Titel:
Auskunftserteilung, Erfüllung des Auskunftsanspruchs, Oberlandesgerichtsurteile, Instruktionspflicht, Rechtswirksamkeit, Informatorische Anhörung, Prozeßbevollmächtigter, Haftungstatbestände, Elektronischer Rechtsverkehr, Tatbestandswirkung, Bedenkliche Arzneimittel, Gesundheitsbeeinträchtigung, Gesundheitsverletzung, Pharmazeutische Unternehmer, Kausalitätsvermutung, Arzneimittelrecht, Letzte mündliche Verhandlung, Inverkehrbringen, Elektronisches Dokument, Bindungswirkung
Schlagworte:
Impfstoff Cormirnaty, Schadensersatzanspruch, Feststellungsinteresse, Nutzen-Risiko-Abwägung, Arzneimittelhaftung, Produkthaftung, Auskunftsanspruch
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4209
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 210.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte teils im Wege der Leistungsklage, teils im Wege der Feststellungsklage materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche sowie einen Auskunftsanspruch aufgrund eines behaupteten Impfschadens nach zweimaliger Impfung mit einem von der Beklagten hergestellten Coronaimpfstoff geltend.
2
Die Klägerin wurde am ... 10.2021 erstmals mit dem von der Beklagten hergestellten und in Verkehr gebrachten, gegen das SARS-CoV-2-Virus („Coronavirus“) wirkenden Impfstoff Comirnaty geimpft. Die 2. Impfung mit diesem Impfstoff erfolgte am ... 11.2021. Beide Impfungen erfolgten im Impfzentrum ... .
3
Der Impfstoff Comirnaty hatte am 21.12.2020 von der Europäischen Kommission die bedingte zentrale arzneimittelrechtliche Zulassung erhalten und mit Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022 die Standardzulassung, die nicht jährlich erneuert werden muss.
4
Die Sicherheit des Impfstoffs wird seit seiner Zulassung kontinuierlich überwacht. Stand Juni 2022 wurden weltweit über 2,6 Milliarden Dosen des Impfstoffs Comirnaty verimpft.
5
Vor den streitgegenständlichen Impfungen hatte die Klägerin, wie sich aus der informatorischen Anhörung vom 18.12.2024 ergibt, auf die bezüglich der Einzelheiten Bezug genommen wird, ergibt, an verschiedenen Vorerkrankungen gelitten, nämlich einer langjährigen Schilddrüsenunterfunktion, Borreliose im Jahr 2015 und einer Nierenschädigung im Jahr 2010.
6
Die Klägerin behauptet, dass sie unmittelbar nach der 2. Impfung schwer erkrankt sei. Sie sei zunächst fünf Wochen lang schwer krank gewesen mit typischen Grippesymptomen sowie Geschmacks- und Geruchssinnverlust. Ab Januar 2022 habe sie ca. alle drei Wochen unter intermittierendem Fieber mit jeweils starker Verschlechterung ihres Allgemeinzustands, Gliederschmerzen, extremer Erschöpfung und Schwäche für mehrere Tage gelitten. Dies sei bis Herbst 2022 auch immer wieder abgeflacht, das Abflachen sei aber zunehmend weniger geworden. Als Symptome seien Muskelschwäche, bleierne Müdigkeit, Atemprobleme, Herzstechen, Herzstolpern, starke Konzentrationsprobleme, Brainfog, Schwindel, maximale Erschöpfung, Beklemmungsgefühl, zugeschnürter Brustkorb nach leichter „Belastung“ sowie Schwierigkeiten mit der Augenbewegung aufgetreten. Bis Dezember 2022 habe sich der Gesundheitszustand dann wieder verschlechtert, stärkere Herzbeschwerden seien aufgetreten. Im Herbst 2022 habe sie dann die Hausarztpraxis gewechselt und sich nunmehr von Frau Dr. ... behandeln lassen. Ihr Immunsystem sei massiv geschädigt gewesen. Seit Januar 2023 habe sie dann mit Plasmapherese begonnen. Mittlerweile sei sie in der ... in Behandlung und ihr Zustand habe sich seit Sommer 2024 stabilisiert. Die Behandlung sei allerdings noch nicht abgeschlossen, ihr Immunsystem sei noch nicht wieder vollständig funktionstüchtig.
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Hinsichtlich der behaupteten gesundheitlichen Probleme sowie der erfolgten Behandlungen nach der Impfung wird ergänzend auf die informatorische Anhörung vom 18.12.2024, die Ausführungen in der Replik vom 24.08.2023 (Bl. 101/ 105 d. A.) sowie in dem Schriftsatz vom 21.03.2024 (Bl. 264/ 275 d. A.) samt der darin verwiesenen Anlagen K8, K28, K29 und K30 Bezug genommen.
8
Die Klägerin behauptet, dass sie die geschilderten nach der Impfung eingetretenen Gesundheitsschäden impfbedingt erlitten habe. Vor den Impfungen sei sie gesund und sportlich gewesen.
9
Sie habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 84 Abs. 1 S. 1, 2 Nrn. 1 und 2 AMG. Es bestehe eine Kausalität zwischen Verletzungshandlung und Rechtsgutverletzung.
10
Der Impfstoff sei generell schadensgeeignet und geeignet die von der Klägerin vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen auszulösen. Es greife zu Gunsten der Klägerin die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 S. 1 AMG.
11
Es bestünden Zweifel am positiven Nutzung der Impfung. Zudem dürfe und könne aus der Zulassung des Impfstoffs nicht auf dessen positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zurück geschlossen werden.
12
Die Produktinformation der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt habe nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprochen. Die Rechtsgutverletzung sei gerade infolge der unzureichenden Information eingetreten.
13
Die Haftungsbegrenzung nach § 3 Abs. 4 MedBVSV greife nicht, da diese verfassungswidrig, nicht verhältnismäßig und nicht rechtmäßig sei. Es bestehe schon keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage.
14
Zumindest habe die Beklagte mit Eventualvorsatz gehandelt, da sie billigend in Kauf genommen habe, dass Menschen durch das Verabreichen der Impfung an ihrer Gesundheit geschädigt würden.
15
Der Klägerin stünden weiter Schmerzensgeldansprüche aus § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB zu, die die Klägerin mit mindestens 170.000 € beziffert.
16
Die Klägerin habe durch eine Verletzungshandlung der Beklagten eine Rechtsgutverletzung in Form einer Gesundheitsschädigung erlitten.
17
Die Beklagte hafte auch nach den Grundsätzen der Produkthaftung. Das Verhalten der Beklagten sei rechtswidrig und auch schuldhaft.
18
Der Klägerin stehe darüber hinaus ein Anspruch aus § 826 BGB zu. Die Beklagte habe unzureichend über Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen mit ihrem Impfstoff berichtet. Der Impfstoff sei verharmlost worden.
19
Die unterlassene bzw. mangelnde Aufklärung der Beklagten sei als sittenwidrig einzustufen. Bei der Beklagten habe auch ein Schädigungsvorsatz bestanden.
20
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer monatlichen Geldrente ergebe sich aus § 843 Abs. 1 BGB.
21
Der geltend gemachte Auskunftsanspruch stünde der Klägerin nach § 84a Abs. 1 S. 1 AMG zu.
22
Die Klage vom 02.02.2023 (Bl. 1/29 d. A.) ist der Beklagten am 13.03.2023 zugestellt worden.
23
In der Klage hat die Klägerin unter 4. folgenden Auskunftsantrag hilfsweise angekündigt:
24
Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die in dieser Klageschrift gestellten Fragen im Wege der Erfüllung des Auskunftsanspruchs nach § 84a AMG schriftlich zu Händen ihrer hiesigen Prozessbevollmächtigten zu beantworten und die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Auskunftserteilung an Eides statt zu versichern. Die entsprechende Auskunft ist von dem vertretungsberechtigten Organ der Beklagten zu erteilen.
25
Mit Schriftsatz vom 21.03.2024 hat die Klagepartei diesen Antrag auf Auskunftserteilung abgeändert (Bl. 387/391 d. A.).
26
Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch EUR 170.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2022 zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei sämtliche sonstigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klagepartei bereits entstanden bzw. künftig aus der Schädigungshandlung resultieren werden und derzeit noch nicht bezifferbar sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 3.044,91 nebst Zinsen in Höhe fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2022 zu zahlen.
- 4.
-
Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die nachfolgend beantragten Auskünfte im Wege der Erfüllung des Auskunftsanspruchs nach § 84a AMG schriftlich zu Händen ihrer hiesigen Prozessbevollmächtigten zu erteilen und die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Auskunftserteilung an Eides statt zu versichern. Die entsprechende Auskunft ist von dem vertretungsberechtigten Organ der Beklagten zu erteilen.
a. Auskunft über Art und Schwere der Toxizität der verwendeten Lipidnanopartikel ALC-0159 und ALC-0315 für den Menschen sowie über deren immunologische Auswirkungen auf den menschlichen Organismus.
b. Auskunft über den pharmazeutischen Reinheitsgrad von ALC-0159 und ALC-0315 und darüber, wie diese bestimmt werden.
c. Auskunft darüber, welcher Lieferant für die Lieferung der hier streitgegenständlichen Impf-Charge zuständig war und welche Technologie dieser für die Herstellung nutzte.
d. Erläuterung, weshalb im Spike-Protein „Wuhan1“ der Verbau einer Furin-Schnittstelle zur Trennung des S1-Proteins vom S2-Protein erforderlich war.
e. Erläuterung, weshalb ein P2-Lock verwendet wurde, damit das Spike-Protein S2 nicht auf geht indes aber das S1 ungesichert blieb.
f. Erläuterung, ob es Biarcore-Messungen (Oberflächenplasmonenresonanzspektroskopie) gibt, die belegen, dass das Spike-Protein wirklich nicht bindet.
g. Erläuterung, warum ein ganzes Cluster von HIV-Sequenzen und GP-120 im Spike-Protein verbaut sind und welche Auswirkungen dies auf das Immunsystem der Klagepartei hat. Die Klagepartei nimmt Bezug auf folgenden Aufsatz (peer-reviewed): „COVID-19, SARS AND BATS CORONAVIRUSES GENOMES PECULIAR HOMOLOGOUS RNA SEQUENCES“, https://www.granthaalayahpublication.org/journals/index.php/granthaalayah/article/view/IJRG20_B07_3568
h. Erläuterung, weshalb eine Neuropilin-Schnittstelle im Spike-Protein verbaut wurde.
i. Erläuterung, welche konkreten gesundheitlichen Schäden am Menschen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung vor dem 30.04.2021 durch die Beklagte oder in deren Auftrag festgestellt wurden.
j. Erläuterung, wie sichergestellt wurde, dass auf der menschlichen Zelle exponierende Spike-Proteine von der Zellwand gehalten (Membrananker) und nicht etwa frei im Körper verfügbar wurden.
k. Erläuterung, ob und gegebenenfalls seit wann der Beklagten bekannt ist, dass das Spike-Protein (“Wuhan1“) an den ACE-Rezeptor menschlicher Zellen andocken und es dadurch Schäden in der Form der Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-System am menschlichen Organismus verursachen kann.
l. Erläuterung, welche Untersuchungen zur Genotoxizität beim Menschen durch BNT162b2 von Seiten der Beklagten unternommen worden sind.
m. Erläuterung, welche Unterschiede zwischen der Faltung des Proteins zwischen BNT162b2.8 und BNT162b2.9 bestehen und welche der Varianten die Klagepartei verimpft bekommen hat.
n. Erläuterung, welche Bewandtnis die Feststellung von Prof. M. von der T. University of S. zur Verwendung von Plasmid-DNA in dem Impfstoff BNT162b2 hat (SV40-Sequenz). Ergänzend: Seit wann wird die Sequenz von der Beklagten genutzt? Welche Funktion übt die Plasmid-DNA nach der Vorstellung der Beklagten in dem Vakzin aus?
o. Erläuterung, welche Maßnahmen gegen negative Auswirkungen des Vakzins auf die Fruchtbarkeit von geimpften Personen im Hinblick auf die Feststellungen im Abschlussgutachten zur Prä-Klinik vom 21.01.2021 (Anlageb.b.) ergriffen wurden.
p. Erläuterung über den Inhalt des Zwischenberichts C4591022 zu Fehl- und Totgeburten (Pflichtbestandteil des EPAR-Riskmanagement der EMA).
q. Erläuterung, welche Maßnahmen die Beklagte unternahm, nachdem sie gemäß folgender Gutachten (peer-reviewed) feststellte, dass ihr Vakzin BNT162b2 die Blockade/Zerstörung des P53-Protein an menschlichen Körperzellen die Krebszellenerkennung verhindert:
- Zeitliche metabolische Reaktion auf mRNA-Impfungen bei Onkologiepatienten,
Quelle:https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34463888/
- Koordinierung und Optimierung von FDG-PET/CT und Impfung; Erfahrungen aus der Anfangsphase der Massenimpfung, Quelle: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34029956/
- Lymphadenopathie nach Impfung: Bericht über zytologische Befunde aus einer Feinnadelaspirationsbiopsie, Quelle: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34432391/ – Axilläre Lymphadenopathie nach Impfung bei einer Frau mit Brustkrebs, Quelle:https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34940788/
- Feinnadelaspiration bei einer impfassoziierten Lymphadenopathie, Quelle:https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34286849/
- Hypermetabolische Lymphadenopathie nach Pfizer-Impfung, Inzidenz bewertet durch FDG PET-CT und Bedeutung für die Interpretation der Studie, eine Überprüfung von 728 geimpften Patienten, Quelle: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33774684/ Ergänzung: In welchem Zusammenhang steht diesbezüglich die Zulassung im Jahr 2022 von 23 neuen Krebsmedikamenten des Pfizer-Konzerns?
r. Erläuterung, ob Oncomire – d.h. mit Krebs assoziierte miRNA – in dem streitgegenständlichen Impfstoff Comirnaty enthalten sein können.
s. Erläuterung, warum die Beklagte der Bevölkerung nicht mitteilte, dass Frauen ein dreifach höheres Risiko besitzen, gesundheitliche Schäden infolge der Impfung mit BNT162b2 zu erleiden (PSUR#1).
t. Trifft es zu, dass Herr U. S. als ehemaliger Geschäftsführer und sämtliche Mitarbeiter der Beklagten sich nicht haben impfen lassen?
u. Trifft es zu, dass U. S. bereits in seinem Patent US2015/0086612 A1 auf Seite feststellt: „Bei der Immuntherapie auf RNA-Basis kann die Teerbildung in Lunge oder Leber nachteilig sein, da das Risiko einer Immunreaktion bei diesen Organen besteht.“ (engl.: For RNA based immunotherapy, lung or liver tar geting can be detrimental, because of the risk of an immune response against these organs.). Ergänzend: Welche Änderungen nach Einreichung des Patents liegend der Beklagten vor, die diese Einschätzung im streitgegenständlichen Vakzin widerlegen?
v. Trifft es zu, dass U. S. in seinem Patent US10,485,884 B2 beschrieb, dass die Kombination von Salzen mit Nanolipiden keine gute Idee sei, weil diese dann ausflocken? Welcher Schaden entsteht bei Verdünnung mit ionischem Kochsalz in Verbindung mit der Tatsache, dass in einen Ca2+-haltigen Muskel injiziert wird?
w. Erläuterung, ob die Beklagte über das Spike-Protein „Wuhan1“ die proteinbiochemischen Grundlagen erhoben hatte, wie:
Verhält sich bspw. ein im Fuß der Klagepartei auf 7 Grad heruntergekühltes Spike-Protein anders als bei 36,6 Grad (Kältedenaturierung)?
x. Erläuterung, was mit fehlgefalteten Proteinen geschieht. Wurde auf Einschlusskörperchen in den Zellen getestet?
y. In welchem Umfang und mit welchen Auswirkungen wird das N1-Methylpseudouridin in der rRNA der Ribosomen der Mitochondrien und denen der Zelle, zellulärer mRNA und tRNA eingebaut? Welche Anstrengungen wurden unternommen, eine damit einhergehende, potenzielle Auswirkung auf den Energiehaushalt und die Proteinproduktion der Zellen zu verhindern?
z. Hat die Beklagte die Menge der zu produzierenden Spike-Proteine in den jeweiligen Organen und Körperbestandteilen quantifiziert, weil das N1-Methylpseudouridin zu einer erhöhten Produktion von Spike-Proteinen im gesamten Körper führt?
aa. Für den Fall der Bejahung der vorausgegangenen Frage mag die Beklagte dazu äußern, wie sie sicherstellte, dass die Spike-Proteine bei zu hoher Konzentration nicht thermodynamisch instabil werden (life on the edge of solubility).
bb. Erläuterung, welche konkrete biologische/chemische/und oder physikalische Eigenschaft ihres Produktes zu einem Nutzen führen soll.
cc. Erläuterung, was mit dem N1-Methylpseudouridin als Nukleotid geschieht, nachdem die modRNA in die menschliche Zelle transfiziert wurde, insbesondere, ob das N1-Methylpseudouridin in der ribosomalen RNA der Mitochondrien verbaut.
dd. Erläuterung des Herstellungsprozesses „Process 2“ und wie die Beklagte sicherstellte, dass keine DNA-Verunreinigung in den streitgegenständlichen Impfstoff gelangt.
ee. Erläuterung, wie viel Nanogramm an DNA (alle DNA Schnipsel) sich in den streitgegenständlichen Chargen der Klagepartei befanden.
ff. Erläuterung, wer die Nutzung für die Produktion mit Plasmiden mit SV40 freigegeben hat und wie konkret die Konformitätsbescheinigung der Beklagten für „Process 2“ aussieht.
gg. Warum wurde das Produkt Comirnaty nicht im Arzneimittelbuch aufgenommen und mit den üblichen Beschreibungen „Integrität, Reinheit und produzierter Wirkstoffmenge“ beschrieben?
hh. Warum werden die Lipide ALC-0315 und ALC-0159 mit der Gefahrenklasse3 – „gefährlich“ angegeben, das Gesamtprodukt Comirnaty durch die Beklagte aber mit OEB 5- „sehr hohes toxisches Potential ab 1 Mikrogramm“?
27
Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen.
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Die Klägerin lege schon nicht ausreichend dar, dass sie an den behaupteten Beeinträchtigungen leide oder dass ein Kausalzusammenhang mit den streitgegenständlichen Impfungen bestehe. Der klägerische Vortrag sei unsubstantiiert, sodass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Eintritt der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und den Impfungen nicht ersichtlich sei.
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Selbst wenn man einen Kausalzusammenhang annehmen würde, würden sämtliche geltend gemachten Schadensersatzansprüche daran scheitern, dass der Impfstoff Comirnaty ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweise, da der Nutzen des Impfstoffs die damit einhergehenden selten auftretenden Risiken bei weitem überwiegen würde.
31
Das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ergebe sich schon aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung, die die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) als zuständige Aufsichts- und Zulassungsbehörde in der Europäischen Union für den Impfstoff Comirnaty erteilt habe. Diese Zulassung, die gerade ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis voraussetze und ohne ein solches nicht hätte erteilt werden dürfen, entfalte für die Zivilgerichte Bindungswirkung, sodass von den Gerichten das Vorliegen der Voraussetzungen der Zulassung nicht in Zweifel gezogen und überprüft werden dürfe.
32
Die EMA habe das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis nach der Zulassung des Impfstoffs Comirnaty auch wiederholt bestätigt, unter anderem bei der Erweiterung der Zulassung. Aufgrund des fortbestehenden positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Impfstoffs habe der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA CHMB am 16.09.2022 empfohlen, die bedingte Zulassung von Comirnaty in eine Standardzulassung umzuwandeln, die nicht jährlich erneuert werden müsse. Diese Empfehlung wurde rechtlich mit Durchführungsbeschluss der Europäischen Kommission vom 10.10.2022 umgesetzt.
33
Zusätzlich habe die EMA sämtliche Daten im Zusammenhang mit dem Impfstoff untersucht und am 30.08.2023 ausdrücklich die Sicherheit des Impfstoffs bestätigt.
34
Am 28.10.2022 habe das CHMP der EMA das positive Nutzen-Risikoverhältnis auf Basis sämtlicher vorliegender Daten erneut bestätigt.
35
Die Fach- und Gebrauchsinformationen des Impfstoffs hätten zu jeder Zeit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprochen.
36
Aufgrund des positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Impfstoffs komme es auf die vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und den angeblichen Kausalzusammenhang schon gar nicht an.
37
Der Auskunftsanspruch sei ausgeschlossen, da auch der Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 AMG offensichtlich ausgeschlossen sei.
38
Die Klägerin könne auch nicht nachweisen, dass die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen alle wirklich eingetreten seien. Sie könne auch nicht die erforderliche Plausibilität des Kausalzusammenhangs darlegen.
39
Das Gericht hat die Klägerin im Termin vom 18.12.2024 informatorisch angehört. Bezüglich ihrer Angaben wird auf das Protokoll vom 18.12.2024 (Bl. 747/754 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
41
I. Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sowie örtlich nach § 94a AMG, § 32 ZPO zuständig.
42
II. Hinsichtlich des unter Ziffer 2. gestellten Feststellungsantrags besteht ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, da derzeit noch nicht absehbar ist, wie sich der gesundheitliche Zustand der Klägerin weiter entwickeln wird, so dass eine abschließende Bezifferung sämtlicher möglicherweise auf die streitgegenständlichen Impfungen zurückzuführende Schäden noch nicht möglich ist.
43
Die Klage ist allerdings nicht begründet.
44
Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen des Impfstoffs Cormirnaty zu.
45
I. Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht aus § 84 Abs. 1 AMG.
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Nach § 84 Abs. 1 S. 1 AMG ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der ein Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat, dem Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet, wenn dieser infolge der Anwendung des Arzneimittels nicht nur unerheblich in seiner Gesundheit verletzt wird. Bei dem streitgegenständlichen Impfstoff Comirnaty handelt es sich gemäß §§ 4 Abs. 4, 2 Abs. 1 AMG um ein Arzneimittel, das von der Beklagten als pharmazeutischer Unternehmerin in Verkehr gebracht worden ist. Die Klägerin behauptet auch, durch die Anwendung des Impfstoffs im Rahmen von zwei im Jahr 2021 durchgeführten Impfungen in ihrer Gesundheit verletzt worden zu sein.
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1. Ob die von der Klägerin behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich auf die streitgegenständlichen Impfungen zurückzuführen sind oder ob sie auf bei der Klägerin vorhandenen Vorerkrankungen beruhen, kann dahinstehen.
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2. Denn gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 AMG besteht die Ersatzpflicht nur, wenn nach Nr. 1 das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder nach Nr. 2 der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
50
Die Klägerin behauptet zwar, dass der streitgegenständliche Impfstoff Comirnaty eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweise. Eine solche ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich.
51
Das Gericht schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Koblenz im Urteil vom 10.07.2024 – 5 U 1375/23 (BeckRS 2024, 16169) sowie den überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts München in dessen Hinweisbeschluss vom 05.11.2024 – 14 U 2313/24 e (BeckRS 2024, 31623) an.
52
a) Der Haftungsgrund in § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG steht in engem Zusammenhang zu § 5 AMG, der es im nationalen Recht verbietet, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei einem anderen Menschen anzuwenden. Die Bedenklichkeit eines Arzneimittels, die in § 5 Abs. 2 AMG definiert wird, liegt vor, wenn „nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen“; sie knüpft an sehr ähnliche Voraussetzungen an wie § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG. Maßgeblich ist in beiden Fällen die wissenschaftlich belegte Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels bei dessen Einsatz.
