Titel:
Ausweisung, Wiederholungsgefahr, Vermögensstraftaten, Betäubungsmittel- Alkohol- und Stimulanzienabhängigkeit, Nicht abgeschlossene Therapie, Assoziationsrecht, Faktischer Inländer (verneint)
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 3
ARB 1/80 Art. 7
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Schlagworte:
Ausweisung, Wiederholungsgefahr, Vermögensstraftaten, Betäubungsmittel- Alkohol- und Stimulanzienabhängigkeit, Nicht abgeschlossene Therapie, Assoziationsrecht, Faktischer Inländer (verneint)
Vorinstanz:
VG Ansbach, Entscheidung vom 16.05.2023 – AN 5 K 23.435
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4268
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein 1978 im Bundesgebiet geborener türkischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2023 weiter. Mit diesem Bescheid wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), erließ ein Einreise- und Aufenthaltsverbot und befristete dieses auf die Dauer von sechs Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung insbesondere in die Türkei unmittelbar aus der Haft bzw. Unterbringung frühestens eine Woche nach Eintritt der Unanfechtbarkeit an (Ziffer 3) und forderte den Kläger für den Fall der Unmöglichkeit der Abschiebung aus der Haft bzw. Unterbringung heraus auf, das Bundesgebiet nach Haftentlassung oder, falls die Verfügung noch nicht unanfechtbar sein sollte, binnen einer Woche nach Eintritt der Unanfechtbarkeit zu verlassen und drohte anderenfalls die Abschiebung insbesondere in die Türkei an (Ziffer 4).
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1. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dazu 1.1) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, dazu 1.2), deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegen nicht vor bzw. sind schon nicht dargelegt.
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1.1 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
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1.1.1 Der Kläger rügt, er gehöre zu der Personengruppe des § 53 Abs. 3 AufenthG und genieße deshalb besonderen Ausweisungsschutz. Damit zieht er jedoch die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ernstlich in Zweifel. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht seiner Gefahrenprognose den zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt:
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Steht dem Ausländer – wie vom Verwaltungsgericht zugunsten des Klägers angenommen – ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei (ARB 1/80) zu, sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen. Er darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und wenn die Ausweisung zur Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Bei der Feststellung der in § 53 Abs. 3 AufenthG genannten schwerwiegenden Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (zu diesem Maßstab vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08, Ziebell – juris Rn. 82 ff.), handelt es sich um eine Prognose, die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eigenständig zu treffen haben (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Die Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – BVerwGE 112, 185, juris Rn. 14; vgl. auch BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82.89 – NVwZ-RR 1990, 649, juris Rn. 4). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18).
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Von diesem Prüfungsmaßstab ist das Verwaltungsgericht in seiner Gefahrenprognose zutreffend ausgegangen. Es hat die streitgegenständliche Ausweisung an § 53 Abs. 3 AufenthG gemessen und festgestellt, dass von dem persönlichen Verhalten des Klägers eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
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1.1.2 Des Weiteren rügt der Kläger, von ihm gehe gegenwärtig keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Das Verwaltungsgericht habe seine Entwicklung im Zeitraum zwischen dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids und dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht ausreichend festgestellt und gewürdigt. Es handele sich bei den Anlasstaten um geringe bis allenfalls mittlere Kriminalität ohne jede Gewaltanwendung. Der Kläger befinde sich seit März 2023 im Maßregelvollzug und seit Beginn des Jahres 2023 in Therapie. Dort erziele er erhebliche Fortschritte und habe bislang auch keinerlei Anlass für Beanstandungen gegeben. Das Gericht lasse auch das starke Vater-Tochter-Verhältnis und den Umstand außer Acht, dass der Kläger nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug für seine Tochter – die zum Kläger ziehen wolle – verstärkt Verantwortung übernehmen werde. Diese Umstände sprächen dafür, dass die Wiederholungsgefahr in Zukunft – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – erheblich gemindert sei. Zudem habe der Kläger im Wesentlichen Vermögensdelikte begangen, weshalb die Gefahr für die öffentliche Sicherheit ohnehin deutlich geringer als bei Kapital- bzw. Gewaltverbrechen sei.
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Dem vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). Da jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde liegt, sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 22.11.2024 – 19 ZB 22.1546 – juris Rn. 12). Die Annahme einer Wiederholungsgefahr scheidet nicht erst dann aus, wenn eine an naturwissenschaftlichen Erkenntnismaßstäben orientierte Gewissheit gegeben ist, dass der Ausländer nicht mehr straffällig wird, sondern bereits dann, wenn bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht (mehr) in Rechnung zu stellen sind, d.h. das von dem Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht (BVerwG, U.v. 17.10.1984 – 1 B 61.84 – juris Rn. 7; VGH BW, U.v. 2.1.2023 – 12 S 1841/22 – juris Rn. 45 m.w.N.).
