025, 4403

Tenor

Der Erinnerung vom 05.11.2024 der Tabellengläubigerin, lfd. Nr. 5 der Tabelle, gegen den Beschluss vom 23.10.2024 (Bl. 152/153 d.A.) wird nicht abgeholfen, § 11 Abs. 2 RPflG.

Gründe

1
Der Erinnerung vom 05.11.2024 (Bl. 154/160 d.A.) wird aus den im angefochtenen Beschluss genannten Gründen nicht abgeholfen.
I.
2
a) Die Krankenkasse stützt ihren Antrag auf Eintragung eines Forderungsattributs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in der eingelegten Erinnerung u.a. darauf, dass mit dem „Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur „Stärkung der Gläubigerrechte“ vom 15.07.2013“ § 175 Abs. 2 InsO geändert wurde, um die Gläubigerrechte zu stärken bezieht sich insoweit auf die BT-Drucksache 14/6468 S. 1 zu Punkt A. und die Punkte 12 und 12a auf Seite 7 und 8. Dabei will sie auch eine Legitimation des Insolvenzgerichts zur Prüfung des angemeldeten Forderungsattributs nicht erkennen.
3
b) Daneben stützt es die Erinnerung auf die Entscheidung des AG Ludwigshafen am Rhein vom 12.12.2023 – 3e IN 361/22 Lu.
4
c) Darüber geht die Erinnerungsführerin davon aus, dass auch der BGH keine Beschränkung der Forderungsfeststellung sieht, wenn der Schuldner keinen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt hat und dies obwohl der BGH in seinem Beschluss vom 16.07.2020 – 19 ZB 14/19 in Rn. 8 lediglich unkommentiert auf zwei Beschlüsse des VII. Zivilsenats hingewiesen hat.
II.
5
a) Die Erinnerungsführerin benennt das „Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ vom 15.07.2013 und bezieht sich auf die BT-Drucksache 14/6468, bei welcher es sich jedoch tatsächlich um das „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze“ vom 26.10.2001 handelt. Das „Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ vom 15.07.2013 ist in der BT-Drucksache 17/13535 abgedruckt.
6
Mit dem „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze“ vom 26.10.2001 wird zwar § 175 Abs. 2 InsO geändert, jedoch zum Zwecke des Schuldnerschutzes, denn die Belehrung des häufig rechtsunkundigen Schuldners hat für diesen im Insolvenzverfahren und anschließender Restschuldbefreiung existenzielle Bedeutung (vgl. BT-Drs. 14/6468 S. 17/18 zu 4. § 175 Abs. 2). Laut der Begründung wäre die Forderung von einer Restschuldbefreiung ausgeschlossen, ohne dass diese schwerwiegende Konsequenz dem Schuldner stets bewusst sein wird, sodass der Schuldner über die Rechtsfolgen des § 302 InsO sowie über die Möglichkeit seines Widerspruchs zu informieren ist.
7
In dem „Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ vom 15.07.2013 wurde § 174 Abs. 2 InsO und § 175 Abs. 2 InsO lediglich um die weiteren Forderungsattribute der vorsätzlich pflichtwidrigen Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht sowie der Steuerstraftaten nach § §§ 370, 373 oder 374 AO ergänzt.
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Die Argumentation der Erinnerungsführerin geht damit fehl.
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b) Auch will die Erinnerungsführerin eine Legitimation des Insolvenzgerichts zur Prüfung des angemeldeten Forderungsattributs nicht erkennen. Das Insolvenzgericht hat bei der Forderungsprüfung ein formelles Vorprüfungsrecht und bei der Anmeldung von privilegierten Forderungen sogar eine Prüfungspflicht (vgl. BeckOK InsR/Zenker, 36. Ed. 15.7.2024, InsO § 174 Rn. 41).
10
Nach § 174 Abs. 2 InsO ist bei einer Anmeldung einer privilegierten Forderung gem. § 175 Abs. 2 InsO ein Sachvortrag dahingehend notwendig, aus welchen Tatsachen sich nach Einschätzung des Gläubigers die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung ergibt. Der Sachvortrag des Gläubigers muss zumindest diejenigen Angaben enthalten, die erforderlich sind, um dem Schuldner die konkrete vorwerfbare Handlung vor Augen zu führen.
11
Der Anspruch der Sozialversicherungseinzugsstellen auf fällige Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung kann dann mit dem Attribut „Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung“ nur in die Tabelle eingetragen werden, wenn zumindest vorgetragen wird, dass der Schuldner die Abführung unterließ, obwohl er zur Zahlung in der Lage gewesen wäre, was wiederum daraus geschlossen werden kann, dass Entgeltzahlungen an die Arbeitnehmer erfolgten (vgl. MüKoInsO/Riedel, 4. Aufl. 2019, InsO § 174 Rn. 35).
