Titel:
Ablehnungsgesuch nach Erledigung des Rechtsstreits
Normenketten:
VwGO § 54 Abs. 1, § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2
ZPO § 42 Abs. 1, Abs. 2, § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Ablehnungsgesuch ist unzulässig, wenn der Rechtsstreit durch unanfechtbaren Beschluss erledigt ist. Erst wenn die Anhörungsrüge Erfolg hat und das Verfahren in die frühere Lage zurückversetzt wird, kommt eine Richterablehnung wieder in Betracht. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anhörungsrüge ist unzulässig, wenn die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht entscheidungserheblich dargelegt wird. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Gehörsverletzung in Form einer Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn die maßgeblichen Rechtsfragen ohne weiteres zu beantworten sind und ein Beteiligter sich darauf rechtzeitig einstellen kann. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Richterablehnung, Ablehnung, Erledigung, Überraschungsentscheidung, Erledigung des Rechtsstreits, Rechtsauffassung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4261
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird verworfen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
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1. Der Senat entscheidet über die Anhörungsrüge in seiner – im Hinblick auf den angegriffenen Beschluss vom 27. Januar 2025 unveränderten – Besetzung laut Geschäftsverteilungsplan. Dem steht die mit der Anhörungsrüge verbundene Richterablehnung nicht entgegen.
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Ein Ablehnungsgesuch ist unzulässig, wenn der Rechtsstreit durch unanfechtbaren Beschluss erledigt ist. Die abschließende Erledigung des Rechtsstreits durch eine unanfechtbare Entscheidung ist die äußerste Zeitschranke für die Ablehnung eines Richters. Daher ist ein (erstmals) im Anhörungsrügeverfahren gestelltes Ablehnungsgesuch, das einer unanfechtbaren, das Verfahren rechtskräftig abschließenden Entscheidung nachfolgt, unzulässig. Erst wenn die Anhörungsrüge Erfolg hat, das Verfahren insoweit gemäß § 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO in die frühere Lage zurückversetzt wird und daher eine rechtskräftige Entscheidung nicht mehr entgegensteht, kommt eine Richterablehnung in Betracht. Dies ergibt sich auch aus dem Zweck des Anhörungsrügeverfahrens. Dieses dient der Möglichkeit der Selbstkorrektur von Gehörsverstößen durch das Gericht, das die in Rede stehende, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbare Entscheidung getroffen hat (vgl. VGH Mannheim, B.v. 8.6.2016 – 1 S 783/16 – juris Rn. 3 ff.; OVG Bautzen, B.v. 11.10.2016 – 3 D 83/16 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 BV 16.962 – juris Rn. 6; OVG Weimar, B.v. 2.6.2017 – 3 SO 79/17 – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 19.2.2018 – 10 ZB 18.406 – juris Rn. 2; OVG Bremen, B.v. 16.3.2021 – 1 B 117/21 – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 14.6.2023 – 10 AE 23.1029 – juris Rn. 4). Weil vorliegend die Anhörungsrüge unzulässig ist (dazu unter 2.) und daher die Rechtsfolge des § 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht eintritt, folgt daraus zugleich die Unzulässigkeit des mit der Anhörungsrüge gestellten Ablehnungsgesuchs.
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2. Die Anhörungsrüge ist nach § 152a Abs. 4 Satz 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen, weil die Klägerin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO entsprechenden Weise dargelegt hat.
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Die Klägerin verkennt die Voraussetzungen, unter denen eine Rüge nach § 152a VwGO überhaupt Erfolg haben kann. Der außerordentliche Rechtsbehelf der Anhörungsrüge eröffnet die Möglichkeit einer fachgerichtlichen Abhilfe (nur) für den Fall, dass ein Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Eine solche Rechtsverletzung liegt nicht vor, wenn ein Gericht einem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern – wie im vorliegenden Fall – aus Gründen des materiellen Rechts und des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als die beteiligte Klägerin es für richtig hält (vgl. BVerwG, B.v. 3.1.2006 – 7 B 103/05 u.a. – juris Rn. 1). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen. Die Anhörungsrüge ist somit kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 u.a. – juris Rn. 2).
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2.1 Die Klägerin macht mit der Anhörungsrüge insbesondere geltend, die Rechtsauffassung des Senats, nach der sich der streitgegenständliche Bescheid durch Zeitablauf erledigt habe, treffe nicht zu, folglich sei irrig angenommen worden, die Klägerin besitze nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Der Senat verletze damit jedenfalls das rechtliche Gehör, wenn er vorher keinen entsprechenden Hinweis erteile.