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Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht zu Recht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Eintritts weiterer Schäden an geschützten Rechtsgütern durch das persönliche Verhalten des Klägers angenommen. Anlass für die Ausweisung waren die Verurteilungen des Klägers durch das Landgericht N. vom 7. Oktober 2021 wegen gemeinschaftlichen Betrugs mit Fälschung beweiserheblicher Daten in Tatmehrheit mit gemeinschaftlichem Betrug in neun Fällen, Betrug und versuchtem Betrug in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung, sowie durch das Landgericht N. vom 1. August 2022 wegen Betrugs in vier Fällen, Betrugs oder Computerbetrugs in zwei Fällen und versuchten Betrugs in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten (unter Einbeziehung der im Urteil vom 7.10.2021 festgesetzten Einzelstrafen nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe). Aufgrund der zuerst genannten Verurteilung verbüßte der Kläger (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) zunächst die Hälfte der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. beschloss am 22. Februar 2022, die Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts N. vom 7. Oktober 2021 von zwei Jahren nicht zur Bewährung auszusetzen, weil eine Entlassung des Klägers unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht habe verantwortet werden können. Der Kläger sei mehrfach, darunter auch einschlägig, vorbestraft. Eine früher eingeräumte Bewährung habe er nicht durchgestanden. Im Urteil vom 1. August 2022 stellte das Landgericht in die Strafzumessung zwar zugunsten des Klägers ein, dass dieser ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, dass die entstandenen Schäden in zwei Fällen gering waren und dass das Handeln des Klägers zur Finanzierung seiner Drogen-, Alkohol- und Spielsucht diente. Des Weiteren wurde das den Kläger treffende Gesamtstrafübel im Hinblick auf die offene Bewährungsstrafe berücksichtigt. Zu Lasten des Klägers berücksichtigte das Landgericht jedoch dessen weitgehend einschlägige Vorahndungen, den Umstand, dass das weitere Begehen einschlägiger Straftaten trotz stattgefundener Wohnungsdurchsuchungen in anderen Verfahren im Oktober 2018 und Februar 2019 zeige, dass der Kläger ein „hartnäckiger, kaum belehrbarer Rechtsbrecher“ sei, sowie den entstandenen Gesamtschaden. Auch stellte das Landgericht auf der Grundlage des forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens vom 14. Juli 2022 bei dem Kläger aufgrund seiner Abhängigkeit von Alkohol, Cannabis und Stimulanzien einen Hang fest, Alkohol und Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren. Die Prognoseentscheidung im Rahmen des § 64 StGB ergebe deshalb ohne Zweifel, dass der Kläger auch künftig Straftaten begehen werde, die mit den geahndeten Straftaten vergleichbar seien. Überdies diagnostizierte der Sachverständige bei dem Kläger eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Aufgrund der vom Sachverständigen bejahten Erfolgsaussicht einer Suchttherapie ordnete das Landgericht die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB an, die seit dem 8. März 2023 andauert.
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Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil (welches insoweit auf den ablehnenden PKH-Beschluss verweist) gesehen, dass der Kläger sich nach Vorwegvollzug eines Teils der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe im Maßregelvollzug zum Zweck der Drogentherapie befindet. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die vom Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten angenommene Wiederholungsgefahr entfallen wäre. Maßgebliche Veränderungen ergaben sich im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht. Vielmehr dauerte die im Urteil des Landgerichts vom 1. August 2022 angeordnete Unterbringung des Klägers gemäß § 64 StGB noch an. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen oder dadurch gefördert wurden, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes aber nicht von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine einschlägige Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat, insbesondere indem er sich außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 10 ZB 21.935 – juris Rn. 9; B.v. 23.9.2021 – 19 ZB 20.323 – juris; B.v. 18.5.2021 – 19 ZB 20.65 – juris).
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Der Kläger legt nicht dar, dass in seinem Falle besondere Umstände vorliegen sollten, die zu einer abweichenden Betrachtung führen könnten. Vielmehr ergeben sich auch im für die Gefahrenprognose maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz bzw. der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 11.12.2024 -1 B 13.24 – juris Rn. 10) – mithin im Zeitpunkt der Entscheidung über den Berufungszulassungsantrag – insbesondere auch aus dem Verlauf des Maßregelvollzugs noch keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein Entfallen der Wiederholungsgefahr:
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Mit Beschlüssen vom 24. Oktober 2023, 2. Mai 2024 und 22. Oktober 2024 ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. jeweils die Fortdauer der Unterbringung an, weil jeweils aufgrund der fachlichen Stellungnahmen des Bezirksklinikums eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung gemäß § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB nicht in Betracht kam. Es sei noch nicht zu erwarten, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Zwar habe er bereits mehrere Lockerungsstufen durchlaufen, einschließlich der Lockerungsstufe D1 mit einer einmaligen auswärtigen Übernachtung zum Zweck des sog. „Probewohnens“. Die Strafvollstreckungskammer geht jedoch – sachverständig beraten – davon aus, dass derzeit die Gefährlichkeit, die in den Anlasstaten zu Tage getreten sei, noch fortbestehe und eine positive Legal- und Sozialprognose daher noch nicht zu stellen sei. Die nächste Überprüfung steht im April 2025 an.
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In der Gesamtschau ist somit zwar zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die letzte abgeurteilte Tat im Jahr 2020 stattfand und somit bereits mehrere Jahre zurückliegt, dass der Kläger therapiewillig und -bereit ist und dass er bereits Therapiefortschritte sowie damit verbundene Lockerungen (einschließlich der Stufe D1, einmaliges auswärtiges Übernachten zum Zweck des „Probewohnens“) erreichen konnte. Auch ist zu sehen, dass aufgrund der mit Beschluss des Amtsgerichts A. vom 20. Januar 2025 bis 19. Juli 2025 angeordneten vorläufigen Betreuung des Klägers in den Aufgabenbereichen Vermögenssorge, Behörden-, Renten- und andere Sozialleistungsangelegenheiten sowie Versicherungsangelegenheiten zunächst gewährleistet erscheint, dass der Kläger – für den Fall, dass aufgrund der nächsten Überprüfung die Vollstreckung der Maßregel ausgesetzt werden würde – insbesondere in finanziellen Angelegenheiten nicht auf sich allein gestellt wäre. Mit Blick darauf, dass der Kläger ganz erheblich verschuldet ist (nach den Feststellungen des Landgerichts N. offiziell in Höhe von ca. 100.000 €, daneben hat er noch private Spiel- und Betäubungsmittelschulden), dürfte diese Maßnahme die Gefahr erneuter Straftaten (allein) zur Beschaffung finanzieller Mittel verringern. Des Weiteren spricht für eine positive Entwicklung des Klägers, dass er bereit ist, in Zukunft mehr Verantwortung für sein Kind zu übernehmen, sowie, dass mit seiner (allerdings schwer kranken) Mutter und im Bundesgebiet lebenden Geschwistern bzw. Halbgeschwistern im Falle der Entlassung ein sozialer Empfangsraum vorhanden wäre.
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Dennoch sprechen die überwiegenden Gesichtspunkte dafür, dass derzeit noch nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Das Landgericht N. ging im Urteil vom 1. August 2022 aufgrund der wiederholten und einschlägigen Straffälligkeit des Klägers, der sich auch von einer Bewährungsstrafe nicht ausreichend beeindrucken ließ, davon aus, dass es sich bei dem Kläger um einen „hartnäckigen, kaum belehrbaren“ Rechtsbrecher handelt. Auch die (befristet) angeordnete Betreuung zeigt Defizite des Klägers in der Fähigkeit, seine Angelegenheiten in den genannten, insbesondere finanziellen Bereichen selbständig zu regeln. Dies ist umso mehr von Belang, als der Kläger in einer finanziellen Größenordnung verschuldet ist, die nicht erwarten lässt, dass er seine Verbindlichkeiten nach Aufnahme einer geregelten Erwerbstätigkeit in absehbarer Zeit wird tilgen können. Des Weiteren spricht die festgestellte dissoziale Persönlichkeitsstruktur des Klägers (jedenfalls bis zum erfolgreichen Abschluss einer Therapie) für das Fortbestehen der Wiederholungsgefahr. Hinzu kommt, dass die Straftaten des Klägers zwar durch seine Spielsucht sowie seine Abhängigkeit von Drogen, Alkohol und Stimulanzien bedingt sind, er aber keine erfolgreich abgeschlossene Behandlung vorweisen kann. Auch die bereits lange Dauer des Maßregelvollzugs verdeutlicht trotz der schon erzielten Therapieerfolge, dass es der längerfristigen Einwirkung auf den Kläger bedarf, um eine nachhaltige Verhaltensänderung in dem Sinne zu erzielen, dass künftig keine weiteren Schäden an geschützten Rechtsgütern durch sein Verhalten mehr zu erwarten sind. Der Kläger hat jedoch weder einen Anspruch darauf, bis zum Abschluss der begonnenen Therapie im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, noch darauf, solange therapiert zu werden, bis von seinem Verhalten keine Gefahr weiterer Straftaten ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 12.6.2023 – 19 CS 23.708 – juris Rn. 21 m.w.N.).
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1.1.3 Dem Kläger kann auch nicht darin gefolgt werden, dass von seinem persönlichen Verhalten entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keine gegenwärtige und schwerwiegende Gefährdung für ein Grundinteresse der Gesellschaft mehr ausgehen soll. Wie ausgeführt, hat das Verwaltungsgericht insbesondere aufgrund der erheblichen Straffälligkeit des Klägers und seiner nicht therapierten Abhängigkeitserkrankungen zu Recht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadenseintritts für ein geschütztes Rechtsgut, mithin eine konkrete Wiederholungsgefahr, angenommen, die im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch fortbesteht (vgl. die Ausführungen unter 1.1.2). Damit liegt infolge des Verhaltens des Klägers eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor.
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Diese berührt auch ein Grundinteresse der Gesellschaft. Durch das Tatbestandsmerkmal „schwerwiegend“ (vgl. Nr. 6.4.1 AVwV FreizügG/EU zum insoweit vergleichbaren Maßstab des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU) wird an das geschützte Rechtsgut angeknüpft, sodass gesteigerte Anforderungen an das berührte Grundinteresse der Gesellschaft zu stellen sind; ausreichend ist insoweit eine konkrete Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, U.v. 27.9.2022 – 10 B 22.263 – juris Rn. 31 m.w.N.). Der Schutz von Vermögen und Eigentum vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter ist für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft und den öffentlichen Frieden essentiell (Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 83 m.w.N.). Eigentums- oder Vermögensdelikte, die zu beträchtlichen Schäden für eine Vielzahl von Personen führen oder die gewerbsmäßig begangen werden oder bei denen sonstige erschwerende Umstände vorliegen, gefährden ein Grundinteresse der Gesellschaft schwer (vgl. BVerwG, U.v. 2.9.2009 – 1 C 2.09 – juris Rn. 16; OVG Bremen, B.v. 29.3.2022 – 2 B 44/22 – juris Rn. 18 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers vor, insbesondere haben die Strafgerichte in den Verurteilungen durch das Amtsgericht N. vom 7. Juni 2021 (hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs geändert durch Berufungsurteil des Landgerichts N. vom 7.10.2021) und vom 1. August 2022 jeweils einen besonders schweren Fall nach dem Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB angenommen. Der jeweils entstandene hohe Gesamtschaden (in dem im Jahr 2021 abgeurteilten Sachverhalt entstanden Gesamtschäden in fünfstelliger Höhe) wurde jeweils strafschärfend in die Strafzumessung eingestellt.
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1.1.4 Soweit der Kläger gegen die erstinstanzliche Entscheidung einwendet, seine Ausweisung sei nicht unerlässlich für die Wahrung der Grundinteressen der Gesellschaft, zumindest seien diesbezüglich keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden, kann er auch damit nicht durchdringen.
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Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation der Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 77 m.w.N.). Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern und Assoziationsberechtigten entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.823 – juris Rn. 20). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 2) durchzuführen.
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Gemessen daran ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen nicht zu beanstanden. Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht die Ausweisung auch an den wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gemessen und zu Recht deren Verhältnismäßigkeit bejaht:
21
Der Kläger rügt, die §§ 54 und 55 AufenthG mit den dort gesetzlich typisierten Konstellationen jeweils unterschiedlich gewichteter Ausweisungs- und Bleibeinteressen seien nicht auf die Konstellation zugeschnitten, in der eine Ausweisung nur bei Vorliegen eines qualifizierten Gefahrengrades zulässig sei. Dem Vorliegen eines gesetzlich umschriebenen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG könne im Grundsatz allenfalls indizielle Bedeutung für die Frage zukommen, ob das Verhalten des Ausländers eine schwerwiegende Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstelle. Selbst bei der von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfassten Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren sei eine Ausweisung nach Maßgabe der sich aus § 53 Abs. 3 AufenthG ergebenden Anforderungen ohne eine vom Einzelfall losgelöste Begründung nicht zulässig. Es sei unverständlich, weshalb ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse, welches im Prozesskostenhilfebeschluss noch mangels Kenntnis des Gerichts nicht habe berücksichtigt werden können, im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidungsfindung des Verwaltungsgerichts an dem Ergebnis nichts ändern solle. Das Verwaltungsgericht verweise zwar darauf, dass der Kontakt durch die Inhaftierung des Klägers und den derzeit bestehenden Maßregelvollzug gelockert sei. Dies sei jedoch bei inhaftierten bzw. nicht in Freiheit befindlichen Klägern regelmäßig der Fall, sodass hierdurch alleine das schwerwiegende Bleibeinteresse nicht relativiert werde. Das Verwaltungsgericht würdige zudem nicht, dass die Tochter zu dem Kläger nach N. ziehen wolle, sobald er aus dem Maßregelvollzug entlassen werde. Die Vertreterin der Beklagten habe nach der informatorischen Anhörung der Tochter in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie gehe nach dem persönlichen Eindruck von einer schutzwürdigen Vater-Tochter-Beziehung und damit von einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse aus. Das Verwaltungsgericht beachte die Reichweite des familiären Schutzbereiches aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht. Insgesamt überwögen die Bleibeinteressen, anders als es das Verwaltungsgericht dargestellt habe, die Ausweisungsinteressen deutlich. Das Verwaltungsgericht relativiere das von ihm angenommene schwerwiegende Bleibeinteresse, indem es ausführe, dass eine Aufrechterhaltung des Kontaktes per Telefon und per Brief möglich sei. Dies entwerte die durch Art. 6 GG geschützte Familieneinheit und das daraus resultierende besonders schwerwiegende Bleibeinteresse, da im digitalen Zeitalter stets ein Kontakt über Medien möglich sei. Die Abwägung verbiete es, § 55 AufenthG auf medialen Kontakt zu reduzieren.
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Diese Rügen greifen nicht durch.
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Ein Ausländer kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten, da gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedarf (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Der Gesetzgeber hat im Ausweisungsrecht in differenzierter Weise die Schutzwürdigkeit familiärer Bindungen ausdrücklich berücksichtigt und ihnen normativ verschieden gewichtete Bleibeinteressen zugeordnet (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 Nr. 3 bis 6 AufenthG). Die Katalogisierung schließt es aber nicht aus, dass andere, nicht ausdrücklich in § 55 Abs. 1 AufenthG benannte Interessen und Umstände bei der zu treffenden Abwägungsentscheidung jeweils mit einem Gewicht einzustellen sein können, das einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse entsprechen kann (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 55 Rn. 5).
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Im Falle der Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen – wie des Klägers – führt § 53 Abs. 3 AufenthG nicht zu einer Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen nach den §§ 53 Abs. 1, 54, 55 AufenthG; ihnen kommt auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG die Bedeutung von gesetzlichen Umschreibungen spezieller Interessen mit dem jeweiligen Gewicht zu (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 24). Soweit die Entwurfsbegründung von einer „Sonderregelung“ spricht (BT-Drs. 18/4097, S. 50), bezieht sich diese Wendung jedoch ersichtlich auf das in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegte Maß der Sicherheitsgefahr und statuiert im Übrigen keine Verdrängung der wertenden und gewichtenden Ausweisungsbestimmungen.
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Gemessen daran ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen nicht zu beanstanden.
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Das Verwaltungsgericht hat seiner Abwägung zutreffend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt. Zwar wird in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils zunächst auf die Gründe des die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses verwiesen, ergänzend führt das Verwaltungsgericht aber aus, dass auch der weitere klägerische Vortrag in der mündlichen Verhandlung eine abweichende Bewertung nicht rechtfertige. Somit hat das Verwaltungsgericht erkennbar eine Überprüfung und Aktualisierung seiner Begründungserwägungen anhand der in der mündlichen Verhandlung zu Tage getretenen Erkenntnisse vorgenommen. Dies ist nicht zu beanstanden.
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Zu Recht nimmt das Verwaltungsgericht im Falle des Klägers ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht N. vom 1.8.2022 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 4 Monaten wegen Betrugs in vier Fällen, Betrugs oder Computerbetrugs in 2 Fällen und versuchten Betrugs in 13 Fällen) an. Dem gegenüber kann der Kläger typisierte besonders schwerwiegende Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (wegen seiner in eine Niederlassungserlaubnis umgewandelten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit der Ausweisung erlischt) und nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG beanspruchen. Soweit der Kläger daneben unstreitig über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 verfügt, steht dieses – kraft Gesetzes entstehende – Aufenthaltsrecht einem durch Aufenthaltserlaubniserteilung begründeten Aufenthaltsrecht gleich. Es erlischt (abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Erlöschensgrund des Verlassens des Aufnahmestaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe), wenn der Ausländer wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 darstellt und deshalb ausgewiesen wird (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 19.14 – juris Rn. 14). Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht begründet daher ein (unbenanntes, d.h. nicht vertyptes) besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse, welches seinem Gewicht nach dem § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entspricht (BayVGH, B.v. 7.3.2023 – 19 ZB 22.624 – Rn. 36; U.v. 28.3.2017 – 10 BV 16.1601 – juris Rn. 41; B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 29; Katzer in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed. 1.7.2024, AufenthG § 55 Rn. 4 ff., insb. Rn. 7; Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 36. Ed. 1.1.2023, AufenthG § 55 Rn. 21 m.w.N.). Stehen sich – wie im vorliegenden Fall – gleich gewichtige Ausweisungs- und Bleibeinteressen gegenüber, so bedarf es einer Abwägung im Einzelfall. Dabei sind die wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG sowie des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen, ohne dass ihnen ein absoluter Vorrang zukäme.
