Titel:
Darlegungsanforderungen im Urteil beim Straftatbestand des Betruges
Normenketten:
StPO § 267 Abs. 1 S. 1
StGB § 263 Abs. 1
Leitsatz:
Auch wenn der Anklagesatz die Tatvorwürfe noch hinreichend bestimmt schildert, ist den Anforderungen an die Beschaffenheit tatrichterlicher Feststellungen durch seine bloße Wiedergabe nicht Genüge getan. Der Tatrichter hat die Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 S. 1 StPO so abzufassen, dass die für erwiesen erachteten Tatsachen angegeben werden, in denen die gesetzlichen objektiven und subjektiven Merkmale des Tatbestandes zu finden sind. Die Verwirklichung des Betrugstatbestandes setzt zunächst voraus, dass der Täter eine andere Person über Tatsachen täuscht und sie durch den so hervorgerufenen Irrtum zu einer vermögensmindernden Verfügung veranlasst. Wer im Einzelfall über das Vermögen irrtumsbedingt verfügt hat, ist konkret festzustellen. (Rn. 9 – 15) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Darstellungsmängel, Tatrichterliche Feststellungen, Betrugstatbestand, Täuschungshandlung, irrtumsbedingte Verfügung, Darlegungsmangel
Vorinstanz:
LG Landshut, Urteil vom 17.10.2024 – 2 NBs 303 Js 8250/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3898
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 17. Oktober 2024 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen.
Gründe
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Das Amtsgericht – Schöffengericht – F. hat den Angeklagten mit Urteil vom 25. Juni 2024 wegen Betrugs in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt sowie die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 17.198,11 Euro angeordnet.
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Die Berufung des Angeklagten hiergegen hat das Landgericht Landshut mit Urteil vom 17. Oktober 2024 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Einziehungsbetrag auf 12.198,11 Euro herabgesetzt wurde.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die er mit der Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts begründet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Stellungnahme vom 10. Februar 2025, die Revision kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen. Die erhobene Verfahrensrüge – eine Inbegriffsrüge nach § 261 StPO – müsse ohne Erfolg bleiben. In sachlich-rechtlicher Hinsicht halte das Berufungsurteil trotz wiederholter Oberflächlichkeiten der Nachprüfung noch stand.
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Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, denn die Urteilsgründe leiden in mehrfacher Hinsicht unter durchgreifenden Darstellungsmängeln. Auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an. Das Urteil ist aufzuheben.
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1. Der Senat hält zunächst die von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen trotz erheblicher Mängel der Anklageschrift vom 14. Juni 2023, die in gleicher Weise dem Eröffnungsbeschluss vom 21. Juli 2023 anhaften, für gerade noch erfüllt, zumindest im Hinblick auf die nach teilweiser Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO verbleibenden Tatvorwürfe (Beschluss vom 25. Juni 2024).
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Anklageschrift, § 200 StPO, und Eröffnungsbeschluss, § 203 StPO, müssen die angeklagten prozessualen Taten im Sinne des § 264 StPO erkennen lassen. Darunter ist das tatsächliche Geschehen im Sinne eines einheitlichen geschichtlichen Vorgangs zu verstehen, der sich von anderen oder gleichartigen unterscheidet (s. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 264 Rn. 2 f.). Der Anklagesatz begegnet unter diesem Gesichtspunkt erheblichen rechtlichen Bedenken. In ihm sind in tabellarischer Form 20 Fälle aufgeführt, die dem Angeklagten als Betrugstaten zur Last gelegt werden. Sowohl die Tathandlungen als auch die sonstigen für die Subsumtion erforderlichen Merkmale sind lediglich dürftig, weitgehend nur stickpunktartig, dargetan. Dies gilt in besonderem Maße für den (tabellarisch als „Nr. 6“ bezeichneten) Fall, in dem die Tathandlung lediglich als „Tanken/Einkauf per Karte“ beschrieben und ein Tatzeitraum von mehr als einem Jahr angegeben ist.
