Titel:
Erfolgreicher Eilantrag einer Gemeinde gegen eine unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung (offene Erfolgsaussichten)
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 3a S. 1, § 36
Leitsätze:
1. Maßgeblicher Zeitpunkt ist in den Fällen, in denen sich eine Gemeinde gegen eine unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung wendet, grundsätzlich der Zeitpunkt des Genehmigungserlasses. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Beseitigung einer rechtswidrig errichteten Anlage besteht auch für eine in ihrer Planungshoheit betroffenen Gemeinde grundsätzlich nicht, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Gemeinde hat als Hoheitsträger eine stärkere Rechtstellung als ein (privater) Nachbar, sodass sich das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde bezüglich des Erlasses einer Baubeseitigungsverfügung schneller zugunsten einer Gemeinde verengen kann. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufiger Rechtschutz einer Gemeinde gegen eine Baugenehmigung, die unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilt wurde, Einfügen des Vorhabens in die nähere Umgebung mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung zweifelhaft, Interessenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache, Wohnbauvorhaben, Innenbereich, Einfügen, Maß der baulichen Nutzung, verweigertes Einvernehmen, Ersetzung des Einvernehmens, Maße, die nach außen in Erscheinung treten, offene Erfolgsaussichten, Augenschein, Fremdkörper, Interessenabwägung, Anspruch auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten, Ermessensentscheidung, Beseitigungsanordnung, vorläufiger Rechtsschutz
Weiterführende Hinweise:
Red. Anm.: Zu red. Ls. 2+3 s. Busse/Kraus/Decker, 156. EL Dezember 2024, BayBO Art. 76 Rn. 503
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4101
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 2. Dezember 2024 (W 4 K 24.1929) gegen den Bescheid des Landratsamts ... vom 30. Oktober 2024 (Az. 51-602-B-97-2024-1) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine dem Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung zum Umbau und Erweiterung eines bestehenden Wohnhauses zu einem Mehrfamilienhaus mit neun Wohneinheiten.
2
1. Mit Bauantrag vom 25. Januar 2024 beantragte der Beigeladene den Umbau und die Erweiterung eines bestehenden Wohnhauses auf dem Grundstück Fl.Nr. …2/3 der Gemarkung Großheubach zu einem Mehrfamilienhaus mit neun Wohneinheiten. Zugleich beantragte der Beigeladene die Erteilung zweiter Abweichungen. Diese bezogen sich zum einen auf die Abstandsflächen zum südwestlich gelegenen Grundstück mit der Fl.Nr. …9 der Gemarkung Großheubach und zum anderen auf eine Abweichung von Art. 48 BayBO für den bestehenden Gebäudeteil mangels Barrierefreiheit.
3
Das geplante Vorhaben weist eine Breite von 10,50 m am nordwestlichen Ende bzw. 10,25 m am südöstlichen Ende auf sowie eine Gesamtlänge von 22,57 m. Die Höhe des nordwestlichen Gebäudeteils soll 10,50 m, die des südöstlichen Teils 10,19 m betragen. Das Baugrundstück liegt im unbeplanten Innenbereich. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein (faktisches) allgemeines Wohngebiet handelt.
4
Aufgrund Beschlusses seines Gemeinderats vom 12. März 2024 verweigerte der Antragsteller erstmals das gemeindliche Einvernehmen zum geplanten Bauvorhaben, da es sich insbesondere nicht in die nähere Umgebung einfüge. Mit Schreiben des Landratsamts ... vom 27. Juni 2024 wies dieses den Antragsteller darauf hin, dass das Vorhaben nach Auffassung des Landratsamts genehmigungsfähig sei, und der Antragsteller sein Einvernehmen in rechtswidriger Weise versagt habe. Das Landratsamt beabsichtige daher, das versagte Einvernehmen zu ersetzen für den Fall, dass der Antragsteller sein Einvernehmen erneut verweigere. Aufgrund Beschlusses des Gemeinderats des Antragstellers vom 13. August 2024 wurde das gemeindliche Einvernehmen in der Folge aus denselben Gründen erneut verweigert.