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Zwar verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12; B.v. 17.4.2024 – 2 BvR 244/24 – juris Rn. 22). Zwar drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück, wenn eine schützenswerte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind besteht, diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden kann, etwa weil das Kind – wie die Tochter des Klägers – deutscher Staatsangehöriger ist und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter – die vorliegend ebenfalls deutsche Staatsangehörige ist – das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist. Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2022 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 22 m.w.N.). Eine Ausweisung des ausländischen Vaters bleibt jedoch bei besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen, die bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse überwiegen, zulässig (vgl. Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.12.2024, § 55 AufenthG Rn. 40).
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Das Verwaltungsgericht hat insoweit darauf abgestellt, dass zwar aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit der (mittlerweile 16-jährigen) Tochter des Klägers und der Wahrnehmung des Umgangsrechtes durch denselben ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse vorliege, dass jedoch der Kontakt aufgrund der Inhaftierung des Klägers für eine längere Zeit zumindest stark eingeschränkt gewesen sei und durch die Therapie im Maßregelvollzug auch derzeit noch gelockert sei. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts – die der Kläger nicht in Zweifel zieht – wohnt seine Tochter im 450 km entfernten Hildesheim, wo sie die Schule besucht, und muss eine Fahrtzeit von über vier Stunden (einfache Strecke) mit der Bahn auf sich nehmen, um den Kläger zu besuchen. Damit begegnet die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der persönliche Kontakt zwischen dem Kläger und seiner Tochter derzeit durch den Aufenthalt im Maßregelvollzug und die große räumliche Entfernung bedingt auf bloße Besuchskontakte beschränkt ist, keinen Bedenken. Zu sehen ist auch, dass schon jetzt seitens der Tochter des Klägers ein erheblicher Aufwand und erhebliche Eigeninitiative erforderlich sind, um den Kontakt aufrecht zu erhalten. Zu Recht nimmt das Verwaltungsgericht an, dass es der Tochter des Klägers deshalb auch zuzutrauen ist, dass sie ihren Vater, falls dieser in sein Herkunftsland zurückkehren muss, auch dort besuchen können wird. Selbstverständlich wird die Häufigkeit der persönlichen Kontakte – die grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK erfasst sind – unter solchen Umständen abnehmen. In Anbetracht des Alters und Entwicklungsstandes des Kindes wird damit aber – worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist – kein Abbruch der persönlichen Kontakte einhergehen. Des Weiteren telefoniert der Kläger nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts regelmäßig mit seiner Tochter und schreibt ihr Briefe, woraus zu Recht geschlossen wird, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes per Telefon und Brief auch bei einem Wechsel des Lebensmittelpunktes des Klägers in die Türkei möglich und zumutbar wäre.
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Im Ergebnis ist daher der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen, dass vor dem Hintergrund der wiederholten gravierenden und langjährigen Straffälligkeit des Klägers und seiner bislang nicht (erfolgreich) therapierten Drogen- und Spielsuchterkrankung auch in Anbetracht seiner persönlichen Beziehung zu seiner Tochter, in die durch die Aufenthaltsbeendigung infolge der Ausweisung eingegriffen wird, das Ausweisungsinteresse gegenüber den Bleibeinteressen überwiegt. Die Ausweisung erweist sich damit auch mit Blick auf das Recht des Klägers und seiner Angehörigen auf Achtung ihres Privatlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und angemessen, um den vom persönlichen Verhalten des Klägers ausgehenden Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wirksam zu begegnen.
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1.1.5 Des Weiteren rügt der Kläger, es seien von dem Verwaltungsgericht keine Feststellungen hinsichtlich seiner faktischen Inländereigenschaft getroffen worden. § 55 Abs. 1 AufenthG umfasse insbesondere Personengruppen mit einer erheblichen Aufenthaltsverfestigung oder einer Verwurzelung im Bundesgebiet. Insbesondere seien keinerlei Feststellungen hinsichtlich der Entwurzelung getroffen worden. Der Kläger lebe seit seiner Geburt in der Bundesrepublik Deutschland und habe seit dem Jahre 1995 eine Niederlassungserlaubnis inne. Er habe keine Verwandten in seinem Herkunftsland und auch keinen Bezug dorthin. Er sei somit gänzlich entwurzelt.
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Auch diese Rügen greifen nicht durch.
