Titel:
Elternteil als pflegende Begleitperson im Präsenzunterricht
Normenketten:
GG Art. 7 Abs. 1
BaySchO § 19 Abs. 5 S. 1
BV Art. 131
BayEUG Art. 35 Abs. 1 S. 1, Art. 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Art. 76 S. 2
HUnterrV § 6 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Die Teilnahme eines pflegenden Elternteils am Unterricht kann versagt werden, wenn außergewöhnliche Gründe dies rechtfertigen. Solche Gründe können vorliegen, wenn Tatsachen dafür vorliegen, dass durch störendes Verhalten des Elternteils der Unterricht beeinträchtigt oder nachweislich die Suche nach geeigneten Pflegekräften nicht (in ausreichendem Maße) betrieben wird. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Entscheidung über die Begleitung eines Kindes im Unterricht durch ein pflegendes Elternteil sind drei verfassungsrechtlich gleichrangige Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen: Die sich aus dem verfassungsrechtlich verbürgten staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 131 BV) ergebende Organisationshoheit der Schule, das grundrechtlich geschützte Interesse der Mitschülerinnen und Mitschüler an einem gegen elterliche Einflussnahme geschützten Frei- und Schonraum sowie der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch des auf pflegerische Betreuung angewiesenen Schülers auf Teilnahme am Präsenzunterricht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Anwesenheitsrecht für Eltern während des Unterrichts besteht im Freistaat Bayern nicht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus und dem Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München gemeinsam erarbeitete Ringbuch "Inklusion zum Nachschlagen" – Teil B Rechtliche Aspekte – ist keine Rechtsnorm. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vater als pflegende Begleitperson im Präsenzunterricht, Distanzunterricht mittels Videoübertragung aus dem Präsenzunterricht., Inklusion, Online-Unterricht, pflegende Begleitperson, Schulpflicht, Bildungs- und Erziehungsauftrag, Schule, Organisationshoheit, Elternrecht
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 16.09.2024 – M 3 E 24.4564
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4314
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu erreichen, dass ihr Vater sie als pflegende Begleitperson in den Präsenzunterricht ihrer Grundschule begleiten darf.
2
Die Antragstellerin besucht derzeit im Schuljahr 2024/2025 die Jahrgangsstufe 4 ihrer Sprengelgrundschule. Sie leidet an einer genetisch bedingten Erkrankung, aufgrund derer sie durchgehend auf künstliche Beatmung angewiesen ist. Ohne die Begleitung einer Pflegekraft kann die Antragstellerin nicht am Präsenzunterricht teilnehmen.
3
In den Schuljahren 2021/2022, 2022/2023 und 2023/2024 begleitete ihr Vater die Antragstellerin in den Präsenzunterricht, da es ihren Eltern nicht gelungen war, eine Pflegekraft zu finden, die die pflegerische Betreuung der Antragstellerin während der Unterrichtszeit sicherstellen konnte. Der Verwaltungsgerichtshof hatte mit Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 7 CE 21.2431 – (juris) den Antragsgegner verpflichtet, dem Vater der Antragstellerin im Schuljahr 2021/2022 einstweilen zu gestatten, als pflegerische Begleitperson am Präsenzunterricht teilzunehmen bis geeignete Pflegekräfte für den Schulbesuch gefunden sind, vorerst längstens bis zum Ende des Schuljahres 2021/2022. Für die beiden darauffolgenden Schuljahre sprach das Verwaltungsgericht München mit Beschlüssen vom 27. September 2022 und vom 25. September 2023 inhaltlich jeweils gleichlautende Verpflichtungen aus.
4
Mit Bescheid vom 15. Mai 2024 versagte der Antragsgegner der Antragstellerin die Genehmigung, dass sie auch im Schuljahr 2024/2025 von ihrem Vater in den Unterricht begleitet wird. Das Verwaltungsgericht lehnte den daraufhin von der Antragstellerin beantragten Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 16. September 2024 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie sich hinreichend intensiv um eine externe Pflegekraft zur Begleitung in den Präsenzunterricht bemüht habe. Insbesondere mit Blick auf die im Schuljahr 2023/2024 aufgetretenen Schwierigkeiten zwischen der Schule und dem Vater wäre zu erwarten gewesen, dass seitens der Antragstellerin die Bemühungen, eine externe Pflegekraft zu finden, intensiviert werden.
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Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde. Der Senat hat am 10. Dezember 2024 einen Erörterungstermin durchgeführt.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakten Bezug genommen.
7
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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Die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, weiterhin beanspruchen zu können, von ihrem Vater als pflegender Begleitperson in den Präsenzunterricht ihrer Grundschule begleitet zu werden.
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1. Die Antragstellerin ist schulpflichtig (vgl. Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayEUG). Sie hat daher ein durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf schulische Bildung (vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 971/21 – juris Rn. 47 f.) und einen Anspruch auf Teilnahme am Präsenzunterricht (vgl. hierzu näher: BayVGH, B.v. 20.12.2021 – 7 CE 21.2431 – juris Rn. 3 f.). Zur Verwirklichung dieses grundrechtlich verbürgten Teilhaberechts ist es aus medizinischen Gründen erforderlich, dass die Antragstellerin auch während des Präsenzunterrichts von einer Pflegekraft begleitet wird. Der Senat hat hierzu im Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 7 CE 21.2431 – (juris Rn. 21) ausgeführt, dass ausnahmsweise einem pflegenden Elternteil die Teilnahme am Unterricht zu gestatten ist, wenn sich nachweislich trotz intensiver Suche keine geeignete Pflegekraft hierfür findet und der Schülerin oder dem Schüler ansonsten die Teilnahme am Präsenzunterricht einer Regelschule nicht möglich ist.
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Die Teilnahme eines pflegenden Elternteils am Unterricht kann nach den Ausführungen im Beschluss vom 20. Dezember 2021 (dort Rn. 21) allerdings dann versagt werden, wenn außergewöhnliche Gründe dies rechtfertigen. Solche Gründe können vorliegen, wenn Tatsachen dafür vorliegen, dass durch störendes Verhalten des Elternteils der Unterricht beeinträchtigt oder nachweislich die Suche nach geeigneten Pflegekräften nicht (in ausreichendem Maße) betrieben wird. Dem liegt zu Grunde, dass in Konstellationen wie der vorliegenden drei verfassungsrechtlich gleichrangige Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Aus dem verfassungsrechtlich verbürgten staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 131 BV) ergibt sich zunächst das Recht der Schule, im Rahmen ihrer Organisationshoheit sicherzustellen, dass der Unterricht frei von elterlicher Einflussnahme stattfindet. Ein Anwesenheitsrecht für Eltern während des Unterrichts besteht im Freistaat Bayern nicht (vgl. Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Stand 12/2024, Art. 76 BayEUG Rn. 5). Zudem sind die ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen der Mitschülerinnen und Mitschüler in den Blick zu nehmen. Diese sollen in der Schule einen möglichst optimalen Frei- und Schonraum vorfinden, in dem ihre Äußerungen und ihr Verhalten weder von ihren eigenen Eltern noch von den Eltern der anderen Mitschülerinnen oder Mitschüler wahrgenommen werden. Darüber hinaus ist der verfassungsrechtlich gewährleistete Teilhabeanspruch der auf besondere pflegerische Betreuung angewiesenen Schülerin bzw. des auf besondere pflegerische Betreuung angewiesenen Schülers auf Teilnahme am Präsenzunterricht zu berücksichtigen. Solange die aus zwingenden Gründen erforderliche Anwesenheit eines Elternteils im Unterricht das notwendige Gleichgewicht dieser Interessen nicht beeinträchtigt, ist diesem ausnahmsweise die Anwesenheit im Unterricht zu gestatten. Andernfalls kann eine Begleitung durch den pflegenden Elternteil auch dann abgelehnt werden, wenn dies zur Konsequenz hat, dass die Schülerin oder der Schüler nicht in Präsenz, sondern anders beschult werden muss.
