Titel:
Anspruch des Strafgefangenen auf Einsicht in seine Krankenakte – Herausgabe von Bildaufnahmen zur Dokumentation besonderer Krankenkost
Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
EMRK Art. 8
BayStVollzG Art. 195, Art. 204
Leitsätze:
1. Ein Strafgefangener, der auf ärztliche Anordnung besondere Krankenkost benötigt, hat einen Anspruch auf Herausgabe von Bildaufnahmen oder Abzügen hiervon, die die Justizvollzugsanstalt von seiner Mittagskost angefertigt hat. (Rn. 22)
2. Dies erfordern sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, um die Aufnahmen zu einer sachgerechten Beratung und Behandlung auch anstaltsfremden Ärzten vorlegen zu können, und sein Recht auf Waffengleichheit, um im Hinblick auf etwaige Gerichtsverfahren Belege dafür zu haben, ob die Justizvollzugsanstalt die erforderliche Ernährungstherapie bereitgestellt hat. (Rn. 17 – 19 und 21)
Schlagworte:
Strafvollzug, Auskunftsanspruch, Akteneinsicht, Gefangenenpersonalakte, Krankenakte, Lichtbilder, Krankenkost, Waffengleichheit, Selbstbestimmungsrecht
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 30.07.2024 – SR StVK 502/24
Fundstellen:
LSK 2025, 413
NStZ-RR 2025, 126
BeckRS 2025, 413
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 30. Juli 2024 und der Ablehnungsbescheid der Justizvollzugsanstalt S. vom 15. März 2024 aufgehoben.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller die von seiner Mittagskost angefertigten Bildaufnahmen (bzw. Abzüge hiervon) herauszugeben.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragstellers beider Instanzen hat die Staatskasse zu tragen.
4. Der Beschwerdewert wird auf 100,00 Euro festgesetzt.
5. Dem Antragsteller wird mit Wirkung vom 2. September 2024 für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin H. bewilligt.
Gründe
1
Der Antragsteller ist Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt S. Mit Schreiben vom 15.03.2024, ergänzt durch Schreiben vom 09.05.2024, beantragte er, den Ablehnungsbescheid vom 15.03.2024 bezüglich der Aushändigung der genannten Bildaufnahmen von der täglichen Kostausgabe (an) den Antragsteller aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die genannten Bildaufnahmen dem Antragsteller herauszugeben.
2
Zur Begründung trug er vor, er habe sich im Mai 2022 einer bariatrischen Operation unterzogen, wobei er einen Magenbypass erhalten habe. Am 04.12.2023 sei er an der Gallenblase operiert worden. Er benötige besondere, eiweißreiche Krankenkost. Solche werde ihm aber nicht verabreicht.
3
Er beantrage zur Beweissicherung die Herausgabe von Lichtbildern, die die Justizvollzugsanstalt bei der Ausgabe der Mittagskost an ihn fertige. Diese seien nicht in der Gesundheitsakte enthalten.
4
Die Antragsgegnerin teilte im Schreiben vom 23.04.2024, ergänzt durch Schreiben vom 11.06.2024, mit, dass die Zusammensetzung und der Nährwert der Anstaltsverpflegung täglich überwacht würden und auf ärztliche Anordnung besondere Verpflegung gewährt werde. Solche ärztlichen Anordnungen würden in der Gesundheitsakte geführt. Lichtbildaufnahmen der Kost des Antragstellers, die durch die Bediensteten der Anstaltsküche angefertigt würden, um sich gegen unberechtigte Vorwürfe wehren zu können, seien nicht Bestandteil der Gesundheitsakte. Sie dienten der Verwendung in aktuellen bzw. erwartbaren gerichtlichen Verfahren und könnten im konkreten Verfahren dort eingeführt werden. Einen allgemeinen Anspruch auf Einsichtnahme habe der Antragsteller gleichwohl nicht, da diese weder Bestandteil der Personal- noch der Gesundheitsakte des Antragstellers seien. Es handele sich vielmehr um eigene Verfahrensunterlagen der Justizvollzugsanstalt, auf die der Antragsteller keinen Auskunftsanspruch haben könne, da er anderenfalls auch Argumentationsmuster, Rechercheergebnisse oder sonstige Grundlagen der hiesigen Stellungnahmen einsehen können müsste, was der prozessualen Waffengleichheit widerspreche. Nach § 44a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden, im konkreten Fall also, wenn sich der Antragsteller gegen eine bestimmte „falsche“ Kostausgabe an einem bestimmten Tag wenden würde. Das sei hier offensichtlich nicht der Fall.