12
Lediglich ein allgemeiner Verweis auf § 266a StGB ist für den Tatsachenvortrag gem. § 174 Abs. 2 InsO nicht ausreichend, denn ein nach § 266a StGB strafbares und damit über § 823 Abs. 2 BGB auch haftungsrechtlich relevantes Verhalten fällt dem Arbeitgeber nur dann zur Last, wenn er die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung unterlassen hat, obwohl sie ihm möglich gewesen wäre. Mithin fehlt es an einer Tatbestandsverwirklichung, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung der konkret von ihm in § 266a StGB geforderten Handlungspflicht im Zeitpunkt der Fälligkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen außer Stande war (Groß ZIP 2001, 945, 949).
13
Für den Vorsatz, wie ihn § 266a Abs. 1 StGB voraussetzt, ist das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen. Im Rahmen des hier ausreichenden bedingten Vorsatzes sind diese Voraussetzungen auch dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber trotz Vorstellung von der Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung diese gebilligt und nicht in dem erforderlichen Maße auf Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Abführung der Arbeitnehmerbeiträge hingewirkt hat (BGHZ 134, 304, 314; OLG Celle ZInsO 2001, 1109) . Ein Irrtum des Geschäftsführers über den Umfang seiner Pflicht zur Überwachung einer an die Buchhaltung erteilten Anweisung zur Zahlung fälliger Arbeitnehmerbeiträge ist ein Verbotsirrtum, der in der Regel den Vorsatz hinsichtlich des Vorenthaltens dieser Beiträge nicht entfallen lässt (BGH NZI 2001, 194), vgl. Uhlenbruck/Sternal, 15. Aufl. 2019, InsO § 302 Rn. 13-14).
14
Darüber hinaus sind zumindest Angaben zum Zeitraum sowie zu den betroffenen Arbeitnehmern zu machen, vgl. BeckOK InsR/Zenker, 33. Ed. 15.10.2023, InsO § 174 Rn. 30.2.
15
In der Forderungsanmeldung vom 29.11.2022 gibt die Erinnerungsführerin zwar an, dass die vorenthaltenen Arbeitnehmerbeiträge für den Zeitraum von 01.05.2021 bis 15.08.2021 mit dem Forderungsattribut der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldet werden. Die übrigen erforderlichen Angaben lassen sich der Anmeldung sowie der beigefügten „Erläuterung zur Forderung aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung“ jedoch nicht entnehmen. Indes erfolgt mit dieser Erläuterung nur ein ganz allgemeiner Sachvortrag, der sich gerade nicht auf den konkreten Einzelfall bezieht.
16
Selbst wenn ein Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung vorliegen würde, ist die Anmeldung des Forderungsattributs auch deshalb bereits zurückzuweisen, da die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Insolvenztabelle nicht (ausreichend) vorliegen.
17
c) Die Rechtsansicht des AG Ludwigshafen am Rhein, welche von Keller in ZinsO 2024, 742 sowie von Lissner in InsbürO 2024, 263 bereits kommentiert ist, wird im Ergebnis durch das hiesige Gericht nicht geteilt. Entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut will das AG Ludwigshafen am Rhein die Belehrungspflicht des Gerichts gegenüber dem Schuldner über die Rechtsfolgen des § 175 Abs. 2 InsO teleologisch reduzieren.
18
Stattdessen solle der Schuldner in Verfahren, in denen kein Restschuldbefreiungsantrag gestellt worden ist, über die Rechtsfolgen des § 850f Abs. 2 ZPO belehrt werden.
19
Eine Belehrungspflicht des Schuldners über die Rechtsfolgen des § 850f Abs. 2 ZPO kennt die Insolvenzordnung jedoch nicht, sondern lediglich die Belehrung nach § 175 Abs. 2 InsO, welche ohne einem Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners jedoch ins Leere laufen würde. Folglich würde damit der mit dem „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze“ vom 26.10.2001 eingeführte Schuldnerschutz praktisch ausgehebelt. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss vom 23.10.2024 verwiesen. d)
20
Die Erinnerungsführerin führt nun selbst aus, dass der BGH in seinem Beschluss vom 16.07.2020 – 19 ZB 14/19 völlig unkommentiert auf zwei Beschlüsse des VII. Zivilsenats (Beschl. vom 04.09.2019 – VII ZB 91/17 und Beschl. vom 11.03.2020 – VII ZB 38/19) hingewiesen hat. Auch insoweit wird ausdrücklich auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
21
Im Übrigen wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
22
Das Rechtsmittel wird dem zuständigen Richter zur Entscheidung vorgelegt.