Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.03.2025 – 11 CS 24.2060
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis, Besitz von Betäubungsmitteln, Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, Ermessensausübung bei der Gutachterauswahl, unzureichende Angaben gegenüber dem Gutachter, Verwertbarkeit des vorgelegten Gutachtens

Normenkette:
FeV § 11 Abs. 2 S. 3, Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 2, § 46 Abs. 3, Nr. 9.1 der Anlage 4
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Besitz von Betäubungsmitteln, Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, Ermessensausübung bei der Gutachterauswahl, unzureichende Angaben gegenüber dem Gutachter, Verwertbarkeit des vorgelegten Gutachtens
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 20.11.2024 – Au 7 S 24.2383
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4250

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. November 2024 wird der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Landratsamts Augsburg vom 27. August 2024 abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die sofortige Vollziehbarkeit der vom Antragsgegner ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers und dessen Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins.
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Der Antragsteller war Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen A, B und BE einschließlich Unterklassen. Aufgrund einer anonymen Mitteilung an die Polizei vom 11. April 2023, wonach der Antragsteller „in großem Stil“ mit Kokain und Ecstasy handele, wurden am 17. Mai 2023 dessen Wohnung, Geschäftsräume und Fahrzeug durchsucht. Dabei wurden in der Wohnung Kokain, im Fahrzeug Ecstasy und in einem Tresor in den Geschäftsräumen Kokain und Ecstasy gefunden. Mit Urteil vom 4. Dezember 2023 sprach das Amtsgericht Augsburg den Antragsteller des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig, verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Er habe keine Angaben gemacht, wieso die Betäubungsmittel in seinem Besitz gewesen seien. In der mündlichen Verhandlung hatte der Antragsteller durch seinen Verteidiger erklären lassen, er habe die Betäubungsmittel besessen, allerdings habe es nie einen irgendwie gearteten Handel gegeben. Der Konsum werde „so nicht eingeräumt, nur der Besitz. Ob und wenn wie konsumiert“ worden sei, werde nicht beantwortet. Den Urteilsgründen zufolge hatte der Antragsteller im Rahmen der Hauptverhandlung einen Abstinenznachweis (Urinprobe) vom 7. November 2023 vorgelegt, aus dem sich kein aktueller Konsum ableiten ließ.
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Mit Schreiben vom 14. Februar 2024 forderte das Landratsamt Augsburg, Fahrerlaubnisbehörde, den Antragsteller auf, bis zum 14. Juni 2024 ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorzulegen. Der Besitz von Kokain und Ecstasy begründe Zweifel an seiner Fahreignung. Die Frage, ob er Betäubungsmittel einnehme, sei mit einer Untersuchung seiner Haare (Segment von 6 cm Länge) zu klären. Er sei verpflichtet, soweit notwendig und möglich an der Klärung seiner Fahreignung mitzuwirken, insbesondere zweckdienliche Angaben zu machen. Fehlende Mitwirkung stehe einer Weigerung gleich, sich begutachten zu lassen. Das Gutachten sei durch einen Arzt einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zu erstellen, weil bei „diesen Berufsangehörigen ein ausgeprägteres Verständnis für die Erfordernisse einer sowohl rechtskonform als auch lege artis durchgeführten Gutachtenserstellung vorausgesetzt werden“ dürfe.
4
Am 9. April 2024 fand sich der Antragsteller zur Untersuchung bei der pima-mpu GmbH in Augsburg ein. Dem von ihm vorgelegten Gutachten vom 11. Juni 2024 zufolge gab er an, niemals selbst illegale Drogen konsumiert zu haben. Eine Ex-Freundin habe das Kokaingemisch in seiner Wohnung zurückgelassen. Die erheblich größere Menge Kokain in den Geschäftsräumen sei wohl während einer Firmenfeier von Unbekannt in den Firmentresor hineingelegt worden. In der Bewertung führt die ärztliche Gutachterin aus, diese Darstellung sei schwerlich nachzuvollziehen und widerspreche aktenkundigen Sachverhalten. Die Haaranalyse habe aufgrund einer Haarlänge von ca. 0,5 cm nicht durchgeführt werden können. Zwei kurzfristige Drogenscreenings vom 23. April und 16. Mai 2024 durch Urinabgaben hätten keinen Hinweis auf aktuellen Betäubungsmittelkonsum ergeben.
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Mit Bescheid vom 27. August 2024 entzog das Landratsamt dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur Abgabe des Führerscheins. Er sei seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Zum einen habe er zum Untersuchungszeitpunkt nicht über eine ausreichende Haarlänge verfügt. Zudem sei zu seinen Lasten zu werten, dass seine Angaben zum Besitz der Betäubungsmittel im Rahmen der Begutachtung sich nicht mit der rechtskräftigen Verurteilung in Einklang bringen ließen.
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Hiergegen ließ der Antragsteller Klage erheben, über die das Verwaltungsgericht Augsburg noch nicht entschieden hat. Dem zugleich gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. November 2024 stattgegeben. Zwar sei das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten unabhängig von der Nichtdurchführbarkeit der Haaranalyse nachvollziehbar, weil der Antragsteller hinsichtlich seiner Angaben zum Drogenbesitz nicht ausreichend mitgewirkt habe. Glaubhafte Angaben des Betroffenen seien für die Richtigkeit des gutachterlichen Ergebnisses wesentlich. Allerdings sei die Gutachtensanordnung rechtswidrig mit der Folge, dass hier nicht auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden könne. Hinsichtlich der Auswahl der Gutachtergruppe habe das Landratsamt das hierzu bestehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Es hätte insoweit die Frage einbeziehen müssen, ob eine Begutachtung durch einen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation in Betracht komme. Zwischen mehreren geeigneten Gutachtergruppen müsse die Auswahl dem Betroffenen überlassen werden.
7
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde, der der Antragsteller entgegentritt, führt der Antragsgegner aus, das vorgelegte Gutachten sei eine neue Tatsache, weshalb es auf die Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung nicht mehr ankomme. Der Antragsteller habe zum Besitz der Betäubungsmittel keine weiterführenden aufklärenden, sondern widersprüchliche Angaben gemacht und die Beantwortung der gutachterlichen Frage verhindert. Außerdem sei die Ermessensentscheidung des Landratsamts zur Gutachterauswahl nicht zu beanstanden, sondern naheliegend. Ärzte einer Begutachtungsstelle für Fahreignung unterlägen besonderen Weiterbildungspflichten. Drogen und Medikamente seien Anlass für ein Drittel ihrer Begutachtungen. Daraus ergebe sich ein ausgeprägteres Verständnis. Die grundsätzliche Fachkompetenz von Ärzten mit verkehrsmedizinischer Qualifikation und die Qualität ihrer Gutachten seien hierdurch nicht infrage gestellt. Für die Aufklärung eines Betäubungsmittelkonsums existiere auch nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung keine Vorgabe hinsichtlich der ärztlichen Fachrichtung. Unabhängig davon falle auch die Interessenabwägung bei Annahme offener Erfolgsaussichten zu Lasten des Antragstellers aus. Es sei naheliegend, dass er selbst Betäubungsmittel konsumiert habe.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig, weil der Antragsteller im Rahmen der Begutachtung unzureichende Angaben zu seinem Drogenbesitz gemacht und das Landratsamt unter Berücksichtigung des vorgelegten und daher verwertbaren Gutachtens zu Recht angenommen hat, er sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Daher ist auch die Anordnung des Sofortvollzugs gerechtfertigt.
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1. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, lagen die Voraussetzungen vor, den Antragsteller zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verpflichten. Nach Nr. 9.1 der Anlage zur Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. August 2024 (BGBl I Nr. 266), ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnimmt oder eingenommen hat. Dies gilt unabhängig von der Teilnahme am Straßenverkehr unter Drogeneinfluss. Gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis Betäubungsmittel widerrechtlich besitzt oder besessen hat. Der Besitz von Kokain und Amphetamin, der ein Indiz für Eigenkonsum sein kann und daher die Anforderung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens rechtfertigt (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2024 – 11 CS 23.1639 – juris Rn. 20, 22; Müller in Müller/Rebler, Klärung von Eignungszweifeln im Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl. 2025, Kapitel 2 Rn. 623, 627 = S. 269 f.), steht hier aufgrund der polizeilichen Ermittlungen und der rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers vom 4. Dezember 2023 durch das Amtsgericht Augsburg fest. Handel mit Betäubungsmitteln hatte der Antragsteller im Strafverfahren ausdrücklich bestritten, was den Verdacht auf Eigenkonsum verstärkt.