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Hiermit setzt die Klägerin den Ausführungen des Senats in der Entscheidung vom 27. Januar 2025 jedoch lediglich ihre spezifische Sicht der Dinge entgegen. Denn der Senat hat in seinem Beschluss vom 27. Januar 2025 (Rn. 27 ff.) unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt:
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Der Senat durfte die Erwägungen, welche das angegriffene Urteil im Ergebnis tragen, auch ohne vorherigen ausdrücklichen Hinweis für die Ablehnung des Zulassungsantrags heranziehen, weil diese in Anbetracht der Gesamtumstände ohne weiteres auf der Hand liegen und damit offensichtlich sind (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 10). Die Klägerin hat die Frage der Erledigung des Verpflichtungsbescheids selbst aufgeworfen und führt in ihrem Schriftsatz vom 6. Juli 2023 im erstinstanzlichen Verfahren im Zusammenhang mit dem Feststellungsinteresse wörtlich aus, dass „die Pflicht zur Kalkulationsteilnahme im Hinblick auf die Datenjahre 2019 bis 2021 abgelaufen ist“. Zudem war die Frage Gegenstand einer Entscheidung des VG Berlin, die im erstinstanzlichen Verfahren eingeführt worden ist (VG Berlin, U.v. 8.9.2022 – VG 33 K 5/21, n.v.; vorgelegt mit Schriftsatz der Beklagten vom 9. Mai 2023). Auch wurde sie in parallel geführten Verfahren erörtert, an denen der Prozessbevollmächtigte der Klägerin jeweils als Klägerbevollmächtigter beteiligt gewesen ist (vgl. etwa VG Augsburg, U.v. 26.9.2022 – Au 9 K 21.2365 – juris –).
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Einer vorherigen Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – juris Rn. 15; BVerfG, B.v. 15.2.2011 – 1 BvR 980/10 – juris Rn. 13) bedurfte es insoweit nicht. Eine die Garantie rechtlichen Gehörs der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verletzende Überraschungsentscheidung liegt nicht inmitten. Grundsätzlich gilt zwar, dass im Falle der Ablehnung eines Zulassungsantrags aus Gründen der anderweitigen Ergebnisrichtigkeit dem Rechtsmittelführer zuvor rechtliches Gehör gewährt werden muss, damit dieser zu den für ihn neuen Gründen Stellung nehmen kann (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 103). Ausnahmsweise ist ein solcher Hinweis jedoch entbehrlich, wenn die Bedeutung der Frage für den zu entscheidenden Rechtsstreit ohne weiteres ersichtlich war (vgl. BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – juris Rn. 16).
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Wie dargelegt, war die Frage der Erledigung des Verpflichtungsbescheids bereits Gegenstand der Erörterung in mehreren verwaltungsgerichtlichen Verfahren und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sie sogar selbst aufgeworfen. Er musste sich daher auch ohne vorherigen Hinweis rechtzeitig darauf einstellen und damit rechnen, dass der an die Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht gebundene Senat die Erledigungsfrage anders als das Verwaltungsgericht beurteilen könnte. Sind der Klägerin die eine anderweitige Ergebnisrichtigkeit begründenden Tatsachen bereits bekannt, so bedarf es keiner erneuten Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn das Berufungsgericht den Antrag aus eben diesem Grunde ablehnen will (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 58; BayVGH, B.v. 17.12.2018 – 12 ZB 18.2462 – juris Rn. 23).“
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Wenn die Klägerin die gegenteilige Auffassung vertritt und meint, ein Hinweis sei insbesondere deshalb nicht entbehrlich gewesen, weil der streitige Beschluss die erste Entscheidung sei, die eine solche Rechtsauffassung vertrete, verkennt sie den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG. Dieser gewährleistet nicht, dass ein Gericht dem klägerischen Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht folgt (vgl. BVerwG, B.v. 11.6.2007 – 5 B 143/07 – juris Rn. 2).
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Da es nicht Sinn der Anhörungsrüge ist, das Gericht zu einer Ergänzung oder Erläuterung seiner Entscheidung zu veranlassen (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2008 – 6 ZB 09.1955 – juris Rn. 3), weist der Senat insofern lediglich darauf hin, dass er nicht an die Rechtsauffassung anderer Verwaltungsgerichte gebunden ist und deshalb eine „abweichende“ Entscheidung als solche schon keine Hinweispflicht begründen kann. Im Übrigen führt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der Anhörungsrüge ausdrücklich aus, dass – auch aus seiner Sicht – die den Bescheiden zugrundeliegenden Datenjahre zwischenzeitlich abgelaufen waren. Deshalb hätten sich die Beklagten jeweils die Geltendmachung von Sanktionen vorbehalten. Dies zeigt anschaulich, dass die Bevollmächtigten der Klägerin das Problem einer etwaigen Erledigung des streitgegenständlichen Bescheids gesehen haben, und sie folglich – wie vom Senat in der angegriffenen Entscheidung dargelegt – hätten reagieren können und im Interesse ihrer Mandantin (möglicherweise) auch hätten reagieren müssen. Rechtsberatung ist indes nicht Aufgabe des Gerichts, und richterliche Hinweise nur zugunsten eines Beteiligten sowie das Aufzeigen von günstigen Gestaltungsmöglichkeiten gingen insbesondere über die verfassungsrechtlichen Grundsätze des fairen Verfahrens und der richterlichen Neutralität hinaus (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2017 – 9 A 16/16 – juris Rn. 9).
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2.2 Soweit die Klägerin der Ansicht ist, die Rechtsauffassung des Senats zur Frage der Erledigung des streitgegenständlichen Bescheids und der prozessualen Folgen im Zulassungsverfahren sei nicht von der Prozessordnung gedeckt, setzt sie dieser wiederum lediglich ihre spezifische Sicht der Dinge entgegen. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 27. Januar 2025 (Rn. 26) unter Bezugnahme auf einschlägige Rechtsprechung und Literatur ausgeführt:
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Das Versäumnis, in der ersten Instanz nicht zumindest hilfsweise eine Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben zu haben, kann im Berufungszulassungsverfahren nicht mehr beseitigt werden. Zwar besteht grundsätzlich auch im Berufungszulassungsverfahren bei Eintritt eines erledigenden Ereignisses nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils die Möglichkeit, die bisherige Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umzustellen. Diese Möglichkeit scheidet jedoch aus, wenn das erledigende Ereignis – wie hier – bereits zuvor im ersten Rechtszug eingetreten ist, die Klageumstellung aber unterlassen wurde (BayVGH, B.v. 18.4.2017 – 12 ZB 13.2095 – juris Rn. 16). Denn Gegenstand des Berufungszulassungsverfahrens nach § 124a VwGO als eines Zwischenverfahrens kann allein der Streitgegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung sein; nur hierzu können Zulassungsgründe dargelegt und geprüft werden (BayVGH, B.v. 16.12.2005 – 7 ZB 05.2645 – juris Rn. 5). Für eine Klageänderung ist im Berufungszulassungsverfahren kein Raum (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2024, § 124 Rn. 26k m.w.N.).“
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Auch hier verkennt die Klägerin den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie unter dem Deckmantel der Anhörungsrüge die inhaltliche Unrichtigkeit der Senatsentscheidung rügt (vgl. Schübel-Pfister in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 152a Rn. 26 m.w.N.). Ihre Argumentation ist allein darauf gerichtet, die Richtigkeit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung in Zweifel zu ziehen, wenn sie meint, die Frage der Erledigung stelle sich im Zulassungsverfahren nicht, und der Senat ihr dies zu Unrecht vorhalte.
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2.3 Darüber hinaus macht die Klägerin eine willkürliche Behandlung der Zulassungsgründe geltend, weil hier ganz offensichtlich der Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vorliege. Auch damit ist jedoch eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht den Anforderungen des § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO entsprechend dargelegt. Denn die Klägerin übersieht, dass sich die besonderen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf Fragen beziehen müssen, die für den konkreten Fall und das konkrete Verfahren entscheidungserheblich sind (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 124 Rn. 9; OVG Münster, B.v. 14.4.1997 – 11 B 484/97 – juris Rn. 2). Die vielen hundert Seiten der Antragsbegründung widmen sich aber allein materiell-rechtlichen Fragen. Die behaupteten besonderen Schwierigkeiten beträfen also die Begründetheit der Klage und sind somit nicht entscheidungserheblich, weil die Klage bereits unzulässig ist und deshalb der Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen war.
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3. Die Anhörungsrüge ist daher als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens (§ 154 Abs. 2 VwGO). Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist nach § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar.