Titel:
Pflicht der Gemeinde zum Ausgleich von Kostenunterdeckungen bei der Gebührenkalkulation
Normenketten:
BayKAG Art. 8 Abs. 6 S. 2 Hs. 2
BayGO Art. 22 Abs. 2, Art. 62, Abs. 2, Abs. 3, Art. 112, Art. 113
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 5
Leitsätze:
1. Eine Gemeinde ist gem. Art. 8 Abs. 6 S. 2 Hs. 2 KAG verpflichtet, die sich für den Bemessungszeitraum der Jahre 2021 bis 2024 hinsichtlich der gesplitteten Abwassergebühr ergebenden Kostenunterdeckungen im Rahmen der Gebührenkalkulation für den nachfolgenden Bemessungszeitraum der Jahre 2025 bis 2028 auszugleichen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine atypische Situation, welche den Verzicht auf den Kostenunterdeckungsausgleich entgegen der Intention des Gesetzgebers zu rechtfertigen vermag, kann regelmäßig nur dann in Betracht kommen, wenn die Gemeinde die in Art. 62 Abs. 2 BayGO festgelegte Rangfolge der Deckungsmittel einhält und trotz des Verzichts auf den Ausgleich von Kostenunterdeckungen sowohl die stetige Aufgabenerfüllung iSd Art. 61 Abs. 1 S. 1 BayGO gesichert als auch die dauernde Leistungsfähigkeit iSdArt. 61 Abs. 1 S. 2 BayGO sichergestellt ist (vgl. VGH München BeckRS 2016, 54104 Rn. 39). (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Rechtsaufsichtliche Beanstandung, Verpflichtung der Gemeinde zum Ausgleich von Kostenunterdeckungen bei der gesplittenen Abwassergebühr im Rahmen der Gebührenkalkulation für den nachfolgenden Bemessungszeitraum, Kostenunterdeckung, Gebührenkalkulation, Abwassergebühr, rechtsaufsichtliche Beanstandung, Bemessungszeitraum, Ausnahmefall, atypische Fallkonstellation
Fundstelle:
BeckRS 2025, 3806
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die rechtsaufsichtliche Beanstandung eines Gemeinderatsbeschlusses, mit welchem ein Ausgleich von Kostenunterdeckungen bei der gesplitteten Abwassergebühr im Rahmen der Gebührenkalkulation für den folgenden Bemessungszeitraum abgelehnt wurde.
2
Die Antragstellerin ist eine kreisangehörige Gemeinde im Landkreis … Nachdem sie eine Kalkulation der gesplitteten Abwassergebühr (Schmutz- und Niederschlagswassergebühr) zuletzt für die Jahre 2015 bis 2018 vorgenommen hatte, beauftragte sie die … mit der Erstellung der Betriebsabrechnungen für den Bemessungszeitraum der Jahre 2021 bis 2024 und mit der Gebührenkalkulation für den Bemessungszeitraum der Jahre 2025 bis 2028. Die Betriebsabrechnungen ergaben mit Stand vom 25. Oktober 2024 für die Jahre 2021 bis 2024 Kostenunterdeckungen in Höhe von 443.599,39 EUR hinsichtlich der Schmutzwassergebühr und in Höhe von 28.945,89 EUR hinsichtlich der Niederschlagswassergebühr. Für die Jahre 2025 bis 2028 wurden – jeweils in Abhängigkeit von der Einführung einer Grundgebühr und der Einbeziehung der Kostenunterdeckungen der Jahre 2021 bis 2024 – ebenfalls mit Stand 25. Oktober 2024 folgende Gebührensätze kalkuliert:
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Schmutzwasser ohne Grundgebühr
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Schmutzwasser mit einer Grundgebühr von 120 EUR/Jahr
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Niederschlagswasser
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Kostendeckende Gebühren ohne Ergebnisse der Vorjahre
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4,59 EUR/m3
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3,64 EUR/m3
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0,90 EUR/m2
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Kostendeckende Gebühren inklusive Ergebnisse der Vorjahre
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5,39 EUR/m3
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4,43 EUR/m3
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0,92 EUR/m2
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3
In seiner Sitzung vom 11. November 2024 lehnte der Gemeinderat der Antragstellerin den durch die Gemeindeverwaltung unter TOP 07 „Kalkulation der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr; Neufestsetzung“ eingebrachten Beschlussvorschlag Nr. 1, bei den kostendeckenden Gebühren die Ergebnisse der Vorjahre einzubeziehen, mit 16 zu null Stimmen ab. Stattdessen wurde der Beschlussvorschlag Nr. 3 betreffend die Neufestsetzung der Schmutzwassergebühr auf 3,64 EUR je m3 sowie der Niederschlagswassergebühr auf 0,90 EUR je m2, die Einführung einer Grundgebühr sowie die entsprechende Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung mit zehn zu sechs Stimmen angenommen.
4
Nachdem das Landratsamt … aus der Presse von diesen Vorgängen erfahren und die Vorlage der betreffenden Gemeinderatsbeschlüsse verlangt hatte, teilte es der Antragstellerin mit Schreiben vom 26. November 2024 mit, dass die seitens des Gemeinderats erfolgte Ablehnung des Beschlussvorschlags Nr. 1 gegen Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG verstoße und deshalb beabsichtigt sei, diesen Beschluss gemäß Art. 112 GO zu beanstanden. Zugleich wurde der Antragstellerin Gelegenheit gegeben, sich bis zum 9. Dezember 2024 zur Sache zu äußern.
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Daraufhin wurde der Gemeinderat der Antragstellerin in seiner Sitzung vom 2. Dezember 2024 unter TOP 04 „Erneute Behandlung: Neufestsetzung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr – Beanstandung des Beschlusses durch die Kommunalaufsicht“ nochmals mit der Angelegenheit befasst. Der hierzu unterbreitete Beschlussvorschlag, die Beschlüsse Nr. 1 und Nr. 3 zu TOP 07 der Gemeinderatssitzung vom 11. November 2024 aufzuheben und bei den kostendeckenden Gebühren die Ergebnisse aus den Vorjahren einzubeziehen, wurde mit 15 zu null Stimmen abgelehnt. Ebenso lehnte der Gemeinderat den unter TOP 05 „Erste Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung der Gemeinde …“ dieser Sitzung unterbreiteten Beschlussvorschlag einer entsprechenden Satzungsänderung mit 15 zu null Stimmen ab. Hierüber setzte der Erste Bürgermeister der Antragstellerin das Landratsamt … mit Schreiben vom 9. Dezember 2024 in Kenntnis.