5
Dem entgegnete der Antragsteller mit Schreiben vom 16.06.2024, dass die Bediensteten der Anstaltsküche von der Kost des Antragstellers nicht nur gelegentlich, sondern dauerhaft seit über 12 Monaten – nämlich seit April 2023 – Bilder anfertigen würden, und dass seitdem mehrere Gerichtsverfahren wegen der falschen Kost bei der Strafvollstreckungskammer anhängig gewesen seien. Aus Gründen der Waffengleichheit werde die Einsichtnahme im hiesigen Verfahren beantragt.
6
Mit Schreiben vom 24.06.2024 beantragte der Antragsteller nochmals die Herausgabe der Lichtbilder im Hinblick auf einen für den 03.07.2024 anstehenden Untersuchungstermin im Adipositaszentrum im Klinikum.
7
Mit Beschluss vom 30.07.2024 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Zur Begründung führte sie aus, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht und Aushändigung der Lichtbilder nach Art. 204 BayStVollzG nicht bestehe, da diese kein Bestandteil der Akten des Antragstellers seien. Soweit er diese als Beweis in einem anderen Verfahren benötige, gelte dort der Amtsermittlungsgrundsatz, so dass seitens des Gerichts eine Inaugenscheinnahme der Bilder erfolgen könne. Deren Aushändigung außerhalb eines Verfahrens zur Anstaltskost sei daher für einen effektiven Rechtsschutz nicht erforderlich.
8
Gegen diesen ihm am 01.08.2024 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller zur Niederschrift des Amtsgerichts Straubing am 14.08.2024 Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts erhebt und die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung gemäß seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Regensburg zu erneuten Entscheidung beantragt. Er rügte unzureichende Feststellungen und besonders schwere Rechtsfehler. Da er die Bilder für andere von ihm betriebene Verfahren und für die demnächst anstehende Nachsorgeuntersuchung benötige, spiele es auch keine Rolle, ob diese Teil der Krankenakte sind oder nicht.
9
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 26.08.2024, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
10
Mit Schreiben vom 02.09.2024, einem Montag, eingegangen am selben Tag, ließ der Antragsteller auch durch seine Verfahrensbevollmächtigte Rechtsbeschwerde einlegen. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zur neuen Entscheidung sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin H. Er rügte die Verletzung materiellen Rechts durch eine unrichtige Anwendung des Art. 204 Abs. 3 BayStVollzG.
11
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Schreiben vom 09.09.2024, den Antrag auf Beiordnung von Frau Rechtsanwältin H. abzulehnen, da die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht gegeben seien.
12
Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 20.09.2024 nahm der Beschwerdeführer hierzu Stellung.
13
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG liegen bereits deshalb vor, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Rechtsfortbildung erforderlich ist.
14
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, da dem Beschwerdeführer ein Recht auf Herausgabe der auf Veranlassung der Anstaltsleitung von seiner Mittagskost angefertigten Bildaufnahmen (bzw. Abzügen hiervon) zusteht.
15
1. Den Gefangenen steht hinsichtlich der über sie geführten Akten der Vollzugsbehörde ein im Stufenverhältnis stehendes Auskunfts- und Einsichtsrecht gemäß Art. 204 BayStVollzG zu (so bereits – zu Art. 203 BayStVollzG a.F., der auf Art. 10 BayDSG verwiesen hat – OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.10.2011 – 2 Ws 456/11 –, StV 2012, 168, juris Rn. 16). Art. 204 Abs. 1 BayStVollzG bestimmt ein Recht der Strafgefangenen auf Auskunft über sie betreffende personenbezogene Daten. Soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der betroffenen Person nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist, erhält sie gemäß Art. 204 Abs. 3 BayStVollzG Akteneinsicht.