5
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2024 erteilte das Landratsamt ... dem Beigeladenen die Genehmigung zum Umbau und zur Erweiterung zu einem Mehrfamilienhaus mit neun Wohneinheiten. Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein, die Anzahl der Wohnungen sei bei dieser Bewertung irrelevant. Eine Abweichung bezüglich der Abstandsfläche habe erteilt werden können, da hier eine atypische Situation vorliege. Denn schon das Bestandsgebäude halte die erforderlichen Grenzabstände nicht ein. Die Erteilung der Abweichung sei jedoch mit nachbarlichen Interessen vereinbar, da die Abstandsflächen nur geringfügig überschritten und dadurch die zugrundeliegenden Schutzgüter nicht nennenswert beeinträchtigt würden. Dies zeige sich auch daran, dass der Wohnfrieden vor Ort seit über 60 Jahren gewahrt sei, trotz der zu geringen Abstandsfläche. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die vorgenannte Baugenehmigung Bezug genommen. Diese ging dem Antragsteller ausweislich des Posteingangsstempels am 4. November 2024 zu.
6
2. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 2. Dezember 2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ der Antragsteller Klage gegen die Baugenehmigung vom 30. Oktober 2024 erheben (W 4 K 24.1929), über die noch nicht entschieden ist. Mit weiterem Schriftsatz vom 10. Dezember 2024 lässt der Antragsteller zudem sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 2. Dezember 2024 gegen den Bescheid des Landratsamts ... vom 30. Oktober 2024 anzuordnen.
7
Begründet wurde der Antrag im Wesentlichen damit, dass die Baugenehmigung rechtswidrig sei, da das gemeindliche Einvernehmen in rechtswidriger Weise ersetzt worden sei, wodurch die gemeindliche Planungshoheit des Antragstellers verletzt werde. Das Vorhaben verstoße gegen Bauplanungsrecht, da es sich hinsichtlich des Maß der baulichen Nutzung und der überbauten Grundstücksfläche nicht in die nähere Umgebung einfüge. Die geplante Länge des Gebäudes von rund 23 m gehe über den Rahmen dessen hinaus, was in der näheren Umgebung vorzufinden sei. Nur die gewerbliche Halle auf dem Grundstück „… … …“ sei länger, diese befinde sich jedoch auf dem rückwärtigen Teil des Grundstücks und trete daher kaum in Erscheinung. Hinsichtlich der überbauten Grundstücksfläche weise das Vorhaben eine GRZ von 0,66 auf, überschreite auch insoweit den Rahmen des vor Ort gegeben und füge sich somit nicht ein.
8
3. Mit Schriftsatz des Landratsamts ... vom 19. Dezember 2024 beantragt der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
9
Zur Begründung trägt das Landratsamt im Wesentlichen vor, dass die angefochtene Baugenehmigung rechtmäßig sei, das gemeindliche Einvernehmen zu Recht ersetzt worden sei und der Antragssteller somit nicht in seinen Rechten verletzt werde. Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein, da gerade im „S. weg“ durchgängig zweigeschossige Wohngebäude vorhanden seien. Die überbaute Grundstücksfläche sei auf anderen Grundstücken in der Nähe (Fl.Nrn. …0, …7 und …3/2) größer, das bloße Abstellen auf Kennzahlen wie der Grundflächenzahl (GRZ) oder der Geschossflächenzahl (GFZ) sei nicht aussagekräftig. Auch die Anzahl der geplanten Wohnungen habe bezüglich der Bewertung des Einfügens in die nähere Umgebung keine Bedeutung. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei nicht erkennbar. Ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht liege ebenfalls nicht vor, da insoweit in rechtmäßiger Weise eine Abweichung habe erteilt werden können. Unabhängig davon könne sich die Gemeinde nicht auf einen etwaigen Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht berufen. Zusammenfassend sei festzustellen, dass der Beigeladene einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung habe, so dass diese unter Ersetzung des rechtswidrig verweigerten gemeindlichen Einvernehmens zu erteilen war.
10
4. Der mit Beschluss vom 10. Dezember 2024 beigeladene Bauherr hat sich bislang weder geäußert noch einen Sachantrag gestellt.
11
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in den Verfahren W 4 K 24.1929, W 4 K 24.1927 und W 4 S 24.1928 (die beiden letztgenannten Aktenzeichen gehören zum Klage- und Antragsverfahren eines Nachbarn) sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
12
Der Antrag ist zulässig und begründet.
13
1. Der Antragsteller ist analog § 42 Abs. 2 VwGO im Verfahren gem. § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO antragsbefugt.
14
Eine Standortgemeinde kann sich als Dritte im Verfahren gem. § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn sich diese auf die Verletzung einer Norm berufen kann, die gerade ihrem Schutz zu dienen bestimmt ist. Vorliegend erscheint es möglich, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung im Widerspruch zu § 34 BauGB steht, sodass das gemeindliche Einvernehmen gem. § 36 BauGB unter Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit ersetzt worden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2020 – 15 CS 20.1512 – juris Rn. 30).
15
Im Rahmen des Verfahrens nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind maßgeblich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, wenngleich nicht alleiniges Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben, so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
16
Maßgeblicher Zeitpunkt ist in den Fällen, in denen sich eine Gemeinde gegen eine unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung wendet, grundsätzlich der Zeitpunkt des Genehmigungserlasses (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 4.10.2024 – 9 CS 24.545 – juris Rn. 18).
17
2. Nach der im vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage hat die Kammer Zweifel daran, dass sich das Vorhaben des Beigeladenen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt. Die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren sind insoweit zumindest als offen zu betrachten.
18
2.1. Maßgeblich für die bauplanungsrechtliche Beurteilung ist hier § 34 BauGB, da das Baugrundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles liegt, ein Bebauungsplan aber nicht vorliegt. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles zulässig, wenn es sich hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
19
Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich hinsichtlich dieser vier Kriterien innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben kann ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn es trotz einer Überschreitung keine städtebaulichen Spannungen hervorruft (vgl. hierzu etwa BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369 ff.; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17).
20
Als nähere Umgebung i.S. des § 34 Abs. 1 BauGB ist dabei der Bereich anzusehen, innerhalb dessen sich einerseits das Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirkt. Die Grenzen sind dabei nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen. Zudem ist die nähere Umgebung für jedes der Merkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesondert zu ermitteln, weil die wechselseitige Prägung unterschiedlich weit reichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369 ff.; BayVGH, U.v. 24.11.2010 – 9 B 10.363 – juris m.w.N.).
21
2.2. Maßgeblich für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17; aus der Literatur siehe etwa Dürr in Brügelmann, BauGB, Stand: 10/2024, § 34 Rn. 63; Söfker/Hellriegel in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 8/2024, § 34 Rn. 40).
22
Hinsichtlich der näheren Umgebung hat das Landratsamt vorliegend einheitlich auf die Bebauung an den Straßenzügen „… …“ und „…weg“, an deren Kreuzung das Baugrundstück liegt, abgestellt (vgl. S. 3 des streitgegenständlichen Bescheids). Unklar bleibt insoweit aber bereits, wie weit das Landratsamt hier die maßgeblich nähere Umgebung konkret zieht, da insbesondere der …weg auf Höhe der Hausnummer …, also rund 85 m südöstlich des geplanten Wohnhauses, noch mehrere hundert Meter weiter südöstlich weiterverläuft.
23
Unklar bleibt hierbei insbesondere, ob das Landratsamt das Gebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. …5/2 der Gemarkung G. hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung noch mit in die insoweit relevante nähere Umgebung miteinbezogen hat. Berücksichtigt man diesbezüglich weiter, dass die südöstliche Ecke des geplanten Vorhabens rund 90 m von der südwestlichen Gebäudeecke auf dem Grundstück Fl.Nr. …5/2 entfernt ist und dieses, zugegeben sehr voluminöse Gebäude, vom Baugrundstück aus kaum mehr wahrzunehmen ist (vgl. hierzu goolge street view bzw. google maps), so erscheint es zweifelhaft, ob sich die dort vorhandene Bebauung noch prägend auf das Baugrundstück auswirkt. Abschließend kann diese Frage allerdings nur im Rahmen eines Augenscheins geklärt werden.