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Mit Bescheid vom 30. Dezember 2024 beanstandete das Landratsamt … den Beschluss Nr. 1 des TOP 07 des Gemeinderats der Antragstellerin vom 11. November 2024 (Ziffer 1) und verpflichtete den Gemeinderat, die Beschlüsse vom 11. November 2024 sowie vom 2. Dezember 2024 aufzuheben und einen neuen Beschluss über die Neufestsetzung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr und der Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung zu fassen, der die Ergebnisse aus den Vorjahren in die Gebührenhöhe einbezieht (Ziffer 2). Für den Fall, dass die Antragstellerin der vorstehenden Verpflichtung nicht bis zum 3. Februar 2024 [gemeint ist 2025] nachkommen sollte, wurde die Aufhebung des Beschlusses von 11. November 2024 und die Fassung eines Beschlusses über die Kalkulation der Gebührensätze im Wege der Ersatzvornahme angedroht (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 2 und 3 des Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 4).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschlüsse des Gemeinderats der Antragstellerin über die Neufestsetzung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr seien rechtswidrig. Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG enthalte hinsichtlich des Ausgleichs von Kostenunterdeckungen im folgenden Bemessungszeitraum eine Sollvorschrift, welche keinen Ermessensspielraum der Gemeinde vorsehe. Ein atypischer Sonderfall, in dem ausnahmsweise von dem Kostendeckungsgebot abgewichen werden könne, liege nicht vor. Dass es sich bei der früheren Kostenunterdeckung um eine politisch gewollte Kostenunterdeckung gehandelt haben könnte, sei durch die Antragstellerin nicht belegt worden. Die der Gemeinde im Rahmen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts zukommende Finanzhoheit ende dort, wo diese offenkundig gegen Rechtsvorgaben verstoße und ihre finanzielle Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werde. Durch den Verzicht auf die Einbeziehung der Vorjahre in die Gebührenkalkulation entgingen der Antragstellerin rund 442.000 EUR. Auch sei die Antragstellerin angesichts der im bisherigen Bemessungszeitraum erfolgten Kreditaufnahme von rund 3,9 Mio. EUR und der für das Jahr 2025 beabsichtigen Kreditaufnahme in Höhe von rund 1 Mio. EUR von einer außerordentlich guten Haushaltslage weit entfernt. Da Kreditaufnahmen gemäß Art. 62 GO die letzte Einnahmemöglichkeit darstellten, seien alle anderen Einnahmequellen zu priorisieren und vollumfänglich auszuschöpfen. Lägen damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 112 Satz 1 GO vor, stehe es im Ermessen der Rechtsaufsichtsbehörde, ob diese von ihrem Beanstandungsrecht Gebrauch mache. In Ausübung dieses Ermessens halte es das Landratsamt für zwingend geboten, den Beschluss als rechtswidrig zu beanstanden, da der Gemeinderat der Antragstellerin die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben verweigere und hierdurch rechtswidrige Zustände geschaffen würden, die zwar kurzfristig einen positiven finanziellen Aspekt für die Gemeindebürger darstellten, langfristig aber zur Schädigung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin führten. Da die vorangegangenen rechtsaufsichtlichen Hinweise keinen Erfolg gehabt hätten, sei die Beanstandung erforderlich. Sie verstoße auch nicht gegen das Übermaßverbot, weil sie der Entscheidungszuständigkeit des Gemeinderats genügend Raum lasse und diesem eine neue Entscheidung ermögliche. Die Verpflichtung der Antragstellerin zur Fassung eines Beschlusses über die Einbeziehung der Kostenunterdeckung des vorangegangenen Kalkulationszeitraums bei der Gebührenkalkulation beruhe auf Art. 112 Satz 2 GO. Eine entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Antragstellerin folge aus Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG. Hinsichtlich der Ausübung des insoweit bestehenden Entschließungsermessens seien dieselben Erwägungen maßgeblich wie in Bezug auf die Beanstandung. Die Androhung der Ersatzvornahme stütze sich auf Art. 113 Satz 1 GO; die der Antragstellerin insoweit gesetzte Frist sei angemessen, da ausweislich des Sitzungskalenders bis zum 3. Februar 2025 noch zwei Gemeinderatssitzungen stattfänden. Die Ersatzvornahme sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geboten. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit bestehe ein besonderes öffentliches Interesse. Vom Gemeinderat als demokratisch legitimiertem Hauptorgan könne die Beachtung und ordnungsgemäße Umsetzung geltenden Rechts erwartet werden, da andernfalls das Vertrauen in dessen Funktion nachdrücklich Schaden nehmen sowie der Anschein erweckt werden könnte, dass vorsätzliches Zuwiderhandeln gegen gesetzliche Bestimmungen ohne Konsequenzen bleibe. Mit der Schaffung rechtmäßiger Zustände könne nicht bis zum Abschluss eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens zugewartet werden, weil damit die Herstellung rechtmäßiger Zustände unerträglich lange Zeit behindert, wenn nicht gar unmöglich gemacht würde.
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Aus Anlass dieser rechtsaufsichtlichen Beanstandung wurde die Angelegenheit in der Sitzung des Gemeinderats der Antragstellerin am 27. Januar 2025 erneut behandelt. Hierbei wurden der Beschlussvorschlag zu TOP 2 A, die Beschlüsse über die Neufestsetzung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr vom 11. November 2024 und vom 2. Dezember 2024 aufzuheben und die Ergebnisse der Vorjahre in die Festsetzung der Gebührensätze einzubeziehen, erneut abgelehnt. Ebenso abgelehnt wurden der Beschlussvorschlag zu TOP 2 B zur Festsetzung einer Schmutzwassergebühr in Höhe von 4,43 EUR/m3, einer Niederschlagswassergebühr von 0,92 EUR/m2 bei Einführung einer Grundgebühr sowie der Beschlussvorschlag zu TOP 2 C betreffend die entsprechende Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung. Stattdessen wurde unter TOP 2 D die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2024 beschlossen und die Gemeindeverwaltung mit der Klageerhebung sowie der Stellung eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beauftragt.
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In der Folge hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2024 am 29. Januar 2025 Klage erhoben (AN 4 K 25.249) und gleichzeitig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
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Entgegen der Annahme des Antragsgegners sei der beanstandete Gemeinderatsbeschluss nicht rechtswidrig. Bislang sei rechtlich nicht geklärt, inwieweit Unterdeckungen zwingend in der Folgeperiode ausgeglichen werden müssten und sich daraus ein Verstoß gegen das Kostendeckungsprinzip ergebe. In der Kommentarliteratur werde hierzu die Ansicht vertreten, es sei abgabenrechtlich nicht legitim, eine aus politischen oder anderen Gründen motivierte Unterdeckung den Abgabepflichtigen des nächsten Bemessungszeitraums zuzurechnen. Für Unterdeckungen, die wegen einer fehlenden Vorauskalkulation billigend in Kauf genommen worden seien, könne nichts anderes gelten. Folglich scheine es gegenüber künftigen Gebührenzahlern nicht rechtmäßig zu sein, Gebühren zu finanzieren, die Kosten enthielten, welche in vergangenen Zeiträumen hätten angesetzt werden müssen. In jedem Fall aber führe der Zwang des Antragsgegners zum Erlass entsprechender Satzungsregelungen zu einem rechtswidrigen Ziel. Denn auch diejenigen Literaturstimmen, die bewusste oder unbewusste Unterdeckungen als unzulässig erachteten, gingen davon aus, dass dieser Verstoß nicht zur Unwirksamkeit der betreffenden Satzungsregelung führe und die Rechtmäßigkeit der Gebührenregelungen unberührt lasse. In diesem Fall aber könne der Antragsgegner die Einführung höherer Gebühren nicht erzwingen. Denn Aufgabe des Beanstandungsrechts sei es nicht, rechtmäßige Gebührenkalkulationen in Frage zu stellen und zu beanstanden, geschweige denn diese mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Auch würde die Berücksichtigung der Unterdeckungskosten über den Kalkulationszeitraum von vier Jahren hinweg zu einer nur unwesentlichen Änderung des Gebührensatzes führen. Nach bisheriger Rechtsprechung seien entsprechende Gebührensätze jedoch nur dann rechtswidrig, wenn diese mehr als 12% des Aufkommens überschritten, weshalb ein Einschreiten des Antragsgegners wegen Unwesentlichkeit nicht geboten sei. Im Übrigen sei es fraglich, ob der Antragsgegner überhaupt Ermessen ausgeübt habe; mit der Formulierung, wonach die Beanstandung aus Sicht des Landratsamts zwingend geboten sei, gebe der Antragsgegner vielmehr zu verstehen, dass er die von ihm getroffene Entscheidung als zwingend erachte.
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Darüber hinaus fehle es an einem besonderen Vollzugsinteresse für die Anordnung der sofortigen Vollziehung, welches durch den Antragsgegner nicht ordnungsgemäß begründet worden sei. Indem der Antragsgegner den Sofortvollzug dem Grunde nach nur mit dem allgemeinen Interesse an der Herstellung vermeintlich rechtmäßiger Zustände begründe, habe er gerade nicht dargelegt, weshalb es gerechtfertigt sei, entgegen dem gesetzlichen Regelfall von der aufschiebenden Wirkung der Klage abzuweichen. Dass ein gerichtliches Hauptsachverfahren ggf. unerträglich lange Zeit dauern könnte, sei hierfür nicht ausreichend. Die Argumentation des Antragsgegners würde vielmehr dazu führen, dass die im gesetzlichen Regelfall bestehende aufschiebende Wirkung der Klage gegen eine kommunalaufsichtliche Beanstandung generell den Sofortvollzug rechtfertige, was aber gerade nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche.
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Die Antragstellerin beantragt,
Im Wege des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO wird die aufschiebende Wirkung von Ziffer 1, 2 und 3 des Bescheids des Landratsamts … vom 30. Dezember 2024 angeordnet.
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Der Antragsgegner beantragt
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Unklar sei, ob der Erste Bürgermeister durch den Gemeinderat zur Einlegung von Rechtsbehelfen ausreichend bevollmächtigt sei. Insbesondere stellten Rechtsbehelfe der Gemeinde gegen aufsichtliche Maßnahmen keine in dessen Zuständigkeit fallende laufenden Angelegenheiten dar.
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Bei summarischer Prüfung überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, da der Bescheid vom 30. Dezember 2024 rechtmäßig sei. Der Gesetzgeber habe durchaus erkannt, dass es sich bei der Kostenkalkulation um eine Prognose in die Zukunft handele und diese regelmäßig von Abweichungen – nach oben wie nach unten – betroffen sein könne. Vor diesem Hintergrund sollten Kostenunterdeckungen innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums ausgeglichen werden. Insbesondere sei im Fall der Antragstellerin nach wie vor nicht nachgewiesen, dass die Kostenunterdeckungen auf einem bewussten politischen Willen beruhten oder sonst anerkannte Gründe vorlägen, die eine Abweichung von der „Soll-Regelung“ rechtfertigen würden. Damit handele es sich vorliegend vielmehr um unbeabsichtigte Unterdeckungen, die sich aus einer Divergenz zwischen den Annahmen bei der Festsetzung der Abwassergebührensätze für den Vorzeitraum und dem tatsächlichen Gebührenaufkommen in Relation zur Kostenentwicklung ableiteten. Dieses Risiko sei jeder vorab für einen Abrechnungszeitraum kalkulierten Gebühr immanent und führe nicht zu einer normativ untragbaren Benachteiligung der künftigen Gebührenschuldner. Weiter treffe der Bescheid keine Aussage zur Unwirksamkeit der Satzung, sondern beanstande den Beschluss der Antragstellerin zur Nichtberücksichtigung der Unterdeckungen. Inwiefern eine aus Sicht der Antragstellerin unwesentliche Veränderung des Gebührensatzes zur Unverhältnismäßigkeit des rechtsaufsichtlichen Verwaltungsakts führen könne, erschließe sich nicht. Ohnehin erschienen schematische Betrachtungen angesichts der – gerade auch im Fall der Antragstellerin bestehenden – massiven Schieflage der kommunalen Haushalte unangebracht. Ferner enthalte der verfahrensgegenständliche Bescheid umfassende Ausführungen zum Verwaltungsermessen.
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Die Ausführungen der Antragstellerin zum Vollzugsinteresse setzten sich nicht hinreichend mit den Gründen des Bescheids auseinander. Insbesondere drohe bei aufschiebender Wirkung der Eintritt erheblicher Folgewirkungen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Gerichtsakten sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
19
Der entsprechend ausgelegte (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (AN 4 K 25.249) gegen die Ziffern 1 bis 3 des Bescheids des Landratsamts … vom 30. Dezember 2024 wiederherzustellen, bleibt in der Sache ohne Erfolg und ist daher abzulehnen.
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1. Der Antrag ist zulässig.
21
Er ist statthaft nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 30. Dezember 2024. Die dieser Klage im Ausgangspunkt kraft Gesetzes zukommende aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist vorliegend ausgeschlossen, da der Antragsgegner in Ziffer 4 dieses Bescheids die sofortige Vollziehung von dessen Ziffern 1 bis 3 angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
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Der Antrag ist auch sonst wirksam gestellt. Insbesondere liegt eine ordnungsgemäße Vertretung der Antragstellerin durch ihren Ersten Bürgermeister vor (§ 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GO). Der Gemeinderat der Antragstellerin hat unter TOP 02 D seiner Sitzung vom 27. Januar 2025 beschlossen, die Gemeindeverwaltung – und damit auch den Ersten Bürgermeister als deren Geschäftsleiter (vgl. Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GO) – mit der fristgerechten Klageerhebung und der Stellung eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu beauftragen. Auf den – wohl zutreffenden – Hinweis des Antragsgegners, dass es sich bei der Einlegung von Rechtsbehelfen gegen aufsichtliche Maßnahmen nicht um eine laufende Angelegenheit im Sinne des Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO handelt, weil diese nicht routinemäßig, d.h. regelmäßig wiederkehrend, erfolgt (Widtmann/Grasser/Glaser, GO, 34. EL April 2023, Art. 37 Rn. 6), kommt es damit nicht mehr an.
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2. In der Sache jedoch erweist sich der Antrag als unbegründet.
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a) Das Bestehen eines besonderen Vollzugsinteresses wurde ordnungsgemäß begründet.
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Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Notwendig ist eine auf die Umstände des konkreten Falles bezogene Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses gerade an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts. Die Vollziehbarkeitsanordnung muss erkennen lassen, dass sich die Behörde des rechtlichen Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst ist. Die Begründung kann durchaus knappgehalten sein, aus ihr muss jedoch hervorgehen, dass und warum die Verwaltung in concreto dem sofortigen Vollzugsinteresse den Vorrang vor dem Suspensivinteresse des Betroffenen einräumt. Eine inhaltliche Kontrolle dergestalt, ob die von der Verwaltung angeführten Gründe zutreffend sind, erfolgt an dieser Stelle nicht (BayVGH, B.v. 11.1.2018 – 20 CS 17.1913 – juris Rn. 13).
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Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Bescheids zur Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit gerecht. Insbesondere hat der Antragsgegner – entgegen der Behauptung der Antragstellerin – die Anordnung des Sofortvollzugs nicht nur allgemein mit dem Interesse an der sofortigen Schaffung eines der Rechtslage entsprechenden Zustands begründet. Er hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass vom Gemeinderat als demokratisch legitimiertem Hauptorgan der Gemeinde die Beachtung und ordnungsgemäße Umsetzung des geltenden Rechts erwartet werden könne, weil andernfalls eine nachdrückliche Schädigung des Vertrauens in dessen Funktion drohe und der Anschein fehlender Konsequenzen bei vorsätzlichem Zuwiderhandeln gegen gesetzliche Bestimmungen erweckt werden könne. Weiter wird in den Gründen des Bescheids dargelegt, dass im Hinblick auf die Dauer eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens die Herstellung rechtmäßiger Zustände vorliegend unerträglich lange Zeit behindert oder gar unmöglich gemacht würde. Diese Ausführungen geben die aus Sicht des Antragsgegners für den Vorrang der sofortigen Vollziehung vor dem Suspensivinteresse der Antragstellerin konkret maßgeblichen Erwägungen hinreichend wieder und verdeutlichen das Bewusstsein des Antragsgegners für den Ausnahmecharakter des angeordneten Sofortvollzugs.
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b) Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Ziffern 1 bis 3 des Bescheids vom 30. Dezember 2024 bleibt im Übrigen deshalb erfolglos, weil vorliegend das Sofortvollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt.
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Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine eigene Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten vor. Dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend kann das Gericht seine vorläufige Entscheidung im Regelfall nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wesentlichem Element der Interessensabwägung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzugs treffen. Kann – wegen der besonderen Dringlichkeit oder der Komplexität der Rechtsfragen – keine Abschätzung über die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage getroffen werden, sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen zu gewichten (BVerwG, B.v. 22.3.2010 – 7 VR 1.10 – juris Rn. 13).
29
Nach diesen Maßstäben überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Suspensivinteresse der Antragstellerin. Der angefochtene Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung sowohl hinsichtlich der Beanstandung des zu TOP 07 der Gemeinderatssitzung vom 11. November 2024 gefassten Beschlusses Nr. 1 (Ziffer 1) als auch bezüglich des entsprechenden Aufhebungsverlangens und des Verlangens einer Beschlussfassung über die Neufestsetzung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr unter Einbeziehung der Ergebnisse der Vorjahre (Ziffer 2) sowie der für den Fall der Nichtbeachtung dieser Verpflichtung angedrohten Ersatzvornahme (Ziffer 3) als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Einzelnen:
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aa) Der Antragsgegner, handelnd durch das Landratsamt … als zuständige Rechtsaufsichtsbehörde (Art. 110 Satz 1 GO), hat den durch den Gemeinderat der Antragstellerin unter TOP 07 seiner Sitzung vom 11. November 2024 gefassten Beschluss Nr. 1 zu Recht nach Art. 112 Satz 1 GO beanstandet und dessen Aufhebung verlangt (Ziffer 1 und Ziffer 2 erster Satzteil des angefochtenen Bescheids). Der betreffende Gemeinderatsbeschluss erweist sich als rechtswidrig, und der Antragsgegner hat das ihm insoweit zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.
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(1) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 112 Satz 1 GO für eine rechtsaufsichtliche Beanstandung des Beschlusses Nr. 1 des TOP 07 des Gemeinderats der Antragstellerin vom 11. November 2024 liegen vor.
32
Der betreffende Gemeinderatsbeschluss, durch welchen die Einbeziehung der anhand der Betriebsabrechnungen der Jahre 2021 bis 2024 ermittelten Kostenunterdeckungen in die Kalkulation der gesplitteten Abwassergebühr für die Jahre 2025 bis 2028 abgelehnt wurde, ist rechtswidrig. Die Antragstellerin war im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung (und ist weiterhin) gemäß Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG verpflichtet, die sich für den Bemessungszeitraum der Jahre 2021 bis 2024 hinsichtlich der gesplitteten Abwassergebühr ergebenden Kostenunterdeckungen im Rahmen der Gebührenkalkulation für den nachfolgenden Bemessungszeitraum der Jahre 2025 bis 2028 auszugleichen.
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(a) Nach Art. 8 Abs. 6 Satz 1 KAG können bei der Gebührenbemessung die Kosten für einen mehrjährigen Zeitraum berücksichtigt werden, der jedoch höchstens vier Jahre umfassen soll. Im gewählten Kalkulationszeitraum soll das Gebührenaufkommen die Kosten decken (Kostendeckungsprinzip, Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG). Da die Kostenentwicklung für den Kalkulationszeitraum nur prognostiziert werden kann, sind Kostenüberdeckungen oder Kostenunterdeckungen am Ende des Bemessungszeitraums zu erwarten (BayVGH, U.v. 25.2.1998 – 4 B 97.399 – juris Rn. 9). Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber in Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG die Befugnis der Gemeinden geschaffen, derartige Kostenüberdeckungen bzw. Kostenunterdeckungen innerhalb des folgenden – höchstens vier Jahre umfassenden – Bemessungszeitraums auszugleichen. Damit wird den systemimmanenten Ungenauigkeiten Rechnung getragen, die sich aus der Vorauskalkulation ergeben, z.B. Kostenveränderungen beim laufenden Betriebsaufwand (BayVGH, U.v. 15.3.2005 – 23 B 04.2683 – juris Rn. 22). Während Kostenüberdeckungen, die sich am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, gemäß Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 KAG innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums auszugleichen sind, sollen Kostenunterdeckungen innerhalb dieses Zeitraums ausgeglichen werden (Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG).
34
Der Begriff „sollen“ in Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG bedeutet, dass Ermessen nur in atypischen Fällen eröffnet ist und ansonsten eine Pflicht zum Ausgleich besteht (Driehaus/ Kraheberger, Kommunalabgabenrecht, 70. EL März 2024, § 6 Rn. 641b; s.a. BayVGH, B.v. 30.9.2019 – 4 CE 19.93 – juris Rn. 12: „Dazu gehört die in Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG normierte Verpflichtung, Kostenüber- oder -unterdeckungen, die sich am Ende des (maximal vierjährigen) Bemessungszeitraums ergeben, innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums auszugleichen.“). Dieses Verständnis des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu dem – ebenfalls als Soll-Vorschrift ausgestalteten – Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung. Hiernach hat der Begriff „sollen“ grundsätzlich verbindlichen Charakter und verpflichtet die Gemeinden im Regelfall, so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, dürfen sie anders verfahren, als im Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 34; vgl. zur Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG: Nitsche/Baumann/Mühlfeld, Satzungen zur Abwasserbeseitigung, 84. EL Dezember 2023, Erl. 20.09/5g). Ein entsprechendes Normverständnis wird zudem durch die Gesetzesmaterialien untermauert. So soll es ausweislich der Gesetzesbegründung sowohl bei der einjährigen als auch bei der mehrjährigen Gebührenbemessung wegen Art. 8 Abs. 2 KAG beziehungsweise Art. 62 Abs. 2 GO geboten sein, Kostenüberdeckungen beziehungsweise Kostenunterdeckungen innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums auszugleichen (LT-Drs. 12/8082 S. 9).
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Wann ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, der den Ausgleich von sich am Ende eines Bemessungszeitraums ergebenden Kostenunterdeckungen im folgenden Bemessungszeitraum entgegen der gesetzlichen Regel des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG in das Ermessen der Gemeinde stellt, lässt sich nur aufgrund einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen. Diese Wertung wird maßgebend geprägt durch das gemeindliche Finanzverfassungsrecht im Allgemeinen und – wie auch der entsprechende Verweis hierauf in der Gesetzesbegründung verdeutlicht – die in Art. 62 Abs. 2 und 3 GO geregelten Grundsätze der Einnahmebeschaffung im Besonderen.
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Art. 22 Abs. 2 GO räumt den Gemeinden das Recht ein, ihr Finanzwesen im Rahmen der Gesetze selbst zu regeln, und verpflichtet den Gesetzgeber, den Gemeinden im Rahmen ihrer Finanzhoheit als Teil des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Finanzmittel in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen. In Erfüllung dieses Regelungsauftrags hat der Gesetzgeber durch die speziellen Ermächtigungen im Kommunalabgabengesetz den Gemeinden das Recht eingeräumt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben eigene Abgaben, darunter Abwassergebühren, zu erheben. Art. 62 GO enthält umgekehrt für die Gemeinden die haushaltsrechtliche Verpflichtung, die ihnen gesetzlich eingeräumten Einnahmemöglichkeiten im Rahmen ihrer Haushaltswirtschaft auch tatsächlich vollständig auszuschöpfen, soweit dies zur Aufgabenerfüllung notwendig ist. Diese Verpflichtung steht insbesondere im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grundsatz des Haushaltsausgleichs (Art. 64 Abs. 3 Satz 1 GO), der Sicherung der Aufgabenerfüllung (Art. 61 Abs. 1 Satz 1 GO) und der Sicherstellung der dauernden Leistungsfähigkeit (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 GO). Vor diesem Hintergrund legt Art. 62 Abs. 2 und 3 GO die Reihenfolge fest, nach der sich die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen zu beschaffen hat. Primäre Deckungsmittel sind die „sonstigen Einnahmen“, zu denen insbesondere die Gemeindeanteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer, die allgemeinen Finanzzuweisungen sowie staatliche Zuwendungen für bestimmte Maßnahmen und die Erträge aus dem Gemeindevermögen zählen. Soweit diese sonstigen Einnahmen nicht ausreichen, hat die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen, soweit vertretbar und geboten, aus besonderen Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen (Art. 62 Abs. 2 Nr. 1 GO) und „im Übrigen“ – also nachrangig – aus Steuern (Art. 62 Abs. 2 Nr. 2 GO) zu beschaffen. Kredite darf die Gemeinde nur aufnehmen, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre (Art. 62 Abs. 3 GO). Die in Art. 62 Abs. 2 und 3 GO gesetzlich festgelegte Rangfolge der Deckungsmittel geht von dem Grundsatz aus, dass derjenige, der eine kommunale Leistung in Anspruch nimmt oder durch eine kommunale Einrichtung einen Sondervorteil erhält, die entstehenden Kosten in vertretbarem Umfang tragen soll. Die Vorschrift soll zugleich der Entwicklung entgegenwirken, auf eine angemessene Gegenleistung zu verzichten und den Aufwand für die einem Einzelnen besonders zugutekommenden Leistungen aus allgemeinen Deckungsmitteln zu bestreiten (vgl. LT-Drs. 7/3103 S. 32). Dabei handelt es sich nicht bloß um einen Programmsatz, sondern schon mit Blick auf den Gesetzeswortlaut um zwingendes Recht, das dem einzelnen Bürger zwar kein individuelles, einklagbares Recht verleiht, dessen Einhaltung aber von den Rechtsaufsichtsbehörden nach Art. 109 Abs. 1 GO zu überwachen ist. Allerdings bleibt es jeder einzelnen Gemeinde im Rahmen ihrer Finanzautonomie überlassen, inwieweit sie in dem ihr durch die Haushaltsgrundsätze gesteckten äußersten rechtlichen Rahmen von den Einnahmequellen Gebrauch macht (BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 37 f.).
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Abwassergebühren gehören zu den an zweiter Rangstelle stehenden besonderen Entgelten. Sie werden von den Grundstückseigentümern und in ähnlicher Weise dinglich zur Nutzung des Grundstücks Berechtigten für die Benutzung der gemeindlichen Entwässerungseinrichtung erhoben. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen den haushaltswirtschaftlichen Grundsätzen und der Soll-Vorschrift des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG verbleibt nur ein sehr eng begrenzter Bereich, innerhalb dessen eine Gemeinde auf den Ausgleich von Kostenunterdeckungen eines vorangegangenen Bemessungszeitraums innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums verzichten kann. Mithin kann eine atypische Situation, welche den Verzicht auf den Kostenunterdeckungsausgleich entgegen der Intention des Gesetzgebers zu rechtfertigen vermag, regelmäßig nur dann in Betracht kommen, wenn die Gemeinde die in Art. 62 Abs. 2 GO festgelegte Rangfolge der Deckungsmittel einhält und trotz des Verzichts auf den Ausgleich von Kostenunterdeckungen sowohl die stetige Aufgabenerfüllung im Sinne des Art. 61 Abs. 1 Satz 1 GO gesichert als auch die dauernde Leistungsfähigkeit im Sinne des Art. 61 Abs. 1 Satz 2 GO sichergestellt ist (BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 39 zu Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung).
