Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 10.02.2025 – W 7 K 24.561
Titel:

Ausweisung, tunesischer Staatsangehöriger, familiäre Lebensgemeinschaft

Normenketten:
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 4
Schlagworte:
Ausweisung, tunesischer Staatsangehöriger, familiäre Lebensgemeinschaft
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4102

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
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1. Der Kläger ist tunesischer Staatsangehöriger und wurde am ... 1992 in J. geboren. Kurz vor dem Abitur verließ er in Tunesien die Schule ohne Abschluss und arbeitete dann als Bauhelfer. Im Jahr 2017 reiste er erstmals ins Bundesgebiet ein und beantragte Asyl, nachdem er Tunesien nach eigenen Angaben im Jahr 2014 verlassen und zwischenzeitlich in Italien gelebt hatte. In Tunesien leben nach dem Tod des Vaters seine Mutter und Geschwister.
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Am 28. September 2017 erkannte der Kläger mit Zustimmung seiner deutschen Partnerin vorgeburtlich die Vaterschaft für das von dieser erwartete Kind an. Der gemeinsame Sohn wurde laut Geburtsurkunde, die beide Eltern vermerkt, am ... 2018 geboren. Am ... 2018 heiratete das Paar. In W. lebt außerdem ein Onkel des Klägers.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 6. Oktober 2017 (Az. 7200762 – 285) wurde das Asylverfahren des Klägers negativ abgeschlossen und ihm die Abschiebung nach Tunesien angedroht. Eine dagegen gerichtete Klage nahm der Kläger am 18. Juli 2018 zurück. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe (A 9 K …*) wurde eingestellt.
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Am 22. August 2018 wurde dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt, die zuletzt bis 22. August 2021 verlängert wurde.
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Im September 2020 begann der Kläger eine Ausbildung zum Gas-Wasser-Installateur. Laut Urteil des Landgerichts W. vom 2. Dezember 2021 hat er mehrere tausend Euro Schulden wegen des Erwerbs von Betäubungsmitteln.
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Der Kläger ist im Bundesgebiet wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
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1. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts W. vom 5. Dezember 2017 (Az. 160 Cs 631 Js …*) wurde er wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt. Er hatte alkoholisiert einer anderen Person ins Gesicht geschlagen, wodurch diese einen Knochenbruch der linken Wange und einen Nasenbeinbruch erlitt.
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2. Mit Urteil des Amtsgerichts W. vom 13. November 2019 (Az. 311 Ls 822 Js … wurde der Kläger wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte jeweils zwischen zwei und zehn Gramm Kokain an einen Zwischenhändler verkauft, das er zuvor von einer anderen Person erworben hatte. Im Rahmen der Strafzumessung wies das Urteil auf ein hochkriminelles und professionelles Vorgehen des Klägers hin. Positiv wurde erwähnt, er sei geständig gewesen, habe sich glaubhaft von seiner Drogenvergangenheit distanziert und sei dabei, ein künftiges straffreies Leben zu beginnen.
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3. Mit Urteil des Landgerichts W. vom 2. Dezember 2021 (Az. 8 KLs 822 Js …*) wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Es wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach einem Vollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet. Der Kläger hatte im Wesentlichen gemeinsam mit seinem Großcousin ca. 300 Gramm Kokain beschafft, um es im Großraum Würzburg gewinnbringend zu verkaufen. In einem bei der Telekommunikationsüberwachung mitgeschnittenen Gespräch des Klägers ging dieser von möglichen Gewinnen zwischen 15.000 und 20.000 EUR aus.
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Mit Schreiben vom 21. Januar 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, angesichts der Straftat unter 2) könne seine Ausweisung aus der Bundesrepublik bereits jetzt gerechtfertigt werden. Davon werde allerdings zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit Ehefrau und Kind abgesehen. Bei nochmaliger Straffälligkeit müsse er mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen rechnen.
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Ab 3. Mai 2021 befand sich der Kläger wegen der unter laufender Bewährung begangenen Straftat unter 3. in Untersuchungshaft, die in die Strafhaft mündete. Am 14. September 2023 wurde er zum Maßregelvollzug ins Bezirkskrankenhaus entlassen.
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Laut Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt vom 28. September 2023 habe sich der Kläger natürlich, friedlich, freundlich und höflich verhalten. Er habe über seine Tat nicht gesprochen und sei zuletzt als Hausarbeiter tätig gewesen. Das habe er gewissenhaft und ordentlich gemacht. Für Mitgefangene habe er Dolmetschertätigkeiten übernommen. Zweimal sei in seinem Haftraum ein unerlaubtes Mobiltelefon gefunden worden. Er habe sieben Termine bei der Suchtberatung im Haus wahrgenommen. Von seiner Ehefrau und seinem Sohn habe er Besuch erhalten, mit der Ehefrau und seiner Mutter in Tunesien telefoniere er auch regelmäßig.
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Laut Stellungnahme des Jugendamts vom 25. September 2023 bestehe ein guter Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Sohn. Seit Haftantritt habe es zwar nur zweimal persönlichen Kontakt gegeben, aber telefonischen Austausch. In Zukunft seien wöchentliche Besuche geplant. Dies sei nun nach der Verlegung in die Forensik gestattet, der erste Besuch stehe unmittelbar bevor. Das Kind frage oft nach dem Kläger und weine häufig. Die Eltern hätten ihm von der Haft nichts erzählt und würden ihm sagen, der Vater arbeite. Das Sorgerecht sei weiterhin geteilt, die Ehefrau des Klägers sei von diesem für die Dauer der Haftzeit bevollmächtigt worden.