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Bezüglich der allein noch maßgeblichen abgeurteilten Tatvorwürfe vermag der Senat gleichwohl im Hinblick auf die angeführten Tatzeiten, die wenigstens kursorisch beschriebenen Vermögensschäden und die – wenn auch unpräzise – bezeichneten Geschädigten, gerade noch zu erkennen, welche historisch abgrenzbaren Verhaltensweisen die Anklage der Kognition des Gerichts unterbreiten wollte. Für den langen Tatzeitraum bei Fall Nr. 6 ist zwar zu vermuten, dass es sich um mehrere Einzelhandlungen gehandelt haben dürfte; soweit insoweit nur eine Handlung angeklagt und abgeurteilt worden ist, ist wohl zugunsten des Angeklagten von lediglich einer (natürlichen?) Handlung ausgegangen worden.
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2. Demgegenüber weisen die Feststellungen des angegriffenen Urteils, die sich ihrerseits auf die bloße Wiedergabe des Wortlauts des Anklagesatzes beschränken (für die nach teilweiser Sachbehandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO verbliebenen Fälle), durchgreifende Darstellungsmängel auf. Darin liegt ein Verstoß gegen § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO, der auch ohne konkrete Beanstandung durch die Revision vom Senat auf die Sachrüge hin zu beachten ist.
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a) Auch wenn der Anklagesatz die Tatvorwürfe für eine Anklage noch hinreichend bestimmt geschildert hat, ist den Anforderungen an die Beschaffenheit tatrichterlicher Feststellungen durch seine bloße Wiedergabe nicht Genüge getan. Der Tatrichter hat die Urteilsgründe nach einer vorausgegangenen eigenen rechtlichen Subsumtion nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO so abzufassen, dass die für erwiesen erachteten Tatsachen angegeben werden, in denen die gesetzlichen objektiven und subjektiven Merkmale des Tatbestandes zu finden sind. Die Darstellung hat geschlossen, nachvollziehbar und so vollständig zu sein, dass der Rechtskundige in den konkreten Tatsachen den abstrakten Tatbestand ohne Zweifel erkennt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019, 4 StR 37/19, NStZ 2020, 102 Rn. 4; Urteil vom 29. November 2007, 4 StR 386/07, NStZ-RR 2008, 83, 84; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 267 Rn. 5).
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b) Unter Anlegung dieses Maßstabs erweisen sich die Feststellungen des Berufungsurteils als nicht ausreichend. Sie tragen den jeweiligen Schuldspruch nicht. In keinem der elf geschilderten Fälle, auf die er sich stützt, lassen sie auch nur in groben Umrissen den Tathergang und die für die Subsumtion unter den Betrugstatbestand des § 263 Abs. 1 StGB erforderlichen Umstände erkennen.
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aa) Die Verwirklichung des Betrugstatbestandes setzt zunächst voraus, dass der Täter eine andere Person über Tatsachen täuscht und sie durch den so hervorgerufenen Irrtum zu einer vermögensmindernden Verfügung veranlasst. Wer im Einzelfall über das Vermögen irrtumsbedingt verfügt hat, ist konkret festzustellen (BGH, Beschluss vom 6. März 2019, 3 StR 286/18, BeckRS 2019, 6806 Rn. 6; Beschluss vom 17. Juni 2014, 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644, 645). Personenmehrheiten als solche können nicht Subjekt eines Irrtums sein. Bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen oder Organisationen haben die Urteilsgründe darzulegen, wer im konkreten Fall auf welcher Grundlage und mit welchen Vorstellungen darüber entschieden hat, dass eine Leistung an den Täter erbracht wurde und wer folglich die Vermögensverfügung getroffen hat (vgl. BGH a.a.O. BeckRS 2019, 6806 Rn. 7). Soweit zum Irrtum von Betrugsopfern bei Massengeschäften geringere Anforderungen gelten können, spielt dies vorliegend keine Rolle. Ein solcher Fall liegt nicht vor.
