Titel:
Ausweisung wegen Subventionsbetrug und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 263
EMRK Art. 8 Abs. 1, Abs. 2
EStG § 4 Abs. 3
GG Art. 6 Abs. 1
GKG § 47 Abs. 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 2 S. 1
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 124, § 124a Abs. 4 S. 4, § 138 Nr. 6, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Ausweisung ist nach § 53 Abs. 3 AufenthG rechtmäßig, weil das persönliche Verhalten des Klägers (Subventionsbetrug und die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (IS)) eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung des Ausweisungsinteresses gegenüber dem Bleibeinteresse unerlässlich ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine positive Entscheidung über die Straf(rest)aussetzung zur Bewährung schließt nicht von vorneherein aus, dass im Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, die eine spezialpräventive Ausweisung rechtfertigen können. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben vielmehr eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen und sind an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Reine Passivität oder bloßer Zeitverlauf stellen kein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen von einem sicherheitsgefährdenden Verhalten dar. Es bedarf eindeutiger Erklärungen und Verhaltensweisen, die zum Ausdruck bringen, dass der Betreffende sich nunmehr von zurückliegenden Aktivitäten erkennbar aus innerer Überzeugung glaubhaft distanziert. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkischer Staatsangehöriger, Vermögensstraftaten (Schaden: 577.008, 17 €), Islamischer Staat (IS), Die wahre Religion (DWR), Schadenswiedergutmachung, Aussetzung der Reststrafe zu Bewährung, türkischer Staatsangehöriger, Vermögensstraftaten, Abstand, Ausweisung, Berufungszulassung, Coronavirus, demokratische Grundordnung, Einstellung, freiheitliche demokratische Grundordnung, Gefahrenprognose, Gefangene, IS, SARS-CoV-2, Sicherheit, Subventionsbetrug, Terrorismusunterstützung, Untersuchungshaft, Verfassungsschutz, jihadistisch-salafistisches Milieu
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 06.08.2024 – AN 11 K 23.2612
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4267
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein 1987 in … geborener türkischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2023 weiter. Mit diesem Bescheid wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, das auf die Dauer von sechs Jahren befristet wurde; weiter wurde seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus den der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sind nicht dargelegt. Solche bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier nicht der Fall.
4
Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers gemäß §§ 53 ff. AufenthG als rechtmäßig angesehen. Sie sei nach § 53 Abs. 3 AufenthG rechtmäßig, weil das persönliche Verhalten des Klägers (<Subventions->Betrug sowie die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung <IS>) eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich sei. Das Ausweisungsinteresse überwiege das Bleibeinteresse des Klägers und stelle sich auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK als verhältnismäßig dar.
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1. Das Verwaltungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch Vermögensstraftaten beeinträchtigen wird. Dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. Oktober 2022 habe zugrunde gelegen, dass der Kläger über einen Zeitraum von mehreren Monaten planvoll in insgesamt acht Fällen verschiedene Geldleistungen beantragt habe, die aufgrund der Corona-Pandemie aus staatlichen Mitteln des Bundes gewährt worden seien, und dabei jeweils unzutreffende Angaben gemacht habe, um finanzielle Hilfen zu erhalten, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorgelegen hätten. Insgesamt seien aufgrund der Falschangaben 142.108,69 € von der bayerischen Staatskasse und der Bundeskasse ausbezahlt worden. Zudem seien Gegenstand des Verfahrens bewusst überhöhte Abrechnungen von Corona-Testleistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und die hierdurch bewusst täuschungsbedingt zu Unrecht vereinnahmten Vergütungen im Zeitraum vom 31. Mai 2021 bis 1. September 2021 gewesen. Von den zu Unrecht abgerechneten 651.578,06 € habe die KVB an den Kläger 437.399,48 € ausbezahlt. Die Differenz von 214.178,58 € betreffe die Abrechnungen der Monate Juli und August 2021, die nicht mehr zu Auszahlung gekommen seien. Bei den Taten des Klägers handele es sich um eine Vielzahl von Einzeltaten, bei den jeweiligen Geldbeträgen handele es sich um erhebliche Summen. Schon, dass der Kläger ausweislich des Strafurteils systematisch und planvoll über einen Zeitraum von ca. eineinhalb Jahren vorgegangen sei, verdeutliche die verwirklichte kriminelle Energie und eine aus dieser hervorgehende Wiederholungsgefahr. Dabei sei ausweislich des Strafurteils zu berücksichtigen, dass infolge des Subventionsbetrugs erhebliche, vier- und fünfstellige Beträge ausbezahlt worden seien. Ferner sei der Kläger bei den Betrugstaten zum Nachteil der KVB gezielt arbeitsteilig vorgegangen und habe zu Unrecht einen hohen sechsstelligen Betrag erlangt. Hierbei lägen die Beträge teils deutlich über der für die Verwirklichung eines Regelbeispiels eines Vermögensverlusts großen Ausmaßes (vgl. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) angenommenen Schwelle. Der eingetretene Gesamtschaden in Höhe von 577.008,17 € und der versuchsweise erstrebte weitere Gewinn von 214.178,58 € seien erheblich. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger die der Ausweisung und dem Strafurteil zugrundeliegenden Vermögensstraftaten beging, nachdem sein Café, für welches er Schulden gemacht habe, geschlossen werden musste und sich der Kläger durch die Straftaten Geld verschafft habe, müsse im Zusammenhang mit der im Strafurteil angeordneten Einziehung eines Geldbetrags in Höhe von 577.008,17 € und der daraus resultierenden Privatinsolvenz des Klägers sowie vor dem Hintergrund, dass der Kläger über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge und bisher selbständig gewesen sei, davon ausgegangen werden, dass er sich auch künftig eine rechtswidrige, Strafvorschriften verletzende Einnahmequelle zu schaffen versuche. Auch im Hinblick darauf, dass auch die Verurteilung des Amtsgerichts Nürnberg vom 19. August 2020 zu einer Geldstrafe wegen Unterschlagung in Zusammenhang mit der Selbständigkeit des Klägers – dem Betrieb des Cafés – gestanden sei, begründe eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf Vermögensdelikte.
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1.1 Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe bei der Gefahrenprognose die im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth vollzogene Schadenswiedergutmachung in Höhe von 25.000 € nicht berücksichtigt.
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Damit legt der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar.
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In dem Strafurteil (Bl. 387/412 der Behördenakte) ist von der „erstrebten Wiedergutmachung“ durch Zahlung von 25.000 € an die Staatskasse am letzten Hauptverhandlungstag die Rede, die zugunsten des Klägers gewertet worden ist. Aus dem Beschluss des OLG Bamberg vom 9. April 2024 zur Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes der mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth verhängten Gesamtfreiheitsstrafe ab dem 9. November 2024 (Bl. 138 der VGH-Akte) geht hervor, dass der Kläger den Betrag wohl auch tatsächlich „an die Staatskasse erbracht hat“. Dieser Umstand ist jedoch für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr nicht relevant, zumal der Kläger zur (hier teilweisen) Regulierung des entstandenen materiellen Schadens der Staatskasse ohnehin zivilrechtlich verpflichtet (vgl. BayVGH, U.v. 20.3.2024 – 16a D 22.2572 – 1.2 juris Rn. 52) war.
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1.2 Weiter rügt der Kläger, seine berufliche bzw. wirtschaftliche Vita sei in den Urteilsgründen nur lückenhaft und damit im Ergebnis unvollständig wiedergegeben worden.
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Hierzu trägt der Kläger erstmals vor, er sei vor dem Auftreten der Corona-Pandemie ein erfolgreicher Unternehmer gewesen, der als Talentscout und Spielerberater im Profifußball auch für die erste deutsche Bundesliga (u.a. für den VfB Stuttgart und die TSG 1899 Hoffenheim) tätig gewesen sei und aus dieser Tätigkeit signifikante Erlöse im hoch sechsstelligen Bereich (laut Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG für das Jahr 2019: 651.031,10 €) erwirtschaftet habe. Er habe über mehrere Jahre hindurch vor der Corona-Pandemie junge nationale Fußballtalente mit Migrationshintergrund trainiert und ihren nationalen und internationalen Aufstieg in Bundesligavereine befördert. Auch international habe der Kläger vor der Corona-Pandemie diverse Spielermandate erfolgreich ausgeführt.
