Titel:
Zeitpunkt, auf welchen bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist, Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland (vgl. EuGH vom 19. Dezember 2024, C-123 und 202/23, Rz 77)
Normenkette:
AsylG § 71 a
Schlagworte:
Zeitpunkt, auf welchen bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist, Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland (vgl. EuGH vom 19. Dezember 2024, C-123 und 202/23, Rz 77)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 400
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 15. Januar 2025 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Januar 2025 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung in den Irak.
2
Nach Auskunft der Bundespolizei wurde der Antragsteller, nach seinen Angaben syrischer Staatsangehöriger, am 11. Mai 2022 in der Landeserstaufnahmeeinrichtung … vorstellig. Er sei von Syrien über die Türkei, Italien und Frankreich nach Deutschland gereist. Der Ankunftsnachweis wurde am 7. Juni 2022 ausgestellt.
3
Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Antragsteller in Finnland zweimal als Asylantragsteller erfasst worden war (16. Juli 2015 und 19. Juli 2018).
4
Am 12. Juli 2022 wurde der Asylantrag förmlich gestellt. Dabei gab der Antragsteller u.a. an, ein am ... 1994 geborener, syrischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Irak zu sein.
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Im Rahmen des persönlichen Gesprächs am 12. Juli 2022 gab der Antragsteller u.a. an, der Irak sei sein Herkunftsland und er habe dieses erstmalig am 1. April 2022 verlassen. Am 11. Mai 2022 habe er Deutschland erreicht.
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Nach Ablauf der Überstellungsfrist am 13. Januar 2024 verfügte das Bundesamt am 15. Januar 2024 über den Asylantrag im nationalen Verfahren zu entscheiden.
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Am 1. August 2024 teilte die Republik Finnland mit, dass das finnische Verwaltungsgericht den zweiten Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der finnischen Einwanderungsbehörde am 1. Juli 2022 abgewiesen habe. Die Entscheidung sei am 1. Juli 2022 zugestellt worden, habe aber keine Rechtskraft erlangt.
8
Mit Bescheid vom 7. Januar 2025 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurde festgestellt (Nr. 2). Die Abschiebung wurde unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche angedroht [Irak] (Nr. 3) sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf 30 Monate befristet (Nr. 4).
9
Der Bescheid wurde am 9. Januar 2025 als Einschreiben zur Post gegeben.
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Am 15. Januar 2025 ließ der Antragsteller Klage (RO 13 K 25.30066) erheben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen.
11
Der Antragsteller beantragt sinngemäß:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
12
Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung:
Der Antrag wird abgelehnt.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakten Bezug genommen.
14
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
15
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, der Asylantrag des Antragstellers sei ein unzulässiger Asylzweitantrag, stellt sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig dar. Damit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Januar 2025, d.h. an der Rechtmäßigkeit der in diesem Bescheid enthaltenen Verwaltungsakte.
16
Grundvoraussetzung für die Behandlung eines Asylantrags als Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG ist, dass dieser nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gestellt wurde (vgl. § 71a Abs. 1 AsylG). Im konkreten Fall ist diese Voraussetzung bereits nicht gegeben, denn der Asylantrag in Deutschland wurde spätestens am 7. Juni 2022 gestellt, da dem Antragsteller an diesem Tag der Ankunftsnachweis ausgestellt wurde (vgl. EuGH vom 26. Juli 2017, C-670/16, Rz 103). Die strittige Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist (Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs), wird vom erkennenden Gericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 9. April 2019, RN 13 K 18.31580, juris, Rz 31) in dem Sinne beantwortet, dass auf den Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland abzustellen ist. Diese Rechtsauffassung wurde zwischenzeitlich vom Europäischen Gerichtshof (Urt. vom 19. Dezember 2024, C-123 und 202/23, Rz 77) bestätigt.
17
Das Asylverfahren in Finnland endete frühestens am 1. Juli 2022, d.h. nach der Antragstellung in Deutschland.
18
Da sich die Basis der Abschiebungsandrohung, die Unzulässigkeitsentscheidung, als rechtswidrig darstellt, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in vollem Umfang Erfolg.
Kosten: §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.
19
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).