53
Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln (BGH, Urteil vom 19.03.1991 – VI ZR 248/90, juris, Rn. 12, 15; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris, Rn. 45; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 83). Damit trägt die Vorschrift dem Umstand Rechnung, dass es sich bei Arzneimitteln um Produkte handelt, die unvermeidbar neben ihren therapeutischen Wirkungen auch Risiken mit sich bringen (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 68).
54
aa) Die Nutzen-Risiko-Abwägung hat abstrakt-generellen Charakter und findet unter Berücksichtigung sämtlicher schädlichen Wirkungen für die vollständige durch die Indikationsangabe des pharmazeutischen Unternehmers anvisierte Patientengruppe statt; sie wird hingegen nicht bezogen auf den individuell Geschädigten oder bezogen auf Untergruppen innerhalb der durch die Indikation angesprochenen Patientengruppe vorgenommen (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 82; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 83; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris Rn. 46 mwN). Das entspricht einhelliger Ansicht und erklärt sich daraus, dass im Zulassungsverfahren stets auf anonymisierte Studien zurückgegriffen und die Gesamtheit der Ergebnisse bewertet wird. Demgegenüber liegen Daten zu den jeweils individuellen Risiken nicht vor. Die Spezifika des konkreten Einzelfalls können dagegen (nur) von dem das Arzneimittel einsetzenden Arzt beurteilt und beachtet werden. Erfahrungen aus Einzelfällen fließen wiederum in Form der Art, Schwere und statistischen Häufigkeit von unerwünschten Nebenwirkungen in die Gesamtabwägung ein. Meldepflichten sichern, dass solche Erfahrungen aus Einzelfällen auch tatsächlich Berücksichtigung finden können. Aus diesem Verständnis heraus hat die Nutzen-Risiko-Abwägung nicht anhand der „Einzelumstände“ bei der konkret zu impfenden Person zu erfolgen. Auch die Ständige Impfkommission (STIKO) stellt nicht auf die Einzelumstände ab.
55
Die ermittelten Risiken und der nachgewiesene Nutzen müssen gegeneinander abgewogen werden. Nach § 4 Abs. 28 AMG umfasst das Nutzen-Risiko-Verhältnis „eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko nach Absatz 27 Buchstabe a“, welches sich definiert als „jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“. Dabei gilt: Je besser der therapeutische Nutzen und je schwerwiegender die Erkrankung ohne Impfung, desto eher können auch gravierende schädliche Wirkungen akzeptiert werden (statt vieler: BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 88). Risiken für den Einzelnen lassen sich also nicht gänzlich ausschließen und werden hingenommen, wenn der Nutzen bezogen auf die Gesamtheit der potentiellen Anwender in der Verhältnismäßigkeitsabwägung höher ausfällt.
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§ 84 AMG begründet danach keine Haftung des Arzneimittelherstellers oder des das Medikament vertreibenden Unternehmers für solche Nebenwirkungen, die bereits bei der Zulassung bekannt und im Hinblick auf den Nutzen des Arzneimittels im Zulassungsverfahren hingenommen wurden, soweit in der Fachinformation und der Packungsbeilage darauf hingewiesen ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.10.2008 – 7 U 200/07, juris, Rn. 6 ff.). Dies versetzt nämlich den behandelnden – impfenden – Arzt im Einzelfall in die Lage, Besonderheiten zu berücksichtigen. Anders kann es sein bei im Rahmen der umfangreichen Prüfung der Arzneimittelzulassung als vertretbar eingestuften schädlichen Wirkungen, wenn die Schwere oder Häufigkeit der schädlichen Wirkungen sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Zulassung verändert haben (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 67). Solche nachträglichen Erkenntnisse sind – bezogen auf den Zeitpunkt der Impfung (siehe nachfolgend) – dann bei der (Neu-)Bewertung zu berücksichtigen und belasten gegebenenfalls den Hersteller.
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bb) § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG trifft – anders als etwa die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 5 ProdHaftG, in der ausdrücklich auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens abgestellt wird – keine Aussage über den Zeitpunkt, auf den die Nutzen-Risiko-Abwägung zu beziehen ist.
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(1) Die Rechtsprechung – auch diejenigen Entscheidungen zu Haftungsfragen nach Corona-Schutzimpfungen – stellt für den Haftungsprozess auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab (OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.1989 – 14 U 19/86, juris, Rn. 173; wohl auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.10.2008 – 7 U 200/07, juris, Rn. 11; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.12.2013 – 4 U 121/11, juris, Rn. 45; LG Hof, Urteil vom 03.01.2023 – 15 O 22/21, juris, Rn. 22, und dem nachfolgend OLG Bamberg, Beschluss vom 14.08.2023 – 4 U 15/23, juris, Rn. 15 ff.; LG Rottweil, Urteil vom 08.01.2024 – 2 O 153/23, juris, Rn. 30; LG Arnsberg, Urteil vom 21.12.2023 – I-1 O 39/23, juris, Rn. 68; offen gelassen: LG Saarbrücken, Urteil vom 21.12.2023 – 16 O 33/23, juris, Rn. 61, OLG München, Hinweisbeschluss vom 05.11.2024 – 14 U 2313/24 e, BeckRS 2024, 31623, Rn. 235).
59
(2) Die Kammer ist ebenfalls der Ansicht, dass einer Entscheidung die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die schädlichen Wirkungen des hier in Rede stehenden Impfstoffs im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen sind. Als Zeitpunkt der Rückprojektion ist der Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels heranzuziehen; dies wird dem Charakter der Vorschrift als Gefährdungshaftung am besten gerecht.
60
cc) Das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Impfstoff der Beklagten ist im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als positiv zu bewerten.
61
(1) Dies steht zunächst fest aufgrund der Tatbestandswirkung des Durchführungsbeschlusses der Europäischen Kommission vom 10.10.2022 zur unbedingten Zulassung des Impfstoffs (Anlage B12), der den Beschluss vom 21.12.2020 über die bedingte (außerordentliche) Zulassung bestätigt.
62
(1.1) Im Unionsrecht gilt der Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten. Dieser Grundsatz besagt, dass die Rechtsakte einer europäischen Behörde – hier der Europäischen Kommission – Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder infolge eines Vorabentscheidungsersuchens oder einer Rechtswidrigkeitseinrede für ungültig erklärt worden sind (EuGH, Urteil vom 12.02.2008 – C-199/06, juris, Rn. 60). Dieser Grundsatz betrifft die Rechtsbeständigkeit von Gemeinschaftsakten und enthält – ähnlich wie die §§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 1 VwVfG im nationalen Recht – das Prinzip der Rechtswirksamkeit auch fehlerhafter Gemeinschaftsakte. Er gestattet es insbesondere anderen europäischen und nationalen Behörden sowie Gerichten in nachfolgenden Verfahren von der Tatbestandswirkung dieses europäischen Rechtsakts auszugehen, das heißt in nachfolgenden Verfahren bei der Rechtsprüfung das tatbestandliche Vorliegen einer rechtswirksamen Zulassung festzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, Rn. 205 – 206).
63
Mit der Feststellung der rechtswirksamen Zulassung wird inzident das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses festgestellt, da ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis Tatbestandsvoraussetzung der Zulassung eines Arzneimittels ist, gleichgültig, ob auf nationaler oder europäischer Ebene.
64
Bereits eine bedingte (außerordentliche) Zulassung, die für den streitgegenständlichen Impfstoff am 21.12.2020 erteilt worden war, darf nach Art. 14-a Abs. 3 Verordnung (EG) 726/2004 und nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 lit. a) Verordnung (EG) 507/2006 nur erfolgen, „wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels positiv ist“.
65
Mit der bedingten Zulassung werden dem Arzneimittelhersteller gemäß Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004 „besondere Verpflichtungen“ auferlegt, die nach Abs. 5 darin bestehen, „laufende Studien abzuschließen oder neue Studien einzuleiten, um das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis zu bestätigen.“
66
Das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist nach § 14-a Abs. 8 Verordnung (EG) 726/2004 erneut nachzuweisen, um eine ordentliche, fünf Jahre gültige Zulassung zu erhalten. In Erwägungsgrund Nr. 2 des Durchführungsbeschlusses für die unbedingte Zulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs vom 10.10.2022 wird von der EU-Kommission festgestellt, dass die Beklagte die ihr im Rahmen der bedingten Zulassung gemäß Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004 auferlegten besonderen Verpflichtungen erfüllt hat.
67
Die Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses war mithin wesentliche Voraussetzung sowohl für die bedingte Zulassung des Impfstoffs als auch für die Erteilung der unbedingten Zulassung, so dass mit der Zulassungsentscheidung zugleich das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis somit Bindungswirkung auch für die Zivilgerichte festgestellt wurde (zum Umfang der Tatbestandswirkung vgl. auch BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245-280, Rn. 12; wie hier auch LG Frankfurt, Urteil vom 14.02.2024 – 2-12 O 264/22, juris, Rn. 12; für die Verwaltungsgerichtsbarkeit allein in Bezug auf die Zulassungsentscheidung: BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, juris, Rn. 206 unter Bezugnahme auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.10.2009 – 1 BvR 3522/08, juris, Rn. 50).
68
Die am 10.10.2022 erteilte unbedingte Zulassung ist bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004) und auch die Verwendung des Impfstoffs ist nicht durch die Kommission ausgesetzt worden (Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004), so dass die Bindungswirkung unverändert fortbesteht.
69
(1.2) Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, es sei mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar, wenn die behördliche Zulassungsentscheidung nicht mehr vor den (nationalen) Zivilgerichten angegriffen werden könne. Denn der Klägerin wird der Rechtsschutz dadurch nicht vollständig versagt. Die behördliche Zulassung eines Arzneimittels lässt – ungeachtet der Möglichkeit einer Vorlageentscheidung im Rechtszug – die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit des pharmazeutischen Unternehmers unberührt, § 25 Abs. 10 AMG iVm Art. 15 Verordnung (EG) 726/2004. Die durch die Europäische Kommission gemäß Artikel 3 Verordnung (EG) 726/2004 erteilte Zulassung (vgl. Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022, Artikel 1) steht einer nationalen Zulassung gleich, § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG. Somit kann die Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung im Zivilprozess in Frage gestellt werden, wenn substantiiert dargelegt wird, welche der Beklagten damals bereits bekannte Umstände bei der Zulassungsentscheidung nicht berücksichtigt worden sein sollen, bei deren Berücksichtigung eine andere Zulassungsentscheidung gerechtfertigt gewesen wäre, oder aber, wenn dargelegt wird, dass nach der Zulassung Nebenwirkungen des Impfstoffs bekannt geworden sind, deren Kenntnis im Zeitpunkt der Zulassung einer Zulassung entgegen gestanden hätten (so auch OLG Bamberg, Beschluss vom 14.08.2023 – 4 U 15/23 e, juris, Rn. 15; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, Rn. 28). Gleiches dürfte gelten, wenn im Einzelnen begründet wird, dass ein Ermessensfehler bei der Nutzen-Risiko-Abwägung vorliegt, d.h. das Ermessen nicht ausgeübt oder überschritten wurde oder das Ermessen wider die gesetzlichen Bestimmungen erfolgte oder ein Verstoß gegen Denkgesetze und anerkannte Erfahrungssätze vorliegt.
70
Dazu hat die Klägerin jedoch nichts vorgetragen.
71
(1.3) Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist nicht erforderlich. Das OLG Koblenz hat die Notwendigkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV mangels Entscheidungserheblichkeit verneint, diese Frage aber letztlich offengelassen, da es nicht letztinstanzlich entscheidet und daher zur Vorlage an den EuGH nicht verpflichtet ist, Art. 267 Abs. 3 AEUV.
72
(2) Wenn man – anders als soeben dargelegt – nicht von einer Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung in Bezug auf das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgeht, ergibt sich dennoch kein anderes Ergebnis. Das OLG Koblenz gelangt auf der Grundlage der Bewertung der Expertengremien zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des streitgegenständlichen Impfstoffs nach den von den Parteien vorgetragenen Tatsachen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung projiziert auf den Zeitpunkt der Impfung positiv ist.
73
(2.1) Aus der dem Durchführungsbeschluss der EU-Kommission vom 10.10.2022 (Anlage B5) zugrundeliegenden Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel, CHMP, vom 15.09.2022 (siehe Anlage B6) geht hervor, dass der Beklagten seit der bedingten Marktzulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs am 21.12.2020 verschiedene „Spezifische Verpflichtungen“ (kurz: „SV“) auferlegt worden waren (vgl. Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Diese werden in dem Bericht des CHMP ausführlich dargestellt. Der Ausschuss hält dazu fest, dass zu sämtlichen Spezifischen Verpflichtungen neue Daten fristgerecht und als annehmbar zur Erfüllung der Verpflichtungen vorgelegt worden seien. Die allgemeine Schlussfolgerung zu den Spezifischen Verpflichtungen (Ziffer 2.3 des Berichts) lautet:
„(…) Das klinische Unbedenklichkeitsprofil sowie die Wirksamkeit dieses Produkts werden als umfassend charakterisiert und unterstützen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis. (…)“
74
Unter Ziffer 6.2 führt der CHMP zum Nutzen-Risiko-Verhältnis aus, dass die neuen Daten keinen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs in der zugelassenen Indikation hätten, sondern vielmehr das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis in der zugelassenen Indikation bestätigten. Weiter steht in dem Bericht:
„Unsicherheiten und Einschränkungen in Bezug auf ungünstige Auswirkungen:
Die Unsicherheiten und Einschränkungen ungünstiger Auswirkungen wurden bereits in weiteren Verfahren erörtert. Die Hauptunsicherheiten betreffen die langfristigen Auswirkungen und die Auswirkungen bei bestimmten Risikogruppen.
Nutzen-Risiko-Bewertung und Erörterung:
Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt. (…) Bedeutung von günstigen und ungünstigen Auswirkungen:
Nutzen-Risiko-Verhältnis:
Auf der Grundlage des kumulativen Nachweises für günstige und ungünstige Auswirkungen bleibt das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty positiv.“
75
Unter Ziffer 7 empfiehlt der CHMP sodann Folgendes:
Auf der Grundlage der Überprüfung der verfügbaren Informationen über den Stand der Erfüllung der spezifischen Verpflichtungen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Comirnaty in der zugelassenen Indikation (siehe Zusammenfassung der Produktmerkmale) weiterhin günstig. Da sämtliche spezifischen Verpflichtungen entweder erfüllt oder in Studien der Kategorie 3 des RMP umgestuft wurden, liegen keine Gründe mehr vor, die Marktzulassung an Bedingungen zu knüpfen, und der CHMP empfiehlt daher die Erteilung einer Standardgenehmigung für die Marktzulassung von Comirnaty, die keinen spezifischen Verpflichtungen unterliegt.“
76
Einer im Verfahren des OLG Koblenz vorgelegten Stellungnahme des PEI über bis zum 31.10.2022 in Deutschland gemeldete „Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen nach Impfung mit den Omikronadaptierten bivalenten COVID-19-Impfstoffen Comirnaty Original/Omicron BA.1, Comirnaty Original/Omicron BA.4-5 (…)“ ist als Fazit zu entnehmen, dass bis 31.10.2022 auch für diese genannten Impfstoffe kein neues Risikosignal aufgrund der Meldungen zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen bzw. Impfkomplikationen aus Deutschland detektiert worden ist.
77
Somit gelangen sowohl der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA, CHMP, als auch das PEI auf der Basis aller bis dahin bekannten und gemeldeten Nebenwirkungen und Impfkomplikationen auf sachverständiger Ebene (dazu nachfolgend) zu dem Ergebnis, dass im Zeitpunkt der Erteilung der Standardzulassung für den streitgegenständlichen Impfstoff am 10.10.2022 das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv war.
78
Durch die am 31.08.2023 erfolgte Zulassung des auf die COVID-19-Subvariante Omikron XBB.1.5 angepassten Impfstoffs der Beklagten durch die Europäische Kommission wurde das Nutzen-Risiko-Verhältnis erneut bestätigt. Über die Empfehlung des CHMP zur Zulassung berichtet die EMA in ihrer Meldung vom 30.08.2023 (Anlage B9).
79
Die am 21.12.2020 erteilte bedingte Zulassung ist damit weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004), sondern in eine unbedingte Zulassung umgewandelt worden. Auch danach ist die Verwendung des Impfstoffs nicht durch die Kommission ausgesetzt worden (Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Die unbedingte Zulassung vom 10.10.2022 ist bis zum heutigen Zeitpunkt ebenfalls weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden.
80
(2.2) Die oben genannten Entscheidungen der Europäischen Kommission zur bedingten Zulassung des Impfstoffs am 21.12.2020 und zur unbedingten Zulassung am 10.10.2022 basieren auf Empfehlungen der EMA, die wiederum ein Gutachten zum Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs eingeholt hat (Art. 14-a Abs. 3, 4 und 8 Verordnung (EG) 726/2004). Die Europäische Arzneimittelagentur hat nach Art. 56 Verordnung (EG) 726/2004 verschiedene Organe. Zu diesen Organen gehören nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), der die Gutachten der Agentur zu Fragen der Beurteilung von Humanarzneimitteln ausarbeitet, sowie nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) aa) der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC), der für Empfehlungen an den CHMP und die Koordinierungsgruppe in allen Fragen, die Pharmakovigilanz-Tätigkeiten in Bezug auf Humanarzneimittel sowie Risikomanagement-Systeme betreffen, und für die Überwachung der Effektivität dieser Risikomanagement-Systeme zuständig ist.
81
Der PRAC, also der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, setzt sich gemäß Art. 61a der Verordnung (EG) 726/2004 aus Vertretern aus allen Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), wissenschaftlichen Experten, Vertretern der Heilberufe und Vertretern der Patientenorganisationen zusammen. Die Ernennung der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz erfolgt gemäß Art. 61a Abs. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) 726/2004 „auf der Grundlage ihres einschlägigen Fachwissens in Pharmakovigilanz-Angelegenheiten und in der Risikobeurteilung von Humanarzneimitteln, um höchste fachliche Qualifikationen und ein breites Spektrum an einschlägigem Fachwissen zu gewährleisten.“
82
Im CHMP, dem Ausschuss für Humanarzneimittel, ist gemäß Art. 61 der Verordnung – wie auch im PRAC – jeder Mitgliedsstaat mit einem mit besonderem Fachwissen ausgestatteten Mitglied vertreten. Ferner können sich die Mitglieder des Ausschusses für Humanarzneimittel gemäß Art. 61 Abs. 3 der Verordnung 726/2004 von Sachverständigen aus speziellen Bereichen von Wissenschaft oder Technik begleiten lassen.
83
Das Pendant der EMA auf Bundesebene ist das PEI (kurz: PEI; § 77 Abs. 2 AMG). Das PEI ist die in Deutschland federführend zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Entwicklung, Zulassung, Bewertung und Überwachung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen. Ihm obliegt insbesondere die Erfassung und Auswertung von impfinduzierten Risiken und die Koordination gegebenenfalls zu ergreifender Maßnahmen. Daneben ist das PEI eine Forschungseinrichtung, um die Expertise zur Impfstoffbeurteilung einschließlich der Beurteilung von individuell auftretenden unerwünschten Impfreaktionen zu bündeln. Geforscht wird unter anderem auf den Gebieten der Immunologie, der Virologie und der Bakteriologie. Aufgrund dieser herausgehobenen Stellung ist das PEI weltweit vernetzt und berät nationale, europäische und internationale Gremien im Zusammenhang mit Impfstoffen (BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, Rn. 92; vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, juris, Rn. 138).
84
Bei den genannten Institutionen und deren Arbeitsebenen handelt es sich mithin nicht um politische Gremien. Ihre Empfehlungen und Entscheidungen orientieren sich nicht an politischen Interessen, auch wenn Grundlage der Einrichtung der Europäischen Arzneimittelagentur und ihrer Organe selbstverständlich eine politische Entscheidung war – auf anderem Wege ließe sich jedoch eine in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anerkannte und handlungsfähige Institution wie die EMA nicht einrichten. Dennoch handelt es sich bei den Organen der EMA und dem PEI um medizinisch-pharmazeutische und damit wissenschaftliche Fachgremien, nicht um im eigentlichen Sinne des Wortes politische Gremien.
85
(2.3) Die Einschätzungen zur Arzneimittelsicherheit des CHMP, des PRAC und des PEI stehen also einer sachverständigen Begutachtung gleich, da bereits die gesetzlichen Vorgaben für deren Besetzung sie als sachverständige Stellen qualifizieren. Die Institutionen vereinen die widerstreitenden wissenschaftlichen Erfahrungen, Erkenntnisse, Sichtweisen und Hypothesen in sich und lassen diese in eine umfassende Nutzen-Risiko-Bewertung einfließen.
86
Die Bewertung der Experten von CHMP und PRAC und PEI, die selbst nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, bildet das größtmögliche Fachwissen für die hier zu entscheidende Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des streitgegenständlichen Impfstoffs ab. Sie vermögen der Kammer daher die notwendige Fachkenntnis zu vermitteln, um die Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Impfstoffs der Beklagten zu beurteilen (so im Ergebnis auch BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211). Die Kammer macht sich die zitierten Erkenntnisse der oben aufgeführten Expertengremien daher als Grundlage seiner Entscheidung zu eigen.
87
Vor dem erläuterten Hintergrund des maximalen Fachwissens in den Expertengremien ist auch nicht zu erwarten, dass die Begutachtung durch einen einzelnen Virologen oder Pharmakologen als Sachverständigen im hiesigen Einzelfall zu anderen Erkenntnissen führen würde. Es wäre lebensfremd anzunehmen, ein einzelner Sachverständiger könnte über weitere Quellen, eine größere Datengrundlage und umfangreicheres Wissen verfügen als die aus jeweils mindestens 27 Personen bestehenden genannten Expertengremien, so dass die von der Klägerin angebotene Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht entscheidungserheblich war. Die Klägerin trägt auch nicht vor, über welches überlegene Wissen ein einzelner Sachverständiger verfügen könnte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich dessen Bewertung eines positiven oder negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht auf die Klägerin beziehen dürfte, sondern auf die Gesamtheit der potentiellen Patientengruppe innerhalb der Europäischen Union.
88
(2.4) Die von der Kammer vorzunehmende Abwägung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG ist zwar nicht mit der Abwägung zur Zulassungsentscheidung der EU-Kommission identisch. Die durchgängig gleichlautenden Entscheidungen der oben genannten Expertengremien in Bezug auf das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis stellen aber ein gewichtiges Indiz im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung (§ 25 Abs. 10 AMG) dar, ob eine ermessensfehlerhafte Bewertung auf Europäischer Ebene bei der Zulassungsentscheidung vorlag, wenn man nicht schon von einer Tatbestandswirkung ausgehen will. Die dargestellte Historie des Impfstoffs von seiner erstmaligen bedingten Zulassung bis zur Erteilung der Standardzulassung in der EU sowie der Zulassung des Impfstoffs für eine Virusvariante, die – auf ständig ergänzter Datengrundlage – jeweils nicht geändert, aufgehoben oder widerrufen wurde, lässt den Schluss zu, dass die nach der bedingten Zulassung bekannt gewordenen Fälle von Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündung, Gesichtslähmung, allergische Sofortreaktionen (Anaphylaxie) oder möglicherweise zum Tod führende Lungenentzündungen an der positiven Nutzen-Risiko-Abwägung der Expertengruppen nichts geändert haben. Dies gilt bis heute und ergibt sich nicht zuletzt aus der Auflistung der eben genannten Nebenwirkungen sowie der Nennung von Thrombozytopenie und Gerinnungsstörungen unter Ziffer 4.4. der Zusammenfassung der Merkmale des streitgegenständlichen Arzneimittels mit Stand 24.03.2023 (im Verfahren des OLG Koblenz vorgelegt als Anlage K22).
89
(2.5) Relevante medizinische Anhaltspunkte, die von den genannten Expertengruppen vor der Empfehlung für die Zulassung nicht berücksichtigt worden sein sollen und die gegen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis sprechen könnten, oder solche, die nach der Zulassung bekannt geworden sind und eine andere Zulassungsentscheidung begründet hätten, wären sie schon zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen, sind auch sonst nicht ersichtlich.
90
Ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis ist nicht, wie die Klägerin meint, deshalb anzunehmen, weil keine verlässlichen Daten vorlägen, da es an Langzeitstudien fehle, welche etwa die langfristige Wirksamkeit des Impfstoffs untersuchten. Das Fehlen solcher Langzeitstudien war bekannt und ist in die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses durch die Ausschüsse eingeflossen. Das ergibt sich aus dem Bewertungsbericht des CHMP vom 15.09.2022 indirekt daraus, dass die Beurteilung für die unbedingte Zulassung nur rund 21 Monate nach der Erteilung der außerordentlichen (bedingten) Zulassung erfolgte.
91
Das Fehlen von Langzeitstudien ist der bedingten Zulassung eines Arzneimittels nach Art. 14-a Abs. 1 Verordnung 726/2004 zudem immanent, regelt die Norm doch, dass „in hinreichend begründeten Fällen (…) zur Schließung medizinischer Versorgungslücken für Arzneimittel, die zur Behandlung, Vorbeugung oder ärztlichen Diagnose von zu schwerer Invalidität führenden oder lebensbedrohenden Krankheiten bestimmt sind, eine Zulassung erteilt werden [kann], ehe umfassende klinische Daten vorliegen, sofern der Nutzen der sofortigen Verfügbarkeit des betreffenden Arzneimittels auf dem Markt das Risiko überwiegt, das sich daraus ergibt, dass nach wie vor zusätzliche Daten erforderlich sind.“ In Satz 2 heißt es weiter: „In Krisensituationen kann eine Zulassung solcher Arzneimittel erteilt werden, selbst wenn noch keine vollständigen vorklinischen oder pharmazeutischen Daten vorgelegt wurden.“ Ergänzt wird diese Regelung durch Absatz 3, wonach Zulassungen nach Art. 14-a nur erteilt werden dürfen, wenn „das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv ist und der Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage ist, umfassende Daten bereitzustellen.“ Die von der Beklagten vorgelegten Daten aus klinischen und nicht-klinischen Studien waren für den CHMP und die EMA offensichtlich bereits zur Erfüllung der dargelegten Zulassungsvoraussetzungen für die bedingte Zulassung ausreichend, ebenso wie die Studiendaten zu den Speziellen Verpflichtungen nach der bedingten Zulassung des Impfstoffs für den CHMP hinreichend aussagekräftig waren, um den Nutzen des Impfstoffs im Verhältnis zu den bis dahin erkennbaren Nebenwirkungen einzuschätzen (vgl. Anlage B06).
92
Der Klägerin kann im Hinblick auf das von ihr gegen das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis angeführte Argument des Fehlens von Langzeitstudien zudem entgegengehalten werden, dass es bis heute (Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung) nur bedingte Erkenntnisse zu den Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion – insbesondere in Relation zur Schwere der Infektion – gibt. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Langzeitfolgen einer Erkrankung an COVID-19 weit schwerwiegender sind als die Risiken einer Impfung. Vor diesem Hintergrund stellt das Fehlen von Langzeitstudien kein durchgreifendes Argument für ein den Nutzen überwiegendes Risiko des Impfstoffs dar.
93
Die weitere Rüge, die klinischen Studien seien nicht aussagekräftig, verfängt ebenfalls nicht. Da die Studien in dem Bewertungsbericht nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben sind, sondern in dem Bewertungsbericht für die Verlängerung der Marktzulassung zwangsläufig nur eine Zusammenfassung der zahlreichen einzelnen Studien enthalten sein kann, vermögen die einzelnen Zitate in dem Bericht keine Auskunft über die Aussagekraft der Studien insgesamt zu geben. Wegen der zusammenfassenden Wiedergabe der Studien greift der von der Klagepartei in zahlreichen Facetten erhobene Einwand der intransparenten Datenerhebung und -wiedergabe ebenso wenig durch wie die – ersichtlich – ins Blaue hinein erfolgten Behauptungen, für die klinischen Studien sei keine für die Bevölkerung repräsentative Teilnehmerauswahl erfolgt, die Studien seien nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, es sei „entgegen den Prinzipien evidenzbasierter Medizin ein klinisch nur wenig relevanter primärer Endpunkt gewählt“ worden und es fehlten Daten zu „den Impfeffekten in einzelnen Alters- und Risikogruppen“. Das gleiche gilt für die von der Klagepartei gezogene Schlussfolgerung aus den berichteten Medikationsfehlern. Dass zudem die Studien nicht beendet wurden und der Beobachtungszeitraum nach Ansicht der Klagepartei zu kurz gewesen ist, spielt ebenfalls keine Rolle, wenn – wie offensichtlich hier – die bis zum Berichtszeitpunkt des Bewertungsberichts des CHMP vom 15.09.2022 (Anlage B6) gewonnenen Erkenntnisse für die Bewertung durch den Ausschuss ausreichend sind und die Voraussetzungen des Art. 14-a Verordnung 726/2004 erfüllt werden.
94
Der Argumentation der Klagepartei ist entgegenzuhalten, dass die Beklagte nach Art. 14 Verordnung 726/2004 zahlreiche Verpflichtungen betreffend die Pharmakovigilanz auch nach Erteilung der unbedingten Zulassung zu erfüllen hat. Die nach Art. 14-a Abs. 8, Art. 14 Abs. 2 und 3 Verordnung 726/2004 auf fünf Jahre erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen kann etwa nur „auf der Grundlage einer von der Agentur vorgenommenen Neubeurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses verlängert werden“, Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Verordnung 726/2004. Weiter wird der Beklagten durch Art. 14 Abs. 2 Satz 2 Verordnung 726/2004 aufgegeben: „Zu diesem Zweck legt der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen der Agentur spätestens neun Monate vor Ablauf der nach Absatz 1 vorgesehenen Gültigkeitsdauer der Genehmigung eine konsolidierte Fassung der Unterlagen in Bezug auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit vor; darin sind Bewertungen von Daten aus den gemäß Kapitel 3 vorgelegten Berichten über vermutete Nebenwirkungen und den regelmäßigen aktualisierten Unbedenklichkeitsberichten sowie Informationen über alle seit der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen vorgenommenen Änderungen enthalten.“ Damit geht der Vorwurf der Klagepartei, der Impfstoff unterliege einer zu kurzen Nachbeobachtungszeit, an der gesetzlichen Wirklichkeit vorbei.
95
Schließlich spricht der Umstand, dass der aus 27 Mitgliedern – einem aus jedem Mitgliedsstaat der EU – bestehende Ausschuss für Humanarzneimittel (§ 61 Abs. 1 Verordnung (EG) 726/2004) zu einem offensichtlich einstimmigen Ergebnis hinsichtlich der Nutzen-Risiko-Abwägung gekommen ist, dafür, dass kein einziges Ausschussmitglied so erhebliche Bedenken gegen den Umfang der Daten, die Aussagekraft der Studien oder die Bewertbarkeit bzw. Verwertbarkeit der Ergebnisse hatte, dass in dem Gutachten ein begründetes Sondervotum aufgenommen werden musste (§ 61 Abs. 7 Satz 2 Verordnung (EG) 726/2004).
96
Dass einige Studien „von der Beklagten gesponsert und von Pfizer entwickelt“ wurden und damit nicht „unabhängig“ waren, wie die Klagepartei bemängelt, war der EMA aufgrund der ausdrücklichen Hinweise in dem Bewertungsbericht bekannt. Diese Vorgehensweise ist zudem in der gesetzlichen Regelung des Zulassungsverfahrens angelegt. So postuliert § 14-a Abs. 5 Verordnung (EG) 726/2004 ausdrücklich:
„Als Teil der besonderen Verpflichtungen gemäß Absatz 4 ist der Inhaber einer gemäß diesem Artikel erteilten Zulassung verpflichtet, laufende Studien abzuschließen oder neue Studien einzuleiten, um das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis zu bestätigen.“
97
Den überwiegenden Nutzen des streitgegenständlichen Impfstoffs vermag die Klagepartei auch nicht damit in Zweifel zu ziehen, dass sie auf den angeblich „nicht vollständigen“ Schutz (sprich: nicht zu 100%) geimpfter Personen vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 oder vor einem schweren Verlauf der Erkrankung COVID-19 verweist. Ihre dafür angebrachte Behauptung, es gebe keine wissenschaftliche Grundlage für die hohe Wirksamkeit des Impfstoffs vor schweren Verläufen der Erkrankung, verfängt nicht. Der zur Begründung dieser in vielfältiger Weise erhobenen Behauptung beispielsweise angeführte Bericht des RKI vom 06.06.2023 stützt die klägerische Ansicht nicht, denn er bezieht sich – wie von der Klagepartei bereits selbst zitiert – auf den Schutz „vor einer symptomlosen und milden Infektion mit der Omikron-Variante“ – und damit nicht auf den streitgegenständlichen Impfstoff, der gerade nicht für die Virusvariante entwickelt worden ist, sondern für das Ausgangsvirus. Die Zulassung der an die Omikron-Variante angepassten Version des Impfstoffs erfolgte erst am 31.08.2023. Die klägerische Behauptung bleibt auch deshalb erfolglos, weil die nicht absolute Wirksamkeit des Impfstoffs vor einer Ansteckung – und dementsprechend auch nicht vor einem schweren Verlauf – bereits vor der bedingten Zulassung durch die EU-Kommission bekannt war und von dieser hingenommen wurde.
98
In dem späteren Bewertungsbericht des CHMP vom 15.09.2022 (Anlage B6) über die Verlängerung der Marktzulassung ist ausgeführt, dass die „verbleibenden Unsicherheiten“ sich hauptsächlich auf die Anwendung bei immungeschwächten Personen, die langfristige Wirksamkeit und Unbedenklichkeit und z.B. die Wirksamkeit gegen die Übertragung bezögen (S. 33 der Anlage B6). Dementsprechend hat der CHMP in dem Bewertungsbericht festgehalten:
„Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt.“ (S. 34, Anlage B9).
99
Danach ist der nicht absolute Schutz und die nicht in jedem Aspekt bekannte Wirksamkeit des Impfstoffs in die Abwägung des Nutzens zu den Risiken des Impfstoffs eingeflossen und ist hingenommen worden. Dieser Aspekt kann daher im Nachhinein eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen.
100
Der weiter von der Klagepartei angeführte Umstand, dass vor der Zulassung weder Genotoxizitäts- noch Karzinogenitätsstudien durchgeführt wurden, führt ebenfalls nicht zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis. Das Fehlen derartiger Studien war vor der Zulassung des Impfstoffs ebenfalls bekannt, was sich nicht nur aus dem Umkehrschluss aus der vom CHMP als qualitativ und quantitativ ausreichend bewerteten Datenlage vor der Zulassungsempfehlung vom 15.09.2022 ergibt (Anlage B9), sondern ausdrücklich bereits aus dem ersten Bewertungsbericht „EMA707383/2020“ in der Korrekturfassung vom 19.02.2021 (beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K37). Dort wird auf Seite 88 das Fehlen von Studien zur Genotoxizität ausdrücklich als „akzeptabel“ beschrieben, da es sich bei den Bestandteilen der Impfstoffformulierung um Lipide und RNA handele, bei denen kein genotoxisches Potenzial zu erwarten sei. Das gilt ausweislich des Berichts auch für fehlende Studien zur Karzinogenität (S. 98, 100, beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K37). Dies führte dennoch nicht zur einer negativen Nutzen-Risiko-Bewertung, sondern gleichwohl zur Empfehlung der bedingten Zulassung (S. 228, beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage K37).
101
Die Klagepartei vermag auch mit der behaupteten Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht in Zweifel zu ziehen. Die Klagepartei legt nicht dar, welche Auswirkungen („unkalkulierbare schädliche Ereignisse“) die angebliche Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA auf die Gesundheit der Impflinge gehabt haben soll. Ob der in Zusammenhang mit der Verunreinigung des Impfstoffs gehaltene Vortrag, die in den Impfstoffen enthaltenen Spikeproteine könnten Gefäßschäden verursachen, eine weitere Verunreinigung darlegen soll, bleibt unklar. Allerdings behauptet die Klagepartei vorliegend ohnehin nicht, einen Gefäßschaden durch die Impfung erlitten zu haben. Für die Annahme, dass „die im vorliegenden Fall verwendete Charge des Impfstoffs“ mit Fremd-DNA verunreinigt gewesen ist, fehlt jeder Anhaltspunkt. Ob die ausdrücklich „privaten Untersuchungen“ der die Verunreinigung beschreibenden Prof. Dr. ... überhaupt den notwendigen wissenschaftlichen Standards entsprachen, auf die das PEI mit Schreiben vom 22.12.2023 hinwies (beim OLG Koblenz vorgelegt als Anlage BB12), legt die Klagepartei nicht dar, so dass ihre pauschale Behauptung die behördliche Entscheidung im Sinne eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht infrage zu stellen vermag. Auch der mangels Einhaltung journalistischer Standards aus der Mediathek des Senders gelöschte Beitrag vom .12.2023 liefert einen solchen Anhaltspunkt nicht. Der Sender hat mit einem Beitrag vom .01.2024 erläutert, dass und aus welchem Grund Gerüchte zu Verunreinigungen von Impfstoffchargen mit DNA falsch sind (beim OLG Koblenz vorgelegt als Anlage BB13). Demnach fehlen auch Anhaltspunkte für die Behauptung, dass gerade der der Klägerin verabreichte Impfstoff von einer mit Fremd-DNA verunreinigten Charge stammte. Des Weiteren gibt es keine Grundlage für die Ansicht, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs chargenabhängig unterschiedlich zu bewerten ist.
102
Unergiebig ist des Weiteren der Versuch der Klagepartei die positive Nutzen-Risiko-Bilanz des Impfstoffs mit der Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen zu begründen, unabhängig davon, welche Quelle die Klagepartei für die gemeldeten Verdachtsfälle heranzieht. Allen Quellen ist gemein, dass sie lediglich von Verdachtsfällen berichten und gesicherte Aussagen über die Kausalität der Impfung für die genannten Nebenwirkungen nicht getroffen werden. Die Kammer ist der Auffassung, dass die 980.105 von der EMA (im Bewertungsbericht über die Verlängerung der Marktzulassung) veröffentlichen Fälle zu Nebenwirkungen im Vergleich zur Gesamtzahl der verabreichten Impfungen von 2,6 Milliarden bereits als sehr gering anzusehen ist (ca. 0,0377%), und dass ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung nicht feststeht. Denn einem solchen Zusammenhang wird bei den freiwilligen Meldungen schlicht nicht nachgegangen – und ihm kann auch nicht nachgegangen werden, wenn die Meldung von einer Privatperson abgegeben wird, bei der nicht nachprüfbar ist, ob die Daten richtig angegeben wurden und ob das subjektive Krankheitsempfinden objektivierbar ist (vgl. Online-Formular unter https://nebenwirkungen.bund.de/SiteGlobals/Forms/nebenwirkungen/covid-19-impfstoff/01-person/person-node.html) Dass die Ursächlichkeit der Impfung für die Meldung einer Nebenwirkung nicht in jedem Fall feststeht, stellt auf europäischer Ebene die EMA klar (S. 4 des Sicherheitsupdates vom 11.08.2021, beim OLG Koblenz vorgelegte Anlage C4), für die nationale Ebene das PEI (S. 6, 20 der beim OLG Koblenz vorgelegten Anlage K32).
103
Soweit die Klagepartei darüber hinaus noch weitere Argumente gegen das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis des streitgegenständlichen Impfstoffs vorgebracht hat, handelt es sich um Einzelstimmen zu Einzelaspekten der Gesamtabwägung, die vor dem Hintergrund der auf zahlreichen und umfangreichen Studien basierenden gegenteiligen Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur bzw. der Europäischen Kommission bei weitem nicht ausreichen, um die von der Klagepartei, auch der hiesigen Klägerin behauptete Gefährlichkeit des Impfstoffs im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG einzustufen. Denn einzelne Wissenschaftler vermögen die Gesamtbreite der „Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ nicht infrage zu stellen und bei der Betrachtung lediglich von einzelnen Aspekten bleibt die für das Nutzen-Risiko-Verhältnis gebotene Gesamtschau der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko (vgl. § 4 Abs. 28 iVm Abs. 27 AMG) außen vor. Die von der hiesigen Klägerin gewünschte Betrachtung entspricht damit nicht den gesetzlichen Vorgaben.
104
Anders als die Klagepartei meint, kann schließlich auch nicht von einer „ergebnisorientierten Voreingenommenheit“ aufgrund des politischen Drucks auf die EMA und die ihr angegliederten Ausschüsse (ebenso wie auf die nationalen Behörden) in Bezug auf ihre Empfehlungen an die Europäische Kommission ausgegangen werden. Es erschließt sich nicht, welchem politischen Druck die EMA unterliegen soll, wenn sie im Hinblick auf die beantragte Zulassung eines Arzneimittels eine Empfehlung ausspricht; diese kann für oder gegen die europaweite Zulassung des Arzneimittels ausfallen. Zudem vernachlässigt die Argumentation den Umstand, dass die EMA mit ihren Gremien pluralistisch besetzt ist und durch ganz unterschiedliche Herkünfte der Sachverständigen geprägt wird. Eine stringente „Führung“ der EMA durch die EU-Kommission ist deshalb ebenso wenig ersichtlich wie eine Bindung der EMA an deren politische Vorgaben. Die Behauptungen der Klagepartei sind ohne greifende Anhaltspunkte geblieben.
105
Die EMA ist der Europäischen Kommission auch nicht untergeordnet, wie die Klagepartei meint. Vielmehr ist allein die Europäische Kommission das Exekutiv-Organ der EU, die EMA hingegen gehört – auf keiner hierarchischen Stufe – zur Exekutive der Europäischen Union. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, „den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten wissenschaftliche Gutachten auf möglichst hohem Niveau bereitzustellen, damit diese die Befugnisse hinsichtlich der Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln ausüben können, die ihnen durch die Unionsvorschriften im Arzneimittelbereich übertragen wurden“ (vgl. Erwägungsgrund Nr. 19 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung der Verfahren der Union für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur).
106
Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die EU-Kommission ein spezifisches Interesse an einem besonders sicheren Impfstoff gehabt haben dürfte, da – wie die Klagepartei selbst vorgetragen hat – die Kommission sowie die Mitgliedsstaaten die volle Haftung für den Impfstoff gegenüber dem Hersteller übernommen haben. In einem solchen Fall wäre es widersinnig, wenn die EMA in dem von der Klagepartei behaupteten „vorauseilenden Gehorsam“ eine Empfehlung zur Zulassung des Impfstoffs in der EU mit einer voraussichtlich millionenfachen Anwendung ausgesprochen hätte, obwohl ihr dessen vermeintlich unvertretbare Risiken bekannt waren.
107
(3) Das OLG Koblenz und in Übereinstimmung mit diesem die erkennende Kammer gelangt daher zu dem Ergebnis, dass schädliche Wirkungen des Impfstoffs bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung darf nicht dahin verstanden werden, dass es nicht auch Fälle geben darf und gibt, in denen sich ein Risiko verwirklicht. Der Betroffene erhält darauf die versicherte Heilfürsorge, aber eben keinen darüber hinausgehenden Schadensersatzanspruch; insoweit wird ein „Sozialopfer“ für die Gemeinschaft der Anwender des Impfstoffs erbracht. Die in diesem Sinne verstandene Nutzen-Risiko-Abwägung fällt daher positiv aus. Dies gilt sowohl für den heutigen Zeitpunkt als auch für den Zeitpunkt der Anwendung durch die streitgegenständlichen Impfungen am 02.10.2021 und 06.11.2021.
108
Die Voraussetzungen des Haftungstatbestands § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG sind damit nicht erfüllt.
109
b) Der Haftungstatbestand des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG ist ebenfalls nicht erfüllt.
110
Danach besteht eine Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers nur dann, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung (§ 10 AMG), Gebrauchsinformation (= Packungsbeilage, § 11 AMG) oder Fachinformation (§ 11a AMG) eingetreten ist. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass eine dieser Produktinformationen zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprach.
111
aa) Im Rahmen der Prüfung der fehlerhaften Produktinformation ist streitig, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist.
112
Diese vom OLG Koblenz ausführlich dargestellte Streitfrage, ob auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels oder auf den von dessen Anwendung abzustellen sei, war vom OLG Koblenz und auch der erkennenden Kammer vorliegend nicht zu entscheiden, da die Klagepartei eine falsche Packungsbeilage oder Fachinformation – eine fehlerhafte Kennzeichnung im Sinne von § 10 AMG steht nicht im Raum – zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Impfstoffs nicht behauptet; es wird nicht einmal das Datum des Inverkehrbringens des Impfstoffs (plausibel) vorgetragen. Eine fehlerhafte Packungsbeilage oder Fachinformation zum Zeitpunkt der Anwendung des Arzneimittels bei den beiden streitgegenständlichen Impfungen kann auf der Basis des Vortrags der Klagepartei nicht festgestellt werden.
113
In diesem Zusammenhang muss zunächst berücksichtigt werden, dass nicht jede entfernte Möglichkeit eventueller Nebenwirkungen in die Produktinformationen aufgenommen werden muss. Nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG sind „die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ der Maßstab dessen, was der pharmazeutische Unternehmer an Informationen in die Informationsträger (Kennzeichnung, Gebrauchs- und Fachinformation) aufzunehmen hat. Diese ergeben sich aus den medizinischen Informationen, die Teil der Zulassungsunterlagen sind (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 102; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 102), der ärztlich-klinischen Praxis und der medizinisch-wissenschaftlichen Fachliteratur (Koyuncu in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, 3. EL 2023, E. Die speziellen Haftungsvoraussetzungen gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG; Spickhoff/Spickhoff, 4. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 23). Da neue medizinische Erkenntnisse stets Unsicherheiten unterliegen (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 103; Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 102), aber auch ein ausreichender Schutz der Anwender des Arzneimittels sicherzustellen ist, müssen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Risiken des Arzneimittels vorliegen, sondern es reicht bereits ein ernst zu nehmender Verdacht, um eine Pflicht zur Aufnahme in die Produktinformation zu begründen (BGH, Urteil vom 24.01.1989 – VI ZR 112/88, juris, Rn. 30, 33; BGH, Urteil vom 17.03.1981 – VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186-199, Rn. 18), solange dieser auf validen, wissenschaftlichen Daten beruht (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 104; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 103). So geht auch die Europäische Kommission von einer Hinweispflicht ab einer „reasonable possibility“ der schädlichen Wirkung aus (European Commission, A guideline on summary of product characteristics (SmPC), September 2009, S. 15).
114
(1) Die Klagepartei legt aber bereits weder den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Impfstoffs an sich noch der bei ihr verimpften Charge bzw. vorliegend der zwei verimpften Chargen – falls es darauf ankommen sollte – dar.
115
(2) Des Weiteren legt die Klagepartei nicht dar, dass die Produktinformationen (Kennzeichnung, Packungsbeilage und Fachinformation) im Hinblick auf die bei ihr eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen im Zeitpunkt ihrer Impfungen falsch gewesen seien. Die Klagepartei behauptet lediglich allgemein, die Hersteller seien zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens, spätestens jedoch, als sich die Möglichkeit des Eintritts weiterer Gesundheitsrisiken herausstellte, dazu verpflichtet gewesen, ihr Arzneimittel „entsprechend“ zu kennzeichnen, was nicht geschehen sei. Dieser pauschalen Behauptung ist aber nicht zu entnehmen, welche konkrete Nebenwirkung zu welchem Zeitpunkt in welchem Informationsmedium – Kennzeichnung, Gebrauchsinformation oder Fachinformation – nicht enthalten gewesen sein soll, obwohl dies den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprochen hätte.
116
(3) Auch die weitere klägerische Behauptung, der Beklagten sei doch von Tag zu Tag immer bekannter [geworden], dass Geimpfte vermehrt über Autoimmunerkrankungen, das Post-Vakzin-Syndrom, Nervenerkrankungen, Thrombosen, koronare Herzkrankheiten, das Fatigue-Syndrom und viele weitere Krankheitsbilder in zeitlichem Zusammenhang mit der Corona-Schutzimpfung berichteten, woraus eine von der Beklagten vernachlässigte Warnpflicht resultiert habe, begründet keinen Anspruch aus § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG. Die Klagepartei nennt erneut keinen Zeitpunkt, zu dem die oben genannten Krankheitsbilder Post-Vakzin-Syndrom, Nervenerkrankungen, Thrombosen, koronare Herzkrankheiten, das Fatigue-Syndrom einen auf validen wissenschaftlichen Daten beruhenden, ernst zu nehmenden Verdacht begründet haben sollen, welcher der Beklagten bekannt war, und diese zugleich nicht veranlasst haben soll, dass die Packungsbeilagen oder die Fachinformation entsprechend angepasst werden.
117
cc) Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Packungsbeilage oder die Fachinformation für den streitgegenständlichen Impfstoff zum Zeitpunkt seines – hier nicht bekannten – Inverkehrbringens oder im Zeitpunkt der Impfungen der Klägerin am im Oktober und November 2021 fehlerhaft bzw. unvollständig waren.
118
c) Da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AMG nicht erfüllt sind, kann grundsätzlich dahinstehen, ob die Impfung mit Comirnaty kausal für den bei der Klägerin als behauptet eingetretenen Gesundheitsschaden war.
119
Eine Kausalität der behaupteten Schäden mit der Impfung nach dem Haftungstatbestand des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG kann jedoch ohnehin nicht festgestellt werden, so dass die geltend gemachten Ansprüche auch daran scheitern. aa) Der Klagepartei kommt die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG nicht zugute.
120
Die Kausalitätsvermutung des § 84 Absatz 2 AMG setzt voraus, dass die Anwendung des Arzneimittels geeignet war, die eingetretene Rechtsgutverletzung zu verursachen. Erforderlich ist dabei nicht lediglich eine abstrakt-generelle, sondern eine konkrete Verletzungseignung des Arzneimittels, für welche die Klagepartei darlegungs- und beweisbelastet ist. Einige der relevanten Kriterien zur Bestimmung dieser Verletzungseignung werden in § 84 Abs. 2 Satz 2 AMG genannt. Eine Verletzungseignung kann angenommen werden, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass das Arzneimittel die Rechtsgutverletzung verursacht hat. Es genügt allerdings nicht, wenn nur eine ungesicherte Hypothese für den ursächlichen Zusammenhang spricht (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84 Rn. 110).
121
Letzteres ist vorliegend allerdings der Fall. Die Klagepartei hat trotz des Bestreitens der Beklagten, dass der gesundheitliche Zustand der Klägerin erstmals nach der Impfung aufgetreten und lediglich die Verschlechterung eines bereits vorbestehenden Gesundheitszustands gewesen ist, nur einen unzureichenden Vortrag zum gesundheitlichen Zustand vor der Impfung im Hinblick auf alle geltend gemachten Beeinträchtigungen gehalten. Insbesondere hat sie trotz des ausführlichen Hinweises des Gerichts vom 08.11.2023 (Bl. 247/251 d. A.) keinerlei ärztliche Unterlagen zum Zeitraum der Monate nach der Impfung vorgelegt. Obwohl hier die Impfungen am 10.2021 und 11.2021 erfolgten, wurden ärztliche Dokumente erst aus den Jahren 2022, ihr letztes Quartal, und 2023 eingereicht.
122
Hinzu kommt, dass noch weitere Voraussetzungen für die Annahme der Kausalitätsvermutung fehlen. Denn die meisten der von der Partei behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung eingetreten. Ferner fehlt es zudem an der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs auch nur eines der behaupteten Leiden mit der Impfung.
123
Fest steht vorliegend, dass die Klägerin auch schon vor den Impfungen an Borreliose, einer Schilddrüsenunterfunktion und einem Nierenschaden gelitten hat.
124
bb) Eine Haftung der Beklagten nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG scheitert zusätzlich daran, dass die Klagepartei das Beruhen ihrer behaupteten Gesundheitsverletzungen auf der angeblich falschen Packungsbeilage oder Fachinformation nicht dargelegt hat.
125
(1) Die Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG setzt – anders als nach Nr. 1, in dessen Rahmen lediglich zu prüfen ist, ob die Gesundheitsverletzung auf der unvertretbaren Wirkung des Arzneimittels beruht – eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation – Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation, siehe oben – eingetreten sein. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung ist nur zu bejahen, wenn diese bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (BGH, Urteil vom 24.01.1989 – VI ZR 112/88, BGHZ 106, 273, juris, Rn. 35; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84, Rn. 106; Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84, Rn. 110; OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.1989 – 14 U 19/86, BeckRS 1989, 4400, Rn. 147; Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, § 27, Haftung für Arzneimittelschäden, Rn. 69). Die Klagepartei hat darzulegen und zu beweisen, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn die Fach- und Gebrauchsinformation erschöpfend und zutreffend gewesen wäre (BGH, Urteil vom 24.01.1989 – VI ZR 112/88, BGHZ 106, 273-284, Rn. 35).
126
Ein solcher substantiierter Vortrag fehlt vorliegend.
127
Allein der Vortrag, dass sich die Klägerin, wenn sie um die weiteren möglichen Nebenrisiken der Corona-Schutzimpfung gewusst hätte, sich gegen die Corona-Schutzimpfung entschieden hätte, reicht nicht aus. Es wird schon nicht vorgetragen, dass die Fach- und Gebrauchsinformation überhaupt zur Kenntnis genommen wurde.
128
Unabhängig von dem Umstand, dass die jeweilige Gebrauchsinformation auf der Internetseite des Herstellers sowie der EMA zu finden sein dürfte, hat die Klagepartei nicht dargetan, dass sie nach der Gebrauchsinformation gefragt hat. Darüber hinaus hat die Klagepartei nicht vorgetragen, dass der sie im Impfzentrum impfende Arzt die Fach- und/oder Gebrauchsinformation gelesen hatte und in Kenntnis der dort aufgelisteten Risiken und in Abwägung mit den bei ihr bestehenden gesundheitlichen Gegebenheiten mit ihr das Für und Wider der Impfung erörtert hatte. Zumindest dies wäre aber im Falle einer Impfung, bei der der Patient das Arzneimittel in aller Regel nicht selbst anwendet, sondern von einem Arzt verabreicht bekommt, notwendig gewesen (vgl. zu Injektionen im Krankenhaus BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 37). Von dem Vorhandensein der Packungsbeilage bei dem impfenden Arzt ist aufgrund des in einem Impfzentrum in großen Mengen vorrätigen Impfstoffs auszugehen. Anderes hätte die Klagepartei darlegen und beweisen müssen, woran es vorliegend fehlt. Aufgrund des fehlenden Vortrags kann mithin nicht festgestellt werden, dass eine Rechtsgutverletzung infolge einer nur unterstellten unzureichenden Arzneimittelinformation – Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation – eingetreten ist.
129
(3) Die Klägerin befand sich auch nicht in einem Entscheidungskonflikt vor der jeweiligen Impfung mit Comirnaty.
130
Es erscheint unglaubhaft, dass die Klägerin, wie von ihr geltend gemacht, von der Impfung Abstand genommen hätte, wenn sie im Rahmen der Aufklärung etwa auf unbestätigte Berichte über Autoimmunerkrankungen, das Post-Vakzin-Syndrom, Nervenerkrankungen, Thrombosen oder das Fatigue-Syndrom hingewiesen worden wäre. Denn in den der Kammer bekannten Aufklärungsmerkblättern ist auf erhebliche Risiken wie Gesichtslähmung, mögliche allergische Reaktionen bis hin zum – potentiell tödlich endenden – anaphylaktischen Schock, auf Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen sowie das Risiko bisher unbekannter Komplikationen hingewiesen worden, ohne dass dies die Klägerin von der Impfung abgehalten hätte.
131
cc) Vorliegend kommt auch ein Anscheinsbeweis nicht in Betracht. Zwar ist die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil ein anderer als der typische Geschehensablauf ernsthaft in Betracht kommt. Denn ein solcher ist nicht unstreitig und steht nicht erwiesenermaßen fest (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris, Rn. 27).
132
Allerdings scheitert die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises daran, dass vorliegend kein Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Es gibt keine allgemeine Lebenserfahrung, dass die Impfung mit dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff zu den von der Klägerin geklagten Leiden führt – unabhängig davon stehen die Leiden der Klagepartei nicht sämtlich anhand einer objektiv gestellten ärztlichen Diagnose fest, sondern beruhen weit überwiegend auf ihren subjektiven Angaben. Darüber hinaus entspricht es nicht der Lebenserfahrung, dass der Impfstoff der Beklagten die geklagten Leiden verursachen kann; vielmehr entspricht es im Gegenteil der Lebenserfahrung, dass ein Großteil der geklagten Leiden auch eine Vielzahl anderer Ursachen haben kann, insbesondere auf Vorerkrankungen der Klägerin beruhen könnte.
133
d) Da bereits nach dem uneingeschränkten § 84 Abs. 1 Satz 2 AMG eine Haftung der Beklagten nicht in Betracht kommt, kommt es auf die Frage der Verfassungs- und Europarechtmäßigkeit der Haftungsbegrenzung für den pharmazeutischen Hersteller auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit durch § 3 Abs. 4 Satz 2 MedBVSV nicht an.
134
II. Ein Anspruch der Klägerin auf Schmerzensgeld ergibt sich auch nicht aus dem Produkthaftungsgesetz.
135
§ 15 ProdHaftG sieht vor, dass die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden sind, wenn infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt wird.
136
Bei dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff handelt es sich – was zwischen den Parteien unstreitig ist – um ein zum Gebrauch beim Menschen bestimmtes zulassungspflichtiges Arzneimittel, das in Deutschland, also im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) an die Klägerin als Verbraucherin abgegeben wurde. Diese behauptet auch eine Verletzung ihrer Gesundheit, so dass grundsätzlich die Regelungen des AMG vor denjenigen des ProdHaftG vorrangig sind.
137
Vor dem Hintergrund des eindeutigen Votums des Generalanwalts beim EuGH vom 11.06.2014 (Rechtssache C-310/13, in BeckRS 2014, 80985, Rn. 28 ff, 34), dem der Gerichtshof selbst nicht widersprochen hat, ist auch von einer Richtlinienkonformität des § 15 Abs. 1 ProdHaftG auszugehen.
138
III. Ein Anspruch der Klägerin besteht auch nicht aus einer deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB (Produkthaftung), die als solche grundsätzlich neben den Regelungen des Produkthaftungsgesetzes bestehen kann (§ 15 Abs. 2 ProdHaftG) und auch neben einem etwaigen Anspruch aus § 84 AMG (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, § 823, Rn. 1037 f.).
139
Im Rahmen der Produkthaftung trifft den Hersteller des Produkts u.a. die Pflicht, über sicherheitsrelevante Eigenschaften zu informieren (Instruktionspflicht) und seine Produkte zu beobachten und ggf. die Nutzer zu warnen oder gar das Produkt zurückzurufen. Wann etwa eine Verpflichtung zur Warnung der Nutzer besteht, ist abhängig von der Höhe des drohenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit, mit der das Produkt dafür ursächlich ist (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, § 823, Rn. 1119).
140
Vorliegend kann aber nicht festgestellt werden, dass die Beklagte ihre Instruktionspflicht verletzt hat, indem sie zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eine fehlerhafte Information über den Impfstoff erteilt hat, da der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Impfstoffs nicht feststeht. Dass die Beklagte ihre Produktbeobachtungspflicht oder die Pflicht zum Produktrückruf verletzt haben könnte, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 84 AMG verwiesen werden, da nicht ersichtlich ist – und von der Klagepartei auch nicht vorgetragen wurde –, dass ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB strengeren Voraussetzungen unterliegt als ein solcher nach § 84 Abs. 1 AMG.
141
Jedenfalls aber scheitert ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB am fehlenden Nachweis der Kausalität durch die beweisbelastete Klagepartei. Bei Instruktionsfehlern wie auch bei der Verletzung von Produktbeobachtungs- und daran geknüpften Warnpflichten hängt die Haftung davon ab, ob der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln „mit Sicherheit“ vermieden worden wäre; die bloße Wahrscheinlichkeit, dass die Geschädigte die Warnung befolgt hätte, genügt nicht (MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, § 823, Rn. 1146 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 19.02.1975 – VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46-52, juris, Rn. 14). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Klagepartei nicht dargelegt hat, dass der sie impfende Arzt die Fachinformationen zur Kenntnis genommen oder sie selbst die Packungsbeilage vor der Impfung gelesen hatte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
142
IV. Der Klägerin steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 5 AMG zu.
143
Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen eines bedenklichen Arzneimittels. Bedenklich sind nach der Legaldefinition des § 5 Abs. 2 AMG diejenigen Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.
144
Wie bereits oben ausgeführt, ist für die Annahme einer Bedenklichkeit im Sinne von § 5 AMG – ähnlich wie bei § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG – die wissenschaftliche Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels maßgeblich. Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln (vgl. nur Rehmann, 5. Aufl. 2020, AMG, § 5, Rn. 2 und § 84, Rn. 5). Diese Abwägung fällt im vorliegenden Fall – bei ausreichender Datenlage – zugunsten der Nutzen des Impfstoffs aus. Auf die obigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
145
Dass vor der Zulassung des Impfstoffs durch die EU-Kommission keine Langzeitstudien vorhanden waren, ist auch im Rahmen dieses Haftungstatbestands unerheblich, wie bereits oben im Rahmen der Prüfung von § 84 AMG dargelegt wurde und worauf erneut verwiesen wird.
146
Wegen des durchgehend positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses des streitgegenständlichen Impfstoffs muss die erkennende Kammer auf die von der Klagepartei weiter aufgeworfenen Fragen zu einem Verschulden der Beklagten – teilweise in Form von bloßen Vermutungen oder gar Hypothesen – nicht mehr eingehen. Nur ergänzend wird angemerkt, dass der Vortrag der Klagepartei eine weitere Überprüfung des Verschuldens der Beklagten nicht zulässt, weil er nicht erkennen lässt, welche Nebenwirkung der Beklagten zu welchem Zeitpunkt bekannt gewesen sein soll, über die sie aber zu diesem Zeitpunkt – angeblich fehlerhaft – nicht informiert hat.
147
Der Impfstoff der Beklagten ist demnach als unbedenklich einzustufen, so dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 5 AMG ohne Erfolg bleibt.
148
V. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB liegen ebenfalls nicht vor.
149
Es fehlt bereits an einem ausreichenden Sachvortrag der Klägerin zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB, insbesondere auch, welche auf Seiten der Beklagten handelnde Person vorsätzlich gehandelt haben soll.
150
Wie unter B. I. oben ausgeführt, ist der Beklagten schon kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.
151
Ein vorsätzliches Handeln ist daher erst recht nicht erkennbar.
152
VI. Sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
153
VII. Der Klägerin steht auch kein Auskunftsanspruch gemäß § 84a AMG zu.
154
1. Voraussetzung des Auskunftsanspruchs ist, dass der Arzneimittelanwender Tatsachen darlegt und gegebenenfalls beweist, die die Annahme begründen, dass ein konkretes Arzneimittel den Schaden verursacht hat (BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 12; BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG, § 84a, Rn. 10). Derartige Indiztatsachen können beispielsweise sein ein (enger) zeitlicher Zusammenhang zwischen der Arzneimittelverwendung und dem Auftreten der Rechtsgutverletzung, ein vergleichbarer Schadenseintritt bei anderen Personen, das Abklingen bzw. Wiederauftreten der Symptome bei Absetzen bzw. Wiederanwenden des Medikaments, die Einnahme eines kontaminierten Arzneimittels und der Ausschluss anderer schadensgeeigneter Faktoren. Diese Tatsachen müssen sodann in einem zweiten Schritt die Ursächlichkeit des Arzneimittels für den Schaden des Anwenders plausibel erscheinen lassen. Das Erfordernis, dass die (Mit-)Verursachung des Schadens durch das Arzneimittel plausibel sein muss, stellt geringere Anforderungen an das Maß der Überzeugung des Tatrichters als der Vollbeweis (BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 12, mwN). So wird die begründete Annahme im Sinne des § 84a Abs. 1 AMG in der Rechtsprechung jedenfalls dann bejaht, wenn mehr für eine Verursachung der Rechtsgutverletzung durch das Arzneimittel spricht als dagegen (überwiegende Wahrscheinlichkeit), und entsprechend verneint, wenn mehr gegen das Arzneimittel als Schadensursache spricht als dafür (OLG Frankfurt a. M., Teilurteil vom 19.08.2021 – 26 U 62/19, juris, Rn. 67; so auch Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Aufl. 2022, AMG, § 84a, Rn. 14).
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Gegen die begründete Annahme der Schadensverursachung durch ein Arzneimittel kann der pharmazeutische Unternehmer einwenden, die Auskunft sei nicht erforderlich, § 84a Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AMG. Erforderlich ist die Auskunft im Sinne des § 84a Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AMG bereits dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass die begehrten Auskünfte der Feststellung eines Schadensersatzanspruchs dienen können; vermag hingegen die begehrte Auskunft die beweisrechtliche Situation des die Auskunft Begehrenden in Bezug auf einen solchen Schadensersatzanspruch offensichtlich nicht zu stärken, fehlt die Erforderlichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 21 mwN). Außerdem ist der Einwand der Nichterforderlichkeit nur dann erheblich, wenn er gegen die Ansprüche nach beiden Alternativen des § 84 Abs. 1 Satz 2 AMG durchgreift (BGH, Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11, BGHZ 205, 270-287, juris, Rn. 22). Der Auskunftsanspruch ist unter anderem dann nicht erforderlich, wenn offensichtlich ist, dass die Geschädigte keinen Anspruch aus § 84 Abs. 1 AMG hat, etwa die erlittene Rechtsgutverletzung unerheblich ist, die Geschädigte lediglich einen Vermögensschaden erlitten hat oder der Anspruch aus § 84 Abs. 1 AMG bereits verjährt (BGH, Urteil vom 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris, Rn. 42) oder erfüllt ist (OLG Bamberg, Teilurteil vom 08.04.2024 – 4 U 15/23 e, juris, Rn. 77 ff.). Gleiches gilt, wenn der pharmazeutische Unternehmer bereits im Rahmen der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs andere schadensgeeignete Umstände iSd § 84 Abs. 2 Satz 3 AMG darlegen und beweisen kann (BeckOGK/Franzki, 01.06.2024, AMG § 84a Rn. 16; BGH, Urteil vom 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris Rn. 43), weil dann ein Anspruch aus § 84 AMG eindeutig ausscheidet.
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2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
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a) Der Klagepartei steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht zu, weil sie nicht ausreichend Indiztatsachen dargelegt hat, welche die Annahme begründen, dass der Impfstoff der Beklagten ihre Beschwerden verursacht hat.
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aa) Dabei geht die Kammer davon aus, dass die von der Klagepartei geklagten Beschwerden nicht als Bagatellverletzungen von vorneherein aus dem Tatbestand ausscheiden.
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bb) Die Kammer hat allerdings Zweifel, ob die Klagepartei im oben genannten Sinne ausreichende Indiztatsachen vorgetragen hat, welche bei ihr die Annahme einer Schadensverursachung durch den Impfstoff plausibel erscheinen ließen.
160
Der Vortrag der Klägerin zu den durch die Impfungen eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist teilweise unglaubhaft. Insbesondere fehlt es an ärztlichen Befunden für die Monate direkt nach der 2. Impfung, nach der die Beschwerden aufgetreten sein sollen.
161
Auch nach der informatorischen Befragung der Klägerin verbleiben bei der Kammer zudem Zweifel an der Kausalität. Gegen die Plausibilität einer Ursächlichkeit des verabreichten Impfstoffs für die Beeinträchtigungen der Klägerin spricht, dass alle geschilderten Beschwerden noch eine Vielzahl anderer Ursachen haben können und nach allgemeiner Lebenserfahrung auch ohne die Einnahme von Arzneimitteln oder durch die Einnahme anderer Arzneimittel auftreten können. Bei der Klägerin waren bereits vor den Impfungen entsprechende Vorerkrankungen, insbesondere eine Nierenschädigung und eine Borreliose, vorhanden.
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cc) Darauf kommt es aber letztlich auch nicht entscheidend an, da es jedenfalls an der Erforderlichkeit der begehrten Auskunft fehlt.
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(1) Der Auskunftsanspruch scheidet mangels Erforderlichkeit aus, wenn der pharmazeutische Unternehmer bereits im Rahmen der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs andere schadensgeeignete Umstände gemäß § 84 Abs. 2 S. 3 AMG darlegen und beweisen kann. Der Auskunftsanspruch soll dem Arzneimittelanwender ermöglichen, vom pharmazeutischen Unternehmer die Informationen zu erlangen, die der erstere dazu benötigt, die Schadensgeeignetheit des Arzneimittels nachzuweisen und damit die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG auszulösen. Kann der pharmazeutische Unternehmer aber andere schadensgeeignete Umstände nachweisen, ist die Kausalitätsvermutung gem. § 84 Abs. 2 S. 3 AMG ohnehin ausgeschlossen. Diese anderen schadensgeeigneten Umstände, etwa Vorerkrankungen oder schädigende Umwelteinflüsse, die aus der Sphäre des Arzneimittelanwenders stammen, können auch nicht durch die vom Arzneimittelanwender begehrten Angaben über das Arzneimittel ausgeräumt werden (BeckOGK/Franzki AMG § 84a Rn. 16 m.w.N.).
164
(2) Wie bereits dargelegt, ergeben sich bereits aus dem klägerischen Vortrag, insbesondere im Rahmen der informatorischen Anhörung, Diagnosen, welche die von der Klägerin geltend gemachten Symptome hervorrufen können.
165
(3) Die mangelnde Erforderlichkeit ergibt sich auch daraus, dass ein Anspruch gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG nicht besteht, da der verwendete Impfstoff keine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweist (vgl. OLG München Hinweisbeschluss v. 5.11.2024 – 14 U 2313/24 e, BeckRS 2024, 31623 Rn. 227). Insofern wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen.
166
VIII. Mangels eines Hauptanspruchs bestehen auch keine Ansprüche auf Ersatz der Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung oder auf Verzugszinsen.
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I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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II. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
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Der Streitwert war gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO auf 210.000,00 € (Antrag Ziffer 1.: 170.000 €; Antrag Ziffer 2.: 30.000 €, Antrag Ziffer 4: 10.000 €) festzusetzen.