11
Ob die Anordnung des Landratsamts vom 14. Februar 2024 zur Beibringung des Gutachtens hinsichtlich der Begründung der Gutachterauswahl (§ 11 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FeV) in jeder Hinsicht rechtmäßig war, kann dahinstehen, da der Antragsteller gegen die Gutachterauswahl keine Einwendungen erhoben, sondern der pima mpu GmbH – einer Begutachtungsstelle für Fahreignung – den Auftrag zur ärztlichen Untersuchung erteilt und deren Gutachten vorgelegt hat. Das am 11. Juni 2024 versandte Gutachten (Untersuchung am 9.4.2024) stellt damit eine neue Tatsache dar und konnte vom Landratsamt unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung berücksichtigt werden (vgl. Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 11 FeV Rn. 26; Rebler in Müller/Rebler a.a.O. Kapitel 2 Rn. 335 ff. = S. 183 f. m.w.N.). Mit welchen Methoden und auf der Basis welcher Datenerhebung die von der Behörde gestellten Fragen nach wissenschaftlichen Grundsätzen untersucht und beurteilt werden, fällt in die Kompetenz des Gutachters (vgl. BayVGH, B.v.15.1.2024 – 11 CS 23.1639 – juris Rn. 25). Fragen an die zu untersuchende Person zum vorangegangenen Betäubungsmittelkonsum sind dabei unerlässlich. Die vom Antragsteller beauftragte Begutachtungsstelle für Fahreignung konnte für die Beantwortung der behördlichen Fragestellung maßgebliche Feststellungen zum Betäubungsmittelkonsum in der Vergangenheit nicht treffen, weil der Antragsteller an der Sachaufklärung nicht in der gebotenen Weise mitgewirkt, sondern widersprüchliche und nicht nachvollziehbare, d.h. letztlich nicht glaubhafte Angaben zum Besitz der Betäubungsmittel gemacht hat. Dies geht im Rahmen der Beweiswürdigung zu seinen Lasten und rechtfertigt die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2024 – 11 CS 24.1238 – juris Rn. 17 ff.; Derpa a.a.O. Rn. 52; Rebler in Müller/Rebler a.a.O. Kapitel 2 Rn. 80 ff. = S. 113 f.).
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Auf plausible Angaben des Antragstellers zu den Umständen und zum Zweck des Betäubungsmittelbesitzes wäre es entscheidend angekommen. Nach Hypothese 0 der Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Aufl. 2022) muss sich der Betreffende im Gespräch so weit offen zeigen, dass die für die Problem- und Verhaltensanalyse notwendigen Hintergrundinformationen zu erhalten (Kriterium 0.2 N) und seine Angaben in sich stimmig sind und nicht dem gesicherten Erfahrungswissen, den wissenschaftlichen Erkenntnissen und/oder der Aktenlage widersprechen (Kriterium 0.3 N). Hier hat die Gutachterin zu Recht angenommen, dass sich die Angaben des Antragstellers zum Besitz der Betäubungsmittel bei der Untersuchung am 9. April 2024 nicht mit seinen Einlassungen und den Feststellungen im Strafverfahren in Einklang bringen lassen. Dort hatte er zwar nähere Angaben zum Konsum verweigert („wird so nicht eingeräumt“), den strafbaren Eigenbesitz jedoch ausdrücklich eingestanden, wenn auch insoweit ohne nähere Angaben. Demgegenüber gab er bei der Begutachtung an, seine Ex-Freundin habe das Kokaingemisch in seiner Wohnung zurückgelassen und das Kokain sei wohl während einer Firmenfeier von Unbekannt in den Firmentresor hineingelegt worden. Letzteres ist schon deshalb nicht plausibel, weil die Mitarbeiterin des Antragstellers bei der Durchsuchung der Geschäftsräume am 17. Mai 2023 mit dem Fund des Kokains und Amphetamins im Tresor dem Durchsuchungsvermerk und Schlussbericht der Kriminalpolizeiinspektion Augsburg zufolge angegeben hatte, ihres Wissens kenne nur der Antragsteller den Zahlen-Code des Tresors und ändere diesen öfter selbst. Wie dann eine unbekannte Person bei einer Firmenfeier ohne Wissen des Antragstellers Zugang zum Tresor erhalten haben könnte und aus welchen Gründen sie das Kokain dort hineingelegt haben sollte, bleibt unerfindlich. Vielmehr ist, wie im Strafurteil festgestellt, von Eigenbesitz des Antragstellers auszugehen. Dies hätte nähere und wahrheitsgemäße Angaben des Antragstellers hierzu gegenüber der Gutachterin erfordert, um diese in die Lage zu versetzen, nähere Feststellungen zum früheren Betäubungsmittelkonsum zu treffen. Dies hat der Antragsteller durch seine offensichtlich wahrheitswidrigen Angaben zum Besitz der Betäubungsmittel vereitelt.
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Entgegen der Annahme des Ausgangsgerichts kommt es hier nicht darauf an, ob die Beibringungsanordnung des Landratsamts hinsichtlich der Ermessensausübung bezüglich der Gutachterauswahl gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV rechtmäßig war. Der Antragsteller ist der Anordnung nachgekommen und hat sich der Untersuchung durch eine Ärztin einer Begutachtungsstelle für Fahreignung unterzogen. Ein etwaiger Fehler bei der Begründung des Landratsamts hinsichtlich der Beschränkung der Begutachtung auf einen Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung war damit für das Untersuchungsergebnis und die Feststellung der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund anzunehmenden Betäubungsmittelkonsums nicht ursächlich. Der Antragsteller hat das Gutachten dem Landratsamt vorgelegt, das damit – wie ausgeführt – als neue Tatsache berücksichtigt werden kann.
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Offenbleiben kann daher, ob hier überhaupt ein Fehler hinsichtlich der Ermessensbegründung bezüglich der Gutachterauswahl vorlag. Die (neuere) Rechtsprechung des Senats zu den insoweit maßgeblichen Begründungsanforderungen knüpft vor allem daran an, dass die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (Vkbl S. 110) in der ab 1. Juni 2022 geltenden Fassung, die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anl. 4a zur FeV der Begutachtung zu Grunde zu legen sind, bei bestimmten Fahreignungszweifeln (z.B. in Nr. 3.12.4 und 3.12.5) eine fachärztliche Begutachtung vorsehen (vgl. BayVGH, U.v. 19.12.2022 – 11 B 22.632 – juris Rn. 26 f.; U.v. 17.12.2024 – 11 B 24.1026 – juris Rn. 22). Wo solche konkreten Vorgaben fehlen, liegt keine Abweichung von den Begutachtungsleitlinien vor. Daraus ergeben sich geringere Begründungsanforderungen an die Gutachterauswahl (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2024 – 11 C 23.2067 – juris Rn. 26 ff.). Die Feststellung eines Betäubungsmittelkonsums betrifft keine spezielle medizinische Fragestellung i.S.v. Nr. 2.2 b der Begutachtungsleitlinien, weshalb diese hierfür keine fachärztliche Begutachtung vorsehen (vgl. auch Nr. 6 Buchst. b der Anlage 4a zur FeV für die Durchführung von Abstinenzkontrollen). Aufgrund des vom Antragsteller vorgelegten, nachvollziehbaren und daher verwertbaren Gutachtens bedarf diese Frage hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung.
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Es kommt auch – wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht darauf an, ob dem Antragsteller die Unmöglichkeit einer Haaranalyse aufgrund der unzureichenden Kopfhaarlänge von 0,5 cm im Zeitpunkt der Untersuchung vorwerfbar ist, weil ihn das Landratsamt in der Beibringungsanordnung auf die Notwendigkeit der Haaranalyse durch Untersuchung eines Segments von 6 cm Länge ausdrücklich hingewiesen hatte. Zwar ist davon auszugehen, dass der Antragsteller sein Kopfhaar nach Erhalt der Beibringungsanordnung nochmals gekürzt hat. Allerdings hätte er die geforderte Länge von 6 cm bis zum Ablauf der Beibringungsfrist ohnehin nicht erreichen können. Das Gutachten und der angefochtene Bescheid haben jedoch auf den insoweit erhobenen Vorwurf der Manipulation durch nicht hinreichende Haarlänge nicht allein tragend abgestellt, sondern auch auf die unzureichenden Angaben des Antragstellers zum Betäubungsmittelbesitz. Die negativen Urintests vom 7. November 2023 im Strafverfahren sowie vom 23. April und 16. Mai 2024 im Rahmen der Begutachtung können den Antragsteller ebenfalls nicht ausreichend entlasten, da sie im Unterschied zu einer Haaranalyse lediglich den Nachweis von Betäubungsmittelkonsum innerhalb der vorangegangenen ein bis drei Tage (Amphetamin) bzw. vier bis zwölf Stunden (Kokain) ermöglichen (vgl. Möller in Hettenbach/Kalus/Möller/Pießkalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. Aufl. 2016, § 3 Rn. 187 f.; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 11. Aufl. 2024, Vor §§ 29 ff. Rn. 394) und damit keinen hinreichend langen Zeitraum abdecken, sondern lediglich eine Momentaufnahme abbilden.
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2. Aufgrund der nach derzeitigem Verfahrensstand anzunehmenden Rechtmäßigkeit des Bescheids fällt auch die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus, der im Rahmen der Begutachtung keine ausreichenden und überzeugenden Angaben zu seinem Betäubungsmittelkonsum gemacht und den Verdacht des Eigenkonsums nicht entkräftet hat. Dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die diesem in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.2007 – 1 BvR 305/07 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 29.1.2024 – 11 CS 23.2036 – juris Rn. 17). Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, den Nachweis seiner Fahreignung im Wiedererteilungsverfahren zu erbringen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und Nr. 1.5 Satz 1, 46. 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).