Titel:
Vorläufiger Rechtsschutz, Beseitigungsanordnung, Fliegender Bau, Außenbereich, Öffentliches Interesse am Sofortvollzug
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 35 Abs. 2
BayBO Art. 76 S. 1
BayBO Art. 72 Abs. 1
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, Beseitigungsanordnung, Fliegender Bau, Außenbereich, Öffentliches Interesse am Sofortvollzug
Fundstelle:
BeckRS 2025, 4041
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Baubeseitigungsanordnung des Antragsgegners.
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Der Antragsteller als Eigentümer betreibt auf den Grundstücken FlNrn. 603 und 606/2 Gem. … ein Kfz-Gewerbe. Zum Schutz der abgestellten Fahrzeuge errichtete der Antragsteller zunächst einen Holzunterstand, ohne hierfür im Besitz einer Baugenehmigung zu sein, und beseitige ihn schließlich wieder nach einer Beseitigungsanordnung durch den Antragsgegner vom 5. April 2022. Im Rahmen einer Baukontrolle am 27. August 2024 stellte der Antragsgegner fest, dass der Antragsteller an derselben Stelle die streitgegenständliche, ca. 6,00 m x 16,00 m große Zelthalle aufgebaut hat.
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Nach Anhörung ordnete der Antragsgegner mit streitgegenständlichem Bescheid vom 6. November 2024 (Az. …*) gegenüber dem Antragsteller die Beseitigung der Zelthalle an (Nr. 1 des Bescheids) und drohte für den Fall, dass diese bis zum 31. Dezember 2024 nicht beseitigt sei, ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 € an (Nr. 2 des Bescheids). Die Beseitigungsanordnung unter Nr. 1 wurde für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 3 des Bescheids). Zur Begründung der auf Art. 76 Satz 1 BayBO gestützten Beseitigungsanordnung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass das Vorhaben genehmigungspflichtig sei, jedoch keine Baugenehmigung vorliege. Insbesondere handle es sich bei der Zelthalle nicht um einen fliegenden Bau im Sinne des Art. 72 Abs. 1 BayBO, da der Antragsteller keinen entsprechenden Nutzungswillen habe. Auch sei das Vorhaben nicht genehmigungsfähig, da das Zelt als sonstiges Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich verschiedene öffentliche Belange berühre, § 35 Abs. 2 und 3 BauGB. Die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sei im Hinblick auf das Bestehen eines dringenden öffentlichen Interesses ermessensgerecht. Das öffentliche Interesse folge bereits aus der Verhinderung rechtswidriger Zustände und der Verhinderung einer negativen Vorbild- und Breitenwirkung durch das Vorhaben. Zudem handle es sich um eine Anlage, die ohne großen Aufwand und ohne Substanzverlust ab- und aufgebaut werden könne.
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Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am ... Dezember 2024 Klage (M 1 K 24.7417) erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig hat er beantragt,
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die Aussetzung des sofortigen Vollzugs gemäß Ziffer 3. des Bescheids des Landratsamts … vom 6. November 2024 anzuordnen.
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Bei dem Zelt handle es sich um einen fliegenden Bau, der zumindest für eine gewisse Dauer an einem Ort aufgestellt sein dürfe. Der Antragsteller beabsichtige, das Zelt zeitnah abzubauen und an einem anderen Ort aufzustellen. Zudem sei die Sofortvollzugsanordnung ermessensfehlerhaft, da es für die Begründung nicht ausreichen könne, dass es in der Umgebung eine steigende Anzahl an Schwarzbauten ähnlicher Art und Ausführung gäbe, was ohnehin nicht der Fall sei.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Der Antragsteller habe nicht hinreichend glaubhaft dargelegt, dass er das Zelt als fliegenden Bau nutzen wolle. Allein der Umstand, dass das Zeit weiterhin stünde, sei schon Hinweis genug, dass der Antragsteller seine Absichten bezüglich einer ortsfesten Nutzung nicht geändert habe. Würde nun gegen das an derselben Stelle aufgebaute Zelt kein Sofortvollzug angeordnet werden, könne sich der Antragsteller gegenüber dem gesetzestreuen Bürger einen rechtswidrigen Vorteil verschaffen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem sowie im Hauptsacheverfahren M 1 K 24.7417 Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der Antrag, im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers verstanden als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 09. Dezember 2024 gegen Nr. 1 des Bescheids sowie als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 2 des Bescheids, ist zulässig.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen bzw. wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Zudem bedarf es für den Sofortvollzug eines öffentlichen Interesses oder überwiegenden Interesses eines Beteiligten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
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Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung sowie das angedrohte Zwangsgeld rechtmäßig sind, den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen und dementsprechend die Hauptsache voraussichtlich erfolglos ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die besonderen Voraussetzungen für den Sofortvollzug sind ebenfalls gegeben; ein über das Erlassinteresse der Beseitigungsanordnung hinausgehendes besonderes Vollzugsinteresse ist zu bejahen.