24
Ebenfalls erst im Rahmen eines Augenscheins kann die hier mitentscheidungserhebliche Frage geklärt werden, ob die gewerbliche Halle auf dem östlich vom Baugrundstück gelegenen Grundstück Fl.Nr. …7 der Gemarkung G. , die eine sehr große Grundfläche aufweist, die nähere Umgebung überhaupt maßgeblich prägt. Denn da es sich insoweit um eine gewerbliche Halle handelt, die sonstige Umgebung aber vor allem durch Wohnhäuser geprägt ist, spricht einiges dafür, dass es sich bei dieser Halle um einen sog. „Fremdkörper“ handelt, der bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung unberücksichtigt bleiben müsste (vgl. hierzu etwa BVerwG, U.v. 7.12.2006 – 4 C 11/05 – juris Rn. 9; Söfker/Hellriegel in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 8/2024, § 34 Rn. 37; Dürr in Brügelmann, BauGB, Stand: 10/2024, § 34 Rn. 41 f.).
25
Unabhängig davon ist diese Halle wohl nur eingeschossig und somit nicht annähernd so hoch wie das geplante Vorhaben des Beigeladenen (vgl. hierzu die Ansicht auf google street view via google maps, Blickrichtung vom „…weg“ in nordöstliche Richtung zwischen den Anwesen …weg … und **). Die Halle dürfte damit nicht ansatzweise so nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten, wie dies beim Bauvorhaben des Klägers der Fall wäre.
26
Gleiches gilt schließlich für die Bebauung auf dem nordwestlich vom Baugrundstück gelegenen Grundstück Fl.Nr. …5/1 (. … 21 und 21a) der Gemarkung G. Denn dort wurden zwei Hauptgebäude versetzt hintereinander errichtet, die nur durch einen relativ schmalen Gebäudeteil miteinander verbunden sind (vgl. hierzu die Übersicht auf dem Lageplan, Blatt 1 der elektr. BA, sowie die Übersicht im BayernAtlas plus). Zudem ist das südöstliche, an der Straße „… …“ gelegene Gebäude auf dem vorgenannten Grundstück (. … 21) nur eingeschossig (vgl. hierzu google street view).
27
Das Vorhaben des Beigeladenen soll jedoch nicht nur zwei Vollgeschosse mit einer Höhe von 10,50 m (nordwestlicher Gebäudeteil) bzw. 10,19 m (südöstlicher Teil) und einer Traufhöhe von 6,21 (südwestliche Längsseite) bzw. 6,18 m (nordöstliche Längsseite, vgl. Ansicht Südosten, Blatt 30 der elektr. BA) aufweisen, sondern sich auch auf einer Gesamtlänge von 22,57 m (vgl. hierzu Grundrisse EG und OG, Blatt 7 f. der elektr. BA) erstrecken. Damit kommt dem geplanten Vorhaben, bei dem im Grunde zwei zweigeschossige Wohnhäuser aneinandergebaut werden sollen, ein völlig anderes, größeres Bauvolumen zu.
28
Nach den der Kammer aktuell vorliegenden Unterlagen erscheint es daher zum derzeitigen Zeitpunkt fraglich, ob sich in der insoweit maßgeblichen näheren Umgebung mindestens ein Gebäude befindet, das – bezogen auf seine absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl, Höhe sowie Verhältnis zur umgebenden Freifläche (siehe hierzu nochmals BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17) – vergleichbar groß ist wie das geplante Bauvorhaben des Beigeladenen und dieses sich damit hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung tatsächlich in die nähere Umgebung einfügt.