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Das Verwaltungsgericht habe hingegen eine Vita des Klägers dargestellt, wonach dieser in Freiheit als Selbständiger ohne Berufsabschluss zum Scheitern und damit zur künftigen Begehung von weiteren Straftaten „verurteilt“ sei.
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Allein der Umstand, dass der Kläger vor der Corona-Pandemie offensichtlich geschäftlich erfolgreich war, lässt die vom Verwaltungsgericht prognostizierte Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in nächster Zukunft an seine seinerzeitige Tätigkeit als Spielerberater anknüpfen kann. Auch in der Zulassungsbegründung ist davon nicht die Rede; nicht einmal eine entsprechende Erwartung wird formuliert. Der Kläger muss vielmehr als verurteilter Straftäter (und der damit einhergehenden gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit) und nach einer mehrjährigen Haft erneut Fuß fassen, was angesichts des fehlenden Berufsabschlusses nicht einfach sein dürfte. Auf dem Kläger lastet ein großer finanzieller Druck. In diesem Zusammenhang schlicht auf das Jahr 2019 und einige erfolgreiche Spielermandate zu verweisen, ist daher ersichtlich nicht ausreichend, um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Erscheinung darzulegen.
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1.3 Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe lediglich auf den bei der KVB in Höhe von 577.008,17 € (richtig: 437.399,48 €) entstandenen Schaden abgestellt, ohne zu berücksichtigen, dass diesem Schaden ein Zahlungsanspruch in Höhe von 714.747,66 € entgegenstehe.
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Aus dem vom Kläger zu diesem Komplex vorgelegtem Schreiben der Insolvenzverwalter vom 1. Dezember 2023 ergibt sich, dass tatsächlich durchgeführte Corona-Testungen im Zeitraum vom 1. September bis 11. Oktober 2021 von der KVB im Wert von (wohl) 714.747,66 € noch nicht abgerechnet worden sein sollen, weshalb von der KVB 277.348,18 € (714.747,66 € abzüglich 437.399,48 € laut Anmeldung zur Insolvenztabelle) an die Masse zu bezahlen seien. Es wird vorgeschlagen diesen Betrag um 50 v.H. auf 138.500 € zu reduzieren, um weitere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und einen Abschluss zu finden.
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Das rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Der Vortrag zielt wohl darauf ab, zu suggerieren, der Kläger werde in nächster Zukunft über ausreichende Finanzmittel verfügen. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass – nachdem das vorgelegte Schreiben vom 1. Dezember 2023 datiert ist – eine entsprechende Einigung und Zahlung längst erfolgt und das Insolvenzverfahren beendet sein müsste. Mangels definitiven Nachweises eines im Sinne des Klägers erfolgreichen Abschlusses des Insolvenzverfahrens kann eine Wiederholungsgefahr daher nicht abgesprochen werden.
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1.4 Der negativen Gefahrenprognose steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die weitere Vollstreckung der Reststrafe aus dem Strafurteil vom 21. Oktober 2022 zur Bewährung nach Erlass der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgesetzt worden ist.
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Das Oberlandesgericht Bamberg, das im Rahmen einer sofortigen Beschwerde des Klägers zu entscheiden hatte, führte in seinem Beschluss vom 9. August 2024 aus:
18
Der Grundsatz, dass bei einem Erstverbüßer im Allgemeinen erwartet werden kann, der Strafvollzug übe eine deutliche Wirkung aus und halte ihn von der Begehung weiterer Straftaten ab, kommt umfassend zum Tragen. Besondere Umstände, hiervon abzuweichen, liegen entgegen dem Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft im konkreten Fall nicht vor. Zwar hat der Verurteilte über einen langen Zeitraum systematisch und planvoll eine Vielzahl von gewerbsmäßigen Betrugsstraftaten mit einem erheblichen Gesamtschaden begangen. Die Generalstaatsanwaltschaft verkennt aber, dass sich der Verurteilte aktiv mit seinen Taten auseinandergesetzt hat. Er hat die Taten als Fehlverhalten erkannt. Dies ergibt sich im Kontext aus den schriftlichen Urteilsgründen, wonach der Verurteilte bereits am ersten Hauptverhandlungstag ein umfassendes Geständnis abgelegt und zur Schadenswiedergutmachung am letzten Hauptverhandlungstag 25.000 € an die Staatskasse erbracht hat. Hieraus ergibt sich, dass er sich die Taten in ihrer konkreten Bedeutung, ihren Ursachen und Folgen so bewusstgemacht hat, dass eine Wiederholung dieses oder anderer Gesetzesverstöße wenig wahrscheinlich ist. Für den gegenteiligen Schluss der Staatsanwaltschaft, Geständnis und Schadenswiedergutmachung beruhten auf anderweitiger Motivation, bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte.“
19
Nach ständiger höchstrichterlicher Entscheidung (vgl. nur BVerwG, B.v. 24.10.2023 – 1 B 15.23 – juris Rn 16 m.w.N.) schließt eine positive Entscheidung über die Straf(rest) aussetzung zur Bewährung nicht von vorneherein aus, dass im Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, die eine spezialpräventive Ausweisung rechtfertigen können. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben vielmehr eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Sie sind an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden, auch wenn diesen tatsächliche Bedeutung im Sinne einer Indizwirkung zukommt. Gelangen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts, zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr, so bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung. Solche Gründe können zum Beispiel gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt. Bei fortbestehenden konkreten Gefahren für höchste Rechtsgüter kommt eine Abweichung von der strafrechtlichen Legalprognose aber auch bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Tatsachengrundlage in Betracht, ohne dass es insoweit der Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens bedarf.
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Der Strafvollstreckungssenat zieht aus dem Verhalten des Klägers im strafrechtlichen Verfahren (Geständnis und Schadenswiedergutmachung) die Schlussfolgerung, der Kläger sei geläutert (was man freilich auch anders als rein prozesstaktisches Verteidigungsverhalten sehen könnte; vor allem vor dem Hintergrund, dass die Schadenswiedergutmachung erst am letzten Tag der Hauptverhandlung angeboten wurde und sich prompt strafmildernd auswirkte). Das kann aber letztlich auf sich beruhen, weil die Beklagte im Zulassungsverfahren unter dem 30. Januar 2025 eine eigenständige und längerfristige ausländerrechtliche Gefahrenprognose vorgenommen hat und eine fortbestehende konkrete Gefahr für höchste Rechtsgüter bejaht hat. Sie hat sich dabei im Wesentlichen von dem Gesamtschaden in Höhe von 577.008,17 €, dem versuchsweise erstrebten weiteren Gewinn in Höhe von 214.178,55 €, dem Umstand, dass die Schadenswiedergutmachung nicht einmal viereinhalb Prozent der Gesamtschulden beträgt, dem Umstand, dass das Verhalten des Klägers im Strafvollzug nicht beanstandungsfrei war, dass er auch schon zum Zeitpunkt der Begehung der Betrugsstraftaten zusammen mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen Kindern lebte (und ihn dies nicht von der Begehung massiver Vermögensdelikte abgehalten habe) leiten lassen sowie die zu Tage getretenen charakterlichen Mängel und kriminelle Energie des Klägers bei den Betrugsdelikten berücksichtigt und eine nicht dauerhaft gelungene wirtschaftlichen Integration angenommen hat.
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Das ist in der Sache nicht zu beanstanden, zumal zu berücksichtigen ist, dass auch nach Auffassung des Strafvollstreckungssenats die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten fortbesteht, wie sich aus der Auferlegung einer vierjährigen Bewährungsfrist und der Unterstellung des Klägers unter die Aufsicht und die Leitung eines Bewährungshelfers ergibt. Die Klägerseite hat auf die „nachgereichte“ Gefahrenprognose nicht repliziert.
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2. Das Verwaltungsgericht ist ferner davon ausgegangen, dass der Kläger das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Tatsachen rechtfertigten die Schlussfolgerung, dass der Kläger eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze – nämlich den Islamischen Staat (IS) – seinerseits unterstütze bzw. unterstützt habe und ein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen von diesem Handeln nicht vorliege.
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2.1 Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe in seinen Entscheidungsgründen bereits nicht dargelegt, dass der IS zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts überhaupt noch fortbestanden habe. Er zielt damit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 15.3.2005 – 1 C 26.03 – juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 27.10.2017 – 10 B 16.1252 – juris Rn. 38) ab, wonach die Anwendung des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG den Fortbestand der den Terrorismus unterstützenden Vereinigung voraussetzt.
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Dieser Einwand zielt auf einen Begründungsmangel im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO und damit auf einen Verfahrensfehler. Damit vermag der Kläger auch dann nicht durchzudringen, wenn man zu Grunde legt, dass auch Verfahrensfehler Richtigkeitszweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen können (vgl. dazu Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 80; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 VwGO Rn. 8, 47; a.A. Kuhlmann in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 124 Rn. 16). Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Sinn dieser Regelung ist es zum einen, die Beteiligten über die dem Urteil zu Grunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten, und zum anderen, dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung deshalb nur, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion nicht mehr erfüllen können. Das ist nur der Fall, wenn sie vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Hingegen liegt ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (stRspr., vgl. BVerwG, B.v. 25.9.2013 – 1 B 8.13 – juris Rn. 16; Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022 § 138 Rn 54 ff.). Ein solcher Mangel ist hier bereits nicht dargetan, aber auch nicht ersichtlich. Im Übrigen gilt der IS zwar infolge der Tötung mehrerer Personen aus der (ursprünglichen) Führungsspitze sowie der Niederlagen in Irak und Syrien als geschwächt, existiert aber immer noch.
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2.2 Soweit sich der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, sind Fehler im Hinblick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen, genügt es nicht, einer vertretbaren Sachverhaltsbewertung des Gerichts nur eine eigene abweichende Sachverhaltsbewertung entgegenzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2024 – 11 ZB 23.1360 – juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 26.10.2022 – 4 BN 22.22 – juris Rn. 16). Die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht festgestellten entscheidungserheblichen Tatsachen ist daher nicht schon dann schlüssig in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine oder mehrere dieser Tatsachen bestreitet, ihr Gegenteil behauptet, die zugrunde liegenden Erkenntnisquellen anders würdigt oder aus ihnen andere Schlüsse zieht, sondern erst, wenn er auch gute Gründe dafür aufzeigt, dass diese Tatsachen möglicherweise nicht zutreffen, das Urteil mithin auf einer ernstlich zweifelhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung beruht (BayVGH, B.v. 5.2.2024 a.a.O.; VGH BW, B.v. 10.1.2022 – 2 S 2436/21 – juris Rn. 14). Im Übrigen genügt weder die Wiederholung erstinstanzlichen Vorbringens noch die schlichte Darstellung der eigenen Rechtsauffassung dem Darlegungsgebot (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2024 – 11 ZB 24.501 – juris Rn. 9 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 63). „Darlegen“ bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (vgl. BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – juris Rn. 3 m.w.N.). Erforderlich ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, die den Streitstoff durchdringt und aufbereitet. Das leistet die Zulassungsbegründung nicht, die lediglich ihre Stellungnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zitiert und daran anknüpfend feststellt, es fehle an einer inhaltlichen Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts damit.
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2.3 Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die LIES!-Kampagne und die hierbei geführten Stände nachweislich die Verbreitung eines extremistischen Verständnisses des Islams und der Rekrutierung von Aktivisten und Unterstützern für den IS diente.
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Hierzu führt der Kläger aus, das Verwaltungsgericht habe nicht dargelegt, in welcher Verbindung der 2016 verbotene Verein „Die wahre Religion“ (DWR) zu dem IS gestanden haben solle, um die behauptete Unterstützung des IS durch den Kläger als der terroristischen Organisation, auf welche das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Verwirklichung des Ausweisungstatbestandes des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG allein abgestellt habe, nachvollziehen zu können. Weder sei vom Verwaltungsgericht ein Bezug des DRW zum IS hergestellt noch sei ein konkret-individueller Beitrag des Klägers zur Förderung der religiös-politischen Ziele dieser Vereinigung dargetan worden.
