Inhalt

VG München, Beschluss v. 16.01.2025 – M 19L DK 24.132
Titel:

Disziplinarklage auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Einstellung des Verfahrens nach Tod des Beamten, Kosten

Normenketten:
BayDG Art. 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
BayDG Art. 57 Abs. 2 Nr. 2
Art. 72 Abs. 4 S. 2 BayDG i.V.m. § 161 Abs. 2 VwGO
Schlagworte:
Disziplinarklage auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Einstellung des Verfahrens nach Tod des Beamten, Kosten
Fundstelle:
BeckRS 2025, 434

Tenor

I. Das Disziplinarverfahren wird eingestellt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Gegenstand des Verfahrens war eine Disziplinarklage vom 18. Dezember 2023, mit der der Kläger die Aberkennung des Ruhegehalts des nach Klageerhebung verstorbenen Beklagten verfolgte. Der 1964 geborene Beklagte war seit 1. April 2017 Ruhestandsbeamter (Steuerinspektor a.D.). Auf den Inhalt der Disziplinarklage wird gemäß § 117 Abs. 3 VwGO Bezug genommen.
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Am 27. November 2024 teilte die Bevollmächtigte des Beklagten mit, dass dieser am Vortag verstorben ist. Unter Vorlage der Sterbeurkunde beantragte sie am 3. Dezember 2024 unter Verwahrung gegen die Kostenlast, das Verfahren einzustellen.
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Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 3. Januar 2025 sein Einverständnis mit der Einstellung des Verfahrens. Die Kosten seien der Beklagtenseite aufzuerlegen, da die vorgeworfenen Dienstvergehen erwiesen seien.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
5
1. Das Disziplinarverfahren gegen den Beklagten wird gemäß Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayDG eingestellt, da der Beamte ausweislich der vorgelegten Sterbeurkunde vom 29. November 2024 am 26. November 2024 verstorben ist. Nach Erhebung der Disziplinarklage erfolgt die Einstellung des Disziplinarverfahrens durch das zuständige Disziplinargericht im Beschlusswege durch die Vorsitzende, ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (Art. 43 Abs. 2 BayDG i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
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2. Über die Kosten des Disziplinarverfahrens ist gemäß Art. 72 Abs. 4 Satz 2 BayDG, § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Dem entspricht es hier, die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Beklagten entstandenen notwendigen Aufwendungen (Art. 73 Abs. 2 BayDG) dem Beklagten aufzuerlegen, da vom Vorliegen eines Dienstvergehens auszugehen ist, aufgrund dessen gegen diesen im Verfahren der Disziplinarklage auf eine Disziplinarmaßnahme oder erkannt worden wäre (Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Nach Aktenlage hat der Beklagte nach seinem Eintritt in den Ruhestand insbesondere vorwerfbar seine Pflicht nach § 29 Abs. 4 BeamtStG verletzt, sich geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit zu unterziehen und entsprechenden Weisungen des Dienstherrn Folge zu leisten.
7
a) Wie in der Disziplinarklage – die den Akteninhalt zutreffend wiedergibt – dargelegt, hat sich der infolge dauernder Dienstunfähigkeit aufgrund seiner Alkoholerkrankung zum 1. April 2017 in den Ruhestand versetzte Beklagte zwar auf Anweisung des Dienstherrn vom 21. März 2018 bis 1. Mai 2018 in eine stationäre Entwöhnungsbehandlung begeben. Er hat nach Entlassung auch einige Monate eine Selbsthilfegruppe und 15 therapeutische Einzelgespräche bzw. Gruppensitzungen besucht. Die Untersuchung bei der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Oberbayern am 31. Oktober 2018 zur Frage der Reaktivierung hat aber keine Abstinenz und keine entsprechende Motivation des Beklagten ergeben. Nach ärztlicher Einschätzung waren für die Wiederherstellung der seinerzeit nicht bestehenden Dienstfähigkeit anhaltende Abstinenz sowie psychische Stabilität und insoweit gezielte ambulante Behandlungsmaßnahmen (nervenärztliche, psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung, Anbindung an eine Suchtambulanz, regelmäßige Besuche einer Selbsthilfegruppe) erforderlich. Der hierauf ergangenen Anweisung des Dienstherrn vom 