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a. Die Beseitigungsanordnung erweist sich danach als rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Beseitigungsanordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlage angeordnet werden, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
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b. Die Beseitigungsanordnung stellt sich als materiell rechtmäßig dar, da die Zelthallte im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht.
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Eine Errichtung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist nach herrschender Meinung (Busse/Kraus/Decker, BayBO, 156. EL Dezember 2024, Art. 76 Rn. 79 m.w.N.) gegeben, wenn für das Vorhaben weder die erforderliche Baugenehmigung vorliegt (formelle Illegalität), noch das Vorhaben genehmigungsfähig ist (materielle Illegalität).
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aa. Die streitgegenständliche Zelthalle ist formell illegal. Es liegt weder die nach Art. 55 Abs. 1, 2 Abs. 1 BayBO erforderliche Baugenehmigung vor, noch ist das Vorhaben genehmigungsfrei. Insbesondere handelt es sich vorliegend nicht um ein verfahrensfreies Vorhaben im Sinne des Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b BayBO, da sich das Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB befindet. Das Zelt dient auch keinem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB, sondern wird im Rahmen eines Kfz-Betriebs genutzt, sodass sich auch aus Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO keine Verfahrensfreiheit ergibt.
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Das Vorhaben ist auch nicht ausführungsgenehmigungsfrei nach Art. 72 Abs. 3 BayBO. Bei der Zelthalle handelt es sich nämlich nicht um einen fliegenden Bau im Sinne des Art. 72 Abs. 1 BayBO. Zwar sind die objektiven Voraussetzungen eines fliegenden Baus gegeben, da die Zelthalle geeignet ist, an verschiedenen Orten wiederholt auf- und abgebaut zu werden. Aus der Aktenlage ist zudem nicht ersichtlich, dass das Zelt eine dauerhafte und feste Verbindung mit dem Grundstück aufweist. Allerdings fehlt es dem Antragsteller am subjektiven Willen zur ortsveränderlichen Nutzung. Hierzu ist erforderlich, dass der Antragsteller die Absicht hat, das Vorhaben für eine unbestimmte Zahl an Fällen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums an verschiedenen Orten aufzustellen und abzubauen (VGH Mannheim, U.v. 29.1.1982 – 8 S 1291/81 – juris). Es liegt kein fliegender Bau vor, wenn das Vorhaben ohne anderweitige Zwischennutzung immer wieder am selben Ort aufgestellt wird oder über einen nicht von vorneherein eingegrenzten Zeitraum genutzt werden soll. Kommt dieser Wille nicht klar zum Ausdruck oder fehlt er erkennbar, weil das Vorhaben tatsächlich und damit vom Bauherrn gewollt ortsfest genutzt wird, handelt es sich nicht um einen fliegenden Bau nach Art. 72 Abs. 1 Satz 1 (VG Ansbach, U.v. 28.1.2019 – AN 17 K 17.01980 – juris Rn. 23). Eine ortsfeste Nutzung und damit auch ein entsprechender Wille des Bauherrn ist im Regelfall nach einer Standzeit von drei Monaten anzunehmen (Busse/Kraus/Konrad/Kraus, BayBO, 156. EL Dezember 2024, Art. 72 Rn. 11).
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Ein entsprechender Wille des Antragstellers, das Zelt als fliegenden Bau zu nutzen, kann nicht bejaht werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass er das Zelt weiterhin ortsfest nutzen möchte. Der Antragsteller ging laut eigenen Aussagen zunächst davon aus, das Zelt ganzjährig stehen lassen zu können. Im Rahmen seines Vortrags, bei dem Zelt handle es sich um einen fliegenden Bau, drückte er den Willen aus, das Zelt nunmehr nur noch während der Reifenwechselmonate aufgebaut zu lassen und es zwischenzeitlich ab- und anderenorts wiederaufbauen zu wollen. Diesen Willen hat der Antragsteller weder ausdrücklich, noch durch schlüssiges Verhalten verdeutlicht. Das Zelt wurde in den seitdem vergangenen fünf Monaten nicht abgebaut. Es stand auch während des reifenwechselfreien Monats Januar. Allein der vom Antragsteller geplante Zeitraum der Zeltnutzung von Februar bis Mai überdauert die für fliegende Bauten regelmäßig anzusetzende Drei-Monats-Grenze.