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Dieses Verständnis des Soll-Befehls in Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG trägt der verfassungsrechtlich verbürgten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung hinreichend Rechnung. Sowohl Art. 28 Abs. 2 GG als auch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV gewährleisten das Selbstverwaltungsrecht und die davon umfasste Finanzhoheit der Gemeinden „im Rahmen der Gesetze“. Durch diesen Gesetzesvorbehalt sind auch die grundsätzliche Verpflichtung zum Ausgleich von sich am Ende des Bemessungszeitraums ergebenden Kostenunterdeckungen innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums nach Maßgabe von Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG und die in Art. 62 Abs. 2 GO festgelegte Rangfolge der Deckungsmittel gerechtfertigt. Zwar schränkt der Gesetzgeber die Möglichkeit der Gemeinden ein, auf finanzielle Gegenleistungen für erbrachte Leistungen zu verzichten, sichert und verbreitert dadurch aber zugleich die finanzielle Ausstattung mit eigenen Mitteln für die Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft. Dadurch wird weder in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie eingegriffen noch die gemeindliche Finanzhoheit unverhältnismäßig eingeschränkt. Dies gilt umso mehr, als das verfassungsrechtliche Übermaßverbot gerade für den Vorrang der Finanzierung kommunaler Aufgaben aus „besonderen Entgelten“ für die von der Gemeinde erbrachten Leistungen vor der Steuererhebung streitet (BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 35 zu Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung).
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(b) Gemessen an diesen Maßstäben kann sich die Antragstellerin nicht auf atypische Umstände berufen, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht zum Ausgleich der anhand der Betriebsabrechnung (BayVGH, U.v. 27.6.2023 – 4 N 20.1054 – juris Rn. 26) für den Bemessungszeitraum der Jahre 2021 bis 2024 hinsichtlich der gesplitteten Abwassergebühr ermittelten Kostenunterdeckungen im Rahmen der Gebührenkalkulation für den nachfolgenden Bemessungszeitraum der Jahre 2025 bis 2028 begründen würden.
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Eine atypische, den Verzicht auf einen Ausgleich der Kostenunterdeckungen des vorangegangenen Bemessungszeitraums bei der Kalkulation der gesplitteten Abwassergebühr für die Jahre 2025 bis 2028 rechtfertigende Situation ergibt sich zunächst nicht mit Blick auf die Haushaltslage der Antragstellerin. Ausweislich der – im gerichtlichen Verfahren nicht in Zweifel gezogenen – Darlegungen des angefochtenen Bescheids hat die Antragstellerin während des Bemessungszeitraums der Jahre 2021 bis 2024 Kredite in Höhe von rund 3,9 Mio. EUR in Anspruch genommen und beabsichtigt auch für das Jahr 2025 eine Kreditaufnahme in Höhe von rund 1 Mio. EUR. Damit hält die Antragstellerin bereits die in Art. 62 Abs. 2 und 3 GO festgelegte Rangfolge der Deckungsmittel nicht ein, welche eine Einnahmenbeschaffung vorrangig aus besonderen Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen vorsieht und eine Kreditaufnahme nur bei Unmöglichkeit oder wirtschaftlicher Unzweckmäßigkeit einer anderen Finanzierung zulässt. Ein Ausgleich der Kostenunterdeckungen des Bemessungszeitraums der Jahre 2021 bis 2024 im Rahmen der Kalkulation der gesplitteten Abwassergebühr für die Jahre 2025 bis 2028 kann indes nicht als wirtschaftlich unzweckmäßig angesehen werden. Ausweislich der durch die Antragstellerin in Auftrag gegebenen Betriebsabrechnung belaufen sich die hinsichtlich der Jahre 2021 bis 2024 ermittelten Kostenunterdeckungen auf insgesamt 472.545,28 EUR. Bei unterbliebener Einbeziehung dieser Kostenunterdeckungen in die Kostenkalkulation für die Jahre 2025 bis 2028 entgingen der Antragstellerin mithin jährliche Einnahmen von 118.136,32 EUR, was mehr als 10% der für das Jahr 2025 beabsichtigten Kreditaufnahme entspricht und mithin nicht als wirtschaftlich unerheblich angesehen werden kann.
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Eine atypische Fallkonstellation, die vorliegend eine Abweichung vom gesetzlichen Regelfall des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG rechtfertigen könnte, ist ferner nicht darin zu erblicken, dass es sich bei dem hinsichtlich der Erhebung der gesplitteten Abwassergebühr in den Jahren 2021 bis 2024 ermittelten Defizit um eine von der Antragstellerin politisch gewollte oder sonst bewusst in Kauf genommene Kostenunterdeckung handeln würde. Zwar soll ein Ausgleich von Kostenunterdeckungen des vorangegangenen Bemessungszeitraums innerhalb des nachfolgenden Bemessungszeitraums nach überwiegend vertretener Rechtsmeinung nicht in Betracht kommen, wenn diese durch den Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen wurden (VGH BW, U.v. 20.1.2010 – 2 S 1171/09 – juris Rn. 42; U.v. 18.2.2020 – 2 S 1504/18 – juris Rn. 80; Thimet/Hölzlwimmer, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, 110. AL Januar 2024, Art. 8 KAG Frage 14 Erl. 3; Nitsche/Baumann/Mühlfeld, Satzungen zur Abwasserbeseitigung, 85. AL März 2024, Erl. 20.09/5g). Anders als die Antragstellerin meint, kann aus dem Umstand, dass für den Bemessungszeitraum der Jahre 2021 bis 2024 keine gesonderte Gebührenkalkulation vorgenommen wurde, sondern vielmehr ein Rückgriff auf die zuletzt für die Jahre 2015 bis 2018 kalkulierten Gebührensätze erfolgte, für sich genommen noch nicht auf das Vorliegen bewusst in Kauf genommener Kostenunterdeckungen geschlossen werden. Im Gegenteil ist im Fall der Nichtkalkulation grundsätzlich von einer unbewussten Kostenunterdeckung auszugehen (VG Ansbach, U.v. 15.4.2024 – AN 1 K 21.02187 – UA S. 15; Thimet/Hölzlwimmer, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, 110. AL Januar 2024, Art. 8 KAG Frage 14 Erl. 3). Denn typischerweise wird eine Gemeinde gerade dann von einer Gebührenneukalkulation absehen und stattdessen die für einen vorangegangenen Bemessungszeitraum kalkulierten Gebührensätze beibehalten, wenn sie letztere für nach wie vor kostendeckend erachtet. Anhaltspunkte dafür, dass der Gemeinderat der Antragstellerin bei der Beschlussfassung über die Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr für die Jahre 2021 bis 2024 deren unzureichende Höhe konkret in den Blick genommen und daher die im Rahmen der Betriebsabrechnung ermittelten Kostenunterdeckungen bewusst in Kauf genommen haben könnte, sind weder substantiiert geltend gemacht noch anderweitig zu ersehen. Zum einen ist die Antragstellerin den Ausführungen des angefochtenen Bescheids, wonach insbesondere das Vorliegen politisch gewollter Kostenunterdeckungen nicht belegt worden sei, im gerichtlichen Verfahren nicht entgegengetreten; insbesondere wird deren Vorliegen auch von der Antragsbegründung nicht (mehr) behauptet. Zum anderen waren bereits die Argumente der Antragstellerin, die diese ausweislich des als Anlage B1 vorgelegten E-Mail-Verkehrs zur Begründung des Vorliegens politisch gewollter Kostenunterdeckungen gegenüber dem Antragsgegner vorgebracht hatte, im Wesentlichen auf die Wiedergabe von Kommentarfundstellen und allgemein gehaltener Rechtsauffassungen beschränkt.
