Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 05.02.2025 – 203 StObWs 2/25
Titel:

Rücknahme einer formwidrigen Rechtsbeschwerde

Normenketten:
StPO § 302
StVollzG § 118 Abs. 3, § 119 Abs. 1, Abs. 5
Leitsätze:
1. Grundsätzlich kann die Rücknahme der Rechtsbeschwerde im Strafvollzugsverfahren von Seiten des Strafgefangenen nur schriftlich durch einen Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen. Eine Ausnahme muss aber dann gelten, wenn der Beschwerdeführer eine nach § 118 Abs. 3 StVollzG formunwirksame Rechtsbeschwerde eingelegt hat. (Rn. 6)
2. Die Zurücknahme eines Rechtsmittels ist bis zur Entscheidung über dieses möglich. Ein Beschluss des Rechtsbeschwerdegerichts ist dann erlassen, wenn er mit den Unterschriften der Richter versehen in den Geschäftsgang gegeben wird. (Rn. 8)
Schlagworte:
Strafvollzugsrecht, Rechtsbeschwerde, formwidrige Einlegung, Rücknahme, Formerfordernis
Vorinstanz:
LG Amberg, Beschluss vom 08.11.2024 – 2 StVK 276/23 Vollz
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4320

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 8. November 2024 wirksam zurückgenommen ist. Der Beschluss des Senats vom 28. Januar 2025 ist gegenstandslos.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner zurückgenommenen Rechtsbeschwerde zu tragen.
3. Der Gegenstandswert wird auf 5000.- € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 28. Januar 2025 hat der Senat die Rechtsbeschwerde des Antragstellers als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel weder von einem Rechtsanwalt unterzeichnet noch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt worden ist (Art. 208 BayStVollzG, § 118 Abs. 3, § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG). Mit Schreiben vom 20. Januar 2025, beim Bayerischen Obersten Landesgericht per Post eingegangen am 29. Januar 2025, hat der Antragsteller erklärt, die Rechtsbeschwerde zurückziehen zu wollen.
II.
2
Es ist festzustellen, dass die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 8. November 2024 nach § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG i.V.m. § 302 StPO wirksam zurückgenommen worden ist, bevor der Senatsbeschluss vom 28. Januar 2025 wirksam geworden ist.
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1. Grundsätzlich kann auch ein unzulässiges Rechtsmittel wirksam zurückgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2000 – 3 StR 588/99 –, juris Rn. 3 zur Revision; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. § 302 Rn. 1, 2; Jesse in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 302 Rn. 32).
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2. Dass der Beschwerdeführer die Rücknahme mit selbst verfasstem Schreiben erklärt hat, macht die Rücknahme hier nicht unwirksam.
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a. Die Vorschrift des § 302 StPO trifft keine Regelung zur Form der Rücknahme eines Rechtsmittels. Nach allgemeiner Ansicht richtet sich die Form zum Schutz vor übereilten Erklärungen nach der Form der Einlegung des Rechtsmittels, auf das sich die Rücknahme bezieht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 4 StR 171/23 –, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 4 StR 691/10-, juris Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 302 Rn. 7). Der Formzwang soll den zu der Erklärung Berechtigten zu einer gründlichen Prüfung des Für und Wider seines Schrittes veranlassen und ihn vor einer unüberlegten Entscheidung bewahren (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 4 StR 171/23 –, juris Rn. 6).
6
b. Nach § 118 Abs. 3 StVollzG kann die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen nur in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts eingelegt werden. Entsprechend muss die Erklärung der Rücknahme der Rechtsbeschwerde nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich ebenfalls dieser Formvorschrift genügen (OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Dezember 1999 – 2 Ws 755/99 –, juris; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel Rechtsbehelfe L § 118 StVollzG Rn. 9; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl. 2024, Kap. P Rn. 107; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, 26. Ed. 1.8.2024, StVollzG § 118 Rn. 5; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 118 Rn. 5 m.w.N.). Danach kann die Rücknahme von Seiten des Strafgefangenen nur schriftlich durch einen Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen. Eine selbst verfasste Rücknahme wird als unwirksam erachtet (Laubenthal a.a.O.). Eine Ausnahme muss aber dann gelten, wenn der Beschwerdeführer wie hier eine nach § 118 Abs. 3 StVollzG formunwirksame Rechtsbeschwerde eingelegt hat, um ihm eine unkomplizierte Rücknahme des unwirksamen Rechtsmittels zu ermöglichen. Denn in diesem Fall kommt weder dem Aspekt des Übereilungsschutzes (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 4 StR 171/23 –, juris Rn. 6) noch dem Schutz vor Formfehlern und sonstigen Mängeln (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2012 – 2 BvR 1095/12 –, juris Rn. 8 m.w.N.; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, 15. Ed. 01.02.2019, StVollzG § 118 Rn. 4) eine maßgebliche Bedeutung zu.
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3. Die Rücknahme der Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingegangen.
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a. Die Zurücknahme eines Rechtsmittels ist bis zur Entscheidung über dieses möglich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 302 Rn. 6). Die Entscheidung ist getroffen, wenn sie für das Gericht, das sie gefasst hat – außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen – unabänderlich ist. Bei Beschlüssen, die nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen, ist dies bereits dann der Fall, wenn sie mit den Unterschriften der Richter versehen in den Geschäftsgang gegeben werden (BGH, Beschluss vom 23. August 2016 – 3 StR 125/16 –, juris Rn. 3). Die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 119 Abs. 1 StVollzG ist nach § 119 Abs. 5 StVollzG endgültig. Der Beschluss führt nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei. Ein derartiger Beschluss ist dann erlassen, wenn er mit den Unterschriften der Richter versehen in den Geschäftsgang gegeben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2024 – 5 StR 40/24 –, juris (m.w.N.) zu § 349 Abs. 2 und 4 StPO).
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b. Hier ist der Senatsbeschluss mit allen Unterschriften versehen erst am Nachmittag des 29. Januar 2025 in den Geschäftsgang des Bayerischen Obersten Landesgerichts gelangt, als der Beisitzer laut seiner dienstlichen Erklärung die Akte mit dem Beschluss nach dessen Unterzeichnung in den Abtrag gelegt hat. Damit ist die Rücknahme der Rechtsbeschwerde dem mit der Sache befassten Gericht zugegangen, noch bevor der Beschluss vom 28. Januar 2025 wirksam geworden ist. Einer Kenntnisnahme des Richters oder der Geschäftsstelle von der Rücknahme bedarf es nicht (Jesse a.a.O. § 302 Rn. 35; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 302 Rn. 8). Der Verwerfungsbeschluss ist somit gegenstandslos zu erklären.
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Nach der wirksamen Rücknahme der Rechtsbeschwerde ist über die Kosten zu entscheiden. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG, § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts richtet sich nach § 1 Nr. 8, § 63 Abs. 2, §§ 60, 52, 34 Abs. 1 GKG.