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bb. Die Zelthalle ist auch nicht genehmigungsfähig und damit materiell illegal, da sich das Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befindet und dort als sonstiges Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig ist.
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Das Vorhaben ist nicht privilegiert im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB. Insbesondere dient es keinem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, sondern wird im Rahmen des Kfz-Betriebs eingesetzt.
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Damit richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit als sogenanntes sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB. Gemäß § 35 Abs. 2 BauGB ist ein sonstiges Vorhaben im Außenbereich zulässig, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt.
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Vorliegend beeinträchtigt das Vorhaben die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Die Außenbereichslandschaft ist für die naturgegebene Bodennutzung bestimmt und soll grundsätzlich von allen Baulichkeiten freigehalten werden, die nicht unmittelbar ihrem Wesen und ihrer Funktion entsprechen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker/Kment, BauGB, 156. EL September 2024, § 35 Rn. 96 m.w.N.). Das Zelt dient ersichtlich nicht der natürlichen Bodennutzung und ist der Landschaft wesensfremd.
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c. Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung ist gegeben.
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Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung des Sofortvollzugs ein besonderes Vollzugsinteresse erforderlich. Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden (BayVGH, B.v. 23.8.2012 – 15 CS 12.130 – juris Rn. 12). Eine baurechtliche Beseitigungsanordnung ist in aller Regel eine schwerwiegende Maßnahme, deren Vollzug dem Betroffenen Kosten verursacht und nur mehr schwer rückgängig zu machende Zustände schafft. Ihr Gewicht wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung verstärkt, weil dadurch die Entscheidung in der Hauptsache im Kern vorweggenommen wird (BayVGH, B.v. 6.10.2000 – 2 CS 98.2373 – juris Rn. 16). Erforderlich ist deshalb ein besonderes Vollzugsinteresse, das im Falle der Baubeseitigung grundsätzlich nicht mit dem Interesse am Erlass des Bescheids identisch ist und regelmäßig im Hinblick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 80 Abs. 1 und 2 VwGO grundsätzlich zu verneinen sein wird (vgl. Busse/Kraus/Decker, BayBO, 156. EL Dezember 2024, Art. 76 Rn. 333).
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Von dem Grundsatz, dass der Sofortvollzug einer Beseitigungsanordnung die Hauptsache in unangemessener Weise vorwegnimmt, hat die Rechtsprechung jedoch Ausnahmen zugelassen (zum Ganzen: Busse/Kraus/Decker, BayBO, 156. EL Dezember 2024, Art. 76 Rn. 343 m.w.N.). Ein besonderes öffentliches Interesse für die sofortige Beseitigung ist bei einfachen Anlagen, die problemlos und ohne großen Aufwand, vor allem ohne großen Substanzverlust, ab- und ggf. später, sollte sich die Beseitigungsanordnung als rechtswidrig erweisen, wiederaufgebaut werden können, zu bejahen. Denn durch die Beseitigung werden keine endgültigen, nicht wieder umkehrbaren Verhältnisse geschaffen. Damit läuft auch der effektive Rechtsschutz nicht leer (VG München, B.v. 5.3.2024 – M 1 S 23.6211 – juris Rn. 45).
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Vorliegend handelt es sich ausweislich der in den Behördenakten befindlichen Lichtbilder und nach den Angaben des Antragstellers um eine einfache Zelthalle, befestigt mit Heringen, deren Rückbauaufwand gering ist und keine hohen Kosten verursacht. Das Zelt kann nach dem Abbau wiederverwendet werden. Die Anlage kann daher ohne größeren Substanzverlust und ohne Aufwand beseitigt werden.
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Im Übrigen spricht vorliegend einiges dafür, dass die sofortige Beseitigung der Zelthalle auch deshalb im besonderen öffentlichen Interesse liegt, weil sich der Antragsteller mit der Errichtung der Zelthalle faktisch über die bereits im Jahr 2022 verfügte Beseitigungsanordnung bezüglich des Holzüberstandes hinweggesetzt hat (s. hierzu Busse/Kraus/Decker, BayBO, 156. EL Dezember 2024, Art. 76 Rn. 346: einem beharrlichen und notorischen Schwarzbauer könne ohne die sofortige Durchsetzung einer Beseitigung die Rechtswidrigkeit seines Handelns nicht mit Nachdruck vor Augen geführt und nicht nachhaltig der Anreiz genommen werden, sein Verhalten gegebenenfalls fortzusetzen, in diesem Fall dürfe wohl ausnahmsweise auch die Autorität der Behörde ein öffentliches Interesse am Sofortvollzug begründen; s.a. BayVGH, B.v. 9.11.1998 – 2 ZS 98.2043 – juris Rn. 7).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG iVm. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs.