Titel:
Nicht jeder Verstoß eines Steuerpflichtigen gegen die Mitwirkungspflicht erfolgt in grob fahrlässiger Weise
Normenketten:
StrEG § 5 Abs. 2
AO § 200 Abs. 1
Leitsätze:
Legt der Steuerpflichtige im Rahmen der Außenprüfung entgegen § 200 Abs. 1 AO nicht alle erforderlichen Urkunden vor, so verursacht er damit nicht ohne weiteres in grob fahrlässiger Weise seine spätere Strafverfolgung. (Rn. 13)
1. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Beschuldigter gem. § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG eine Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, ist ein strenger Maßstab anzulegen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht des § 200 Abs. 1 S. 1 AO indiziert nicht schon die Qualifikation dieses Verstoßes als grob iSd § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG, denn sie kann ebenso auf einem schlichten, einfach fahrlässigen Versehen beruhen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
atypisch stille Gesellschaft, Außenprüfung, Durchsuchung, grobe Fahrlässigkeit, Mitwirkungspflicht
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 09.12.2024 – 59 Gs 12546/24
Fundstellen:
NWB 2025, 895
FDStrafR 2025, 004152
BeckRS 2025, 4152
LSK 2025, 4152
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 09.12.2024 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die frühere Beschuldigte A. U. zu entschädigen ist für den Schaden, den sie durch den Vollzug
a) der Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Nürnberg vom 13.03.2019 (59 Gs 2525/19, 2528/19 und 2529/19), bestätigt durch Beschluss vom 15.08.2019 (59 Gs 7826/19) und
b) der Arrestbeschlüsse des Amtsgerichts Nürnberg vom 13.03.2019 (59 Gs 2551/19, 2552/19) erlitten hat.
3. Die Kosten der Beschwerde einschließlich der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
1
Gegenstand der Beschwerde ist die Versagung der Entschädigung nach StrEG durch das Amtsgericht Nürnberg.
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Dem liegt zugrunde: Die frühere Beschuldigte war alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der … GmbH mit Sitz in … Das Finanzamt … führte bei der GmbH eine Außenprüfung durch. Dabei stellte es fest, dass in den Jahren 2015 bis 2017 vonseiten der GmbH über 560.000 € überwiegend bar und als Provisionen deklariert an den früheren Beschuldigten J ausgezahlt wurden, den Lebensgefährten der Beschuldigten. Weiterhin soll J hochwertige Fahrzeuge der GmbH unentgeltlich genutzt haben. Vorermittlungen der Steufa Nürnberg erbrachten, dass J in Deutschland steuerlich nicht erfasst und in Tschechien eine Briefkastenfirma auf ihn gemeldet war. Auf deren Konto wurde eine Provision der GmbH i.H.v. 30.000 € gezahlt.
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Im Rahmen der Betriebsprüfung legte die Beschuldigte einen Kooperationsvertrag zwischen der GmbH und J vor, wonach sich die Kooperation auf den An- und Verkauf von Immobilien beziehen sollte. Weiterhin hieß es in § 2 des Vertrags:
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Die Parteien werden gemeinsam einen Projektplan ausarbeiten, in dem Pflichten und Aufgaben der Parteien möglichst genau bezeichnet werden und soweit erforderlich ein Zeitplan aufgestellt wird, der bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkt eine jede Partei die ihr obliegenden Aufgaben zu erfüllen hat, um das Projekt im Ganzen nicht zu gefährden. Das kann auch durch einzelne Terminvergaben der Vertragspartner untereinander nach mündlicher Absprache erfolgen.
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Projekt- oder Zeitpläne wurden bei der Betriebsprüfung nicht vorgefunden. Die Betriebsprüfung konnte ebenso wenig Nachweise für die Erbringung von Leistungen durch J finden. Die daraufhin eingeschaltete Steuerfahndung wertete die als Betriebsausgaben der GmbH verbuchten Provisionszahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA), die im Rahmen der Steuererklärungen für die Einkommensteuer der Beschuldigten und der Gewerbesteuer der GmbH 2015 bis 2017 jeweils (zu Unrecht, vgl. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) nicht angegeben worden seien und leitete daraufhin am 19.12.2018 ein Steuerstrafverfahren ein.
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Auf der Grundlage dieses Befundes erließ das Amtsgericht Nürnberg Durchsuchungsbeschlüsse u.a. auch für die Wohnung und die Geschäftsräume der Beschuldigten und Vermögensarreste, die am 23.10.2019 vollzogen wurden.
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Im Rahmen der Auswertung der sichergestellten Unterlagen fand die Steuerfahndung die Urkunde des Vertrags über eine atypisch stille Gesellschaft, der eine tragfähige Rechtsgrundlage für die zweifelhaften Provisionszahlungen bildete. Diesen hatte die Beschuldigte vor dem Vollzug der Beschlüsse nicht der Betriebsprüfung vorgelegt. Das Ermittlungsverfahren gegen sie wurde daraufhin mit Verfügung vom 07.11.2024 eingestellt.
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Der Verteidiger der Beschuldigten stellte daraufhin beim Amtsgericht Nürnberg den Antrag auf Feststellung der Entschädigungspflicht nach dem StrEG betreffend die Durchsuchung und den Vermögensarrest. Das Amtsgericht lehnte den Antrag ab. Die Beschuldigte sei bei der Außenprüfung nach § 200 Abs. 1 AO zur Mitwirkung verpflichtet gewesen. Aufgrund ihrer Partnerschaft mit J hätte ihr klar sein müssen, dass die erheblichen Zahlungen an ihn näher geprüft würden und dass die unzureichende Erklärung der Zahlungen den Verdacht von vGA und damit von Steuerhinterziehungen nach sich ziehen würde. Durch das Unterlassen der Vorlage des Vertrags über die atypisch stille Gesellschaft habe sie zu ihrer eigenen Strafverfolgung grob fahrlässig beigetragen. Die Entschädigungspflicht sei damit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen.
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Dagegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Beschuldigten.
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Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 9 Abs. 2 StrEG) und zulässig erhoben. Sie ist auch begründet.
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1. Der geltend gemachte Entschädigungsanspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 1, 2 Nr. 4 StrEG.
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2. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist die Entschädigung auch nicht gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen. Das wäre der Fall, wenn und soweit die Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Vorschrift enthält einen Ausnahmetatbestand. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschuldigte Anlass zu der Strafverfolgungsmaßnahme gegeben hat, ist deshalb ein strenger Maßstab anzulegen. Der Entschädigungsanspruch entfällt, wenn die Beschuldigte die Eingriffsmaßnahme durch die Tat oder durch sein sonstiges Verhalten herausgefordert hat; sie muss in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage anwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen (BGH, Beschluss vom 28.06.2022 – 2 StR 229/21, juris Rn. 20; MüKoStPO/Kunz/Grommes, 2. Aufl., StrEG § 5 Rn. 61 m.w.N.). Dabei ist darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt in dem Zeitpunkt dargestellt hat, in dem die Maßnahme angeordnet oder aufrechterhalten wurde (BGH, Beschluss vom 01.09.1998 – 4 StR 434/98, juris Rn. 2).
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Es spricht alles dafür, dass die Beschuldigte den Vertrag über die atypisch stille Gesellschaft im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nach § 200 Abs. 1 Satz 1, 2 AO gegenüber dem Betriebsprüfer hätte vorlegen müssen. Nach dieser Norm sind im Rahmen der Außenprüfung die für die Besteuerung bedeutsamen Unterlagen vorzulegen, wozu insbesondere die aufbewahrungspflichtigen Unterlagen (hier gem. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO) gehören (vgl. Koenig/Intemann, AO, 5. Aufl., § 200 Rn. 17). Dazu wird man den genannten Vertrag zwanglos zählen können. Allerdings indiziert ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nicht schon die Qualifikation dieses Verstoßes als grob. Er kann ebenso auf einem schlichten, einfach fahrlässigen Versehen beruhen. Maßgeblich sind für die Beurteilung alle Umstände des Einzelfalls. Hier wäre die Vorlage des Vertrages der Beschuldigten günstig gewesen, weil so der Verdacht verdeckter Gewinnausschüttungen im Keim hätte erstickt werden können. Dass sie unterblieben ist, spricht nach Wertung der Kammer dafür, dass der Beschuldigten seine Relevanz für die Besteuerung nicht bewusst war. Das passt dazu, dass die Beschuldigte nach Herkunft und Ausbildung (ausgebildete Sozialpädagogin, früher bei der Stadtmission … tätig, die in das Immobiliengeschäft zufällig über J hineingeraten ist) mit Steuerfragen nicht erkennbar oder auch nur naheliegenderweise bewandert war und sich der Akte keine Hinweise dahin entnehmen ließen, dass der Außenprüfer die Frage etwaiger vGA´s gegenüber der Beschuldigten überhaupt angesprochen und ihr so die Möglichkeit des Nachdenkens und einer Reaktion eröffnet hätte. Damit ist der Angeklagten im Kern der Vorwurf zu machen, nicht von sich aus die steuerliche Relevanz der Urkundenvorlage erkannt zu haben. Das führt – auch im Lichte der Wertung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt StrEG (keine grobe Fahrlässigkeit bei schlichter Nichtaussage) – dazu, dass grobe Fahrlässigkeit im Sinne des Entschädigungsausschlusses hier nicht bejaht werden kann. Die in der genannten Vorschrift formulierte Wertung gilt gleicherweise, wenn sich der Beschuldigte darauf beschränkt, entlastendes Beweismaterial nicht vorzulegen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 5 StrEG Rn. 7b).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.