Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.02.2025 – 11 ZB 25.262
Titel:

Missbräuchliche Ablehnungsgesuche gegen gesamten Spruchkörper

Normenketten:
VwGO § 54 Abs. 1, § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2
ZPO § 42 Abs. 1, Abs. 2, § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ablehnungsgesuche wegen Besorgnis der Befangenheit können als unzulässig verworfen werden, wenn sie offensichtlich grundlos und rechtsmissbräuchlich sind. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Anhörungsrüge ist kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung und hat keinen Erfolg, wenn keine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Sachverhaltsverfälschung liegt nicht vor, wenn die rechtliche Bewertung des Vorbringens unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften erfolgt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Ablehnungsgesuche gegen sämtliche Mitglieder des Spruchkörpers wegen behaupteter Sachverhaltsverfälschung, Entscheidung über die Ablehnung ohne dienstliche Äußerung und unter Mitwirkung der abgelehnten Richter, Missbrauch des Ablehnungsrechts, Ablehnungsgesuch, Befangenheit, Besorgnis der Befangenheit, rechtliches Gehör, Richterablehnung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4255

Tenor

I. Die Ablehnungsgesuche des Klägers wegen Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgerichtshof Dr. B., der Richterin am Verwaltungsgerichtshof P. und des Richters am Verwaltungsgerichtshof D. werden verworfen.
II. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 4. Februar 2025 wird zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

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Die Ablehnungsgesuche des Klägers vom 20. Februar 2025 sind ungeachtet dessen, ob eine Richterablehnung im Rahmen einer Anhörungsrüge von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2024 – 9 A 17.24, 9 A 16.24 – juris Rn. 4), missbräuchlich und daher unzulässig (1.). Seine Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 4. Februar 2025 hat in der Sache keinen Erfolg (2.). Zwar steht den Ablehnungsgesuchen und der Anhörungsrüge nicht der grundsätzlich auch insoweit vor dem Verwaltungsgerichtshof zu beachtende Vertretungszwang (§ 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 19.12.2024 – 1 B 30.24 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 23.11.2021 – 11 ZB 21.2838 – juris Rn. 7) entgegen, weil das vorangegangene Verfahren die Versagung von Prozesskostenhilfe betrifft (so OVG Saarl, B.v. 7.3.2022 – 2 B 42/22 – juris Rn. 2; B.v. 14.6.2021 – 2 B 120/21 – NVwZ-RR 2021, 783 Rn. 2; NdsOVG, B.v. 3.2.2021 – 8 ME 114/20 – juris Rn. 3 für die Anhörungsrüge). Allerdings ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers offensichtlich weder ein Grund für die Ablehnung sämtlicher Senatsmitglieder noch für die Annahme einer Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der vorangegangenen Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung.
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1. Die Ablehnungsgesuche gegen sämtliche Senatsmitglieder, die der Kläger durch partielle Verweisung auf sein Vorbringen zur Anhörungsrüge begründet, sind unter Mitwirkung der abgelehnten Richter als unzulässig zu verwerfen.
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a) Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Beteiligter die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjektiv vernünftigerweise mögliche Besorgnis hat, der Richter werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden oder habe sich in der Sache bereits festgelegt (BVerfG, B.v. 5.4.1990 – 2 BvR 413/88 – BVerfGE 82, 30). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt schon der „böse Schein“, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BVerfG, B.v. 5.10.1977 – 2 BvL 10/77 – BVerfGE 46, 34/41). Allerdings kommt es auch im subjektiven Teil der Prüfung darauf an, ob nach dem äußeren Anschein für einen vernünftig Denkenden Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters bestehen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 54 Rn. 1a m.w.N.). Die Richterablehnung dient auch nicht der Fehlerkontrolle und ist deshalb kein Rechtsbehelf gegen unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters oder des gesamten Spruchkörpers (vgl. HessVGH, B.v. 15.7.2021 – 3 B 370/21 – juris Rn. 10 m.w.N.).
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Grundsätzlich hat sich der abgelehnte Richter über den glaubhaft zu machenden Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 44 Abs. 2 und 3 ZPO) und entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung durch Beschluss über das Ablehnungsgesuch (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1 ZPO). Ein Ablehnungsgesuch kann jedoch ausnahmsweise unter Mitwirkung der abgelehnten Richter und ohne dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter (BVerwG, B.v. 19.12.2024 a.a.O. Rn. 4; B.v. 27.3.2023 – 2 B 11.23 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 23.11.2021 a.a.O. Rn. 11 m.w.N.) als unzulässig verworfen werden oder überhaupt unberücksichtigt bleiben, wenn es sich als offenbarer Missbrauch des Ablehnungsrechts darstellt, die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 15.6.2015 – 1 BvR 1288/14 – juris Rn. 15 ff.; BVerwG, B.v. 17.7.2023 – 10 B 9.23 – NVwZ 2023, 1422 Rn. 1; B.v. 28.12.2022 – 5 B 2.22 – juris Rn. 2; B.v. 29.11.2017 – 10 B 5.17 – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 16.1.2024 – 8 CS 23.1815 – juris Rn. 2; B.v. 8.11.2023 – 13 A 23.1698, 13 AS 23.1697 – juris Rn. 6). Dies ist der Fall, wenn geeignete Befangenheitsgründe weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht werden, vielmehr das Vorbringen von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen.
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b) Gemessen daran liegen hier offensichtlich grundlose und daher rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuche des Klägers vor, über die der Senat somit unter Mitwirkung der abgelehnten Richter und ohne Abgabe dienstlicher Äußerungen entscheiden kann. Die Begründung der klägerischen Ablehnungsgesuche gegen sämtliche Senatsmitglieder kann deren Ablehnung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen. Umstände, die bei objektiver Betrachtung die Besorgnis einer unsachlichen, auf Voreingenommenheit beruhenden Einstellung der abgelehnten Richter gegenüber dem Kläger rechtfertigen würden, lassen sich seinem Vorbringen nicht ansatzweise entnehmen.
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Der Kläger wirft den Senatsmitgliedern, die seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 4. Februar 2025 wegen mangelnder Erfolgsaussichten abgelehnt haben, in seinem Ablehnungsgesuch vor, sie hätten „den Sachverhalt umfassend verfälscht“. Abgesehen davon, dass eine nach Auffassung des Rechtsmittelführers unzutreffende Wiedergabe des Sachverhalts nicht ohne Weiteres die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, liegt hier eine „Sachverhaltsverfälschung“ offensichtlich nicht vor. Das Ausgangsverfahren hatte die Außerbetriebsetzung eines auf den Kläger zugelassenen Kraftfahrzeugs durch die Zulassungsbehörde gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) auf Antrag des Hauptzollamts wegen nicht entrichteter Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 17. August 2018 bis 16. August 2019 zum Gegenstand. In der Begründung seines Prozesskostenhilfegesuchs vom 7. Januar 2025 hatte der Kläger ausgeführt, ihm liege kein Steuerbescheid vor (S. 3) und es existiere schon gar kein Steuerbescheid (S. 8, 17, 19). Hierzu hat der Senat in seinem Beschluss vom 4. Februar 2025 dargelegt, dass die Kraftfahrzeugsteuer nicht jährlich oder in regelmäßigen Abständen durch Bescheid neu festgesetzt wird, sondern bei inländischen Fahrzeugen mit Beginn der Steuerpflicht, also mit der Erstzulassung, entsteht. Darin liegt keine „Sachverhaltsverfälschung“, sondern eine rechtliche Bewertung des klägerischen Vorbringens unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften und des Zeitraums der hier streitgegenständlichen und dem Antrag des Hauptzollamts zufolge nicht entrichteten Kraftfahrzeugsteuer. Darauf, ob der Kläger, wie nunmehr von ihm erstmals vorgetragen (Schreiben vom 20.2.2025, S. 6), auch zuvor keine Kraftfahrzeugsteuer beglichen hat, kam es für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch ersichtlich ebensowenig an wie auf die Frage, ob für den fraglichen Zeitraum ein neuer Steuerbescheid existiert oder ob der Kläger – wie vom Senat angenommen – der Auffassung war, die Steuer müsse jährlich oder in regelmäßigen Abständen neu festgesetzt werden. Maßgeblich war allein der Umstand, dass der Kläger dem Hauptzollamt zufolge als Fahrzeughalter für den fraglichen Zeitraum vom 17. August 2018 bis 16. August 2019 keine Kraftfahrzeugsteuer entrichtet hat.
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2. Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Aus dem klägerischen Vorbringen ergibt sich nicht, dass der Senat bei seiner Entscheidung vom 4. Februar 2025 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör, wie in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO vorausgesetzt, in entscheidungserheblicher Weise verletzt hätte. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist aber weder gehalten, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, noch muss es sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen ausdrücklich befassen. Das Verfahren nach § 152a VwGO dient auch nicht dazu, die dem angegriffenen Beschluss zugrundeliegende Rechtsauffassung des Senats zu überprüfen (vgl. BVerwG, B.v. 28.12.2022 – 5 B 2.22 – juris Rn. 9). Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (BVerwG, B.v. 16.1.2023 – 4 BN 46.22 – juris Rn. 2).
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aa) Eine als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör anzusehende „Sachverhaltsverfälschung“ hinsichtlich des Vorliegens oder Existierens eines Steuerbescheids für den fraglichen Zeitraum liegt – wie ausgeführt – offensichtlich nicht vor. Auf das Vorbringen des Klägers in der Begründung seines Prozesskostenhilfeantrags, ihm liege kein Steuerbescheid vor und ein solcher existiere schon gar nicht, ist der Senat in seinem Beschluss vom 4. Februar 2025 (Rn. 16-19) ausführlich eingegangen.
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bb) Die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 4. Februar 2025 (Rn. 10-13) zur Frage der Verfahrensunterbrechung durch Insolvenz, auf die der Kläger seine Anhörungsrüge des Weiteren stützt und die er für „nicht tragfähig“ hält, sind ebenfalls nicht geeignet, die Annahme einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zu begründen. Der Senat hat die Ausführungen des Klägers hierzu in dessen Schreiben vom 7. Januar 2025 (S. 2 und 10-12) zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Dass der Kläger die Entscheidung (auch) in diesem Punkt für falsch hält, rechtfertigt keine Rüge einer Gehörsverletzung.
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3. Die Kosten der erfolglosen Anhörungsrüge sind gemäß § 154 Abs. 1 VwGO dem Kläger aufzuerlegen. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).