Inhalt

VGH München, Beschluss v. 13.03.2025 – 11 ZB 24.2066
Titel:

Ablehnung der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Vorlage eines negativen medizinisch-psychologischen Gutachtens

Normenketten:
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 6 S. 1 Nr. 2
FeV § 11 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 20 Abs. 1, Anl. 4 Nr. 8.1
Leitsätze:
1. Legt der Betroffene ein Fahreignungsgutachten vor, ist dieses als Entscheidungshilfe für die Fahrerlaubnisbehörde sowie Gerichte verwertbar, wenn es die in Anlage 4a zur FeV genannten Grundsätze (§ 11 Abs. 5 FeV) einhält. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein Gutachten nach Auffassung des Betroffenen diesen Anforderungen nicht gerecht, ist es im Neuerteilungsverfahren grundsätzlich allein dessen Sache, sich als Auftraggeber um eine Nachbesserung des Gutachtens zu bemühen, sich zivilrechtlich mit dem Gutachter auseinanderzusetzen oder einer weiteren Begutachtung durch eine andere Stelle zu unterziehen. Dafür, dass Behörden und Gerichte das Gutachten eingehend prüfen, gegebenenfalls beanstanden, auf Nachbesserung hinwirken oder den Bescheid aufheben bzw. eine Verpflichtung zur Neubescheidung aussprechen, besteht in dieser Fallgestaltung daher von vornherein kein Anlass. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Vorlage eines negativen medizinisch-psychologischen Gutachtens, Alkoholmissbrauch (Trunkenheit mit 2, 21 Promille am Vormittag), Nachvollziehbarkeit des Gutachtens (bejaht), notwendige Stabilität der Abstinenz bei erklärtem Verzichtswillen, Fahrerlaubnis, Neuerteilung, Fahreignung, Fahreignungsgutachten, Alkoholmissbrauch, Blutalkoholkonzentration, Alkoholabstinenz
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 06.11.2024 – W 6 K 24.947
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4256

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis.
2
Aufgrund einer Alkoholfahrt am 22. August 2022 gegen 12:26 Uhr mit 2,21 Promille entzog das Amtsgericht Würzburg dem Kläger mit Strafbefehl vom 13. Januar 2023 rechtskräftig seine 1983 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt). Nach Ablauf der Sperrfrist beantragte dieser am 19. September 2023 beim Landratsamt Würzburg (Fahrerlaubnisbehörde) die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A und A 1 (jeweils versehen mit den Schlüsselzahlzahlen 79.03 und 79.4), AM, B, BE und L.
3
Auf Anordnung des Landratsamts legte der Kläger ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom 7. Februar 2024 vor. Danach ist zu erwarten, dass der Kläger das Führen von Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann. Aus seiner Lerngeschichte sei abzuleiten, dass er zum kontrollierten Alkoholkonsum nicht zuverlässig in der Lage sei. Hierfür spreche nicht nur die sehr hohe Blutalkoholkonzentration bereits zur Mittagszeit, sondern beispielsweise auch die Tatsache, dass er beim letzten Trinkanlass (nach der Trunkenheitsfahrt) gemerkt habe, dass kontrolliertes Trinken nicht funktioniere und er deshalb selbst angebe, eine Lebensweise ohne Alkohol sei angemessen. Bei der Höhe der Blutalkoholkonzentration von 2,21 Promille zur Mittagszeit sei sicher von einem hoch problematischen Alkoholtrinkverhalten auszugehen, da deren Erreichen eine hohe Alkoholverträglichkeit voraussetze, zumal wenn dann noch ein Kraftfahrzeug geführt werde. Eine gefestigte Verhaltensänderung im Alkoholtrinkverhalten als Grundvoraussetzung für eine erfolgversprechende Vermeidung einer erneuten Alkoholfahrt sei nicht gewährleistet. Zwar habe der Kläger angegeben, seit September 2022 keinen Alkohol mehr zu trinken. Jedoch könne er die angegebene abstinente Lebensweise nicht durch entsprechende Befunde stützen. Darüber hinaus überschätze er seine Kontrollmöglichkeiten bezüglich seines Alkoholverzichts, da er sich nicht hinreichend mit den persönlichen Ursachen bzw. Gründen für die Entstehung und Aufrechterhaltung seines in der Vergangenheit erhöhten Alkoholkonsums auseinandergesetzt habe. Er sei sich daher der bestehenden Rückfallgefährdung in frühere Verhaltensgewohnheiten nicht ausreichend bewusst. Insgesamt könne nicht von einer stabil etablierten alkoholabstinenten Lebensweise ausgegangen werden. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Mangel in einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung nach § 70 FeV behoben werden könne. Zudem hätten sich bei der Leistungstestung Hinweise auf Defizite im Bereich der Konzentration und der Orientierung ergeben. Vor dem Hintergrund der negativen Gesamtbefundlage sei auf die Durchführung einer psychologischen Fahrverhaltensbeobachtung verzichtet worden.