16
a) Die Regelung trägt dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 –, BVerfGE 65, 1, juris Rn. 146 ff.) des Gefangenen im Strafvollzug Rechnung und bezieht sich damit im Wesentlichen auf die von diesem Recht betroffenen Gefangenenpersonalakten (Art. 195 Abs. 1 BayStVollzG) und Gesundheitsakten (Art. 195 Abs. 2 BayStVollzG; vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, NJW 2017, 1014, juris Rn. 16 ff. zur Einsicht in die Krankenakten; BayObLG, Beschluss vom 06.02.2024 – 204 StObWs 408/23 –, juris Rn. 50; s.a. KG, Beschluss vom 30.08.2021 – 2 Ws 60/21 Vollz –, juris Rn. 12 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2018 – 3 Ws 239/18 (StVollz) –, NStZ-RR 2019, 263, juris Rn. 5).
17
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebieten – bezogen auf den Zugang zu Krankenakten – das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde des Patienten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen. Dieses Einsichtsrecht ist zwar von Verfassungs wegen nicht ohne Einschränkungen gewährleistet. Es hat seine Grundlage aber unmittelbar in dem grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten und muss daher nur zurücktreten, wenn ihm entsprechend wichtige Belange entgegenstehen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, NJW 2017, 1014, juris Rn. 17 m.w.N.). Hierbei kommt dem Informationsinteresse des Patienten grundsätzlich erhebliches Gewicht zu. Ärztliche Krankenunterlagen betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre. Deshalb und wegen der möglichen erheblichen Bedeutung der in solchen Unterlagen enthaltenen Informationen für selbstbestimmte Entscheidungen des Behandelten hat dieser ein geschütztes Interesse daran zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen worden ist, welche Daten sich dabei ergeben haben und wie man die weitere Entwicklung einschätzt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, NJW 2017, 1014, juris Rn. 18).
18
bb) Dieser grundrechtlich verankerte Anspruch besteht auch dann, wenn der Patient im Strafvollzug untergebracht ist. Im Hinblick auf den Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen eines im Maßregelvollzug Untergebrachten hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Maßregelvollzug in stärkerem Maße gefährdet ist als bei privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.01.2006 – 2 BvR 443/02 –, BVerfGK 7, 168, juris Rn. 32 ff.). Die insoweit maßgeblichen Erwägungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest teilweise auf die Behandlung von Strafgefangenen übertragbar (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, NJW 2017, 1014, juris Rn. 20). Wie der im Maßregelvollzug Untergebrachte kann auch ein Strafgefangener seinen Arzt nicht frei wählen. Er ist grundsätzlich auf die Behandlung durch die in der Anstalt tätigen Ärzte angewiesen. Er kann selbst dann nicht nach eigenem Wunsch in ein anderes Behandlungsverhältnis wechseln, wenn er kein Vertrauen in den ihn behandelnden Arzt hat und nach seiner Wahrnehmung die Beziehung zerrüttet ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, NJW 2017, 1014, juris Rn. 20; s. hierzu auch KG, Beschluss vom 31.07.2018 – 2 Ws 75/18 Vollz –, juris Rn. 15). Seinem Informationsinteresse über den Inhalt der in der Justizvollzugsanstalt über ihn geführten Krankenakten kommt auch deshalb ein besonderes Gewicht zu, weil die darin enthaltene Dokumentation über den Gesundheitszustand des Gefangenen regelmäßig eine notwendige Information für die sachgerechte Beratung und Behandlung durch anstaltsfremde Ärzte ist (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.02.2008 – 2 VAs 7/07 –, StV 2008, 308, juris Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 23.02.2012 – III-1 Vollz (Ws) 653/11 –, juris Rn. 25).
19
Auch wo solche Einschätzungen rein subjektiven Charakter haben, ist unter diesen Bedingungen das Selbstbestimmungsrecht des Behandelten durch Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Teilen der eigenen Krankenunterlagen deutlich intensiver berührt als in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis, in dem der Betroffene sein Selbstbestimmungsrecht dadurch ausüben kann, dass er sich aus dem Behandlungsverhältnis zurückzieht. Wie der Maßregelvollzug ist auch der Strafvollzug durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten geprägt, weshalb die Grundrechte der Betroffenen naturgemäß besonderer Gefährdung ausgesetzt sind. Dies gilt auch in Bezug auf die Führung der Akten und den Zugang zu ihnen. Der Inhalt der Krankenunterlagen ist wegen seines sehr privaten Charakters in besonderem Maße grundrechtsrelevant. Ohne Akteneinsicht kann sich der Betroffene nicht vergewissern, ob die Aktenführung den grundrechtlichen Anforderungen entspricht, und seinen Anspruch auf Löschung oder Berichtigung falscher Informationen nicht in gleicher Weise verwirklichen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, NJW 2017, 1014, juris Rn. 20).
20
cc) Der grundrechtlich verankerte Anspruch des Patienten auf Einsicht in seine Krankenakte wird auch durch die Wertungen des Art. 8 EMRK unterstrichen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgt aus Art. 8 EMRK grundsätzlich ein Anspruch des Patienten gegenüber staatlichen Stellen auf umfassende Einsicht in seine Krankenakte und die Übermittlung von Kopien (vgl. EGMR, Urteil vom 28.04.2009 – Nr. 32881/04, K.H. und andere ./. Slowakei – Rn. 47 ff.). Danach obliegt es nicht dem Patienten, seinen Antrag zu begründen; vielmehr bedarf es zwingender Gründe („compelling reasons“), um den Antrag abzulehnen (a.a.O., Rn. 48). Aus einer weiteren Entscheidung (vom 21.02.2017 – Nr. 11642/11, Sokolow ./. Deutschland –) ist ersichtlich, dass der Gerichtshof diese Grundsätze auf die Einsichtnahme des Strafgefangenen in seine Krankenakte übertragen will (a.a.O., in juris Rn. 20). Im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs steht Ziffer 8.1. der Empfehlung Nr. R (97) 5 des Europarats über den Schutz medizinischer Daten (abgedruckt bei Spiecker gen. Döhmann/ Bretthauer, Dokumentation zum Datenschutz, 2024, A 2.5.7 Empfehlung R (97) 5 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über den Schutz medizinischer Daten, beck-online), wonach jedermann Zugang zu seinen medizinischen Daten haben soll. Dem entsprechen die Empfehlungen des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT). Danach sollen Patienten, denen die Freiheit entzogen ist, alle relevanten Informationen über ihren Gesundheitszustand, den Behandlungsverlauf und die verordneten Medikamente zur Verfügung gestellt werden; vorzugsweise sollen sie das Recht haben, den Inhalt ihrer Gefängniskrankenakte zu konsultieren, es sei denn, dies ist aus therapeutischen Gründen nicht ratsam (CPT-Standards, CPT/Inf/E [2002] 1 – Rev. 2010 deutsche Übersetzung, II. Gefängnisse – Unterabschnitt Gesundheitsdienste in Gefängnissen – S. 35 Nr. 46; zu finden unter: https://www.refworld.org/reference/themreport/coecpt/2011/en/78171; vgl. zum Ganzen BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.2016 – 2 BvR 1541/15 –, NJW 2017, 1014, juris Rn. 23).
21
b) Dieser grundrechtlich verankerte Anspruch des Patienten auf Einsicht in seine Krankenakte geht in seiner Reichweite über den Anspruch nach Art. 204 BayStVollzG hinaus. Die effektive Ausübung des Rechts auf Zugang zu Informationen über den eigenen Gesundheitszustand gebietet die positive Verpflichtung des Besitzers der Akten, dem Betroffenen eine vollständige Abbildung der über seine Person geführten Akten zur Verfügung zu stellen; nur ein vollständiges Doppel versetzt den Betroffenen in die Lage, effektiven Rechtsschutz im Falle einer gerichtlichen Überprüfung zu erlangen und eine verlässliche Kontrolle des Datenbestands zu ermöglichen (so BayObLG, Beschlüsse vom 29.06.2022 – 203 StObWs 171/22 –; vom 31.07.2023 – 203 StObWs 241/23 –, beide unveröffentlicht; KG, Beschluss vom 30.08.2021 – 2 Ws 60/21 Vollz –, juris Rn. 14). Zu Einschränkungen dieses vollumfänglichen Einsichtsrechts können allenfalls gewichtige Belange führen (BayObLG, Beschlüsse vom 29.06.2022 – 203 StObWs 171/22 –; vom 31.07.2023 – 203 StObWs 241/23 –, beide unveröffentlicht; KG, Beschluss vom 30.08.2021 – 2 Ws 60/21 Vollz –, juris Rn. 14; OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.02.2008 – 2 VAs 7/07 –, StV 2008, 308, juris Rn. 14; OLG Hamm, Beschluss vom 23.02.2012 – III-1 Vollz (Ws) 653/11 –, juris Rn. 29), die hier jedoch weder geltend gemacht noch ersichtlich sind.
22
2. Dies zugrunde gelegt steht dem Beschwerdeführer ein Recht auf Aushändigung der von seiner Mittagskost gefertigten Lichtbilder (bzw. von Duplikaten hiervon) zu.
23
a) Darauf, dass diese sich nicht in der für den Beschwerdeführer geführten Gesundheitsakte befinden, kommt es nicht an. Unbestritten ließ die Antragsgegnerin Lichtbilder der Mittagskost des Beschwerdeführers anfertigen, um einen Nachweis dafür zu haben, dass die ihm angebotene Mittagskost der ihm auf ärztliche Anordnung zu gewährenden besonderen Verpflegung entspricht. Die Lichtbilder sind damit geeignet, die nach den stattgefundenen Operationen notwendige Ernährungstherapie zu belegen, so dass sie bereits von ihrer Zweckrichtung her zum notwendigen Bestandteil der Gesundheitsakte des Strafgefangenen werden und damit dem Einsichtsrecht in diese unterliegen.
24
b) Die Antragsgegnerin kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, ein solches Einsichtsrecht ginge zu weit, da der Strafgefangene dann in gleicher Weise auch Argumentationsmuster, Rechercheergebnisse oder sonstige Grundlagen ihrer Stellungnahmen einsehen könne.
25
Die Lichtbilder stellen ein objektives Beweismittel dar, das die Anstalt gerade zum Nachweis einer der ärztlichen Verordnung entsprechenden Ernährungstherapie angefertigt hat, um sie gegebenenfalls selbst in Strafvollzugsverfahren, die diese Thematik betreffen, vorzulegen. Sie unterscheiden sich damit von internen Aufzeichnungen der Bediensteten der Anstalt etwa über Einschätzungen der Person des Strafgefangenen (vgl. hierzu BayObLG, Beschluss vom 01.03.2024 – 203 StObWs 521/23 –, juris Rn. 16) oder über sonstige Umstände, die als Grundlagen ihrer Stellungnahmen dienen. Mit diesem grundsätzlich bestehenden Einsichtsrecht ist umgekehrt keine Pflicht der Antragsgegnerin verbunden, entsprechende Bilder anzufertigen.
26
c) Wie bereits ausgeführt, steht dem Antragsteller hinsichtlich der Gesundheitsakte nicht nur ein Einsichtsrecht, sondern ein Anspruch auf Zurverfügungstellung einer vollständigen Abbildung der über seine Person geführten Akten zu. Dies beinhaltet ein Recht auf Überlassung von Abzügen der vorhandenen Bildaufnahmen.
27
Der Antragsteller hat auch einen nachvollziehbaren Grund hierfür dargelegt. Ein solcher liegt in der Behauptung der Ausgabe nicht der ärztlichen Anordnung entsprechenden Mittagskost und der (beabsichtigten) gerichtlichen Geltendmachung von entsprechenden Rechten gegenüber der Antragsgegnerin sowie der Vorlage bei externen Ärzten. Die Gründe der Waffengleichheit und der Gewährleistung eines hinreichenden Rechtsschutzes gebieten es, dem Strafgefangenen bereits vor der Anhängigmachung entsprechender kostenauslösender Gerichtsverfahren Zugang zu den entsprechenden Beweismitteln zu verschaffen.
28
1. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 und 3 StVollzG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.
29
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 GKG.
30
3. Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 2 StPO, §§ 114, 119 Abs. 1, §§ 120, 121 Abs. 2 ZPO.