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Laut Berichten des Bezirkskrankenhauses vom 24. Januar 2024, vom 27. Mai 2024, vom 18. Juli 2024 und vom 19. Dezember 2024 habe der Kläger in der Zwischenzeit die maximal mögliche wöchentliche Besuchszeit für Besuche durch seine Ehefrau und den Sohn genutzt. Zur Suchtmittelanamnese wird insbesondere ein zuletzt, im Jahr 2021, täglicher Kokainkonsum angegeben, wobei der Kläger erstmals im Alter von 20 Jahren konsumiert habe. Als gravierender Verstoß gegen die Stationsordnung wird ein Handyfund im Oktober 2023 festgehalten, danach habe es keine weiteren Vorfälle mehr gegeben. Der Kläger sei therapiemotiviert, zeige sich ruhig, adäquat und kooperativ. Es habe ein adäquater Umgang mit der Belastung durch die drohende Abschiebung gefunden werden können. Er habe den Schulunterricht besucht, habe dort insbesondere seine Deutschkenntnisse deutlich ausgebaut, und schließlich als besonderes Erfolgserlebnis die Mittlere Reife-Prüfung bestanden. Er arbeite in der Holzwerkstatt. Nachdem ein für die Lockerungsstufe D1 eigentlich erforderliches externes Beschäftigungsverhältnis an der fehlenden Arbeitserlaubnis gescheitert sei, habe man dem Kläger hierzu ausnahmsweise die Erprobung in der Holzwerkstatt und auf diese Weise den Fortlauf der Lockerungsstufen ermöglicht. Suchtmittelrückfälle oder Entweichungstendenzen habe es nicht gegeben. Es gebe auch keine Anzeichen für erhöhten Suchtdruck trotz der Belastung durch die drohende Abschiebung. Der Therapieverlauf wird zuletzt als sehr positiv beschrieben. Es wird auf gut funktionierende Selbstregulationsstrategien, auch bei negativen Nachrichten, etwa zur Arbeitserlaubnis und der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts, und ein adäquates Kontaktverhalten im Austausch mit der Familie und mit Stationspersonal hingewiesen. Es bedürfe weiterer Erprobung mit sukzessiven Freiheitsgraden, die Fortdauer der Maßregel sei empfehlenswert. Auf Nachfrage der Beklagten teilte das Bezirkskrankenhaus mit Schreiben vom 21. Januar 2025 mit, man gehe von einer geringen Wahrscheinlichkeit von Suchtmittelrückfällen des Klägers und damit zusammenhängender Reaktivierung kriminellen Verhaltens und somit von einer positiven Legalprognose aus. Zur Begründung wurden ein gutes Verständnis des Klägers für rückfallpräventive Maßnahmen, der gute soziale Empfangsraum durch Ehefrau, Sohn und Schwiegereltern sowie die Zusage seines Ausbildungsbetriebs, die vor der Haft begonnene Ausbildung fortzusetzen, aufgeführt.
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Am 19. Juli 2024 erwarb der Kläger den mittleren Schulabschluss.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 16. August 2024 wurde der Aufenthalt des Klägers auf das Gebiet des Landkreises … beschränkt.
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Mit Schreiben vom 18. Juli 2024 teilte das Bezirkskrankenhaus der Beklagten mit, die Aufnahme einer externen Arbeitstätigkeit durch den Kläger sei im derzeitigen Therapieverlauf unerlässlich. Am 27. Juli 2024 ließ der Kläger einen entsprechenden Antrag stellen. Am 13. September 2024 wurde der Antrag bzgl. einer Beschäftigung bei … … konkretisiert. Mit zwei Schreiben vom 17. Oktober 2024 und dem Folgetag wurde der Kläger zur beabsichtigten Ablehnung dieses Antrags wegen Vorliegens eines atypischen Sachverhalts durch seine Straffälligkeit angehört.
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In einer Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 15. Oktober 2024 an die Staatsanwaltschaft W. wird das Interesse der Klinik an der erfolgversprechenden Maßregeltherapie betont. Die ausstehende Genehmigung der Beklagten für ein zugesagtes Arbeitsverhältnis sei für die weitere Erprobung bedeutsam. Der glaubhafte Wunsch, für den Sohn zu sorgen, und der Erwerb des mittleren Schulabschlusses seien prognostisch positiv. In einer weiteren Stellungnahme vom 30. Dezember 2024 an die Beklagte betonte das Bezirkskrankenhaus, es sei unerlässlich, dass der Kläger sich im Einklang mit Stufenplan und Therapieprogramm in höheren Freiheitsgraden erprobe. Es habe bislang keine Substanzmittelrückfälle und einen guten therapeutischen Fortschritt gegeben. Die Aufenthaltsbeschränkung solle zumindest auf das Stadtgebiet W. erweitert werden und eine Arbeitsgenehmigung solle erteilt werden, sodass der Kläger bei seiner Familie übernachten, Verantwortung für seinen Sohn übernehmen und sein vor der Haft begonnenes Ausbildungsverhältnis wiederaufnehmen könne. Anderenfalls sei der Therapiefortschritt strukturell gefährdet.
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Mit Schreiben vom 4. Dezember 2024 betonte das Bezirkskrankenhaus gegenüber der Beklagten die Wichtigkeit der Erweiterung des Aufenthaltsgebiets des Klägers. Dieser befinde sich in der letzten Phase der Behandlung (Lockerungsstufe D1 und später D2). Es sei nun die externe Erprobung erforderlich, zunächst durch Übernachtungsbeurlaubungen, später Probewohnen bis zur endgültigen Entlassung. Dazu sei es erforderlich, den Kläger bei seiner Familie wohnen zu lassen, anderenfalls seien die Therapieerfolge gefährdet. Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft liege vor. Mit Schreiben vom 20. Januar 2025 wiederholte das Bezirkskrankenhaus den Lockerungswunsch.
21
Mit Beschluss des Landgerichts Würzburg – Strafvollstreckungskammer – vom 6. März 2024 (Az. 1 StVK …*) wurde die Fortdauer der Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet. Die Klinik und die Staatsanwaltschaft hätten sich für die Fortdauer ausgesprochen. Eine Aussetzung des Vollzugs der weiteren Unterbringung sei aus Sicht des Gerichts noch nicht zu verantworten. Die Therapieziele seien noch nicht erreicht, eine positive Legalprognose noch nicht möglich. Der Kläger sei weiterhin therapiemotiviert, der Maßregelvollzug erfolgversprechend. Mit weiterem Beschluss vom 21. August 2024 wurde die Fortdauer der Unterbringung erneut angeordnet und die Überprüfung bis zum 20. Februar 2025 festgesetzt. Das Therapieziel sei noch nicht erreicht und die Erprobung in höheren Freiheitsgraden weiterhin erfolgversprechend.
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2. Mit Schreiben vom 7. März 2023 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Beklagte seine Ausweisung beabsichtige. Er ließ mit Stellungnahmen vom 21. März 2023 und vom 27. April 2023 mitteilen, sein Ausbildungsverhältnis sei zwar beendet, könne aber nach der Therapie wieder aufgenommen werden. Er habe bis zur Inhaftierung mit seiner Familie zusammengelebt, es bestehe eine gewachsene und enge Bindung. Seine Ehefrau besuche ihn regelmäßig in der JVA. Ins Heimatland habe er keine Beziehungen mehr. Daher sei von einer Abschiebung abzusehen. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht mehr, weil die Suchterkrankung des Klägers nun therapiert werde. Das Landgericht habe die Erfolgsaussichten einer Therapie bejaht. Schon im Hinblick auf Art. 6 GG sei eine Ausweisung rechtswidrig.
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3. Mit Bescheid vom 29. Februar 2024, dem Kläger am 5. März 2024 zugestellt, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den gesamten Schengen-Raum auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise oder Abschiebung verhängt (Ziffer 2) und dem Kläger die Abschiebung nach Tunesien oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rücknahme verpflichteten Staat unmittelbar aus der Haft bzw. dem Maßregelvollzug angedroht (Ziffer 3). Im Fall der Entlassung aus der Haft wurde eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt, anderenfalls ebenfalls die Abschiebung nach Tunesien angedroht (Ziffer 4). Es wurde auf die Kostenpflicht des Klägers bzgl. einer Abschiebung und die Kostenfreiheit des Bescheids hingewiesen (Ziffern 5 und 6).
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In den Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, Rechtsgrundlage der Ausweisung sei § 53 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung, was sich an seinen strafrechtlichen Verurteilungen zeige. Die letzten beiden Verurteilungen begründeten ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Die Ausweisung sei spezialpräventiv angezeigt. Der Kläger habe kurz nach seiner Einreise ins Bundesgebiet mit der Begehung von Straftaten begonnen. Im Jahr 2020 sei er ausländerrechtlich verwarnt worden und habe dennoch weitere Straftaten begangen. Daher sei von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen. Es handele sich bei Kokain um eine „harte“ Drohe, mit der der Kläger fortlaufend und in erheblichem Umfang gehandelt habe. An der Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität bestehe ein gesteigertes öffentliches Interesse, das auch durch Art. 83 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck komme. Auch in der JVA und im Bezirkskrankenhaus habe sich der Kläger nicht völlig regelkonform verhalten, sondern Mobiltelefone besessen. Mit seiner Familie habe er auch legal telefonieren können, sodass davon ausgegangen werde, er habe Gespräche mit strafbarem Inhalt führen wollen. Hinzu würden die Verschuldung und die hohe Rückfallgefahr bei Rauschgifttätern treten. Der Kläger habe keine Therapie abgeschlossen und sich nicht in Freiheit bewährt. Seine Familie habe ihn in der Vergangenheit nicht von der Begehung von Straftaten abgehalten. Zudem könne die Ausweisung generalpräventive Abschreckungswirkung entfalten.
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Dem stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber, weil der Kläger vor seiner Inhaftierung mit seiner deutschen Frau und dem deutschen Kind in ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt habe. Aufgrund der Inhaftierung werde sich die Beziehung zu seiner Familie aber auch in Zukunft auf eher seltene Besuchskontakte beschränken. Seit der Sohn drei Jahre und drei Monate alt sei, wirke der Kläger an der Erziehung nicht mehr mit. Der Sohn könne sich an das Zusammenleben mittlerweile wahrscheinlich nicht mehr oder kaum noch erinnern. Dass das Jugendamt auf Grundlage der Angaben der Mutter von einem guten Verhältnis ausgehe, sei kein Indikator für den weiteren Verlauf nach der Haft. Denn bei den seltenen Besuchen sei der Kläger mangels Alternative zwangsläufig mit ganzer Aufmerksamkeit bei seinem Sohn. Es sei dem Kindeswohl auch nicht zuträglich, über seinen Vater frühzeitig in Kontakt mit der Rauschgiftszene zu kommen. Noch vor dem Landgericht habe die Ehefrau des Klägers gesagt, dieser sei ein schlechter Vater gewesen. Dass diese nun gegenüber dem Jugendamt gesagt habe, der Kläger habe sich auch vor der Haft häufig um das Kind gekümmert, werde als Versuch gewertet, einer Aufenthaltsbeendigung entgegenzuwirken. Zudem könne der Kläger nach Ablauf der Wiedereinreisesperre sein Kind wiedersehen, in der Zwischenzeit könnten ihm gelegentliche Betretenserlaubnisse erteilt werden und er könne mit seinem Kind telefonieren, wodurch die Verhältnismäßigkeit abgesichert werde. Die vorgebrachte Möglichkeit, seine Ausbildung wiederaufzunehmen, sei zwar erfreulich, allerdings sei ein eher geringes Ausbildungsgehalt zu erwarten, das den Kläger auch in der Vergangenheit nicht von der Begehung von Straftaten abgehalten habe. Dass der Bevollmächtigte des Klägers vortrage, dieser habe keine Kontakte mehr ins Heimatland, könne angesichts der Aktenlage nicht nachvollzogen werden. In Tunesien lebten die Mutter, die Schwestern und weitere Verwandte des Klägers. Mit der Mutter hätten von der JVA aus Telefongespräche stattgefunden. Eine Ausreise sei dem Kläger, der Tunesien im Alter von ca. 20 Jahren verlassen habe, zumutbar. Es lasse sich auch nicht sämtliches Fehlverhalten des Klägers auf die Abhängigkeitsproblematik schieben. Das Strafgericht habe einen gelegentlichen bis regelmäßigen Kokainkonsum festgestellt, habe den Angaben des Klägers zur massiven Intensität seines Suchtdrucks aber keinen Glauben geschenkt und diese als Übertreibung im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 64 StGB eingeordnet. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger selbst bei Erfolg einer Therapie, in abstinenten Zeiträumen, wieder Straftaten begehen werde. Angesichts der Straftaten sei beim Kläger keine fortdauernde Sozialisation in das legale gesellschaftliche Leben erfolgt, sodass sich die Verbindung zur Bundesrepublik nicht unlösbar verfestigt habe.
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In Anbetracht des gewichtigen Ausweisungsinteresses seien dem Kläger auch schwerwiegende Folgen zuzumuten. Eine Abwägung führe zum Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts. Es gebe kein milderes Mittel, mit dem Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und ein Eingriff in höchste Rechtsgüter der Opfer verhindert werden könnten. Insbesondere sei der Rauschgifthandel ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem, das die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger gefährde. Dies komme auch in der hohen Strafe zum Ausdruck. Zudem bestehe eine hohe Rückfallgefahr, die auch nicht von der derzeitigen Abstinenz im Maßregelvollzug dauerhaft beseitigt werde. Der Kläger sei nicht fähig und willens gewesen, sich in die hiesige Gesellschaftsordnung zu integrieren. Mit seiner Familie könne er durch verschiedene Kommunikationsmittel Kontakt halten, eine Rückkehr nach Tunesien sei dem Kläger zumutbar.
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Das Einreise- und Aufenthaltsverbot stütze sich auf § 11 Abs. 1, Abs. 5 AufenthG. Die Fristlänge von sieben Jahren sei angemessen. Angesichts der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren sei ein Überschreiten der Fünfjahresfrist zur Gefahrenabwehr erforderlich. Denn es bestehe weiterhin eine ganz erhebliche Wiederholungsgefahr im Hinblick auf erhebliche Straftaten. In Anbetracht dieser Taten erachte man sogar eine Befristung auf acht Jahre für erforderlich zur Gefahrenabwehr, die allerdings wegen der familiären Situation des Klägers auf sieben Jahre herabgesetzt werde. Eine Verkürzung in der Zukunft, wenn sich der Sachverhalt zugunsten des Klägers ändere, sei außerdem denkbar, insbesondere nach nachweislichem Abschluss einer Drogentherapie. Die Überwachung der Ausreise sei nach § 58 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4 und 5 AufenthG erforderlich. Es werde eine Ausreisefrist von einer Woche nach der Entlassung gewährt.
II.
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Gegen den Bescheid vom 29. Februar 2024 erhob der Kläger am 5. April 2024 Klage und beantragt zuletzt,
Der Bescheid der Stadt W. vom 29. Februar 2024, in der Fassung vom 10. Februar 2025, (Az.: AA/SG/ …*) wird aufgehoben.
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Zur Klagebegründung wird insbesondere vorgetragen, das weitestgehend regelkonforme Verhalten des Klägers in der Haft sei nicht Ausdruck eines taktischen Verhaltens, sondern verdeutliche dessen Willen, sich an Regeln und Gesetze zu halten. Mobiltelefone habe der Kläger besessen, um Kontakt mit seiner Familie zu halten. Denn die erlaubten Kommunikationswege in Haft seien erheblich eingeschränkt. Der Kläger habe regelmäßigen Kontakt zu Frau und Kind, die Ehe bestehe fort. Über Erziehungsfragen entscheide das Paar gemeinsam. Selbst während einer kurzzeitigen Trennung des Ehepaars im Jahr 2020 habe der Kläger nahezu täglichen Kontakt zu seinem Sohn gehabt. Dass der Sohn sich nun nicht mehr oder kaum noch an den Vater erinnern könne, sei schlichtweg falsch. Der Kläger sei mit Sicherheit kein perfekter Vater gewesen, aber auch kein schlechter. Er habe nie vor seinem Sohn Drogen konsumiert oder Drogengeschäfte in dessen Anwesenheit abgewickelt. Der Sohn liebe seinen Vater und empfinde eine tiefe Verbundenheit. Die Ausweisung gefährde das Kindeswohl. Die Aussage der Ehefrau des Klägers sei auch nicht taktisch erfolgt, um eine Ausweisung zu verhindern. Die Aussage, der Kläger sei ein schlechter Vater gewesen, sei im Strafprozess in Bezug auf die Drogenproblematik gefallen. Auch dort habe sie im Übrigen ausgeführt, der Kläger habe sich durchaus liebevoll um seinen Sohn gekümmert. Der Tod seines Vaters und der damit einhergehende Betäubungsmittelkonsum seien schon jetzt Gegenstand der Therapie gewesen und würden weiter aufgearbeitet. Der Kläger schiebe sein Verhalten auch nicht allein auf seine Abhängigkeit. Es sei aber so, dass kausal für die Straftaten die Abhängigkeit sei. Dass der Kläger auch in abstinenten Zeiten Straftaten begangen habe, sei eine unbelegte Vermutung. Außerdem sei ein Antrag des Klägers auf eine Beschäftigungserlaubnis von der Beklagten nicht bearbeitet worden, ebenso wie ein Antrag auf eine vom Bezirkskrankenhaus befürwortete Erweiterung des Aufenthaltsgebiets für die weitere Erprobung aufgrund der familiären Beziehungen in Würzburg. Die Therapie sei nahezu erfolgreich abgeschlossen. Die Gebietsbeschränkung und die fehlende Beschäftigungserlaubnis verhinderten die weitere Erprobung und den vollständigen Therapieabschluss. Zuletzt habe der Kläger mit einer Verlassenserlaubnis an der Einschulung seines Sohnes teilgenommen. Mit der Klageschrift übermittelte der Kläger zahlreiche Fotos, die ihn mit seinem Sohn zeigen.
30
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
31
Zur Begründung wird insbesondere vorgetragen, der letzte Beschluss zur Fortdauer der Maßregel stütze die Ansicht der Beklagten, dass ein Rückfallrisiko bestehe. Dieses würde selbst beim Abschluss der Therapie fortdauern. Dass der Kläger unerlaubt ein Telefon besessen habe, sei trotz möglicherweise strikter Regelungen der Justizvollzugsanstalten als Verstoß zu werten. Die Beklagte habe nicht behauptet, dass sich der Sohn des Klägers nicht an seinen Vater erinnere. Im Bescheid sei es um Erinnerungen an die Situation des familiären Zusammenlebens gegangen, an die sich der Sohn wahrscheinlich nicht mehr oder kaum noch erinnere. Die Beklagte habe auch nicht behauptet, der Kläger habe im Beisein seines Sohnes Drogengeschäfte abgewickelt. Vielmehr sei in der Interessenabwägung die Überlegung angestellt worden, das Kind könne durch den Vater möglicherweise in Kontakt mit der Rauschgiftszene kommen. Die Ehefrau des Klägers habe laut Urteil des Landgerichts angegeben, sie habe den Kläger einmal beim Drogenkonsum zu Hause erwischt. Die Beklagte entnehme dem strafgerichtlichen Urteil, dass die Tat des Klägers nicht allein suchtmotiviert gewesen sei. Es sei keine reine Mutmaßung, dass der Kläger auch in abstinenten Phasen straffällig geworden sei. Bei seiner Festnahme sei ein negatives Drogenscreening durchgeführt worden, der Kläger habe aber Drogen und Bargeld in kleiner Stückelung bei sich gehabt. Auch die inzwischen häufigeren Besuchskontakte und ein angenommenes schützenswertes Vater-Sohn-Verhältnis änderten nichts am Ergebnis der im Bescheid getroffenen Interessenabwägung. Die Geburt seines Kindes sei keine Zäsur im Leben des Klägers gewesen, der auch danach eine Vielzahl von Straftaten begangen habe. Der Kläger befinde sich seit beinahe der Hälfte des Lebens seines Kindes in Haft oder im Maßregelvollzug. Für die Zeit davor sei dem Urteil des Landgerichts zu entnehmen, dass der Kläger immer wieder unter dem Einfluss von Drogen gestanden habe, wenn er nach Hause gekommen sei. Auch in Zukunft sei derzeit zu befürchten, dass er in diesem Zustand Umgang mit seinem Sohn haben werde. Die Trennung von Vater und Sohn sei aktuell ohnehin unvermeidbar, weil ein Therapieende nicht absehbar sei. Dem stehe ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gegenüber, das die Trennung rechtfertige.
III.
32
In der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2025 hat die Beklagte Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids dahingehend abgeändert, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zwei Jahre verkürzt wurde. Diese Befristung wurde unter die Bedingung gestellt, dass der Kläger seine Straf- und Drogenfreiheit zum Ablauf der Frist durch Vorlage einer geeigneten Bescheinigung gegenüber der deutschen Auslandsvertretung nachweist. Bezüglich der Straffreiheit wurde die Vorlage eines aktuellen Führungszeugnisses der tunesischen Behörden verlangt. Andernfalls wurde eine Frist von drei Jahren festgesetzt.
33
Zur Begründung dieser Ermessenentscheidung hat der Beklagtenvertreter angegeben, leitend seien auf der einen Seite die besonders schweren Ausweisungsinteressen gewesen. Diese folgten aus den beiden Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von zwei bzw. sieben Jahren. Auf der anderen Seite sei aber auch die sehr starke familiäre Bindung zu berücksichtigen gewesen.
34
Weiter hat der Beklagtenvertreter den Bescheid in Ziffer 4 geändert. Die Ausreisefrist wurde auf 30 Tage festgesetzt.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

36
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. In interessengerechter Auslegung richtet sie sich gegen die Ziffern 1 bis 4 des Bescheids vom 29. Februar 2024, nicht aber gegen die Hinweise auf die Kostenfreiheit des Bescheids und die Kostenpflicht des Klägers im Fall der Abschiebung unter den Ziffern 5 und 6, die den Kläger mangels Regelungswirkung nicht belasten. Insoweit erweist sich der Bescheid im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
37
Auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO verwiesen. Das Gericht schließt sich dieser aufgrund der nachfolgenden ergänzenden Erwägungen an:
38
1. Die unter Ziffer 1 des Bescheids tenorierte Ausweisung ist rechtmäßig.
39
Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Die besonderen Schutzvorschriften der Abs. 3, 3a, 4 sind auf den Kläger nicht anwendbar.
40
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise (sog. Ausweisungsinteressen) mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet (sog. Bleibeinteressen) ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei steht der Behörde weder hinsichtlich der Gefahrenprognose noch hinsichtlich der Abwägung ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu. Ob sie diese Tatbestandsvoraussetzungen zu Recht angenommen hat, muss das Gericht vielmehr anhand einer eigenständigen Gefahrenprognose sowie einer Abwägung der Ausweisungs- und der Bleibeinteressen im Einzelfall, bezogen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung, überprüfen (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8). Liegen danach die gesetzlichen Voraussetzungen vor, so ergibt sich die Ausweisung als gebundene Rechtsfolge.
41
aa) Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass der Aufenthalt des Klägers zu einer Gefahr i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG führt.
42
Insbesondere hat der Kläger besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Denn er wurde in zwei Fällen zu Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren verurteilt.
43
Mit Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 13. November 2019 wurde der Kläger wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Aussetzung der Vollziehung dieser Freiheitsstrafe zur Bewährung steht der Annahme eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dabei nicht entgegen.
44
Zudem wurde der Kläger mit Urteil des Landgerichts Würzburg vom 2. Dezember 2021 (Az. 8 KLs 822 Js 18702/20) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
45
Ein weiteres Ausweisungsinteresse ergibt sich aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 5. Dezember 2017, in dem gegen den Kläger wegen Körperverletzung eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verhängt wurde. Dieser Verstoß ist im Vergleich mit den vorgenannten Ausweisungsinteressen zwar geringer zu gewichten. Dennoch führt er zu einem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG, nachdem auch dieser Tat weder geringfügig noch – angesichts der weiteren Verurteilungen – vereinzelt geblieben ist.
46
Diese Ausweisungsinteressen sind auch weiterhin aktuell. Die Verurteilungen des Klägers sind weder getilgt noch tilgungsreif (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 34). Auch einen entgegenstehenden Vertrauenstatbestand, der zum Verbrauch des Ausweisungsinteresses führen könnte, hat der Beklagte nicht geschaffen (vgl. BVerwG, U.v. 22.02.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 39). Insbesondere führte die Mitteilung der Beklagten vom 21. Januar 2020, dass von einer Ausweisung angesichts der familiären Situation des Klägers abgesehen werde, nicht zum Verbrauch der Verurteilung vom 13. November 2019. Denn durch die spätere Tat wurde dieses Ausweisungsinteresse wieder aktualisiert.
47
bb) Für die Ausweisung als Mittel der Gefahrenabwehr sprechen hier sowohl Gründe der Spezialprävention (1) als auch der Generalprävention (2).
48
(1) Die Beklagte hat zu Recht angenommen, dass von dem persönlichen Verhalten des Klägers weiterhin eine konkrete Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Begehung weiterer Straftaten und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht.
49
Diese Gefahrenprognose stützt sich insbesondere auf die vom Kläger begangenen und mit den beiden Urteilen vom 13. November 2019 und vom 2. Dezember 2021 geahndeten Taten.
50
Bereits das Urteil aus dem Jahr 2019 weist auf ein hochkriminelles und professionelles Vorgehen des Klägers hin. Positiv wird erwähnt, er sei geständig gewesen, habe sich glaubhaft von seiner Drogenvergangenheit distanziert und sei dabei, ein künftiges straffreies Leben zu beginnen Die im Jahr 2021 abgeurteilte Tat beging der Kläger sodann unter laufender Bewährung aus der Vorverurteilung. Erneut handelte der Kläger mit großen Mengen Kokain. Er ging von möglichen Gewinnen zwischen 15.000 und 20.000 EUR aus. Angesichts der bis heute fortdauernden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach einem Vollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Freiheitsstrafe hatte die in der Vorverurteilung angenommene Distanzierung von der Drogenvergangenheit nicht stattgefunden.
51
Damit hat der Kläger in der Vergangenheit erheblich gegen die geschriebene Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen und durch den Handel mit Kokain insbesondere das hochrangige Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit erheblich gefährdet bzw. verletzt. Der illegale Drogenhandel ist auch ausweislich von Art. 83 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV ein Kriminalitätsbereich, dessen Bekämpfung angesichts der verbreitet grenzüberschreitenden Begehung eine europaweit herausragende Bedeutung zukommt. Dies zugrunde gelegt, genügt für die Annahme einer konkreten Wiederholungsgefahr bereits eine nicht allzu hohe Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls (sog. gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 16; U.v. 3.8.2004 – 1 C 30.02 – juris Rn. 26).
52
Im Rahmen der Gefahrenprognose ist zwar gefahrverringernd einzustellen, dass die Berichte aus dem Maßregelvollzug sehr positiv sind. Der Therapieverlauf wird in der letzten Stellungnahme aus dem Bezirkskrankenhaus vom 19. Dezember 2024 als sehr positiv beschrieben. Der Kläger hat in der Therapie die Mittlere-Reife-Prüfung bestanden und weitreichende Lockerungsstufen erreicht, wobei Verzögerungen nicht seinem Verhalten, sondern Verwaltungsentscheidungen bzgl. seiner Aufenthaltsbeschränkung und Arbeitserlaubnis zugeschrieben werden. Im Schreiben vom 21. Januar 2025 ist die Rede von einer positiven Legalprognose mit geringer Wahrscheinlichkeit von Suchtmittelrückfällen und damit zusammenhängender Reaktivierung kriminellen Verhaltens. Insbesondere werden der stabile soziale Empfangsraum, vor allem die Ehefrau und der Sohn des Klägers, und eine fortbestehende Ausbildungsplatzzusage benannt. Die Therapieziele sind – auch mit Blick auf den Beschluss des Landgerichts W. – Strafvollstreckungskammer – vom 21. August 2024 noch nicht erreicht, die Therapie wird aber auch dort als erfolgversprechend bewertet.
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Auch in Anbetracht dieser positiven Umstände geht das Gericht jedoch im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr aus. Der Kläger hat wiederholt erhebliche Straftaten begangen. Die letzte Tat erfolgte während der laufenden Bewährungszeit aus seiner Vorverurteilung. Zur Überzeugung des Gerichts haben sich die Umstände seitdem nicht derart geändert, dass von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Die insbesondere in der mündlichen Verhandlung glaubhaft betonten engen familiären Bindungen des Klägers an seine Ehefrau und seinen Sohn haben den Kläger auch in der Vergangenheit nicht von der Begehung von Straftaten abgehalten. Selbiges gilt für das fortbestehende Ausbildungsplatzangebot, das das Bezirkskrankenhaus in seiner letzten Stellungnahme hervorhob. Die letzte Straftat hat der Kläger nach der Aufnahme dieses Ausbildungsverhältnisses begangen. Zumindest diese letzte Tat war nach den Feststellungen des Strafgerichts auch nicht ausschließlich suchtbedingt, weshalb ein Vorweg-Vollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt angeordnet wurde. Die bereits deutlich fortgeschrittene rückfallfreie Suchttherapie im Maßregelvollzug kann die Gefahr vor diesem Hintergrund nicht vollständig ausschließen. Zudem konnte sich der Kläger angesichts des fortdauernden Maßregelvollzugs noch nicht in Freiheit bewähren und es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die zu einem Entfallen der Wiederholungsgefahr führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 12.6.2023 – 19 CS 23.708 – juris Rn. 6). Dass Verzögerungen der Therapie – wie der Klägerbevollmächtigte insbesondere in der mündlichen Verhandlung betonte – ihren Grund vielfach in Verwaltungsentscheidungen der Beklagten finden, ist zwar unverkennbar. Die im Rahmen der Prüfung der Ausweisungsverfügung zu beurteilende reale Gefahr besteht allerdings ungeachtet dieser Gründe fort. Auch zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich im Falle des Klägers um eine Wiederholungsgefahr, die geringer einzuschätzen ist als in vergleichbaren Fällen. Vor diesem Hintergrund besteht auch kein genereller Dissens mit der positiven Legalprognose aus dem Bezirkskrankenhaus. Der Maßstab für eine Bewertung der ausweisungsrechtlichen Wiederholungsgefahr weicht aber von demjenigen aus dem Maßregelvollzug ab, insbesondere angesichts der schwerwiegenden Betäubungsmittelstraftaten. Hier genügt bereits eine geringere Wiederholungsgefahr, die auch das Bezirkskrankenhaus in seinem Schreiben vom 21. Januar 2025 nicht ausschließen kann.
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(2) Gleichzeitig sieht die Kammer unabhängig von der Wiederholungsgefahr auch die Voraussetzungen einer generalpräventiven Ausweisung als gegeben an. Denn insbesondere erhebliche Straftaten im Betäubungsmittelbereich mit zahlreichen involvierten Abnehmern und hier außerdem in Kooperation mit dem Großcousin des Klägers, sollten eine ausländerrechtliche Reaktion nach sich ziehen, um andere von der Begehung vergleichbarer Delikte abzuhalten (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand: 1.7.2024, § 53 AufenthG Rn. 29a). Eine gesteigerte Außenwirkung mit zahlreichen Abnehmern geht insbesondere aus dem Urteil aus dem Jahr 2019 hervor.
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Das Ausweisungsinteresse ist auch weiterhin aktuell. Die Höchstgrenze für die Aktualität einer generalpräventiven Ausweisung ist noch nicht überschritten. Diese orientiert sich an §§ 78c Abs. 3 Satz 2, 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB und sieht daher für das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Aktualität von maximal vierzig Jahren ab der Beendigung der Tat vor (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 18 ff.). Diese – angesichts der Anwendbarkeit des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe gemäß § 38 Abs. 2 StGB sehr lange – Frist ist offenkundig noch nicht verstrichen, sodass weiterhin von der Aktualität des Ausweisungsinteresses ausgegangen werden muss.
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cc) Diesen besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen besonders schwerwiegende Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 und Var. 2 AufenthG gegenüber. Der Kläger lebt in familiärer Gemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und übt die Personensorge für seinen deutschen Sohn aus. Dass der Kläger nun seit Längerem in Haft bzw. im Maßregelvollzug untergebracht ist, ändert daran nichts. Eine häusliche Gemeinschaft bestand unmittelbar vor Haftantritt, die Ehe besteht fort und es erfolgen – wie auch in der mündlichen Verhandlung geschildert – zahlreiche Besuche im Familienkreis, insbesondere in letzter Zeit zur Einschulung und zum Geburtstag des Sohnes. Der Kläger hat den glaubhaften Wunsch geäußert, nach seiner Haftentlassung wieder bei seiner in der mündlichen Verhandlung ebenfalls anwesenden Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn leben zu wollen. Vom ungeminderten Fortbestand des besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses ist daher – anders als von der Beklagten insbesondere im gerichtlichen Verfahren angedeutet – weiterhin auszugehen (vgl. Fleuß in BeckOK AuslR, Stand: 1.10.2024, § 55 AufenthG Rn. 51).
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Hinzu treten einfache Bleibeinteressen i.S.d. § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG. Gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG sind nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht. Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 13; U.v. 25.7.2017 – 1 C 12.16 – juris Rn. 15; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 20 ff.).
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Hier ist insbesondere zu beachten, dass der Kläger in Deutschland immer wieder berufstätig war und zuletzt – vor dem Haftantritt – eine Ausbildung aufgenommen hatte, die er voraussichtlich wiederaufnehmen könnte. Er hat im Rahmen der Therapie einen Antrag auf Beschäftigung bei … … gestellt, dem aktuell lediglich die Zustimmung der Ausländerbehörde fehlt. In Therapie hat er den mittleren Schulabschluss erworben und insgesamt einen sehr positiven Therapieverlauf erzielt. Auch die guten Deutschkenntnisse des Klägers und weitere Verwandte im Bundesgebiet sind einzustellen.
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dd) Bei der weiter gebotenen Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem entgegenstehenden Bleibeinteresse des Klägers überwiegt allerdings das Ausweisungsinteresse, § 53 Abs. 1 AufenthG. Den besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen zwar ebenfalls besonders schwerwiegende Bleibeinteressen gegenüber. Zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung führen diese allerdings nicht.
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Zwar bedeutet die Ausweisung einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Klägers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG sowie auf Familie gemäß Art. 6 GG.
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Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kläger während seines Aufenthalts im Bundesgebiet Straftaten mit erheblichem Umfang begangen hat und sich deshalb auch während langer Zeiträume – und bis heute – in freiheitsentziehenden Maßnahmen befindet. Seine Ersteinreise in das Bundesgebiet erfolgte im Jahr 2017, seit Mai 2021 befand er sich zunächst in Untersuchungs-, dann in Strafhaft und nun im Maßregelvollzug. Die erste mit Strafbefehl geahndete Tat beging er noch im Jahr seiner Einreise. Diese Einreise erfolgte wegen der bevorstehenden Geburt seines Sohnes. Die seit der Ersteinreise unveränderte familiäre Situation hat den Kläger daher von Anfang an nicht von der Begehung von Straftaten abgehalten.