4
Mit Bescheid vom 24. April 2024 versagte das Landratsamt nach vorheriger Anhörung die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis.
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Die dagegen erhobene Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 6. November 2024 ab.
6
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, besondere rechtliche Schwierigkeiten sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
7
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
8
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt sind bzw. nicht vorliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Aus dem Vorbringen des Klägers, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
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a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne nähere Prüfung beantworten lässt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – BayVBl 2022, 493 Rn. 11; OVG NW, B.v. 1.10.2020 – 1 A 2433/20 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 8.12.2019 – 6 A 740/19 – juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16 f.; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 9).
11
b) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2024 (BGBl I Nr. 299), gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Das Vorliegen der Fahreignung wird von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 319), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. August 2024 (BGBl I Nr. 266), positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert und ist vom Bewerber nachzuweisen (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StVG). Die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht daher zu Lasten des Bewerbers. Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VerkMitt 2012 Nr. 68 = juris Rn. 31; U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 19).
12
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen an die körperliche und geistige Fahreignung insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, d.h. das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Nr. 8.1 der Anl. 4 zur FeV). Bei einem solchen Alkoholmissbrauch kann von einer Eignung erst dann wieder ausgegangen werden, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Nr. 8.2 der Anl. 4 zur FeV). Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis u.a. dann an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde.
13
Legt der Betroffene – wie hier – ein Fahreignungsgutachten vor, ist dieses als Entscheidungshilfe für die Fahrerlaubnisbehörde sowie Gerichte verwertbar, wenn es die in Anlage 4a zur FeV genannten Grundsätze (§ 11 Abs. 5 FeV) einhält. Das Gutachten muss in allgemeinverständlicher Sprache abgefasst sowie nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Befunden geführt haben, angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen (Nr. 2 Buchst. a der Anl. 4a zur FeV). Zudem setzt die Nachvollziehbarkeit die Einhaltung allgemeiner Grundsätze zur Verwertbarkeit von Gutachten voraus. Dazu gehört u.a., dass das Gutachten von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, keine inhaltlichen Widersprüche oder fachlichen Mängel aufweist, kein Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters besteht und das Ergebnis nicht durch substantiierten Vortrag der Beteiligten oder eigene Überlegungen der Behörde bzw. des Gerichts ernsthaft erschüttert wird (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 11 CS 23.273 – BA 2023, 427 = juris Rn. 25; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 11 FeV Rn. 41).
14
Wird ein Gutachten – wie vorliegend – nach Auffassung des Betroffenen diesen Anforderungen nicht gerecht, ist es im Neuerteilungsverfahren grundsätzlich allein dessen Sache, sich als Auftraggeber (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 5 FeV) um eine Nachbesserung des Gutachtens zu bemühen, sich zivilrechtlich mit dem Gutachter auseinanderzusetzen oder einer weiteren Begutachtung durch eine andere Stelle zu unterziehen. Denn ihm obliegt es, wie bereits erwähnt, seine Eignung durch ein positives Gutachten nachzuweisen. Zugleich lässt sich eine negative Verwaltungsentscheidung in dieser Konstellation durch Rücknahme des Antrags, der jederzeit erneut gestellt werden kann, vermeiden. Dafür, dass Behörden und Gerichte das Gutachten eingehend prüfen, ggf. beanstanden, auf Nachbesserung hinwirken oder den Bescheid aufheben bzw. eine Verpflichtung zur Neubescheidung aussprechen, besteht in dieser Fallgestaltung (anders als bei Entziehung der Fahrerlaubnis, vgl. dazu BayVGH, B.v. 23.8.2023 – 11 CS 23.980 – 11 CS 23.980 – DAR 2024, 43 = juris Rn. 19; Derpa in Hentschel/König, § 11 FeV Rn. 49b) daher von vornherein kein Anlass.
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c) Das Verwaltungsgericht hat erkannt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu. Aufgrund der Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,21 Promille bestünden Zweifel an seiner Fahreignung. Diese seien nicht durch eine positive medizinisch-psychologische Begutachtung ausgeräumt worden. Vielmehr komme das vorgelegte Gutachten nachvollziehbar zu dem Ergebnis, der Kläger sei fahrungeeignet. Diese Annahme stellt der Antrag auf Zulassung der Berufung nicht ernstlich in Zweifel.
16
aa) Der Kläger wendet sich insoweit zunächst gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das Gutachten nehme schlüssig an, er habe sein Alkoholtrinkverhalten noch nicht in ausreichendem Umfang geändert. Dazu heißt es in dem Urteil, eine solche Verhaltensänderung verlange, dass Alkohol nur noch kontrolliert getrunken werde, so dass Trinken und Fahren zuverlässig getrennt werden könnten, oder dass Alkoholabstinenz eingehalten werde. Da der Kläger im psychologischen Untersuchungsgespräch angegeben habe, seit September 2022 vollständig auf Alkohol zu verzichten, seien in dem Gutachten zutreffend die Anforderungen an einen Alkoholverzicht nach Hypothese A2 der Beurteilungskriterien angelegt worden. Aussagen über einen kontrollierten Alkoholkonsum hätten vor diesem Hintergrund denknotwendig nicht getroffen werden können.
17
(1) Die in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik des Antrags auf Zulassung der Berufung greift nicht durch. Mit der die angegriffene Entscheidung allein tragenden Erwägung, angesichts der Angabe vollständigen Verzichts sei kein Raum für die gutachterliche Abklärung eines kontrollierten Alkoholkonsums, setzt der Kläger sich bereits nicht näher auseinander. Abgesehen davon erscheint dieser Ansatz der Natur der Sache nach hier aber auch zwingend. Will der Betroffene Alkoholmissbrauch ausschließlich durch Abstinenz vermeiden, fehlt dem Gutachter jeglicher Anlass zur Prüfung, ob dieser unter einem potenziell beeinträchtigenden Einfluss von Alkohol am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Aufl. 2022, S. 127 zu Hypothese A4), insbesondere Alkoholtrinkanlässe und Fahrten so organisiert, dass ein problematisches Zusammentreffen verhindert wird (vgl. S. 128 zu Kriterium A4.2K). Daher muss der Betroffene seine Strategie dann auch an den Voraussetzungen für eine stabile Abstinenz messen lassen. So sehen es die Beurteilungskriterien im Übrigen auch ausdrücklich für den parallel gelagerten Fall des erklärten Verzichts auf den Konsum von Cannabis trotz mangelnder Abstinenznotwendigkeit vor (vgl. Beurteilungskriterien, S. 175 zu Hypothese D4, mit Abgrenzung zur bloßen Konsumpause; BayVGH, B.v. 4.2.2025 – 11 CS 24.1712 – juris Rn. 44). Insoweit unterscheidet die hier vorliegende Konstellation sich von der Fallgestaltung, die der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 23.8.2023 – 11 CS 23.980 – DAR 2024, 43) zu Grunde lag. Dort hatte der Betroffene sich zukünftigen Alkoholkonsum ausdrücklich offengehalten und das Gutachten gleichwohl eine Abstinenznotwendigkeit gesehen, ohne diese plausibel zu begründen. In Einklang damit führt im vorliegenden Fall die Begutachtungsstelle in einer ergänzenden Stellungnahme vom 9. Oktober 2024 aus, ausschlaggebend dafür, dass es hier auf die Stabilität des Verzichts ankomme, sei nicht die Verzichtsnotwendigkeit, sondern der mitgeteilte Verzichtsentschluss des Klägers.