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2. Hieran gemessen kommt eine weitere Begleitung der Antragstellerin durch ihren Vater in den Präsenzunterricht ihrer Grundschulklasse nicht mehr in Betracht. Auch im Bewusstsein der besonderen Herausforderungen der Lebenssituation der Antragstellerin und ihrer Familie und unter Berücksichtigung dessen, dass die Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit mangels anderweitiger pflegerischer Betreuung nicht den Präsenzunterricht besuchen kann, sondern auf andere Weise beschult werden muss, stehen der staatliche Erziehungsauftrag der Schule sowie die Interessen von Mitschülerinnen und Mitschülern einer weiteren Anwesenheit ihres Vaters im Unterricht entgegen. Die vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen sowie die Ausführungen der Beteiligten im Erörterungstermin am 10. Dezember 2024 rechtfertigen die Annahme, dass durch die bisherige Anwesenheit des Vaters in der Grundschule der Antragstellerin sowohl das dortige Unterrichtsgeschehen gestört als auch die Belange der Mitschülerinnen und Mitschüler wesentlich beeinträchtigt wurden. Zudem ist hinreichend wahrscheinlich, dass auch künftig mit störendem Verhalten des Vaters zu rechnen ist.
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a) Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass das Verhalten des Vaters der Antragstellerin sowohl gegenüber der Klassenlehrerin (auch während des Unterrichts) als auch gegenüber der Schulleiterin wiederholt in erheblicher Weise unangemessen war. Nach dem glaubhaften Vortrag der Vertreterinnen des Antragsgegners geriet er wiederholt mit der Klassenlehrerin u.a. über den Umfang des Lüftens des Klassenraums in Streit. Dabei sprang er teils auf, um das Öffnen der Fenster zu verhindern und äußerte sich lautstark. Sowohl während des Unterrichts als auch in der Pause kam es immer wieder zu auch lautstarken Diskussionen zwischen ihm und den Lehrkräften. Von der Schule vorgeschlagene Kompromisslösungen lehnte er ab. Er unterbrach den Unterricht, wenn er der Auffassung war, die Antragstellerin werde nicht oft genug aufgerufen. Das Verhalten des Vaters der Antragstellerin führte sogar dazu, dass die Schulleiterin ihm vor dem Beginn der Osterferien 2024 ein dreitägiges Hausverbot erteilte. Aktenkundig sind zudem Beschwerden von Eltern von Mitschülerinnen und Mitschülern über eine angespannte Atmosphäre in der Klasse und über Druck- und Angstsituationen ihrer Kinder im Unterricht. Die Kinder hätten das Gefühl, bei Anwesenheit des Vaters der Antragstellerin nicht frei sagen zu können, was sie dächten und könnten sich deshalb nicht frei entfalten. Sie hätten Angst vor dem Vater der Antragstellerin. Zudem leide die Klassengemeinschaft unter dessen Anwesenheit. Im Erörterungstermin am 10. Dezember 2024 bekräftigte die Schulleiterin die geschilderten Vorfälle.
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Unter Würdigung der aufgezeigten Umstände ist daher davon auszugehen, dass in Anwesenheit des Vaters der Antragstellerin ein geordneter Unterricht, der neben den Belangen und Bedürfnissen der Antragstellerin auch die ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler sowie die der Lehrkräfte bzw. der Schule angemessen berücksichtigt, nicht möglich ist. Entgegen seiner ausdrücklichen Zusage im ersten Beschwerdeverfahren, sich in der Schule vollkommen im Hintergrund zu halten, wurde aufgrund der Aktenlage und unter Würdigung der Äußerungen der Vertreterinnen des Antragsgegners im Erörterungstermin am 10. Dezember 2024 deutlich, dass der Vater der Antragstellerin in der Schule nicht ausschließlich als pflegerische Begleitung seiner Tochter auftritt. Der Senat hat auch aufgrund des Eindrucks vom Verhalten des Vaters der Antragstellerin während des Erörterungstermins keinen Zweifel, dass sich dieser nicht zurückhalten kann, sondern sich zu stark in das Unterrichtsgeschehen und die Organisationshoheit der unterrichtenden Lehrkräfte einmischt. Dies geht offensichtlich auch zu Lasten der anderen Schülerinnen und Schüler. Nach Aktenlage leidet sogar die Antragstellerin selbst immer wieder unter der – auf das Verhalten ihres Vaters zurückzuführenden – angespannten Atmosphäre im Unterricht.
