Titel:
Bestehen einer länger andauernde Überlastungssituation im Rahmen einer Untätigkeitsklage
Normenketten:
VwGO § 75 S. 3, § 122 Abs. 2 S. 3, § 146 Abs. 1, § 152 Abs. 1
StAG § 10 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein im Rahmen des § 75 VwGO nicht entlastendes strukturelles Defizit liegt nur dann vor, wenn eine länger andauernde Überlastungssituation besteht, der organisatorisch nicht begegnet worden ist, obwohl hätte gegengesteuert werden können. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wegen der Komplexität des mehrstufigen Einbürgerungsverfahrens erscheint eine durch das Verwaltungsgericht gesetzte achtzehnmonatige Entscheidungsfrist ab Antragsstellung angemessen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Untätigkeitsklage, Aussetzung des Verfahrens, Einbürgerung, Abweichung, Aussetzungsbeschluss, Antragsstellung, Einbürgerungsverfahren, Entscheidungsfrist, strukturelles Defizit, zureichender Grund, Überlastungssituation, Komplexität
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 05.12.2024 – Au 1 K 24.1886
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4277
Tenor
I. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Dezember 2024 – Au 1 K 24.1886 – wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts.
2
Er begehrt mit seiner am 8. August 2024 erhobenen Untätigkeitsklage die Verbescheidung seines am 22. März 2024 gestellten Antrags auf Einbürgerung.
3
Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren mit Beschluss vom 5. Dezember 2024 bis zum 22. September 2025 gem. § 75 Satz 3 VwGO aus. Es begründete seine Entscheidung damit, dass ein zureichender Grund für die Verzögerung bestehe. Die Beklagte habe zur Überzeugung des Gerichts im Schriftsatz vom 28. Oktober 2024 hinreichend detailliert und schlüssig dargelegt, dass und wie sie frühzeitig sowohl personell – soweit es ihr möglich war – als auch organisatorisch gegengesteuert habe, um die Anträge der Reihe nach zügig zu bearbeiten. Dringliche Gründe, die eine bevorzugte Bearbeitung des Antrags des Klägers im Vergleich zu allen anderen Einbürgerungswilligen rechtfertigten, seien seitens des Klägers bisher nicht vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die allgemeinen Vorteile einer Einbürgerung, die jeder Person zuteilwerden, die eingebürgert wird, reichten nicht aus, um eine Abweichung von der regulären Bearbeitungsreihenfolge zu rechtfertigen.
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Die Beschwerde des Klägers ist nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Aussetzung des Verfahrens ist auch in Anbetracht des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden. Auf die Gründe im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts wird verwiesen (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt ein die Beklagte im Rahmen des § 75 VwGO nicht entlastendes strukturelles Defizit nur dann vor, wenn eine länger andauernde Überlastungssituation besteht, der organisatorisch nicht begegnet worden ist, obwohl hätte gegengesteuert werden können (vgl. OVG Saarl, B.v. 5.12.2024 – 2 E 130/24 – juris Rn. 16 m.w.N.). Dies ist nicht der Fall. Wie auch der Kläger nicht in Abrede stellt, hat die Beklagte auf die Verdopplung des Antragsvolumens im Zeitraum der Jahre 2020 bis 2022 mit nahezu einer Verdopplung der Personalausstattung von sieben Stellen auf 13,27 Stellen reagiert. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2024 führten diese Maßnahmen zu einer signifikanten Erhöhung der abgeschlossenen Verfahren auf rund 150%, was auf das gesamte Jahr einer Erhöhung auf rund 180% entspricht. Die abermalige deutliche Steigerung der Antragszahlen im Jahr 2024 von 1.800 auf 3.000 Anträge hat ihre Ursache in dem erst am 26. März 2024 verkündeten „Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“ (BGBl. 2024 I Nr. 104), das u.a. die Einbürgerungsfrist von acht auf fünf Jahre verkürzt hat (vgl. § 10 Abs. 1 StAG). Die Beklagte hat ihren Angaben zufolge als Reaktion hierauf u.a. vier weitere Stellen beantragt und auf persönliche Vorsprachen bei der Antragstellung verzichtet. Insoweit räumt auch der Kläger in seiner Beschwerdeschrift ein, dass die Beklagte „nachvollziehbare“ Schritte unternommen habe, und rügt lediglich, auf die persönliche Vorsprache hätte schon früher verzichtet und die elektronische Akte hätte schon früher eingeführt werden müssen. Welche weitergehenden Maßnahmen die Beklagte gegenwärtig hätte ergreifen können, ist weder dargelegt noch für den Senat ersichtlich.
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Angesichts der geschilderten Umstände und der Komplexität des mehrstufigen Einbürgerungsverfahrens (vgl. HessVGH, B.v. 20.8.2024 – 3 B 1062/24 – juris Rn. 13) erscheint dem Senat die der Beklagten durch das Verwaltungsgericht gesetzte achtzehnmonatige Entscheidungsfrist ab Antragsstellung angemessen.
6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; eine Kostenentscheidung ist erforderlich, weil es sich bei der Beschwerde gegen die Aussetzung eines Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO um ein streitiges Zwischenverfahren handelt (HessVGH, B.v. 6.12.2012 – 6 E 2128/12 – juris Rn. 9). Einer Streitwertfestsetzung bedarf es dagegen nicht, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).