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(2) Abgesehen davon erscheinen die Einwände des Klägers aber auch ungeeignet, die im Gutachten vorgenommene Einordnung seiner Alkoholproblematik in die Hypothese A2 der Beurteilungskriterien zu erschüttern. Diese setzt, soweit hier von Interesse, voraus, dass der Betroffene über einen längeren Zeitraum wiederholt nicht in der Lage war, mit Alkohol kontrolliert umzugehen, und deshalb konsequent, zeitlich unbefristet und stabil auf den Konsum von Alkohol verzichtet. Unter dem Gesichtspunkt „Notwendigkeit eines konsequenten Alkoholverzichts“ werden dabei zwei Kriterien genannt. Kriterium A2.1N liegt vor, wenn beim Betroffenen eine Substanzgebrauchsstörung nach DSM-5 oder ein schädlicher Gebrauch nach ICD-10 zu diagnostizieren ist, ohne dass die Kriterien für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit erfüllt wären. Kriterium A2.2N ist erfüllt, wenn „aus der Lerngeschichte“ abzuleiten ist, dass der Betroffene zum kontrollierten Alkoholkonsum nicht hinreichend zuverlässig in der Lage ist. Wesentliche Bedeutung für das Fehlen hinreichend zuverlässiger Steuerungsfähigkeit und Verhaltenskontrolle kommt dabei, wie sich aus den Vorbemerkungen zur Hypothese A2 ergibt, der Lerngeschichte bei der Herausbildung einer hohen Alkoholgewöhnung und der damit verbundenen Entwicklung von gewohnheitsmäßigen Automatismen, dem Verlust der körperlichen Alkoholsensibilität als Warnhinweis sowie der Ausbildung von Verdrängungstendenzen in der Wahrnehmung negativer Alkoholkonsumfolgen zu (Beurteilungskriterien S. 103; eingehend Urteilsbildung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 2. Aufl. 2009, S. 38). Daraus folgt, dass die Einordnung in die Hypothese A2 auch dann erfolgen kann, wenn nur das Kriterium A2.2N erfüllt ist. Dafür spricht auch die Vorbemerkung zum Kriterium A2.2N, die die Anforderungen an die Erfüllung des Kriteriums danach staffelt, ob auch eine diagnostische Einordnung nach A2.1N vorliegt. Noch eindeutiger formuliert ist dies im Übrigen in der 3. Auflage der Beurteilungskriterien. Danach war ein Alkoholverzicht immer dann erforderlich, wenn sich ein klinisch relevanter Alkoholmissbrauch nach DSM-IV diagnostizieren ließ „oder“ aufgrund der Lerngeschichte sonst anzunehmen war, dass sich ein konsequent kontrollierter Umgang mit alkoholischen Getränken nicht erreichen ließ (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, S. 134). Dies zu Grunde gelegt geht die Rüge des Klägers, die Hypothese A2 setze schädlichen Gebrauch voraus, der hier nicht gegeben sei, bereits von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Im Übrigen weist der Kläger zwar zutreffend darauf hin, dass eine Substanzgebrauchsstörung oder ein schädlicher Gebrauch im Gutachten nicht näher begründet ist. Dieses liest sich allerdings so, als nähme es angesichts der erreichten Blutalkoholkonzentration von mehr als 2 Promille, dem daraus ersichtlichen hoch problematischen Trinkverhalten und der erkennbaren Alkoholgewöhnung (Gutachten S. 3, 19) ohne Weiteres eine klinische Ausprägung an. Eindeutig ist jedenfalls, dass es eine Abstinenznotwendigkeit aus der „Lerngeschichte“ ableitet (Gutachten S. 19). Das genügt nach dem Vorgenannten für eine Einordnung in die Hypothese A2.