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Die beiden Straftaten im Bereich des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, die den Anlass für die Ausweisung lieferten, hatten einen enormen, gewerbsmäßigen Umfang erreicht. Daraus und aus der Begehung der zweiten Tat unter laufender Bewährung erklärt sich auch die auffällig hohe Freiheitsstrafe der Letztverurteilung.
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Gleichzeitig ist dem Kläger eine Rückkehr nach Tunesien zumutbar. Dort hielt er sich bis zum Jahr 2014, als er 22 Jahre alt war, auf. Er wurde also überwiegend in Tunesien sozialisiert. Er hat auch weiter Kontakt zu Familienmitgliedern in Tunesien, insbesondere zu seiner Mutter, sodass er dort auf familiäre Strukturen zurückgreifen kann. Dem voll erwerbsfähigen Kläger wird es zur Überzeugung der Kammer möglich sein, sich auch mit deren Hilfe eine Existenz in seinem Heimatland aufzubauen.
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Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Ausweisung einen erheblichen Eingriff in das klägerische Recht auf Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG begründet. Denn angesichts der Stellungnahme des Jugendamtes und des klägerischen Vorbringens insbesondere in der mündlichen Verhandlung wird durch die Ausweisung eine lebendige familiäre Beziehung sehr weitreichend eingeschränkt. Elektronische Kommunikation mit der Familie wird allerdings weiterhin möglich sein, ebenso wie Besuche in Tunesien und Gegenbesuche des Klägers mit Betretenserlaubnissen zu besonderen Anlässen.
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Zum Schluss der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung trotz der ohne Zweifel herausragend gewichtigen Bleibeinteressen gelangt die Kammer dabei insbesondere angesichts der ausländerrechtlichen Verwarnung am 21. Januar 2020 und damit vor Begehung der letzten Straftat des Klägers. Aufenthaltsrechtliche Folgen weiterer Straffälligkeit wurden ihm damals direkt vor Augen geführt. Die kurz danach begangene erneute erhebliche Straftat lässt mildere Mittel als eine Ausweisung zur Gefahrenabwehr unzureichend erscheinen.
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Zusammenfassend steht den besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen die Begehung zweier schwerer Straftaten gegenüber, denen angesichts der zahlreichen Abnehmer eine gesteigerte Öffentlichkeitswirkung zukam. Dahinter müssen die Bleibeinteressen zurücktreten.
67
2. Die unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, in der Fassung nach der Änderung des Bescheides in der mündlichen Verhandlung, begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
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Nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen wurde, gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das gegen den Kläger erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot kann sich mit der Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid auch auf eine gemäß Art. 11 Abs. 1a) der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, ABl. L 348, 98) erforderliche Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie stützen (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 53 ff.; EuGH, U.v. 3.6.2021 – BZ, C-546/19 – juris Rn. 53 ff.).
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Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise beginnt. Diese allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist liegt gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Ermessen der Beklagten, darf aber nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen des § 11 Abs. 5 bis Abs. 5b AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG soll die Frist zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Dabei besteht nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG die Möglichkeit, die Befristungsentscheidung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung zu versehen, insbesondere einer nachweislichen Straffreiheit.
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Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, U.v. 6.3.2014 – 1 C 2.13 – BeckRS 2014, 49495, Rn. 12; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.1 – BeckRS 2012, 56736, Rn. 42).
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Gemessen daran ist die zuletzt vorgenommene Befristung auf zwei Jahre unter der Bedingung zwischenzeitlicher Straf- und Drogenfreiheit nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die aus § 11 AufenthG resultierenden Vorgaben beachtet, das ihr hinsichtlich der Länge der Frist eingeräumte Ermessen erkannt und bei seiner Ausübung weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Der Beklagte stützt die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG zu Recht auf die besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen, die den wesentlichen Ausweisungsanlass lieferten. Die Bleibeinteressen des Klägers, in Form der sehr starken familiären Bindung (s.o.), berücksichtigt die Beklagte dabei hinreichend. Insbesondere hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung angesichts der dort erkennbaren engen familiären Beziehung das Einreise- und Aufenthaltsverbot von zunächst sieben Jahren ganz erheblich verringert und die Ermessenserwägungen dadurch aktuell gehalten. Auch die Bedingung der Straf- und Drogenfreiheit begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist es in Tunesien möglich, ein behördliches Führungszeugnis zu beantragen (https://www.constunmunich.de/Fuehrungszeugnis).
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3. Die Abschiebungsandrohung aus der Haft unter Ziffer 3 des Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie beruht auf §§ 58 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3, 59 Abs. 1 AufenthG. Insbesondere bedarf es nach § 59 Abs. 5 AufenthG im Fall der Abschiebung aus dem Maßregelvollzug keiner Fristsetzung. Auch das Kindeswohl bzw. familiäre Bindungen stehen der Abschiebung nicht nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegen. Zwar ist das möglicherweise vom Gesetzgeber in § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erklärte Opt-Out von der Rückführungsrichtlinie, das ausdrücklich die Entbindung von der Prüfung solcher Belange im Rahmen der Abschiebungsandrohung bei Abschiebungen infolge strafrechtlicher Verurteilungen vorsieht, auf den Kläger in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar (vgl. HessVGH, B.v. 18.3.2024 – 3 B 1784/23 – juris). Die einschneidenden Folgen für das Familienleben des Klägers werden aber – auch unter dem Aspekt des Kindeswohls – von den besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen überwogen (s.o.).
73
4. Für den Fall der Abschiebung nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug wurde nach den Änderungen in der mündlichen Verhandlung eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG festgesetzt, die als Regelfrist keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Der Beklagtenvertreter hat außerdem die Bereitschaft geäußert, beim Auftreten besonderer Umstände auch eine längere Frist zu gewähren.
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5. Aus diesen Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.