28
Der Kläger verkennt, dass er darlegungspflichtig (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) ist. Er hätte den Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts, dass die Stände der LIES!-Kampagne nachweislich der Rekrutierung von Aktivisten und Unterstützern für den IS diente, mit schlüssigen Argumenten in Frage stellen müssen. Das hat er jedoch nicht getan. Es wäre ein leichtes gewesen, auf der Grundlage der im Internet verfügbaren Verfassungsschutzberichte und der dem Vereinsverbot 2016 zugrundeliegenden Erkenntnisse (die eben darin bestehen, dass der Verein zur Ausreise von mindestens 140 Aktivisten und Unterstützung nach Syrien bzw. in den Irak aufgerufen hat, um sich dort dem Kampf terroristischer Gruppen anzuschließen, vgl. Bl. 38 des UA des angefochtenen Urteils) auszuwerten und substantiierte Gegenargumente bzw. Einwände zu formulieren oder auch die Erkenntnis zu gewinnen, dass der Tatsachensatz eben nicht erschüttert werden kann, statt eine Darlegungspflicht des Verwaltungsgerichts einzufordern.
29
Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht von einem weiten Unterstützerbegriff ausgegangen, sodass auch (nur) die Anwesenheit am Stand und die Unterstützung der Kampagne geeignet war, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG missbilligten Ziele zu entfalten. Diesem Rechtssatz ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht selbst eingeräumt, dass er im Jahr 2014 an der Aktion teilgenommen und ein „bisschen Aufklärungsarbeit“ gemacht bzw. – auf Nachfrage – „positive Gespräche“ geführt zu haben (vgl. hierzu UA Bl. 37).
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2.4 Das Ausweisungsinteresse ist nicht nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 a.E. AufenthG entfallen.
31
Das Verwaltungsgericht hat die Überzeugung gewonnen, dass sich der Kläger auch nach den präventivpolizeilichen Maßnahmen im Jahr 2014 nach wie vor im jihadistisch-salafistischen Milieu bewegt. Er habe zahlreiche in Verfassungsschutzberichten geführte Moscheen besucht und Kontakt zu Personen aus der örtlichen Salafistenszene bzw. zu Personen, welche für die in Verfassungsschutzberichten genannten Organisationen werben würden, gepflegt.
32
Der Kläger hat damit bislang nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Verhalten Abstand genommen. Reine Passivität oder bloßer Zeitverlauf stellen kein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen dar. Es bedarf eindeutiger Erklärungen und Verhaltensweisen, die zum Ausdruck bringen, dass der Betreffende sich nunmehr von zurückliegenden Aktivitäten erkennbar aus innerer Überzeugung glaubhaft distanziert (Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 54 Rn. 46 m.w.N.). Solche Handlungen werden nicht vorgetragen. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es zudem, dass der Ausländer einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit durch sein Handeln die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundesrepublik Deutschland gefährdet zu haben (BVerwG, B.v. 25.4.2018 – 1 B 11.18 – juris Rn. 12). Der Kläger bestreitet indes weiterhin einen Bezug zum IS bzw. zur jihadistisch-salafistischen Szene, sondern belässt es bei dem Hinweis, allein Kontakte zu Personen, die aufgrund ihrer salafistischen-jihadistischen Gesinnung und etwaigen Förderungsbeiträgen unter Beobachtung von Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden stünden, aber keinerlei Bezug zum IS hätten bzw. vom Verwaltungsgericht ihre konkrete Partizipation an der Tätigkeit des IS nicht dargetan worden sei, könnten dem Kläger nicht als Unterstützung des IS zugerechnet werden. Hier geht es jedoch um ein glaubhaftes Abstandnehmen, was – wie bereits ausgeführt – weitere Szenekontakte schlicht verbietet. In diesem Zusammenhang sieht der Senat auch mit Sorge, dass der Kläger ausweislich eines Führungsberichts der JVA Bayreuth von Juni 2023 während der Untersuchungshaft in der JVA Nürnberg ab Dezember 2021 wegen seines stark ausgeprägten religiösen Verhaltens aufgefallen ist. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz teilte am 13. November 2024 mit, dass der Kläger in der Gesamtschau den Eindruck hinterlassen habe, dass er andere Gefangene von seiner religiösen Einstellung überzeugen wolle. Vor dem Hintergrund der ideologischen Verortung des Klägers im Salafismus könne davon ausgegangen werden, dass seine Missionierungsabsichten salafistisch motiviert gewesen seien. Vor diesem Hintergrund kann von einem Abstandnehmen nicht ansatzweise die Rede sein.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
34
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
35
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).