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Im Erörterungstermin zeigte sich insbesondere, dass dem Vater der Antragstellerin jegliche Einsicht in die Außenwirkung seines Verhaltens fehlt und es ihm an einem grundsätzlichen Verständnis für die Belange von Schule sowie von Mitschülerinnen und Mitschülern mangelt. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass eine deutliche und nachhaltige Änderung seines Verhaltens auch im streitgegenständlichen Schuljahr nicht zu erwarten ist. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat der Senat keinen Zweifel, dass die Schule bislang durchgehend bemüht war und es auch weiterhin sein wird, den Bedürfnissen der Antragstellerin weitest möglich nachzukommen. Es steht außer Frage, dass die Schule nach Kräften auf die besondere Situation der Antragstellerin Rücksicht genommen und auf die damit verbundenen Anforderungen ausreichend reagiert hat. Soweit die Eltern der Antragstellerin dies anders bewerten, verkennen sie, dass die Schule auch die Belange der Mitschülerinnen und Mitschüler in den Blick nehmen musste und muss. Weitere Maßnahmen, die die Schule ergreifen könnte, um das Gleichgewicht der konfligierenden Interessen von Antragstellerin, Schule sowie den Mitschülerinnen und Mitschülern wiederherzustellen, erkennt der Senat derzeit nicht.
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b) Zudem haben die Eltern der Antragstellerin in der Vergangenheit gegenüber der Grundschule in unzulässiger Weise Sonderrechte für sich in Anspruch genommen. Auch dies trägt zur Einschätzung des Senats bei, dass sich der Vater auch künftig nicht an Absprachen mit der Schule bezüglich seiner Rolle als ausschließlich pflegende Begleitperson der Antragstellerin halten wird.
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Die Eltern der Antragstellerin wurden wiederholt und in erheblicher Weise den Vorgaben der Bayerischen Schulordnung und der Grundschulordnung nicht gerecht. Im Schuljahr 2023/2024 blieb die Antragstellerin allein an 41 Tagen dem Unterricht unentschuldigt fern, d.h. eine gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 BaySchO (fernmündliche oder schriftliche) Verständigung der Schule über das Fernbleiben unter Angabe eines Grundes unterblieb. Zudem fehlte sie an 64 Tagen zwar entschuldigt, genauere Informationen über den Grund des Fernbleibens erhielt die Schule jedoch nicht. Des Weiteren akzeptierte der Vater der Antragstellerin von der Schule angeordnete Termine zum Nachschreiben von Leistungsnachweisen (§ 10 Abs. 2 Satz 4 GrSchO) nicht. Zwar hat die Klassenlehrerin der Antragstellerin dies wohl hingenommen und Nachschreibtermine mit dem Vater abgesprochen. Jedoch obliegt es allein dem Organisationsermessen der zuständigen Lehrkraft, ob und wann ein versäumter Leistungsnachweis nachzuholen ist. Weder haben ihre Eltern noch hat die Antragstellerin insoweit ein Mitspracherecht. Wird die Nachholung eines versäumten Leistungsnachweises angeordnet und entzieht sich die Antragstellerin dem Ersatztermin wie am 21. Dezember 2023 mit der Begründung, sie möchte lieber am allgemeinen Unterrichtsgeschehen teilnehmen, so stellt dies eine Verweigerung i.S.v. § 11 Abs. 6 GrSchO dar, und es ist die Note 6 zu erteilen. Darüber hinaus brachten die Eltern der Antragstellerin mehrmals Anmerkungen zu Korrekturen der Lehrkräfte auf von der Antragstellerin angefertigten schriftlichen Leistungsnachweisen an, obwohl sie seitens der Schule darauf hingewiesen worden waren, dass dies unzulässig ist. Schriftliche Leistungsnachweise gehören zu den Schülerunterlagen i.S.v. § 37 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a BaySchO, die nicht verändert werden dürfen. Zudem räumt die Antragstellerin ein, dass sie aufgrund der Konflikte während des Unterrichts „frustriert mehrmals die Beschulung verweigert“ und den Unterricht verlassen hat. Auch dies ist unzulässig. Die Antragstellerin ist schulpflichtig und – sofern es objektiv keine zwingenden (gesundheitlichen) Gründe für ihr Fernbleiben gibt – verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen (Art. 35 Abs. 1 Satz 1, Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayEUG). Gemäß Art. 76 Satz 2 BayEUG müssen ihre Eltern dafür sorgen, dass die minderjährige Antragstellerin am Unterricht teilnimmt. Ein eigenmächtiges Verlassen des Unterrichts mit der Begründung, man ist unzufrieden, ist unzulässig.