33
Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung auch vor dem Hintergrund des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht für unverhältnismäßig gehalten. Der Vortrag des Klägers, dessen Familie stamme aus dem Erdbebengebiet in der Türkei, führe nicht zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen, weil der Kläger nicht gezwungen sei, in dieses Gebiet zu reisen oder sich dort niederzulassen. Sofern seine Behauptung zutreffe, dass er dort keine Familienangehörigen mehr habe, liege dies auch nicht nahe. Es sei ihm vor dem Hintergrund seiner wiederholten gravierenden und langjährigen Straffälligkeit zumutbar, sich gegebenenfalls in einer anderen Region in die Verhältnisse des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er habe, zu integrieren.
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Diese Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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Es handelt sich bei dem Kläger schon nicht um einen „faktischen Inländer“. Die Eigenschaft eines sogenannten „faktischen Inländers“ (BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 16) kommt solchen Personen zu, die tiefgreifend in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats integriert sind („Verwurzelung“) und gleichzeitig den Lebensverhältnissen des Herkunftsstaats entfremdet sind („Entwurzelung“), die daher faktisch zum Inländer geworden sind und die nur noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit mit dem Herkunftsstaat verbindet (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, § 53 AufenthG Rn. 87 m.w.N.; BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 21). Beide Elemente müssen kumulativ vorliegen. Für den Grad der Verwurzelung eines Ausländers sind insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, sein rechtlicher Aufenthaltsstatus, das Ausmaß der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integration und die Rechtsstreue seines Verhaltens in der Vergangenheit von Relevanz (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, § 53 AufenthG Rn. 90).
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Gemessen daran sind die für eine Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte im Ergebnis nicht ausschlaggebend. Der Kläger ist zwar im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen, er ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und hat mit dem einfachen Hauptschulabschluss eine Schulbildung erworben. Des Weiteren leben die Mutter und ein Teil seiner Geschwister sowie Halbgeschwister im Bundesgebiet. Der Kläger hat sich aber sozial und wirtschaftlich nicht in die deutschen Lebensverhältnisse integriert. Er hat weder eine Berufsausbildung abgeschlossen, noch konnte er auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig Fuß fassen. Der Kläger hat sich neben vorübergehenden legalen Beschäftigungen zeitweise mit Schwarzarbeit den Lebensunterhalt verdient, zeitweise war er auch auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Er hat erhebliche Schulden. Die unbefristete Beschäftigung ab 1. Oktober 2021 konnte der Kläger infolge seiner Haft ab 2. Oktober 2021 praktisch nicht ausüben. Außerdem ist es ihm nicht gelungen, einen rechtstreuen, insbesondere straffreien Lebenswandel zu führen. Der Kläger ist bereits im Jahr 2007 erstmals strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat eine ganze Serie von Vermögensdelikten, insbesondere Betrugsstraftaten, mit teilweise erheblichem Schaden begangen. Teilweise wurde ein besonders schwerer Fall angenommen, weshalb es sich nicht um geringfügige Kriminalität handelt. Daneben sind rechtskräftig abgeurteilte Bedrohungsdelikte des Klägers aktenkundig.
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Fehlt es somit an einer tiefgreifenden Integration im Aufenthaltsstaat, kommt es auf eine Entwurzelung nicht mehr an. Auch wenn der Kläger danach nicht als „faktischer Inländer“ anzusehen ist, ist gleichwohl zu berücksichtigen, dass der Vollzug der Ausweisung für ihn einen Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht darstellt, was im Rahmen der Abwägung der Bleibe- und Ausweisungsinteressen angemessen und in einem auf die Erfassung seiner individuellen Lebensverhältnisse angelegten Prüfprogramm zu würdigen ist (BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 30). In die Prüfung der Zumutbarkeit der Rückkehr des Ausländers ist unter anderem einzustellen, ob er Kenntnisse der Landessprache hat. Dieser Umstand ist bei der Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse und bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung „wesentlich zu berücksichtigen“ (vgl. BVerfG, B.v. 2.7.2024 – 2 BvR 678/24 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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Insofern trägt der Kläger lediglich vor, dass er keine Verwandten mehr im Herkunftsland habe. Es kann offenbleiben, ob dieser Vortrag zutrifft oder ob nicht vielmehr entsprechend dem Vortrag der Beklagten davon auszugehen ist, dass ein Bruder des Klägers in das gemeinsame Herkunftsland abgeschoben wurde und deshalb dort für den Kläger sogar ein familiärer Anlaufpunkt besteht. Jedenfalls ist der Kläger in einer aus dem Herkunftsland zugewanderten Familie (Einwanderer der sog. ersten Generation) aufgewachsen. Es wäre deshalb lebensfremd anzunehmen, dass ein in einem kulturell (zumindest auch) durch das Herkunftsland geprägten familiären Umfeld aufgewachsener Mensch mit der dortigen Sprache nicht soweit vertraut sein sollte, dass er sich dort zumindest auf einfache Weise im Alltag verständigen und somit auch in einem unabdingbaren Mindestmaß am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnte. Selbst wenn die Bezüge des Klägers zur dortigen Kultur und Sprache gering sein sollten, ist es ihm vor dem Hintergrund der hier begangenen schwerwiegenden Straftaten bzw. der fortbestehenden Gefahr möglich und zumutbar, sich im Land seiner Staatsangehörigkeit zu integrieren. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK überwiegt somit – in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Auffassung – das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers.