29
2.3. Sofern sich ein Vorhaben nicht in die nähere Umgebung einfügt, wäre es nur dann genehmigungsfähig, wenn von diesem keine bodenrechtlichen Spannungen ausgingen (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – Ls. 9; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17). Dies dürfte im Hinblick auf die mit dem vorliegenden Vorhaben einhergehende deutlich höhere Bebauungsdichte auf dem im Verhältnis zum geplanten Vorhaben relativ kleinen Baugrundstück (vgl. hierzu etwa die Übersicht im BayernAtlas plus) allerdings zu verneinen sein (vgl. hierzu etwa BVerwG, B.v. 21.6.2007 – 4 B 8/07 – juris Rn. 6). Eine Abweichung nach § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB wurde weder beantragt noch erteilt, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift aufgrund der planabweichenden Errichtung des Bestandsgebäudes (vgl. hierzu die Schriftsätze des Landratsamts vom 23.1.25 und 27.1.2025 im Verfahren W 4 S 24.1928) nicht vorliegen dürften.
30
3. Da zum derzeitigen Zeitpunkt also Zweifel daran bestehen, dass sich das Vorhaben in die nähere Umgebung einfügt und die Kammer dies abschließend erst nach Durchführung eines Augenscheins beurteilen kann, sind die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache somit als zumindest offen zu betrachten.
31
Für den Ausgang des vorliegenden Antrags ist somit eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen.
32
Die Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, das vor Eintritt der Bestandskraft der Baugenehmigung keine zu seinen Lasten gehenden vollendeten Tatsachen geschaffen werden, und dem Interesse des Beigeladenen, möglichst bald von der Genehmigung Gebrauch machen zu können, fällt hier zu Gunsten des Antragstellers aus.
33
Denn im Falle seines Obsiegens im Klageverfahren könnte der Antragsteller die Rückgängigmachung der bis dahin gegebenenfalls geschaffenen vollendeten Tatsachen nur schwer und mit zweifelhafter Aussicht auf Erfolg durchsetzen. Die Anordnung der Beseitigung des gegebenenfalls rechtswidrigen Gebäudes steht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Es ist nicht sicher prognostizierbar, dass das Landratsamt im Falle des Erfolgs der Klage ohne Weiteres die Beseitigung anordnen würde. Es wäre vielmehr möglich, dass der Antragsteller den Rechtsweg bestreiten müsste. Ein Anspruch auf Beseitigung einer rechtswidrig errichteten Anlage besteht aber auch für eine in ihrer Planungshoheit betroffenen Gemeinde grundsätzlich nicht, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 3.11.2000 – 26 ZB 99.2309 – juris Rn. 15; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand 12/2024, Art. 76 Rn. 503).
34
Andererseits wäre es auch nicht im (wirtschaftlichen) Interesse des beigeladenen Bauherrn, müsste er im Falle der Aufhebung seiner Baugenehmigung im Hauptsacheverfahren in der Folge sein bereits umgesetztes Bauvorhaben (teilweise) wieder zurückbauen. Denn eine Gemeinde hat als Hoheitsträger eine stärkere Rechtstellung als ein (privater) Nachbar, so dass sich das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde bezüglich des Erlasses einer Baubeseitigungsverfügung schneller zu Gunsten einer Gemeinde verengen kann (vgl. hierzu ebenfalls BayVGH, B.v. 3.11.2000 – 26 ZB 99.2309 – juris Rn. 15; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand 12/2024, Art. 76 Rn. 503).
35
Ein besonderes Dringlichkeitsinteresse des Beigeladenen, das insbesondere in der Eilbedürftigkeit der Realisierung des Bauvorhabens liegen könnte, oder sonstige irreparable Nachteile (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 12.7.2010 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 40 f.) hat der Beigeladene bislang nicht vorgetragen. Allein der Umstand, dass der zugrundeliegenden Hauptsachklage nach § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt, rechtfertigt ein überwiegendes Vollzugsinteresse des Beigeladenen nicht (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 12.7.20210 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 39).
36
Dem Antrag des Antragstellers war daher stattzugeben.
37
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Beigeladenen keinen Sachantrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
38
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom Juli 2013.