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c) Entgegen dem Beschwerdevorbringen, ergibt sich auch aus den Ausführungen im zitierten Ringbuch „Inklusion zum Nachschlagen“ – Teil B Rechtliche Aspekte – (im Folgenden: Ringbuch) kein Anspruch des Vaters der Antragstellerin auf Anwesenheit im Präsenzunterricht. Bei diesem Ringbuch handelt es sich um ein vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus und dem Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München (ISB) gemeinsam erarbeitetes Nachschlagewerk für Lehrkräfte, Schulleitungen, Schulaufsichten und schulische Partner, das diese in der Umsetzung der Inklusion an bayerischen Schulen unterstützen möchte (vgl. Vorwort des Ringbuchs). Es ist jedoch keine Rechtsnorm, die den Eltern der Antragstellerin einen Anspruch auf Anwesenheit im Unterricht vermitteln könnte.
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Zudem sind die von der Antragstellerin in Bezug genommenen Ausführungen im Ringbuch auf den Seiten 241 und 242 für ihre Situation nicht weiterführend. Denn die mit der Überschrift „Medikamentengabe und sonstige medizinische Hilfsmaßnahmen, Therapien“ versehenen Ausführungen unter Nr. 5 (im übergeordneten Teil XII „Sonstige Unterstützung“) beziehen sich explizit (nur) auf „Hilfs-Maßnahmen, die rechtlich ohne spezifische Ausbildung vorgenommen werden können, d.h. kein medizinisch geschultes Personal (Pflegekräfte, Krankenschwester) erfordern“. Zu den Hilfsmaßnahmen führt Nr. 5.1 weiter aus, dass diese grundsätzlich nicht in den Verantwortungsbereich von Schule und Lehrkräften fallen, sondern die Verantwortung für medizinische Hilfsmaßnahmen originär bei den Eltern liegt. Eine Lehrkraft kann sich aber auf freiwilliger Basis zur Übernahme von Medikamentengaben und sonstiger medizinischer Hilfsmaßnahmen bereit erklären und so einen Schüler unterstützen, der aufgrund seines Alters oder seiner Behinderung/Krankheit nicht selbst dazu in der Lage ist. Wird diese notwendige Unterstützung nicht durch eine Lehrkraft, eine (schulische) Pflegekraft oder im Rahmen einer Schulbegleitung (durch Dritte) erbracht, liegt die Verantwortung bei den Eltern. Sie können in die Schule kommen und ihr Kind im Rahmen der Erforderlichkeit versorgen. Aus diesen Ausführungen in Nr. 5.1 wird deutlich, dass es sich hier jeweils nur um (kurze) Besuche der Eltern in der Schule handelt, die auf den Zeitraum der Leistung der (einfachen) Hilfsmaßnahme beschränkt sind.
19
Die für die Antragstellerin erforderliche Begleitung ist hiervon nicht erfasst, denn die in ihrem Fall notwendigen Pflegeleistungen überschreiten offensichtlich das Maß der von Nr. 5 beschriebenen „Hilfsmaßnahmen“. Zudem bringen die Eltern der Antragstellerin selbst vor, dass eigentlich eine (hoch) qualifizierte Pflegekraft vonnöten wäre, die die Antragstellerin ständig und umfassend betreuen müsste. Derartige medizinische Unterstützungsleistungen unterfallen daher nicht Nr. 5, sondern der in Nr. 2.1 des Ringbuchs (Nr. 2 „Unterstützung durch die Krankenkassen und Pflegekassen“) aufgeführten „medizinisch-pflegerischen Unterstützung“. Dort wird ausgeführt, dass der medizinisch-pflegerische Unterstützungsbedarf einzelner Schüler durch eine medizinisch ausgebildete Kraft gedeckt wird. Auch Nr. 2.1 ist jedoch nicht zu entnehmen, dass diese Leistungen (standardmäßig) von den Eltern zu erbringen wären und diese durchgängig im Unterricht anwesend sein dürften.