39
Vor dem Hintergrund der Schwere der Tat, die Anlass für die Ausweisung ist, ihrer Folgen, der Persönlichkeit des Klägers und der fehlenden nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Integration im Bundesgebiet stellt sich die Ausweisung darüber hinaus auch als unerlässlich für die Wahrung des vom Kläger bedrohten Grundinteresses der Gesellschaft dar, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat.
40
1.1.6 Die Einwendungen des Klägers gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots greifen ebenfalls nicht durch.
41
Der Kläger rügt, das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei unverhältnismäßig. Aus den genannten Gründen sei die Frist, insbesondere soweit sie fünf Jahre überschreite, unangemessen lang. Die Sperrwirkung halte unter Beachtung der familiären Bindungen des Klägers und der Tatsache, dass er in Deutschland nicht nur geboren sei, sondern hier sein ganzes bisheriges Leben ununterbrochen verbracht habe, verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK nicht stand. Auch erfordere die aus spezialpräventiven Gründen zu treffende Prognose im konkreten Fall keinen derart langen Zeitraum.
42
Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, welches seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 GR-Charta und Art. 8 EMRK gemessen und gegebenenfalls relativiert werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
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Gemessen daran greifen die Einwände des Klägers gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Jahre ab der Ausreise nicht durch. Aus den Ermessenserwägungen geht – wenngleich deren Aufbau nicht der dargestellten Prüfung in zwei Schritten entspricht – hinreichend deutlich hervor, dass die Beklagte zunächst den gesetzlichen Rahmen der festzusetzenden Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AufenthG in den Blick genommen und daran anknüpfend einzelfallbezogene Erwägungen angestellt hat, in welcher Höhe die Frist festgesetzt werden soll. Dabei hat die Beklagte zum einen die erforderlichen Überlegungen dazu angestellt, wie lange das Verhalten des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr das öffentliche Interesse, den Kläger aus dem Bundesgebiet fernzuhalten, zu tragen vermag. Angesichts dieser Erwägungen hat die Beklagte ermessensfehlerfrei angenommen, das persönliche Verhalten des Klägers trage für den Zeitraum von sechs Jahren das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr.
44
Des Weiteren muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GR-Charta und Art. 8 EMRK messen lassen und ist gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 33). Dem entsprechend hat die Beklagte die schutzwürdigen Bleibeinteressen und sonstigen persönlichen Umstände des Klägers in den Blick genommen und mit dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung des Klägers aus dem Bundesgebiet abgewogen. Insbesondere hat die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich anerkannt, dass aufgrund der persönlichen Beziehung des Klägers zu seiner minderjährigen Tochter (mit deutscher Staatsangehörigkeit) ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse vorliegt, aber an der getroffenen Befristungsentscheidung festgehalten (vgl. § 114 Satz 2 VwGO). Im Ergebnis ist die Beklagte somit zu Recht von einem Überwiegen des – angesichts der erheblichen Straffälligkeit des Klägers, seiner nicht erfolgreich therapierten Suchterkrankungen und des von ihm verwirklichten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses – sehr gewichtigen öffentlichen Fernhalteinteresses ausgegangen. Wie ausgeführt, kann der Kontakt des Klägers zu seiner Tochter wie bisher durch Brief- und Telefonkontakte bzw. soziale Medien und gelegentliche Besuche der Tochter beim Kläger in dessen Herkunftsland aufrechterhalten werden. Nicht ausgeschlossen sind auch Besuche des Klägers während der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf der Grundlage einer Betretenserlaubnis. Es ist somit nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im zweiten Schritt ihrer Ermessensentscheidung keinen Anlass zu einer Verringerung der unter gefahrenabwehrrechtlichen Gesichtspunkten angenommenen Frist von sechs Jahren gesehen hat.
45
1.2 Der daneben geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, siehe Begründungsschriftsatz des zuerst bevollmächtigten Rechtsanwalts vom 7.7.2023, S. 6 a.E.) wurde entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO schon nicht dargelegt. Der bloße Verweis darauf, dass die angegriffene Entscheidung Unionsrecht verletze, genügt hierfür nicht. Der Kläger übt damit inhaltliche Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung, wirft aber schon keine in einem Berufungsverfahren entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Rechtsfrage von fallübergreifender Bedeutung auf.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
47
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 2 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
48
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).