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Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung diese Bejahung des Kriteriums A2.2N angreift, verfängt auch dies nicht. Nach den Vormerkungen dazu ist das Kriterium, soweit hier von Belang, erfüllt, wenn zwei Indikatoren aus mindestens zwei Hinweisbereichen erfüllt waren. Die Gutachter stützen sich (vgl. Gutachten S. 19), wie ihre ergänzende Stellungnahme untermauert, maßgeblich darauf, dass der Kläger bei der Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von über 2,0 Promille aufwies (Indikator 4, Hinweisbereich Toleranzentwicklung), Alkohol ohne besonderen Anlass bereits in den Morgenstunden getrunken hat (Indikator 26, Hinweisbereich problematische Trinkstile) und selbst einen Alkoholverzicht für erforderlich hält (Indikator 20, Hinweisbereich unzureichende Selbstkontrolle). Diese Begründung erscheint zwar recht knapp, aber schlüssig. Wenn der Kläger ausführt, er habe in der Nacht vor dem Vorfall zum ersten Mal nach der langen Corona-Zeit wieder mit Freunden daheim gefeiert, ein guter Gastgeber sein wollen und deswegen die Angebote seiner Gäste zum Anstoßen mit Alkohol nicht ablehnen wollen, vermag dies angesichts der erreichten Blutalkoholkonzentration von über 2 Promille und der Menge von wenigstens drei Halben Bier zum Frühstück bei erheblicher vorbestehender Alkoholisierung die psychologische Beurteilung des Trinkstils als problematisch nicht zu erschüttern. Aus demselben Grund ist auch der Hinweis unbehelflich, in Bayern sei Alkoholkonsum am Morgen, etwa beim Weißbierfrühstück, durchaus üblich. Soweit der Kläger vorbringt, er verzichte nicht deswegen auf Alkohol, weil er dies für notwendig und den Konsum ansonsten für nicht kontrollierbar halte, sondern weil er nach der Trunkenheitsfahrt erschrocken gewesen sei, aufgrund des Entzugs der Fahrerlaubnis seine Arbeit verloren habe, auch gut ohne Alkohol leben sowie feiern könne und bei einer rationalen Abwägung die Nachteile des Konsums die Vorteile überwögen, stellt dies die Plausibilität der gutachterlichen Bewertung nicht durchgreifend in Frage.
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bb) Ferner tritt der Antrag auf Zulassung der Berufung der Ansicht des Verwaltungsgerichts entgegen, das vorgelegte Gutachten komme nachvollziehbar zu der Feststellung, die Änderung im Umgang mit Alkohol sei noch nicht hinreichend stabil und motivational gefestigt. Zur Begründung führt die angegriffene Entscheidung aus, der Kläger mache zwar eine Abstinenz von einem Jahr geltend, die an sich ausreiche. Nach den Beurteilungskriterien (Kriterium A2.3N Nr. 7, S. 109) müssten für den Verzichtszeitraum jedoch lückenlose Abstinenznachweise vorliegen, an denen es hier fehle. Daneben gelange das Gutachten nachvollziehbar zu dem Schluss, dass sich der Kläger nicht hinreichend mit den persönlichen Gründen für die Entstehung bzw. Aufrechterhaltung des zuvor erhöhten Alkoholkonsums auseinandergesetzt habe, er seine Kontrollmöglichkeiten bezüglich der Abstinenz überschätze und sich der Rückfallgefährdung in frühere Verhaltensgewohnheiten nicht ausreichend bewusst sei. Dies sei angesichts der Trinkmenge, der augenscheinlich außergewöhnlich hohen Alkoholverträglichkeit und dem Umstand, dass der Kläger die Alkoholfahrt als absolute Ausnahmesituation darstelle, schlüssig. Auch dies zieht der Kläger nicht ernstlich in Zweifel.
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Wenn er meint, anders als im Fall der Alkoholabhängigkeit dürfe hier kein Nachweis von Abstinenzzeiträumen verlangt werden, und dazu auf die Entscheidung des Senats vom 23. August 2023 (11 CS 23.980 – DAR 2024, 43) verweist, geht dies nach dem Vorstehenden fehl.
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Abgesehen davon greifen auch die Einwände gegen die weitere, ebenfalls selbständig tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, der Verzicht sei nicht hinreichend stabil, nicht durch. Soweit der Kläger vorbringt, das vermehrte Trinken im Sommer 2022 sei dem Feiern des Endes der Corona-Zeit geschuldet, die Alkoholfahrt sei ein Ausnahmefall gewesen und die von ihm bei der Begutachtung berichtete erfolgreiche Aufgabe des Nikotinkonsums belege durchaus seine Willensstärke, vermag dies die Nachvollziehbarkeit der gutachterlichen Bewertung nicht zu erschüttern. Nach den Beurteilungskriterien, aus denen sich insoweit die nach Nr. 1 Buchst. c der Anlage 4a zur FeV der Fahreignungsbegutachtung zugrunde zu legenden anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 5.6.2024 – 11 CS 24.324 – juris Rn. 20; Derpa in Hentschel/König, § 11 FeV Rn. 20a), muss der Betroffene zu einem dauerhaften Alkoholverzicht motiviert sein. Dies setzt einen nachvollziehbaren Einsichtsprozess und ein ausreichend gefestigtes Verhalten voraus (Kriterium A2.5K, S. 111). Dazu gehört auch, dass der Betroffene eine hinreichend realistische Problemsicht entwickelt und die auslösenden sowie aufrechterhaltenden Bedingungen des früheren Alkoholkonsums erkannt hat (Indikator 4, S. 112). In dem psychologischen Untersuchungsgespräch hat der Kläger als Trinkmotiv Geselligkeit benannt, als Alternative zum Alkohol auf Apfelschorle und Kräutertee verwiesen und keinerlei Risiko für einen Rückfall in altes Trinkverhalten gesehen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der erreichten Blutalkoholkonzentration von mehr als 2 Promille am Vormittag erscheint die gutachterliche Einschätzung, der Kläger sei sich der bestehenden Rückfallgefährdung nicht ausreichend bewusst, schlüssig. Dies gilt auch mit Blick auf den ergänzenden Vortrag im Schriftsatz vom 3. Januar 2025. Wenn der Kläger dort auf Standards zum Führen diagnostischer Interviews aus Psychiatrie und allgemeiner Psychologie verweist, verfängt dies nicht. Die Vorgaben an die Fahreignungsbegutachtung ergeben sich, wie der Beklagte zutreffend ausführt, aus den Begutachtungsleitlinien und Beurteilungskriterien. Im Übrigen stellt der Kläger insoweit der Bewertung der Begutachtungsstelle allein seine eigene Beurteilung entgegen und erscheint die Rüge mangelnder Struktur und Direktheit der Fragen unberechtigt.
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cc) Auf das Ergebnis der Leistungstests hat das Gutachten angesichts der negativen Gesamtbefundlage nicht entscheidend abgestellt. Grundsätzlich hat es, was zutreffend erscheint (vgl. Nr. 2.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [Vkbl S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [Vkbl S. 198]; Indikator 4 zum Kriterium A5.3N der Beurteilungskriterien, S. 132; BayVGH, B.v. 11.12.2023 – 11 CS 23.1577 – zfs 2024, 115 = juris Rn. 15), für möglich gehalten, dass die Leistungsfähigkeit auch bei mehreren Mängeln in der computergestützten Testung erfolgreich nachgewiesen werden kann. Soweit das Verwaltungsgericht weitergehend dazu ausführt, hat es seine Entscheidung nur ergänzend darauf gestützt. Deswegen können die Einwände des Klägers dagegen die Zulassung der Berufung auch nicht rechtfertigen.
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dd) Nach alldem zieht der Antrag auf Zulassung der Berufung die Annahme des Verwaltungsgerichts, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht zu, nicht in Frage. Wenn man das Vorbringen dahin versteht, das Verwaltungsgericht hätte das Gutachten beanstanden, auf eine Nachbesserung drängen und ggf. eine Verpflichtung zur Neubescheidung des Antrags aussprechen müssen, ist danach in dem hier vorliegenden Fall des Neuerteilungsantrags, wie ausgeführt, grundsätzlich bereits kein Raum. Im Übrigen scheidet eine Zulassung der Berufung mit diesem Ziel nach dem Vorstehenden aber auch deswegen aus, weil das vorgelegte Gutachten nicht zu beanstanden ist.
25
Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts wendet, das Gutachten habe nachvollziehbar dargelegt, weshalb die bestehenden Bedenken nicht durch einen Kurs nach § 11 Abs. 10 i.V.m. § 70 FeV ausgeräumt werden könnten, ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass diese gutachterliche Einschätzung verwaltungsprozessual angegriffen werden und dies im vorliegenden Verfahren zu der begehrten Verpflichtung zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis führen könnte.
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Dem Kläger steht es frei, nach Abschluss dieser Streitsache einen erneuten Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu stellen. Bei der dann erforderlichen erneuten Begutachtung können auch die Entwicklungen seit der ersten Untersuchung im Januar 2024 sowie die im Klageverfahren vorgelegten Abstinenznachweise berücksichtigt werden.
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2. Wenn der Antrag auf Zulassung der Berufung besondere rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der Rechtssache in den Raum stellt, sind deren Voraussetzungen nicht dargelegt und nach dem Vorstehenden auch nicht gegeben.
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3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die begehrte Fahrerlaubnis der Klassen A und A1 mit den Schlüsselzahlen 79.03, 79.04 wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – BayVBl 2014, 373 = juris Rn. 22). Gleiches gilt für die von der Fahrerlaubnis der Klasse B eingeschlossene Klasse L (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV).
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5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).