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Mit ihrem Einwand, die Ausführungen in Nr. 5.1 des Ringbuchs betonten, dass die Verantwortung für medizinische Hilfsmaßnahmen bei den Eltern liege, so dass es für die Zulassung eines Elternteils als pflegende Begleitung in den Unterricht nicht darauf ankommen könne, wie intensiv sich die Eltern um eine externe Pflegekraft gekümmert hätten, dringt die Antragstellerin nicht durch. Sie verkennt dabei nicht nur, dass – wie ausgeführt – Nr. 5.1 des Ringbuchs auf ihre Situation und Bedürfnisse nicht anwendbar ist. Sie lässt zudem außer Betracht, dass die Ausführungen des Ringbuchs nicht geeignet sind, die grundsätzliche Organisationsentscheidung des Antragsgegners, Eltern nur in besonders begründeten Ausnahmefällen die Anwesenheit im Präsenzunterricht ihrer Kinder zu gestatten, zu umgehen.
21
d) Anders als die Antragstellerin meint, ist die weitere Begleitung durch ihren Vater nicht deshalb zwingend zu erlauben, weil ihre Beschulung im Präsenzunterricht derzeit mangels geeigneter Begleitung durch Dritte nicht möglich ist. Die Antragstellerin wird aktuell zu Hause mittels Online-Unterricht beschult. Sie erhält grundsätzlich dreimal die Woche eine Doppelstunde Online-Unterricht in den übertrittsrelevanten Kernfächern, die an zwei Tagen von einer Schulsozialpädagogin und an einem Tag von der Klassenlehrerin der Antragstellerin durchgeführt wird. Zudem erhält sie täglich per E-Mail einen Tagesplan mit sämtlichen Unterrichtsmaterialien. Hefteinträge, zusätzliches Material und Links werden auf einer Onlineplattform hochgeladen. Die Antragstellerin wird voraussichtlich ein reguläres Übertrittszeugnis erhalten. Der Senat hat keine Zweifel, dass die Schule damit die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpft. Von der ihnen angebotenen Möglichkeit, Distanzunterricht mittels Videoübertragung aus dem Präsenzunterricht (unter Einsatz eines sog. Avatars) gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 BaySchO i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über den Hausunterricht (v. 29.8.1989, GVBl S. 455, 702, zuletzt geändert durch § 2 der Verordnung v. 13.8.2020, GVBl S. 535 – Hausunterrichtsverordnung – HUnterrV) zu beantragen, haben die Eltern als gesetzliche Vertreter der Antragstellerin bislang keinen Gebrauch gemacht. Im Beschwerdeverfahren wurde eine Bestätigung ihres Hausarztes (v. 11.12.2024) vorgelegt, in der dieser ausführt, die Antragstellerin sei nicht akut erkrankt und könne daher am Präsenzunterricht teilnehmen. Dies sei auch für ihre Sozialkontakte förderlich. Diese Einschätzung übersieht, dass die Antragstellerin allein im Schuljahr 2023/2024 an 64 Tagen entschuldigt und an weiteren 41 Tagen unentschuldigt gefehlt hat. Sie hat aufgrund ihrer Grunderkrankung tatsächlich im Schuljahr 2023/2024 wiederkehrend den Unterricht nicht nur an einzelnen, sondern an insgesamt 105 Tagen versäumt. Unabhängig von der Frage, ob ihr Vater sie in den Präsenzunterricht begleiten darf, dürfte auch in der Zukunft davon auszugehen sein, dass die Antragstellerin krankheitsbedingt den Unterricht nicht nur an einzelnen Tagen, sondern vielmehr wiederholt versäumen wird. Da somit die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 2 HUnterrV vorliegen, würde die Beantragung von Distanzunterricht nach dieser Norm es der Antragstellerin ermöglichen, an Tagen, an denen sie den Präsenzunterricht versäumen muss, mittels Distanzunterricht am Unterrichtsgeschehen gleichwohl teilnehmen zu können. Auf diesem Weg wäre für die Antragstellerin ein kontinuierlicheres Maß an sozialer Teilhabe erreichbar.
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3. Auf das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Eltern der Antragstellerin hätten sich nicht ausreichend intensiv darum bemüht, eine (externe) Pflegekraft zu finden, die die Antragstellerin in die Schule begleiten kann, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an.
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4. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit, dass die Antragstellerin in Begleitung einer externen Pflegekraft jederzeit wieder am Präsenzunterricht teilnehmen kann.
24
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Vorinstanz).
25
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).