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Ebenso wenig vermag der Einwand der Antragsbegründung, wonach gegenüber künftigen Gebührenzahlern die Mitfinanzierung von Gebühren, die in vergangenen Bemessungszeiträumen anzusetzende Kosten enthielten, nicht zu rechtfertigen sei, einen atypischen Ausnahmefall im vorstehenden Sinne zu begründen. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber in Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG gerade eine Durchbrechung des Grundsatzes der Periodengerechtigkeit angeordnet, um dem im Ausgangspunkt auf den einzelnen Bemessungszeitraum begrenzten Kostendeckungsprinzip (Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG) auf mittlere Sicht effektiv Rechnung zu tragen (vgl. VGH BW, U.v. 20.1.2010 – 2 S 1171/09 – juris Rn. 42; BayVGH, B.v. 30.9.2019 – 4 CE 19.93 – juris Rn. 12). Den Interessen der betroffenen Gebührenschuldner, nicht zeitlich unbegrenzt zum Ausgleich von Kostenunterdeckungen vergangener Bemessungszeiträume herangezogen zu werden, wird in der gebotenen Weise dadurch Rechnung getragen, dass die Ausgleichspflicht auf Kostenunterdeckungen aus dem unmittelbar vorhergehenden Bemessungszeitraum beschränkt ist (vgl. BayVGH, U.v. 27.6.2023 – 4 N 20.1054 – juris Rn. 26; U.v. 17.8.2017 – 4 N 15.1685 – juris Rn. 38, insoweit bestätigt durch BVerwG, U.v. 27.11.2019 – 9 CN 1.18 – juris Rn. 39 f.). Innerhalb dieser zeitlichen Grenzen ist ein etwaiges Vertrauen der Betroffenen darauf, im Rahmen der Gebührenerhebung nicht zum – durch den Gesetzgeber grundsätzlich verpflichtend vorgesehenen – Ausgleich von Kostenunterdeckungen des vorangegangenen Bemessungszeitraums herangezogen zu werden, nicht schutzwürdig.
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Auch verfängt vorliegend der Hinweis der Antragstellerin auf die in der Kommentarliteratur vertretene Rechtsauffassung, wonach von der Gemeinde beabsichtigte Kostenunterdeckungen zwar als Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG und Art. 62 Abs. 2 GO zu werten seien, davon aber die Rechtswirksamkeit der entsprechenden Gebührensatzung nicht beeinflusst werde (Thimet/Hölzlwimmer, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Art. 8 KAG Frage 14 Erl. 3), in mehrfacher Hinsicht nicht. Zum einen beziehen sich diese Ausführungen auf solche Kostenunterdeckungen, die von der Gemeinde (politisch) beabsichtigt oder sonst bewusst in Kauf genommen wurden, wofür vorliegend aber – wie bereits dargelegt – keine Anhaltspunkte bestehen. Zum anderen geht es dort um die Frage der Rechtswirksamkeit derjenigen Gebührensatzung, welche die beabsichtigten oder bewusst in Kauf genommenen Kostenunterdeckungen enthält, was übertragen auf die vorliegende Fallkonstellation die Gebührensätze des Bemessungszeitraums der Jahre 2021 bis 2024 beträfe. Zu der hier inmitten stehenden Frage einer Rechtspflicht zum Ausgleich unbeabsichtigter Kostenunterdeckungen bei der Bemessung des Gebührensatzes für den nachfolgenden Bemessungszeitraum, also desjenigen der Jahre 2025 bis 2028, lassen sich daraus jedoch keine relevanten Erkenntnisse gewinnen. Doch selbst wenn man ungeachtet des Vorstehenden mit der Antragstellerin davon ausgehen wollte, dass Verstöße gegen Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG als Ausprägung des – dem Schutz der Kommunalfinanzen und mithin allein dem öffentlichen Interesse dienenden – Kostendeckungsgebots nicht zur Rechtswidrigkeit und damit zur Nichtigkeit der Gebührensatzung führten, stünde dies der Ergreifung kommunalaufsichtlicher Maßnahmen gerade nicht entgegen (vgl. VG Cottbus, U.v. 8.11.2012 – 6 K 598/10 – juris Rn. 53; VG Magdeburg, U.v. 26.3.2015 – 9 A 253/14 – juris Rn. 76; Ecker/Hasl-Kleiber, Kommunalabgaben in Bayern, Kz. 53.00 Erl. 2.3.1). Die gegenteilige Auffassung der Antragstellerin verkennt, dass die Befugnisse der Kommunalaufsicht gerade im Interesse der Allgemeinheit bestehen und mithin auch ein Einschreiten bei Rechtsverstößen der Gemeinden gegen allein dem öffentlichen Interesse dienende Rechtsvorschriften ermöglichen.
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(2) Der Antragsgegner hat das ihm hinsichtlich der Entscheidung, den rechtswidrigen Gemeinderatsbeschluss vom 11. November 2024 zu beanstanden und dessen Aufhebung zu verlangen, durch Art. 112 Satz 1 GO eröffnete rechtsaufsichtliche Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
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Spezifische Ermessensfehler, auf deren Überprüfung das Gericht an dieser Stelle nach § 114 Satz 1 VwGO beschränkt ist, sind nicht zu ersehen. Insbesondere leidet die durch den Antragsgegner getroffene Entscheidung nicht an einem Ermessensausfall. So hat der Antragsgegner in den Gründen des angefochtenen Bescheids gerade dargelegt, dass es bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 112 Satz 1 GO im Ermessen der Rechtsaufsichtsbehörde liege, ob diese von ihrem Beanstandungsrecht Gebrauch mache, wobei das Opportunitätsprinzip gelte. In der Folge hat der Antragsgegner die durch die Ausübung des Beanstandungsrechts betroffenen widerstreitenden Interessen der Antragstellerin einerseits und der Allgemeinheit andererseits herausgearbeitet und einer Abwägung zugeführt, wobei er nach Anstellung umfassender Verhältnismäßigkeitserwägungen zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Herstellung rechtmäßiger Zustände gelangt ist. Anders als die Antragstellerin meint, kann bei dieser Sachlage allein aus der in den Bescheidgründen verwendeten Formulierung, wonach das Landratsamt die Beanstandung für „zwingend geboten“ erachte, nicht auf eine unterbliebene Ermessensausübung oder die rechtsirrige Annahme einer Ermessensreduktion auf null geschlossen werden.