27. November 2018, Nachweise für die Aufnahme entsprechender Maßnahmen vorzulegen, kam der Beklagte auch nach wiederholter Aufforderung mit Schreiben vom 6. Juni 2019 und jeweils ergangenem Hinweis auf seine dienstlichen Pflichten nach § 29 Abs. 4 BeamtStG nicht nach. Er teilte lediglich mit, die Selbsthilfegruppe wieder zu besuchen und legte Nachweise für drei psychotherapeutische Behandlungstermine vor. Die Untersuchung der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Oberbayern vom 12. Dezember 2019 ergab, dass sich die Suchterkrankung des Beklagten nicht stabilisiert hatte und Abstinenz weder erreicht noch vom Beamten angestrebt worden sei. Eine kontinuierliche und konsequente nervenärztliche, psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung, die Anbindung an eine Suchtambulanz und regelmäßige Besuche einer Selbsthilfegruppe wurden weiter für erforderlich angesehen. Nach einer stationären Entgiftungsmaßnahme vom 24. bis 27. Januar 2021 und einer vom Beklagten behaupteten zehnwöchigen Abstinenz nahm die Medizinische Untersuchungsstelle der Regierung von Oberbayern unter dem 18. Februar 2022 dahingehend Stellung, dass die Haaranalyse vom 19. Januar 2022 eine Abstinenz nicht bestätige und sich anhand einer neuropsychologischen Testung eine mittelgradige kognitive Störung mit Defiziten vor allem im Bereich der Aufmerksamkeit und des Planens bzw. Problemlösens sowie eine reduzierte kognitive Belastbarkeit zeige; es bestehe weiterhin dauerhafte Dienstunfähigkeit. Spezifische Therapiemaßnahmen wurden weiterhin für erforderlich gehalten. Nachweise für die Durchführung solcher Maßnahmen legte der Beklagte auch nach erneutem Hinweis des Dienstherrn mit Schreiben vom 1. März 2022 auf seine Verpflichtung, sich geeigneten und zumutbaren Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit zu unterziehen, nicht vor.
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b) Die Aktenlage ergibt auch mit Blick auf die langjährige und schwerwiegende Suchterkrankung sowie das Alter des Beklagten keine konkreten Hinweise darauf, dass seine Dienstunfähigkeit keinesfalls wiederzuerlangen gewesen wäre. Vielmehr war dies an eine dauerhafte Abstinenz und eine psychische Stabilisierung geknüpft, die ohne eine umfassende Behandlung nicht zu erwarten waren. Aufgrund der ärztlichen Einschätzungen von Seiten der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Oberbayern und der sonstigen vorliegenden medizinischen Unterlagen ist zudem nicht ersichtlich, dass die von Seiten des Dienstherrn für erforderlich gehaltenen Maßnahmen nicht geeignet oder zumutbar gewesen wären.
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Auch Anhaltspunkte für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit des Beklagten liegen nicht vor. Die Abhängigkeitserkrankung allein erfüllt kein Eingangsmerkmal des § 20 StGB. Hinzukommen müssen besondere Umstände, wie etwa schwerwiegende Persönlichkeitsveränderungen (vgl. etwa VG Trier, U.v. 14.5.2024 – 3 K 2823/23.TR – juris Rn. 58 m.w.N.). Solche sind auch im Hinblick auf die diagnostizierte depressive Erkrankung und die festgestellte kognitive Störung nicht substantiiert vorgetragen, zumal sich den vorliegenden ärztlichen Berichten und Stellungnahmen insoweit nichts entnehmen lässt.
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Es ist im Übrigen nicht erheblich, ob und inwieweit der Beklagte Einsicht in das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Alkoholkrankheit hatte. Entscheidend ist, ob er erkannte, was von ihm mit Rücksicht auf seine Dienstpflichten verlangt wurde, und ob er in der Lage war, diesem Verlangen zu entsprechen. Er musste auf die Vorschläge und Forderungen seiner Dienstvorgesetzten und der ihn untersuchenden Amtsärzte auch dann eingehen, wenn er meinte, ohne die empfohlene Behandlung auskommen zu können. Über seine dienstlichen Pflichten war der Beklagte wiederholt belehrt worden. Darüber hinaus war er auch auf die disziplinarrechtlichen Folgen einer Weigerung, an der Wiederherstellung seiner vollen Dienstfähigkeit mitzuwirken, hingewiesen worden.
11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO analog, § 158 Abs. 2 VwGO).