Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.01.2025 – 24 CS 24.1690
Titel:

Aufbewahrung von Waffen in einem offenen Waffenschrank

Normenkette:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Nr. 5, § 36 Abs. 1, § 45 Abs. 2
Leitsatz:
Die Aufbewahrung von Waffen in einem offenen Waffenschrank für erhebliche Zeit stellt einen gröblichen Verstoß gegen die Pflicht zur sicheren Aufbewahrung (§ 36 Abs. 1 iVm § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG) dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzuverlässigkeitsprognose, Regelunzuverlässigkeit, vorwerfbarer Aufbewahrungsverstoß, gröbliche Pflichtverletzung, geöffneter Waffenschrank, Mittagsschlaf, Kontrolle durch die Waffenbehörde., waffenrechtliche Erlaubnisse, Widerruf, Unzuverlässigkeit, Prognose, Waffen, Aufbewahrung, Waffenschrank, unverschlossen, offen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 12.09.2024 – M 7 S 24.4460
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4302

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse.
2
Er ist seit langem Inhaber einer Waffenbesitzkarte. Am 6. März 2024 führte das Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt) eine unangekündigte Kontrolle durch. Die Ehefrau des Antragstellers gewährte den Mitarbeitern Zutritt zum Grundstück und führte diese durch die offenstehende Terrassentür zum Waffenschrank im Untergeschoss. Die Türe des Waffenschranks stand offen und der Schlüssel steckte. Beim Eintreffen der Kontrolleure und während der Kontrolle schlief der Antragsteller.
3
Daraufhin widerrief das Landratsamt mit Bescheid vom 26. Juni 2024 die waffenrechtliche Erlaubnis des Antragstellers (Nr. 1) und verpflichtete diesen, die Waffenbesitzkarte innerhalb einer benannten Frist zurückzugeben (Nr. 2) sowie seine Waffen und die Munition nach näheren Vorgaben dauerhaft unbrauchbar zu machen (Nr. 3). Für den Fall der nicht vollständigen Erfüllung der Verpflichtung aus Nummer 3 wurde die Sicherstellung und gegebenenfalls Verwertung angedroht (Nrn. 4, 5). Des Weiteren wurde die sofortige Vollziehung der Nummern 2 bis 5 angeordnet (Nr. 6). Das Landratsamt begründete seinen Bescheid damit, dass die bei der Kontrolle vorgefundene Aufbewahrung nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe und dem Antragsteller deshalb die Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG fehle.
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Der Antragsteller hat hiergegen am 25. Juli 2024 Klage erhoben (M 7 K 24.4459) und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Der Eilantrag wurde im Wesentlichen abgelehnt. Der Antragsteller sei voraussichtlich unzuverlässig. Erfolg hatte der Antrag, indem die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Nummer 5 des Bescheids insoweit wiederhergestellt wurde, als die Einziehung und Verwertung oder Vernichtung der Waffen und der Munition angeordnet worden war.
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Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
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unter teilweiser Aufhebung des Beschlusses die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 VwGO hinsichtlich der Nummern 1, 7 bis 9 des Bescheids vom 26.6.2024 anzuordnen sowie die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 2 VwGO hinsichtlich der Nummern 2 bis 4 wiederherzustellen.
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Zur Begründung trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass es sich bei dem Aufbewahrungsverstoß um einen Fall des Augenblicksversagens gehandelt habe. Am fraglichen Tag sei der Waffenschrank wegen einer beabsichtigten Fahrt ins Revier unverschlossen gewesen; er habe zunächst seine Waffen kontrolliert und die Ausrüstung vorbereitet. Währenddessen sei er von seiner Ehefrau in die Küche gerufen worden. Da der Kläger davon ausgegangen sei, dass er nur für einen Augenblick in die Küche kommen solle, habe er den Waffenschrank nicht verschlossen. Da ihm jedoch seine Frau von der bevorstehenden Taufe des Urenkels berichtet habe und das bislang einzigartig im Leben des Antragstellers gewesen sei, sei er auf einen Schlag auf andere Gedanken gekommen und habe das Absperren des Schranks vergessen. Er sei mittlerweile über 80 Jahre alt, seit über 25 Jahren Jäger und habe sich in dieser Zeit waffenrechtlich nichts zu Schulden kommen lassen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Vorfall einen immensen Eindruck auf ihn gemacht habe. Deshalb sei davon auszugehen, dass sich der Antragsteller künftig keinerlei Nachlässigkeiten im Umgang mit seinen Waffen zu Schulden kommen lassen werde.
8
Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
A.
12
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung abzuändern. Es ist vorbehaltlich einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren – insbesondere unter Berücksichtigung eines persönlichen Eindrucks vom Antragsteller – nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht derzeit von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers ausgeht (I.). Ferner überwiegt wegen des gesetzlich vorgesehenen Sofortvollzugs das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage (II.).
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I. Der Antragsteller dringt mit seiner in der Sache erhobenen Rüge, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil das Gericht zu Unrecht von seiner Unzuverlässigkeit ausgehe, nicht durch.
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1. Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Antragsteller in diesem Zeitpunkt als unzuverlässig im Sinne von § 5 WaffG erweist. Die Zuverlässigkeitsprüfung ist grundsätzlich prospektiv ausgerichtet und verlangt die Vornahme einer Prognose (vgl. ausführlich BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 21 f.). Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG fehlt die Zuverlässigkeit stets, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Waffeninhaber Waffen oder Munition künftig nicht sorgfältig verwahren wird, nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 Var. 2 WaffG im Regelfall, wenn er gröblich gegen die Vorschriften u.a. des Waffengesetzes verstoßen hat.
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2. Abgesehen davon, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG erforderlichen Prognose rechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte, erweist sich voraussichtlich die Annahme des Antragsgegners, der Antragsteller sei waffenrechtlich unzuverlässig, jedenfalls deshalb als richtig, weil der Tatbestand der Regelunzuverlässigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 5 Var. 2 WaffG erfüllt ist.
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a) Der Antragsteller hat entgegen der Regelung seiner Verpflichtung nach § 36 Abs. 1 WaffG in den fraglichen Stunden des 6. Juni 2024 nicht die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass seine Waffen abhandenkommen oder Unbefugte Dritte sie an sich nehmen; Dritte ist auch seine Ehefrau, soweit sie nicht selbst über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügt. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass die Aufbewahrung der Waffen in einem Waffenschrank mit offenstehender Schranktür und steckendem Schlüssel sowie offenstehender Terrassentür hiermit unvereinbar ist.
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b) Die Verletzung der Pflicht zu sicheren Aufbewahrung war gröblich i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG. Ein Verstoß ist gröblich, wenn er nach seinem objektiven Gewicht und dem Grad der Vorwerfbarkeit eine schwerwiegende Zuwiderhandlung darstellt (vgl. Nr. 5.4 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz – WaffVwV – vom 5.3.2012; BayVGH, B.v. 11.12.2023 – 24 CS 23.1495 – Rn. 21).
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Vorliegend hat der Antragsteller eine objektiv schwerwiegende Rechtsverletzung begangen. Er hat seine Waffen für erhebliche Zeit in einem offenen Waffenschrank aufbewahrt. Das Gewicht dieses Verstoßes wiegt mit Blick auf den Zweck der sicheren Verwahrung – Verhinderung des Abhandenkommens und des Zugriffs unbefugter Dritter – offenkundig schwer.
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Der Verstoß ist dem Antragsteller auch vorwerfbar. Der Grad der Vorwerfbarkeit ist hoch, selbst wenn man zu seinen Gunsten Verständnis für seine spontane Freude anlässlich der Mitteilung seiner Ehefrau über die bevorstehende Taufe seines Urenkels aufbringt. Wer sich durch letztlich doch gewöhnliche Familienereignisse betreffende Nachrichten derart auf andere Gedanken bringen lässt, dass er nicht unverzüglich zu seinem Waffenschrank zurückkehrt und stattdessen sein Mittagessen einnimmt und einen Mittagsschlaf hält, vernachlässigt unter der gebotenen Zugrundelegung eines objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs die zu erwartende Sorgfalt in erheblichen Maße. Für die Vorwerfbarkeit ist es unerheblich, ob man davon ausgeht, dass ein zweifaches oder, wie der Antragsteller vorträgt, nur ein einziges (zeitlich ausgreifendes) Vergessen vorliegt.
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c) Die im Gesetz angelegte Regelvermutung der fehlenden Zuverlässigkeit greift damit ein. Grund von ihr abzuweichen besteht nicht. Zwar sind nach der gesetzlichen Systematik auch in Fällen gröblicher Verstöße Abweichungen von der Regelvermutung der fehlenden Zuverlässigkeit möglich (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2023 – 24 CS 23.1495 – Rn. 23). Jedoch genügt hierfür die vom Antragsteller vorgetragene Einmaligkeit des Verstoßes, den er nicht zuletzt unter dem Eindruck des behördlichen Widerrufsverfahrens kein weiteres Mal begehen werde, und der Verweis auf seine sonstige waffenrechtliche Unauffälligkeit nicht. Andere Umstände, die den Aufbewahrungsverstoß und seinen Anlass als atypischen Fall darstellen, sind nicht erkennbar.
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3. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die waffenrechtlichen Nebenentscheidungen, soweit sie Gegenstand des Verfahrens sind, ebenfalls keine Bedenken.
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II. Die Beschwerde hat auch deshalb keinen Erfolg, weil bei der gebotenen Interessenabwägung die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO – hier in Verbindung mit § 45 Abs. 5 WaffG – einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Aus diesem Grund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse des Antragstellers. Vom Antragsteller sind keine Gründe vorgetragen, die über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen. Inmitten steht ausschließlich das Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2023 – 24 CS 23.1196 – Rn. 17; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18).
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Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug besteht auch – wie regelmäßig – für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die Waffen unbrauchbar zu machen oder sie einem Dritten zu übergeben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) und für die Anordnung der Rückgabe von Erlaubnisurkunden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG – vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 29; B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 25). Entsprechendes gilt auch für die übrigen waffenrechtlichen Anordnungen.
C.
24
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
D.
25
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der in den Nummern 1.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 enthaltenen Empfehlungen. Er entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).