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Die durch den Antragsgegner getroffene Ermessensentscheidung über die Ausübung des Beanstandungsrechts wahrt ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beanstandung des rechtswidrigen Gemeinderatsbeschlusses vom 11. November 2024 dient dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Gesetzesbindung der Gemeinde und damit einem legitimen Zweck, zu dessen Erreichung sie unzweifelhaft geeignet ist. Sie erweist sich ferner als erforderlich, da insbesondere – worauf auch der angefochtene Bescheid zutreffend abhebt – die im Anhörungsschreiben vom 26. November 2024 enthaltenen rechtsaufsichtlichen Hinweise von der Antragstellerin nicht beachtet wurden, sondern deren Gemeinderat in seiner Sitzung vom 2. Dezember 2024 die geforderte Aufhebung des rechtswidrigen Gemeinderatsbeschlusses vom 11. November 2024 und Anpassung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr abgelehnt hat. Die Beanstandung ist zudem im engeren Sinne verhältnismäßig; der hierdurch erfolgte Eingriff in die von Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV geschützte gemeindliche Finanzhoheit der Antragstellerin steht nicht außer Verhältnis zu dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der dem Schutz der Kommunalfinanzen dienenden gesetzlichen Vorgaben des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG. Insbesondere verbleibt die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung des hiernach geforderten Ausgleichs der hinsichtlich des Bemessungszeitraums der Jahre 2021 bis 2024 ermittelten Kostenunterdeckungen im Rahmen der Gebührenbemessung für die Jahre 2025 bis 2028 (so etwa hinsichtlich der Frage nach der Einführung sowie der etwaigen Höhe einer verbrauchsunabhängigen Grundgebühr) nach wie vor in der Entscheidungszuständigkeit des Gemeinderats der Antragstellerin.
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Eine Unverhältnismäßigkeit der kommunalaufsichtlichen Beanstandung kann entgegen dem Vorbringen der Antragsbegründung schließlich nicht daraus hergeleitet werden, dass der Kostenunterdeckungsausgleich nur zu einer unwesentlichen Veränderung der von der Antragstellerin für den Bemessungszeitraum der Jahre 2025 bis 2028 beschlossenen Gebührensätze führe. Losgelöst von der Frage, wann genau aus Sicht der Antragsbegründung eine nicht nur „unwesentliche“ Anhebung des Gebührensatzes vorliegen soll – diese beläuft sich hinsichtlich der Schmutzwassergebühr in Abhängigkeit von der Einführung einer Grundgebühr auf rund 17% bzw. 22% und hinsichtlich der Niederschlagswassergebühr auf rund 2% –, spräche eine nur geringe Erhöhung des von der Antragstellerin ursprünglich beschlossenen Gebührensatzes nicht etwa gegen, sondern vielmehr für einen verhältnismäßigen Eingriff in die kommunale Finanzhoheit. Fehl geht auch der an dieser Stelle erfolgte Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach geringfügige Überschreitungen von bis zu 12% als unbeabsichtigte Folge prognostischer Unsicherheiten keine Verletzung des Kostenüberdeckungsverbots des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 KAG darstellen sollten (BayVGH, U.v. 17.8.2017 – 4 N 15.1685 – juris Rn. 24 m.w.N.). Zum einen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Fehlertoleranzschwelle von 12% aufgegeben, nachdem das Bundesverwaltungsgericht diese als für eine Anwendung auf echte Kalkulationsfehler zu hoch beanstandet hatte (BVerwG, U.v. 27.11.2019 – 9 CN 1.18 – juris Rn. 36), und sieht eine durch unbeabsichtigte Kalkulationsfehler verursachte Kostenüberdeckung nur mehr dann als geringfügig und mit Art. 8 Abs. 2 Satz 2 KAG vereinbar an, wenn sie bezogen auf die um Kalkulationsfehler bereinigten gebührenfinanzierten Gesamtkosten eine Toleranzschwelle von 5% der durch das Gebührenaufkommen zu deckenden Kosten nicht überschreitet (BayVGH, U.v. 27.6.2023 – 4 N 20.1054 – juris Rn. 21). Zum anderen betrifft diese Rechtsprechung die Frage nach der Wirksamkeit einer Gebührensatzung trotz des Vorliegens von zu einer Kostenüberdeckung führenden Kalkulationsfehlern, welche der in Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG geregelten Verpflichtung zum Ausgleich dieser Kostenüberdeckung gewissermaßen vorgelagert ist. Soweit die Antragstellerin meint, aus dieser Rechtsprechung eine Erheblichkeitsschwelle herleiten zu können, deren Erreichen wiederum die Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit des Ausgleichs von Kostenunterdeckungen nach Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG darstellen soll, verkennt sie deren Aussagegehalt.
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bb) Die an die Antragstellerin im zweiten Satzteil der Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids gerichtete Aufforderung, einen Beschluss über die Neufestsetzung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr zu fassen, der die Ergebnisse der Vorjahre in die Gebührenhöhe einbezieht, erweist sich bei summarischer Prüfung als ebenfalls rechtmäßig.
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Dieses sog. Aufforderungsverlangen findet seine Rechtsgrundlage in Art. 112 Satz 2 GO. Hiernach kann die Rechtsaufsichtsbehörde die Gemeinde bei Nichterfüllung öffentlicher-rechtlicher Aufgaben oder Verpflichtungen zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen auffordern. Eine entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Antragstellerin, die sich für den Bemessungszeitraum der Jahre 2021 bis 2024 hinsichtlich der gesplitteten Abwassergebühr ergebenden Kostenunterdeckungen im Rahmen der Gebührenkalkulation für den nachfolgenden Bemessungszeitraum der Jahre 2025 bis 2028 auszugleichen, folgt aus Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG. Der Antragsgegner hat das ihm auch insoweit („kann“) eigeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt; Ermessenfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO sind nicht zu ersehen.
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cc) Keine rechtlichen Bedenken bestehen schließlich hinsichtlich der Androhung der Ersatzvornahme in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids, falls die Antragstellerin der Aufforderung zur Aufhebung der rechtswidrigen Gemeinderatsbeschlüsse und zur Neufestsetzung der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr unter Ausgleich der Kostenunterdeckungen der Jahre 2021 bis 2024 nicht bis zum 3. Februar 2025 nachkommt.
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Die Befugnis der Rechtsaufsichtsbehörde zu dieser Androhung ergibt sich mittelbar aus Art. 113 Satz 1 GO (BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 56). Die der Antragstellerin gesetzte Frist erweist sich als angemessen, da zwischen dem Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 30. Dezember 2024 und dem Fristende am 3. Februar 2025 noch zwei Gemeinderatssitzungen, konkret am 13. sowie am 27. Januar 2025, stattfanden und sich der Antragstellerin mithin ausreichend Gelegenheit bot, die Aufforderungen der Rechtsaufsichtsbehörde umzusetzen. Dies verdeutlicht nicht zuletzt der Umstand, dass sich der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 27. Januar 2025 auch tatsächlich mit der verfahrensgegenständlichen kommunalaufsichtlichen Beanstandung befasst hat.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Aus Nr. 22.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 ergibt sich für Verfahren, welche Maßnahmen der Kommunalaufsicht zum Gegenstand haben, in der Hauptsache ein Streitwert von 15.000,00 EUR. Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird dieser Betrag nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 halbiert.