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bb) Keines der vorgenannten Merkmale ist im Berufungsurteil hinreichend dargestellt.
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Die begangenen Tathandlungen werden, der Fall-Tabelle zusammenfassend für alle Fälle in Textform vorangestellt, lediglich wie folgt beschrieben: Der Angeklagte habe „[…] vermutlich von seiner Wohnanschrift […] die nachfolgend genannten Leistungen in Anspruch genommen“. Dies lässt nicht nur völlig offen, auf welchem Kommunikationsweg und mit welchen Personen der Kontakt erfolgte, und was unter „Inanspruchnahme“ zu verstehen sein soll. Eine konkrete Täuschungshandlung ist damit jedenfalls nicht beschrieben. Dem Senat erschließt sich auch nicht, wie eine „Inanspruchnahme“ beispielsweise von „Tanken“ (Tabelle Fall 6) an der Wohnanschrift des Angeklagten stattgefunden haben sollte, ebensowenig, dass sich ein Tankvorgang über den gesamten angegebenen Zeitraum vom „16.07.2021 bis 12.08.2022“ hingezogen haben könnte. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ein „Tankbetrug“ nicht bereits durch den schlichten Vorgang der Entnahme von Treibstoff aus einer Zapfsäule ohne Bezahlung verwirklicht ist, sondern es auf weitere Einzelheiten ankommt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. März 2021, 6 StR 74/21, BeckRS 2021, 5512), an deren Darstellung es gänzlich fehlt.
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Natürliche Personen, die durch den Angeklagten getäuscht worden sein sollen, werden nicht genannt. Die Angaben zu den Geschädigten erschöpfen sich in der Nennung von Firmenbezeichnungen ohne Anschrift; in einem Fall (Fall 1) gar nur in der Nennung einer Internet-Adresse. Unzureichend ist auch die lediglich schlagwortartige Bezeichnung von Leistungen, die von den Geschädigten erbracht worden seien. Zudem fehlt jeder Hinweis darauf, wie der Schaden berechnet wurde.
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3. Da bereits die vorstehenden Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils gemäß § 353 StPO veranlassen, weist der Senat lediglich noch ergänzend und als Hinweis für das weitere Verfahren darauf hin, dass das Berufungsurteil auch in der Beweiswürdigung unter durchgreifenden Rechtsfehlern leidet. Das Landgericht hat seiner Entscheidung das Geständnis des Angeklagten zugrunde gelegt (UA S. 10), an dessen Wirksamkeit bereits deshalb Zweifel bestehen, weil Gegenstand eines Geständnisses nur Tatsachen sein können, während die rechtliche Würdigung allein dem Gericht obliegt, und mangels nachvollziehbar dargestellter tatsächlichen Geschehens im Unklaren bleibt, worauf sich das Geständnis des Angeklagten bezog.
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Ersichtlich zum Zweck der Verifizierung des Geständnisses, die regelmäßig erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2013, 3 StR 35/13, NStZ 2014, 53), hat das Berufungsgericht ausgeführt, dieses stimme mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz überein (UA S. 10). Es hat aber weder die Beweisaufnahme erster Instanz und deren Ergebnis referiert noch mitgeteilt, worauf seine Erkenntnis über das Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz beruht. Die Urteilsausführungen erweisen sich damit auch in diesem Punkt als durchgreifend lückenhaft. Sollte das Landgericht eine Bezugnahme auf die Gründe des Ersturteils intendiert haben, liegt darin ein Verstoß gegen § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO. Auf Dokumente außerhalb der Urteilsurkunde darf nicht Bezug genommen werden (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 267 Rn. 2). Eine Konstellation, in der ein Berufungsurteil auf das Ersturteil verweisen kann (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 3), liegt nicht vor.
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Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben, § 353 StPO. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen, § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO. In der neuen Entscheidung wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden sein.