Inhalt

VGH München, Urteil v. 06.02.2025 – 6 B 24.629
Titel:

Zeitsoldat, vorzeitige Entlassung, charakterliche Eignung, Tätowierung (Zahlenkombination „1312“ auf Hand)

Normenketten:
SG § 55 Abs. 4 S. 1
SG § 37 Abs. 1 Nr. 2 und 3
Schlagworte:
Zeitsoldat, vorzeitige Entlassung, charakterliche Eignung, Tätowierung (Zahlenkombination „1312“ auf Hand)
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2023 – RN 1 K 21.1960
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4312

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Juni 2023 – RN 1 K 21.1960 – geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden‚ sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 SG.
2
1. Der Kläger war am 1. April 2018 mit dem Dienstgrad Panzergrenadier in den Dienst der Bundeswehr eingetreten. Am 30. August 2018 wurde er in das Dienstverhältnis auf Zeit in der Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes berufen. Seine Dienstzeit wurde auf 8 Jahre festgesetzt (Dienstzeitende mit Ablauf des 31.7.2026). Er war zuletzt als Hauptgefreiter (Besoldungsgruppe A4+Z) auf einem Dienstposten als Pionier eingesetzt.
3
Das Polizeipräsidium ... teilte dem Dienstherrn mit Schreiben vom 3. Juni 2019 mit, dass am 26. April 2019 eine uniformierte Streife gegen 20:50 Uhr die Grünanlage in S. befahren habe. Dort sei eine lautstarke Gruppe angetroffen worden, die verbotswidrig Alkohol in der städtischen Grünanlage konsumiert und die Umverpackung im Umfeld achtlos entsorgt hätte. Ein Mitglied dieser Gruppe sei der Kläger gewesen. Er sei gegenüber der uniformierten Polizeistreife äußerst respektlos und uneinsichtig aufgetreten. Wegen dieses Verhaltens verhängte der nächste Disziplinarvorgesetzte mit einer bestandskräftigen Disziplinarmaßnahme vom 9. Juli 2019 gegen den Kläger einen strengen Verweis.
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Im September 2020 ließ der Kläger sich auf dem linken Handrücken ein Tattoo stechen, das deutlich sichtbar die Zahlen „1312“ zeigt, die für die entsprechenden Buchstaben des Alphabets stehen (ACAB) und „all cops are bastards“ bedeuten.
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Nach Anhörung des Klägers beantragte der Disziplinarvorgesetzte unter dem 1./2. Oktober 2020 die fristlose Entlassung des Klägers nach § 55 Abs. 5 SG. Der Entwurf des Antrags wurde dem Kläger am 1. Oktober 2020 persönlich ausgehändigt und am 2. Oktober 2020 mit ihm in einem persönlichen Gespräch erörtert. Der Kläger lehnte eine Anhörung des Beteiligungsorgans ab. Mit einer schriftlichen Stellungnahme vom 5. November 2020 erläuterte er, warum er sich das Tattoo „1312“ habe stechen lassen. Unter dem 29. März 2021 teilte er mit, dass er die Zahlenkombination durch einen Engelsflügel habe überdecken lassen („Coverup“).
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Mit Bescheid vom 6. April 2021 entließ das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr den Kläger gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 SG mit Ablauf des 15. Juni 2021 vorzeitig aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Der Kläger sei im dritten Dienstjahr und werde den Anforderungen seiner Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes nicht gerecht. Er habe sich als charakterlich ungeeignet für den Soldatenberuf insgesamt erwiesen. Das Verhalten bei der Polizeikontrolle und das Tattoo brächten deutlich zum Ausdruck, dass bei dem Kläger die für einen Staatsbürger in Uniform erforderliche Ernsthaftigkeit in Bezug auf die Werteordnung des Grundgesetzes nicht vorhanden sei.
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Der Kläger erhob hiergegen Beschwerde und brachte vor, er habe weder etwas gegen Polizeibeamte noch gegen Vorgesetzte oder die Führungsstruktur der Bundeswehr. Es habe sich bei dem Tattoo um eine unbedachte Aktion gehandelt. Er habe es inzwischen überstechen lassen. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens holte die Beklagte ergänzende Stellungnahmen der Dienstvorgesetzten des Klägers ein. Mit Beschwerdebescheid vom 22. Juli 2021 wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Über die beiden im Ausgangsbescheid angeführten Gesichtspunkte hinaus ergäbe sich bei einer Gesamtschau der Stellungnahmen übereinstimmend das Bild, dass der Kläger für die Laufbahn nicht geeignet sei.
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2. Das hierauf vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 29. Juni 2023 der Klage stattgegeben und den Bescheid vom 6. April 2021 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 22. Juli 2021 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Entlassung sei materiell rechtswidrig, weil die maßgebliche Begründung in der Beschwerdeentscheidung von einem unzureichend ermittelten Sachverhalt ausgehe. Dort werde die Entlassung über die beiden ursprünglich angeführten Gesichtspunkte hinaus auf mehrere im Beschwerdeverfahren eingeholte Stellungnahmen von Dienstvorgesetzten zur fehlenden Eignung des Klägers gestützt. Soweit danach als Entlassungsgrund auch auf unzureichende Kenntnisse des Klägers im fachlichen und allgemein militärischen Bereich, auf den Verlust des Truppenausweises, auf eine Anzeige wegen Nötigung im Straßenverkehr und auf mangelnde Leistungen abgestellt werde, liege dem kein hinreichend ermittelter Sachverhalt zugrunde. Die Entlassungsverfügung vom 6. April 2021 sei aber auch isoliert betrachtet rechtswidrig. Der Kläger habe bereits am 29. März 2021 seinem Kompaniechef gegenüber eine dienstliche Erklärung abgegeben, wonach er auf das ursprüngliche Tattoo „1312“ ein Coverup gemacht habe. Das sei weder im Sachverhalt noch im Rahmen der Ermessensausübung erwähnt worden.
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3. Die Beklagte hat die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil beantragt und innerhalb der Begründungsfrist die Ermessenserwägungen in der Entlassungsverfügung vom 6. April 2021 und im Beschwerdebescheid vom 22. Juli 2021 ergänzt. Sie stütze die nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG verfügte Entlassung des Klägers nunmehr ausschließlich auf dessen Verhalten bei der Polizeikontrolle am 26. April 2019 und das im September 2020 sichtbar auf dem Handrücken angebrachte Tattoo, wobei sie nunmehr die spätere Veränderung des Tattoos berücksichtige; auf die ursprünglich in der Beschwerdeentscheidung weiter zu Lasten des Klägers und in einer Gesamtschau bewerteten Umstände stelle sie hingegen nicht mehr ab. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 10. April 2024 die Berufung der Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zugelassen.
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Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, sie habe zur Vermeidung von Missverständnissen die Gründe von Ausgangs- und Beschwerdebescheid in zulässiger Weise geändert. Damit sei nunmehr die Entlassung des Klägers wegen fehlender Eignung gerechtfertigt.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. Juni 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er werde durch die Auswechslung der Gründe der Ermessensausübung in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt. Außerdem sei die (neue) Ermessensentscheidung materiell rechtswidrig, da sie auf einem unzureichend ermittelten Sachverhalt beruhe. Der Kläger habe sich am 26. April 2019 nicht „verbal aggressiv“ gegenüber den Polizeibeamten verhalten. Er habe durch sein Tattoo nicht zu erkennen gegeben, eine ablehnende Haltung gegenüber der Polizei zu haben. Der Vorfall am 26. April 2019 stamme aus seinem Privatleben. Es liege eine Ermessensunterschreitung vor, weil nicht alle entscheidungserheblichen Argumente in der Entscheidung berücksichtigt worden seien. Das Fehlverhalten sei bereits mit einer Disziplinarmaßnahme geahndet worden. Angelehnt an die Grundsätze des Arbeitsrechts, dass ein verhaltensbedingter Grund, der durch eine Abmahnung bereits geahndet worden sei, nicht als Kündigungsgrund herangezogen werden dürfe, sei die Entlassung rechtswidrig. Die Beklagte gehe zudem fehlerhaft davon aus, dass das Tattoo des Klägers „1312“ der Bedeutung „All Cops Are Bastards“ gleichstehe. Dies sei unzutreffend. Der Kläger verbinde sein Tattoo ausschließlich mit dem Musiker und Rapper „18 Karat“. Er identifiziere sich mit den Tätigkeiten der Polizeibeamten und der Bundeswehr. Er habe das Tattoo schnellstmöglich überstechen lassen, um weitere Missverständnisse zu vermeiden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das erstinstanzliche Urteil ist zu ändern und die Klage abzuweisen. Denn die Entlassungsverfügung des Bundesamts für Personalmanagement der Bundeswehr (im Folgenden: Bundesamt) vom 6. April 2021 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 22. Juli 2021 ist mit den wirksam im Rechtsmittelverfahren ergänzten Ermessenserwägungen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die in Streit stehende Entlassung ist § 55 Abs. 4 Satz 1 SG. Danach kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre entlassen werden, wenn er die Anforderungen, die an ihn in seiner Laufbahn zu stellen sind, nicht mehr erfüllt. In Anwendung dieser Vorschrift durfte die Beklagte den Kläger vorzeitig aus dem Dienstverhältnis entlassen. Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung sind die Ermessenserwägungen, die von der Beklagten im Verlauf des Rechtsmittelverfahrens wirksam nachgeschoben worden sind (1). Unter ihrer Berücksichtigung ist die formell rechtmäßige Entlassungsverfügung (2) auch inhaltlich nicht zu beanstanden (3).
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1. Prüfungsgegenstand ist die Entlassungsverfügung vom 6. April 2021 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 22. Juli 2021 unter Berücksichtigung der Änderungen der Ermessenserwägungen, die die Beklagte in der Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung vorgenommen hat.
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Mit den ergänzten Gründen wird die Entlassung des Klägers aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG nunmehr ausschließlich auf dessen Verhalten bei der Polizeikontrolle am 26. April 2019 und das im September 2020 sichtbar auf dem Handrücken angebrachte Tattoo mit der Zahlenkombination „1312“ gestützt, wobei die Beklagte nunmehr die spätere Veränderung des Tattoos ausdrücklich berücksichtigt; auf die ursprünglich in der Beschwerdeentscheidung weiter zu Lasten des Klägers angeführten und in einer Gesamtschau bewerteten Umstände stellt sie hingegen nicht mehr ab. Diese Ergänzung der Ermessenserwägungen ist prozessual zulässig (§ 114 Satz 2 VwGO). Zwar kommt es materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an, also bei Erlass des Beschwerdebescheids vom 22. Juli 2021 (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt etwa BayVGH, B.v. 22.6.2022 – 6 CS 22.689 – juris Rn. 9; OVG SH, U.v. 19.10.2015 – 2 LB 25/14 – juris Rn. 32). Die Voraussetzungen für ein Nachschieben von Ermessenserwägungen mit heilender Rückwirkung auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 89 m.w.N.) sind jedoch erfüllt. Die nachgeschobenen Erwägungen berücksichtigen nur Umstände, die bei Erlass des Beschwerdebescheids bereits vorlagen. Durch die nachgeschobenen Erwägungen wird die Entlassungsverfügung nicht in ihrem Wesen geändert, sondern im Gegenteil auf ihren ursprünglichen Inhalt zurückgeführt und um eine Erwägung zu einem Einwand des Klägers ergänzt. Die Rechtsverteidigung des Klägers wird schließlich durch die Berücksichtigung der nachgeschobenen Erwägungen nicht beeinträchtigt.
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2. Die Entlassungsverfügung ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben.
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Allerdings hat die Beklagte gegen die Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGleiG (in der bis zum 24.1.2024 geltenden Fassung) verstoßen, weil die gesetzlich ohne Einschränkung für jede vorzeitige Entlassung aus dem Dienstverhältnis angeordnete frühzeitige Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten unterblieben ist. Es ist jedoch offensichtlich, dass dieser Fehler die Entlassung des Klägers in der Sache nicht beeinflusst hat. Denn wie die Gleichstellungsbeauftragte bei ihrer nachträglichen Beteiligung im Verlauf des Berufungsverfahren mit Schreiben vom 3. Februar 2025 mitgeteilt hat, berührt der Entlassungsvorgang betreffend den Kläger keine gleichstellungsrelevanten Punkte. Ausgehend vom Rechtsgedanken des § 46 VwVfG ist die unterbliebene frühzeitige Beteiligung somit unbeachtlich (vgl. BVerwG, B.v. 27.2.2003 – 1 WB 57/02 – juris Rn. 31; B.v. 6.10.2023 – 2 VR 3.23 – juris), jedenfalls aber in der Sache nachgeholt.
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3. Die vorzeitige Entlassung des Klägers nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG ist nunmehr – mit den im Rechtsmittelverfahren ergänzten Ermessenserwägungen – auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
24
a) Der Kläger befand sich noch innerhalb der ersten vier Jahren seiner Dienstzeit als Soldat auf Zeit. Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass er die an ihn in seiner Laufbahn (der Mannschaften des Truppendienstes) zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt.
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aa) Zu den Anforderungen im Sinn des § 55 Abs. 4 Satz 1 SG zählen insbesondere die in § 37 Abs. 1 Nr. 3 SG bezeichneten Eignungskriterien. Nach dieser Vorschrift darf in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder eines Soldaten auf Zeit nur berufen werden, wer die charakterliche, körperliche und geistige Eignung besitzt, die zur Erfüllung seiner Aufgaben als Soldat erforderlich ist.
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Die – hier allein in Rede stehende – charakterliche Eignung eines Soldaten ist gegeben, wenn aufgrund seiner Lebenshaltung im Allgemeinen und seiner Einstellung zum Soldatenberuf im Besonderen davon auszugehen ist, dass er den Anforderungen und Pflichten, die ihm als Soldat im Umgang mit Vorgesetzten, Kameraden und Untergebenen sowie gegenüber dem Dienstherrn obliegen, gerecht zu werden vermag (Sohm in Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 37 Rn. 33). In die Beurteilung der charakterlichen Eignung sind sowohl das dienstliche als auch das außerdienstliche Verhalten des Soldaten einzubeziehen (BayVGH, B.v. 25.5.2020 – 6 CS 20.1143 – juris Rn. 9). Entscheidend ist insoweit eine prognostische Einschätzung, die eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Soldaten erfordert, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Die Entscheidung nach § 55 Abs. 4 SG ist in die Zukunft gerichtet.
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Zu den erforderlichen charakterlichen Eigenschaften eines Soldaten gehört, dass er in jeder Hinsicht bereit und in der Lage sein muss, die sich aus der Verfassung und dem Soldatengesetz ergebenden Pflichten uneingeschränkt zu erfüllen. Er muss insbesondere gemäß § 8 SG die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinn des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Einhaltung eintreten. Nach § 17 Abs. 2 SG muss das Verhalten eines Soldaten dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert (Satz 1); außer Dienst hat sich der Soldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt (Satz 3). Ein Soldat muss sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanzieren, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerwG, U.v. 7.11.2000 – 2 WD 18.00 – juris Rn. 4; U.v. 23.3.2017 – 2 WD 16.16 -juris Rn. 67).
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Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob der Soldat über die charakterliche Eignung im Sinn des § 37 Abs. 1 Nr. 3 SG verfügt, ist ein Akt wertender Erkenntnis. Der Beklagten steht daher ein Beurteilungsspielraum zu, der unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderungen an die vom Soldaten wahrzunehmenden Aufgaben auszufüllen ist. Es genügen bereits berechtigte Zweifel des Dienstherrn, um die charakterliche Eignung im Sinn dieser Bestimmungen zu verneinen. Die gerichtliche Nachprüfung beschränkt sich insoweit auf die Kontrolle, ob die Entlassungsbehörde im Einzelfall den anzuwendenden Begriff und den gesetzlichen Rahmen ihres Beurteilungsspielraums verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (Sohm in Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Aufl. 2021, § 55 Rn. 38; BVerwG, B.v. 26.6.1986 – 1 WB 128.85 – juris Rn. 19; B.v. 14.9.1999 – 1 WB 40.99 – juris Rn. 2; B.v. 27.1.2010 – 1 WB 52.08 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 6 ZB 09.232 – juris Rn. 4; B.v. 4.9.2017 – 6 ZB 17.1325 – juris Rn. 12; zur erforderlichen charakterlichen Eignung eines Beamten etwa BVerwG. U.v. 10.10.2024 – 2 C 21.23 – juris Rn. 19).
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bb) Mit der (ergänzten) Begründung für die dem Kläger fehlende charakterliche Eignung hat sich das Bundesamt in den Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten.
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Das Bundesamt stützt seine Bewertung (nur noch) auf zwei Vorfälle, nämlich auf das aggressive und provozierende Verhalten des Klägers gegenüber Polizeibeamten bei einer polizeilichen Kontrolle am 26. April 2019 außerhalb des Dienstes in der Freizeit und auf die deutlich sichtbare Tätowierung mit der Zahlenkombination „1312“, die sich der Kläger im September 2020 auf den Handrücken stechen und später im März 2021 mit einem Engelsflügelmotiv abdecken ließ. Daraus schließt es in einer Gesamtschau auf eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht, die in Widerspruch zur politischen Treuepflicht (§ 8 SG) steht und zumindest berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung des Klägers begründet.
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Beide Vorkommnisse hat der Kläger in der Sache eingeräumt und sowohl im Verwaltungsverfahren als auch in der Berufungsverhandlung erläutert, wonach er selbst keine Missachtung der Polizei zum Ausdruck bringen wollte und eine ablehnende Einstellung gegenüber der Polizei von sich weist. Das Verhalten des Klägers bei der Polizeikontrolle am 26. April 2019 mit dem Aufschaukeln von polizeilicher Ansprache und unangemessener Gegenrede sowie provozierendem Verhalten mag für sich betrachtet als alkoholbedingte, jugendliche Überreaktion in der Gruppe angesehen werden, die mit dem – bestandskräftig gewordenen – strengen Verweis vom 9. Juli 2019 ausreichend gewürdigt wurde. Gleichwohl hindert die disziplinarische Maßnahme nicht, den Vorfall für die Entlassung zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.1980 – 2 C 16.78 – juris Rn. 19). Dass der Dienstherr bei einer Gesamtschau mit der Tätowierung „1312“ auf fehlende charakterliche Eignung schließt, verkennt weder den Begriff der Eignung noch stellt sie eine sachfremde Erwägung oder eine Verletzung allgemeiner Wertmaßstäbe dar.
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Die auf dem Handrücken angebrachte und damit besonders auffällige, stets sichtbare Tätowierung „1312“ steht codiert für die Buchstabenfolge „ACAB“ und damit – in der Jugendkultur allgemein bekannt – für die englische Parole „all cops are bastards“. Es handelt sich bei der Parole um eine Meinungsäußerung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Sie ist nicht offensichtlich inhaltslos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck (BVerfG, B.v. 13.6.2017 – 1 BvR 2832/15 – juris Rn. 4).
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Eine Tätowierung stellt zunächst nur eine Körperdekorierung dar. Durch diese wird der Körper indes bewusst als Kommunikationsmedium eingesetzt. Mit dem Tragen einer Tätowierung ist eine plakative Kundgabe verbunden, durch die eine mit ihr verbundene Aussage das „forum internum“ verlässt. Durch eine Tätowierung erfolgt eine nach außen gerichtete und dokumentierte Mitteilung durch den Träger über sich selbst. Dieser kommt im Falle der Tätowierung sogar ein besonderer Stellenwert zu, weil das Motiv in die Haut eingestochen wird und der Träger sich damit dauerhaft und in besonders intensiver Weise bekennt (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 25; VG Minden, U.v. 18.1.2024 – 12 K 4889/21 – juris Rn. 64). Tätowierungen kommt vielfach eine gruppeninterne Funktion als sichtbares Symbol geteilter Überzeugungen zu, die es Gleichgesinnten erlaubt, einander zu erkennen und sich als eine von „den anderen“ abgrenzbare Gruppe zu identifizieren. Die in Tätowierungen enthaltenen Symbole werden so im Sinn einer Solidarisierung nutzbar gemacht (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 30).
34
Bei seiner dienstlichen Vernehmung am 1. Oktober 2020 hat der Kläger ausdrücklich angegeben, sich vor der Tätowierung über die Bedeutung der Zahlenkombination informiert zu haben. Er hat zudem recherchiert, ob sie im Hinblick auf eine mögliche Beleidigung von Polizisten zulässig sei. Seine persönliche Motivation für die Tätowierung (Identifizierung mit einem Musiker) ändert nichts an ihrem objektiven Aussagegehalt einer allgemeinen Ablehnung der Polizei und eines Abgrenzungsbedürfnisses gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht. Mit Blick auf den Kläger wirkt dieser Aussagegehalt umso stärker, als er sich zum einen von der Disziplinarmaßnahme wegen seines Verhaltens bei der Polizeikontrolle nicht vor weiteren Bekundungen gegen die Polizei hat abschrecken lassen und zum anderen mit der gut sichtbaren Handtätowierung eine besonders auffällige, provokative Darstellungsform gewählt hat.
35
Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu beanstanden, dass der Dienstherr trotz des Überklebens und späteren Überdeckens (Coverup) der Zahlenkombination „1312“ mit einem Engelsflügel weiterhin prognostisch von einer fehlenden Eignung ausgeht. Ähnlich wie das jüngst gesprochene Wort kann auch eine durch eine jüngst entfernte Tätowierung verbildlichte Aussage nachhallen und berücksichtigungsfähig bleiben (vgl. VG Minden, U.v. 18.1.2024 – 12 K 4889/21 – juris Rn. 99.). Angesichts der mit der ursprünglichen Tätowierung offen und plakativ zur Schau gestellten Ablehnung der Polizei durfte der Dienstherr es als ernstlich fraglich ansehen, ob der Kläger die von ihm als Soldat zu fordernde Loyalität gegenüber dem Staat und die für eine zuverlässige Aufgabenerfüllung notwendige persönliche Integrität besitzt. Das gilt umso mehr, als das Grundgesetz in bestimmten Fällen eine Kooperation zwischen Polizei und Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe vorsieht (vgl. Art. 35 Abs. 3 GG). Gerade im Rahmen einer solchen Kooperation ist eine polizeifeindliche Haltung eines Soldaten als besonders kritisch anzusehen. Zu Recht hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid ausgeführt, von einem Soldaten werde erwartet, dass er die Arbeit der Exekutivorgane, auch die der Polizei, respektiert. Bei der Tätowierung mit der Zahlenfolge „1312“ kommt nicht nur mangelnder Respekt, sondern sogar eine deutlich sichtbare allgemeine Ablehnung von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen zum Ausdruck.
36
Unter Betrachtung aller Umstände durfte die Beklagte im Ergebnis von einer polizeifeindlichen Einstellung des Klägers ausgehen, die weder durch seine anderslautenden Erklärungen im behördlichen und gerichtlichen Verfahren noch durch das Cover-Up ausgeräumt wurde. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte aus diesen Vorfällen die prognostische Einschätzung getroffen hat, der Kläger sei wegen seines Verhaltens charakterlich in der Zukunft als Soldat nicht mehr geeignet.
37
b) Das ihr in § 55 Abs. 4 Satz 1 SG eingeräumte Ermessen hat die Beklagte im Entlassungsbescheid betätigt, ohne dass Ermessensfehler ersichtlich sind.
38
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10‚ § 711 ZPO.
39
Die Revision ist nicht zuzulassen‚ weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.